Der Bau der Mauer vollendete und zementierte die Teilung der beiden deutschen Staaten. Wer sich kritisch zum "antifaschistischen Schutzwall" äußerte, musste mit Repressionen der Staatssicherheit rechnen. Mindestens 140 Menschen verloren zudem ihr Leben an der Mauer. Um Schaden für das Ansehen des SED-Staates zu vermeiden, verschleierte die Geheimpolizei die Todesfälle so weit wie möglich.

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Die Mauer zementierte die Teilung der beiden deutschen Staaten und schränkte mehr als nur die Reisefreiheit ein. Die Bürgerinnen und Bürger in der DDR sollten sich fügen. Wer öffentlich den Mauerbau oder die SED kritisierte, konnte seinen Arbeitsplatz verlieren oder im Gefängnis landen. Mit dem Mauerbau begann eine neue Welle der Repression in der DDR.

Um öffentlich geäußerter Kritik vorzubeugen, griff das MfS hart durch. Schon eine schlichte Meinungsäußerung oder das Hören westlicher Nachrichtenprogramme führte zu Verhaftungen und Verurteilungen - auch in den Folgejahren des Mauerbaus. Dazu baute das MfS sein Überwachungs- und Einschüchterungssystem weiter aus.

 

Mindestens 140 Menschen verloren bis Ende 1989 ihr Leben bei dem Versuch, den „antifaschistischen Schutzwall“ zu überwinden. Die meisten von ihnen wurden durch Grenzsoldaten der DDR getötet. Um Schaden für das Ansehen des SED-Staates zu vermeiden, verschleierte das MfS die Todesfälle so weit wie möglich. Die Leidtragenden dieser Vertuschungsstrategie waren vor allem die Angehörigen der Maueropfer. Viele erfuhren erst nach der deutschen Vereinigung aus den Stasi-Akten die Wahrheit über den Tod ihrer Nächsten.

Tod eines Ost-Berliners

Horst Einsiedel arbeitete als Ingenieur in Ost-Berlin. Er fühlte sich eingeschränkt und kam beruflich nicht voran. Er wollte nicht in die SED eintreten, auch nicht den Kontakt zu seiner Mutter und Schwester in West-Berlin abbrechen. Frustriert fasste er den Entschluss, in den Westteil der Stadt zu fliehen. Seiner Ehefrau erschien eine Flucht wegen der kleinen Tochter zu riskant.

Einsiedel wagte es dennoch. Am 15. März 1973 wurde er von DDR-Grenzposten erschossen. Die Staatssicherheit wollte unbedingt jegliches Aufsehen vermeiden. Mit großem Aufwand täuschte sie zunächst ein Gewaltverbrechen vor, später dann einen Unfalltod. "Ich stand unter Schock und habe denen das alles geglaubt", erinnert sich die Ehefrau. Dass Horst Einsiedel an der Mauer getötet worden ist, erfuhr seine Familie erst nach der deutschen Vereinigung im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen.

 

Horst Einsiedel

Flucht und Vertuschung

Seine Flucht in den Westen plante Horst Einsiedel von einem Ost-Berliner Friedhof aus, auf dem sein Vater begraben liegt. Der Friedhof lag unmittelbar an den Grenzanlagen. Mithilfe von Friedhofsleitern gelang es ihm, die ersten Hindernisse zu überwinden. Dann wurde er von den Grenzposten bemerkt und beschossen. Er starb noch auf dem Mauerstreifen.

 

Das MfS strickte die Legende eines Gewaltverbrechens und täuschte vor, den leeren PKW von Horst Einsiedel im Wald gefunden zu haben.

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Im nächsten Schritt überwachte die Geheimpolizei das Wohnhaus der Familie Einsiedel. Briefe wurden abgefangen, sogar die Wohnungen der Nachbarn wurden "verwanzt". Die Stasi wollte sicher gehen, dass niemand über die Flucht Bescheid wusste und dass ihre Legende funktionierte.

Durch die Abhöraktion erfuhr das MfS, dass die erste Version der Legende nicht überzeugte. In West-Berlin beauftragte die Mutter Einsiedels sogar prominente Anwälte damit, Nachforschungen anzustellen. Es drohten diplomatische Verwicklungen.

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Das MfS entschloss sich daraufhin, Einsiedels Tod zuzugeben, nannte aber falsche Todesumstände. Einsiedel sei bei dem Versuch, durch die Havel in Richtung Westen zu schwimmen, ums Leben gekommen. Ende Mai wurde die Familie über den angeblichen Tod durch Ertrinken informiert. Den Leichnam hatte das MfS zu diesem Zeitpunkt bereits heimlich eingeäschert.

Maueropfer aus West-Berlin

Gerald Thiem, ein Polier aus dem West-Berliner Bezirk Neukölln, drang nach einem Feierabendumtrunk in die Ost-Berliner Grenzanlagen ein. Warum er dies tat, ist ungeklärt.

Die Grenzsoldaten gaben insgesamt 177 Schuss auf ihn ab. Die Schützen erhielten am nächsten Tag das "Leistungsabzeichen der Grenztruppen" oder "Sachwertprämien".

Das MfS sorgte dafür, dass der gewaltsame Tod des West-Berliners Gerald Thiem nicht publik wurde. Die Bemühungen des SED-Staates um internationale Anerkennung sollten nicht gefährdet werden.

Im Westen galt Thiem als verschollen und wurde 1981 amtlich für tot erklärt. Seine Töchter erfuhren erst 1994 die Wahrheit über seinen Tod, seine Frau war inzwischen verstorben. "Dieses Leben in Ungewissheit war für uns die schlimmste Zeit", sagte eine der Töchter.

 

Flucht und Vertuschung

Am späten Abend des 7. August 1970 lief der West-Berliner Gerald Thiem in einem unübersichtlichen Grenzbereich durch die Sperren der Grenzanlagen im Umbau. Als ihn ein Grenzposten daraufhin festnehmen wollte, lief Thiem weiter und geriet in das Blickfeld anderer Grenzsoldaten. Sie eröffneten sofort das Feuer. Gerald Thiem brach im Kugelhagel zusammen und starb.

Das MfS beobachtete zunächst die Berichterstattung der westlichen Presse. Die Zeitungen in West-Berlin berichteten, dass Gerald Thiem als vermisst gilt und gesucht wird. Die nächtlichen Schüsse, die auch im Westteil der Stadt zu hören waren, wurden mit seiner Person aber nicht in Verbindung gebracht. Das MfS sah daher eine gute Chance, den Tod von Thiem zu verschweigen.

 

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Die Generalstaatsanwaltschaft der DDR und die "Linie IX" des MfS waren die beiden wichtigsten Organe, die politische Strafermittlungen durchführten. Sie vereinbarten, die "Leichensache als unbekannt" abzuschließen, und verwischten alle Spuren.

Helmut Möbus, "Offizier für Sonderaufgaben" bei der Abteilung IX in der Berliner Bezirksverwaltung des MfS, war 1970 der Hauptsachbearbeiter des Todesfalls Thiem. In seine Zuständigkeit fielen „Leichensachen“ in der Bezirksverwaltung Berlin. Dabei handelte es sich um ein Synonym für die Mauertoten.

Die verzweifelte Familie in West-Berlin stellte auch in Ost-Berlin Nachforschungen an. Die Generalstaatsanwaltschaft der DDR täuschte Nichtwissen vor. Gerald Thiem war da schon drei Monate tot. Im Krematorium Baumschulenweg fand auf Anordnung des MfS die Einäscherung des Leichnams von Gerald Thiem statt. Die Asche wurde am 22. September 1970, sechs Wochen nach dem gewaltsamen Tod an der Mauer, irgendwo auf dem Friedhof ausgestreut.

Flucht zur Westverwandtschaft

Manfred Gertzki schien etabliert zu sein in der DDR. Er kam beruflich als Diplom-Ingenieur voran, trieb in der Freizeit gerne Sport, gewann bei DDR-Bezirksmeisterschaften im Diskuswerfen und Kugelstoßen mehrere Preise.

Trotzdem beschloss er, in den Westen zu fliehen. Dort lebten noch Verwandte von ihm. Er glaubte, durch den Spreekanal am Reichstag fliehen zu können, wähnte sich sicher durch eine selbstgebastelte kugelsichere Weste.

 

Flucht und Vertuschung

"Mord am Reichstag" titelten Medien in West-Berlin, als ein junger Mann am 27. April 1973 am Spreekanal von Ost-Berliner Grenzposten erschossen wurde –  vor den Augen von Touristen und Passanten. Der getötete Flüchtling war Manfred Gertzki aus Karl-Marx-Stadt.

Das MfS ermittelte, dass er in der DDR keine nahen Verwandten mehr hatte. Die Geheimpolizisten verwischten alle Spuren seines Lebens. Manfred Gertzki wurde am 15. Mai 1973 eingeäschert und in einem Urnengrab des Krematoriums Baumschulenweg anonym beigesetzt. Im Totenschein für den Getöteten wurde als Familienname "unbekannt" eingetragen.

 

Aufbruch in ein neues Leben

Leo Lis wohnte mit seiner kinderreichen Familie in der DDR. Er war Spätaussiedler aus dem polnischen Teil Schlesiens. Ein Teil seiner weitverzweigten Familie befand sich schon im Westen Deutschlands. Leo Lis hatte Sehnsucht nach dem Rest seiner Familie, doch er erhielt keine Genehmigung, mit seinen sechs Kindern und seiner Ehefrau die DDR zu verlassen. Er beschloss deshalb, es zunächst alleine zu versuchen. Bei der Flucht wurde er erschossen. "Sie haben nur gesagt, dass der Vater verstorben ist. Nicht wo, nicht wie oder was. Wir durften nicht drüber reden", erinnern sich seine Söhne.

Ausschnitt aus dem DDR-Pass von leo Lis.

Flucht und Vertuschung

Am 19. September 1969 brach Leo Lis auf, stellte sein Fahrrad am Bahnhof in Kamenz ab und löste einen Fahrschein nach Ost-Berlin. Der wenig Sportbegeisterte erstand für den Folgetag ein Ticket für ein Fußballspiel in einem Stadion in der Nähe der Mauer. Er plante den Aufbruch in ein neues Leben. Einen Tag später war Leo Lis tot. Am Nordbahnhof in Berlin versuchte er, die Grenze nach West-Berlin zu überwinden. 78 Kugeln wurden auf ihn abgefeuert. Er starb an einem Brustdurchschuss noch im Sperrgebiet. Er war zum damaligen Zeitpunkt 43 Jahre alt und hinterließ seine Frau und sechs Kinder. Seine Erschießung wurde strafrechtlich nicht verfolgt.

Die kleine Habe, die Leo Lis beim Aufbruch in ein anderes Leben bei sich trug, wurde akribisch aufgelistet.

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Was in der Familie, im Dorf und im Betrieb über seinen Tod geredet und gedacht wurde, wollte das MfS kontrollieren und beeinflussen. Stimmungsberichte wurden angefertigt, die Post der Familie kontrolliert und teilweise beschlagnahmt.

Sieben Tage nach dem Verschwinden von Leo Lis informierten zwei Stasi-Mitarbeiter, getarnt als Polizisten, die Familie. Ein Teil der Habe wurde ihr ausgehändigt. Außerdem erteilten die Geheimpolizisten Vorschriften für die Beisetzung. Die genauen Todesumstände wurden verschleiert. "Wo was wie passiert ist, hat uns keiner gesagt", erinnert sich einer der Söhne.

Das MfS hatte den Toten einäschern lassen, noch bevor die Familie informiert wurde. Erst Wochen später erhielt die Familie die Urne. Im kleinen Kreis fand auf dem Friedhof die Beisetzung statt - in Kamenz, von wo aus Leo Lis drei Monate zuvor aufgebrochen war.

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