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Zwanzig Jahre "Spezialistenarbeit" für die Sicherheit an der Staatsgrenze der DDR

Von Hans-Jürgen Zeidler

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Wie eine Passkontrolleinheit (PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Bereich einer Grenzübergangsstelle (Güst) funktionierte, wird in diesem Beitrag durch die inhaltliche Auswertung eines ausgewählten Beispiels (hier: das Aktenbündel PKE Heinrich-Heine-Straße 457) gezeigt.

Bis zum 13. August 1961 war an der Heinrich-Heine-Straße eine von über 80 Straßen-Güst innerhalb von Berlin. Die frühere Bezeichnung "Kontrollpassierpunkt" (KPP) galt bis 1964 und wurde in "Grenzübergangsstelle" geändert. Im gleichen Jahr kam es zur Umbenennung und Umstrukturierung der 1962 geschaffenen, übergeordneten Abteilung "Passkontrolle und Fahndung" in Hauptabteilung "Passkontrolle und Fahndung". Dieser Hauptabteilung des MfS waren die Berliner Güst und die Güst am Flughafen Schönefeld einschließlich Rudower Chaussee direkt unterstellt. Mit dem Jahr 1970 erfolgte eine Umbenennung in Hauptabteilung VI (HA VI) unter gleichzeitiger Strukturänderung bzw. -erweiterung.

Nicht jede Berliner Güst hatte dieselben "Reisekategorien"

Infolge des Mauerbaus von 1961 wurden für die verbliebenen Grenzübergangstellen jeweils verschiedene "Reisekategorien" festgelegt. Zum Beispiel konnten Bürger West-Berlins nicht alle Güst für den privaten Reise- und Besucherverkehr nutzen.

Die grundsätzliche Aufgabe der PKE/Güst Heinrich-Heine-Straße lag in der Überwachung des "Wechselverkehrs von Bürgern der DDR und der BRD und von in der DDR akkreditierten Diplomaten sowie ständige[r] Einwohner West-Berlins zur Ein- und Ausreise im kommerziellen Warenverkehr". Realisiert wurde dieses in Zusammenarbeit mit dem Kommandanten der Grenzübergangsstelle, den die Grenztruppen der DDR stellten, dem Grenzzollamt der Zollverwaltung der DDR (GZA) sowie mit weiteren staatlichen und anderen Dienststellen.

Geographisch befand sich die PKE/Güst Heinrich-Heine-Straße zwischen den Grenzübergangsstellen Friedrichstraße/Zimmerstraße und Oberbaumbrücke, gegenüber dem West-Berliner Bezirk Kreuzberg. Der Güst vorgelagert befand sich dort die Kontrollstelle Prinzenstraße der West-Berliner Polizei und eine Kontrollstelle bzw. Grenzaufsichtsstelle des West-Berliner Zolls.

Militärische und geheimdienstliche Sicherung der Güst waren oberstes Gebot

Inhaltlicher Schwerpunkt des o.g. Bündels und der daraus formierten Akten ist die "Organisation der Sicherheit" der PKE/Güst Heinrich-Heine-Straße, - u. a. die Abwehr von Provokationen und Anschlägen.

In Absprache mit den Kommandanten der Güst und dem Leiter des GZA wurden Maßnahmen festgelegt, die einerseits dem Eigenschutz der Güst und der auf ihr befindlichen Einrichtungen und Personen galten und die andererseits darauf zielten, eine "geordnete" Grenzkontrolle der Passanten und Fahrzeuge zu gewährleisten.

Das MfS ging generell davon aus, dass mit dem ansteigenden Waren-, Reise- und Besucherverkehr infolge der Moskauer Verträge vom 3. September 1971 (auch Viermächteabkommen oder Berlinabkommen) und des darauf folgenden Transitabkommens zwischen der BRD und der DDR auch die Gefahr für Aktionen gegen die Kontrollkräfte an den Güst stieg. So wurden immer wieder neue bauliche, verkehrstechnische und personelle Prämissen geschaffen.

Seitens der PKE Heinrich-Heine-Straße wurde von deren Kontrolltätigkeit u. a. schon am 2. Oktober 1970 unter dem Aspekt der "…Erhöhung der Sicherheit an den Grenzübergangstellen" an die HA VI/Linie Passkontrolle bzw. Operativdienststelle Berlin zu folgenden Sachverhalten berichtet:

  • Durchsetzung der Betretungsordnung;
  • Funktionstüchtigkeit und Wirksamkeit des Alarm- und Sicherungssystems;
  • Operativ-technische, bauliche und organisatorische Maßnahmen zum Betreten und zur Sicherung spezieller Räume;
  • Aufbewahrung von Kontroll- und Sicherungstechnik, operativer Technik, Waffen und Munition;
  • Aufbewahrung beschlagnahmter westlicher Druckerzeugnisse;
  • Wirksamkeit der operativ-technischen, baulichen und organisatorischen Maßnahmen zur Verhinderung unbefugter Einsichtnahme in Kontroll- und Abfertigungshandlungen;
  • Besetzung des Postenbereiches 1.

In dieser oder ähnlicher Form erhielt die HA VI bis 1989 permanent Informationen zur allgemeinen Lage an der PKE/Güst Heinrich-Heine-Straße. Besondere Vorkommnisse an der Güst und in deren Umfeld wurden durch Sofort- oder Sondermeldung an die Hauptabteilung weitergegeben und konnten über Alarmierung zur zeitweiligen Schließung der Güst und damit zur Unterbrechung der Grenzabfertigung führen.

Durch Kontrollen seitens der Fachabteilungen der HA VI wurden über die PKE weitere aktuelle Informationen zusammengetragen und Maßnahmen für die Beseitigung etwaiger Mängel festgelegt oder/und die Abläufe der Grenzkontrolle geändert.

Zur fachspezifischen Ausrüstung der PKE gehörten neben Handfeuerwaffen u. a. auch Fotoapparate verschiedenen Typs sowie Kassettentonbandgeräte, diverse Werkzeuge und spezielle Kontrolltechnik (operative Technik) wie UV-Geräte für den Echtheitsnachweis der vorgelegten Reisedokumente.

Grenzkontrolle auf der Güst war für viele Reisende "purer Stress"

Während der Grenzkontrolle konnten komplizierte Situationen auftreten, wie bei einem "versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruch" oder bei der "Dekonspiration" von (inoffiziellen) MfS-Mitarbeitern. Zu solchen Situationen zählten auch die Verweigerung des Vorlegens von Reisedokumenten, Provokationen verschiedenster Art, Verkehrsunfälle, Beschädigung von Kontroll- und Sperreinrichtungen sowie Erkrankungen und Todesfälle von Passanten. Letztere zwei Sachverhalte waren zum Teil dadurch bedingt, dass die zu kontrollierenden Personen während der Grenzpassage einem erheblichen psychischen Druck ausgesetzt waren.

Obwohl ein korrektes, zweckdienliches Auftreten von den Kontrollkräften des MfS und der Zollverwaltung verlangt wurde, konnte es auch zu gegenteiligen Verhaltensweisen kommen. Die an der PKE und am GZA eingesetzten Kräfte wurden im Rahmen ihrer fachlichen und politischen Ausbildung auch in "Grenzpsychologie" geschult. Die Kontrollhandlungen waren so abgestimmt (meist auf der Grundlage von speziellen Vereinbarungen), dass die Kontrollkräfte sich sofort gegenseitig informierten, wenn „Unstimmigkeiten“ während der Grenzpassage auftraten.

Gelegentlich erfolgte bei der Grenzkontrolle auch die Festnahme von Passanten, wenn diese z. B. ein allzu provokantes Auftreten an den Tag legten, wenn Auffälligkeiten an Fahrzeugen und Reisegepäck ausgemacht wurden oder wenn Personen festgestellt wurden, die zur Fahndung ausgeschrieben waren.

Bei all diesen Sachverhalten wurden das Operative Leitzentrum (OLZ) und/oder die Operativdienststelle Berlin (OPD) oder auch der Leiter der HA VI informiert. Diese Einrichtungen der HA VI trafen Entscheidungen, wie die PKE weiter zu handeln hatte. Festgenommene Personen wurden in der Regel an die Deutsche Volkspolizei übergeben.

"Spezialisten"-Ausbildung und "operative" Technik sicherten "effektive" Kontrollen

Um die angestrebte Sicherheit der Güst zu erhalten, wurden die dort eingesetzten Kräfte einer sich in Teilen wiederholenden militärischen Aus- und Weiterbildung bzw. Spezialausbildung unterzogen. Diese fanden u. a. in Wünsdorf, auf einer dort eingerichteten "Trainings-Grenzübergangstelle" statt. Die Angehörigen der PKE wurden an Pistolen, Maschinenpistolen und an Scharfschützengewehren sowie an vorgesehener Spezialtechnik z. B. für das Gasspray "KASR" (Befüllen von verriegelten Fahrzeuginnenräumen bei "Demonstrativtätern" und "Provokateuren") ausgebildet.

Die an der PKE vorgesehenen Abwehrmaßnahmen wurden durch den im Jahr 1973 eingerichteten Funktionsoffizier für "Sicherheit, Terrorabwehr und operative Technik" koordiniert. Unterstellt war dieser der Arbeitsgruppe Sicherheit und Terrorabwehr, die später zu einer Abteilung umgebildet wurde, die als ein Fachorgan der HA VI für alle Passkontrolleinheiten des MfS in dieser Sache zuständig war.

Aber nicht nur dem Betreten der Grenzübergangsstelle durch Reisende galt die Aufmerksamkeit des Sicherheitsoffiziers. Auch die nähere Umgebung der Güst war in die Abwehrtätigkeit des MfS einbezogen. Eine Einsichtnahme in die Grenzsicherungsanlagen und sonstigen Einrichtungen u. a. von West-Berliner Seite aus versuchte man durch entsprechende "Blendbauten" zu verhindern bzw. einzuschränken.

Von Ost-Berliner Seite aus konnten dagegen die Dienstgebäude des Zolls und der Polizei in der Prinzenstraße beobachtet werden. Im Vergleich beanspruchten die West-Berliner Kontrolleinrichtungen in ihrer territorialen Ausdehnung jedoch nur einen Bruchteil der Fläche, die die Güst Heinrich-Heine-Straße einnahm. Jegliche dem MfS bzw. den Grenztruppen verdächtigen Handlungen im Vorfeld der Güst wurden mit Fotos festgehalten.

Die hier angedeuteten Aktivitäten und Fakten auf der PKE/Güst Heinrich-Heine-Straße sollen u. a. darauf aufmerksam machen, dass neben den zum Teil sehr dramatischen Vorgängen während einer Grenzpassage, wovon DDR-, BRD- und West-Berliner Bürger sowie Ausländer gleichermaßen betroffen waren, ein hoher (kostenintensiver, organisatorischer und materieller) Aufwand für die Grenzkontrollen seitens des MfS betrieben wurde.

Die Passkontrolleinheiten stellten im wahrsten Sinn des Wortes "Filter" dar, die den Besucher-, Touristen- und Warenverkehr im Interesse des damaligen politischen Systems der DDR "filtrierten".

Hans-Jürgen Zeidler

13. November 2006