Bei der Ausarbeitung einer neuen Reiseverordnung nutzte die Staatssicherheit ihren Einfluss, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr zurückschrauben sollten.

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Luftbildaufnahme der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße von der Seite der DDR aus aufgenommen. Der Blick geht von Osten nach Westen. Im Vordergrund ist die Grenzübergangsstelle zu sehen, die eingezäunt neben einer Kleingartenkolonie am rechten unteren Bildrand liegt. Auf der GÜSt ist kein Verkehr auszumachen. Direkt auf der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin überquert die Bornholmer Straße auf der Bösebrücke Eisenbahngleise. Gut zu erkennen sind die Sperranlagen und Straßenblockaden direkt an der Grenze. Im Hintergrund ist der West-Berliner Stadtteil Wedding zu sehen.

Reisegenehmigungen nehmen zu

Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den Westen nur unter bestimmten Bedingungen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 1980er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung fahren.
 

1,4 Millionen

Menschen durften im Jahr 1988 aufgrund ihres Rentenalters, einer Dienstreise oder wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" in den Westen reisen.

Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte eine Menge Arbeit: von der Überprüfung der Antragstellerinnen und Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrenden.

Stasi nimmt Einfluss auf "Reiseverordnung"

Im Zuge des KSZE-Prozesses (siehe Januar 1989) sah sich die DDR-Führung gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Erteilung solcher Genehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das MfS nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr zurückschrauben sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Personen, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.

Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit berichtete darüber in eher beschwichtigender Form Ende Januar 1989:

 

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Honecker macht einen Rückzieher

Diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die die DDR für immer verlassen wollten, wurden durch die "Reiseverordnung" bitter enttäuscht. Zugleich bildeten sie ein erhebliches Unruhepotential.

Aber nicht nur die Personen, die einen Ausreiseantrag stellten, sondern – innenpolitisch fast noch wichtiger – auch jene, die eine Privatreise ins westliche Ausland unternehmen wollten, waren empört. Der Druck auf die Genehmigungsstellen war so stark, dass sich Innenminister Friedrich Dickel deshalb an den ZK Sekretär für Sicherheit Egon Krenz wandte.

Krenz leitete Schreiben und Anlage an den Abteilungsleiter Sicherheit im ZK, Wolfgang Herger, weiter und forderte ihn auf, dazu eine Vorlage zu erstellen. Hergers Vorlage besagte im Kern, dass zum früheren Zustand zurückzukehren sei. Krenz machte sich diese Position zu eigen, leitete sie am 3. März 1989 an Erich Honecker weiter und der zeichnete mit seinem "Einverstanden EH" ab. Mit einem zweiten Schreiben, zehn Tage später, wurde dann dieser Rückzieher in eine rechtliche Form gebracht. Auch jetzt gab Honecker wieder seine Zustimmung.

Die Stasi hatte damit in einem Konflikt mit dem Innenministerium, vor allem aber der Abteilung Sicherheit im SED-Zentralkomitee eine Niederlage erlitten. Trotzdem hatte Minister Erich Mielke seine Diensteinheiten über die neue Regelung selbstverständlich informiert. Allerdings betonte er in seinem Schreiben vor allem die weiter bestehen bleibenden restriktiven Bestimmungen.

 

Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt Erich Honecker und Erich Mielke, die sich gerade begrüßen und dabei die Hände schütteln.

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Im darauffolgenden Monat April ließ Erich Honecker den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze aufheben. Außerdem besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen KGB Generalmajor Leonid Schebarschin Ost-Berlin und sprach mit Stasi-Chef Erich Mielke über die politischen Entwicklungen in den Warschauer-Pakt-Staaten.

  1. Februar 1989
  2. April 1989