Zurück zur Geschichte

1988 ließ die SED-Führung den Vertrieb der beliebten sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" einstellen. Mit Beginn von "Glasnost" und "Perestroika" hatte "Sputnik" damit begonnen, auch Tabuthemen aufzugreifen. Das war den Mächtigen in der DDR ein Dorn im Auge. Mit der folgenden Empörung hatten sie jedoch nicht gerechnet.

Von Unbekannten hergestellter Handzettel mit aus Zeitungen ausgeschnittenen Buchstaben. Der Text lautet: "Für Sputnik. Denn in der Masse liegt die Kraft! Beschweren Sie sich...". Links neben dem Text ist ein Portraitfoto von Michail Gorbatschow abgebildet.

Die sowjetische Monatszeitschrift "Sputnik" existierte seit 1967 in der UdSSR und erschien in mehreren Sprachen. Mit Beginn von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion informierte "Sputnik" in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch über die Reformpolitik Gorbatschows und griff frühere Tabuthemen auf, wie die Verbrechen Stalins. In der DDR eröffnete die Zeitschrift ihrer Leserschaft damit eine willkommene Abwechslung in der Medienlandschaft. Mit Beginn der Politik von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion interessierten sich vermehrt intellektuelle Kreise für die Zeitschrift.

Das Verbot durch den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im November 1988 provozierte in der gesamten DDR Proteste. Die Stasi ermittelte landauf und landab die Stimmungslage und Meinungen in der Bevölkerung, vielfach durch Inoffizielle Mitarbeiter (IM).

Das "Sputnik"-Verbot im Jahr 1988

Es war nicht die erste Maßnahme dieser Art: Bereits zu Beginn des Jahres 1988 waren aufgrund ideologischer Bedenken drei Ausgaben der deutschsprachigen, sowjetischen Zeitschrift "Neue Zeit" nicht ausgeliefert worden. Zeitgenössische Literatur aus dem Bruderland wurde kaum noch veröffentlicht, Filme kamen nicht in den Verleih. Nicht anders erging es den Zeitungen "Budapester Rundschau" und "Prager Volkszeitung".

Zu einem Proteststurm kam es jedoch erst mit dem Auslieferungsstopp des "Sputnik". Bereits die Nichtauslieferung der Oktoberausgabe zog eine Flut von Eingaben an das offiziell zuständige Postministerium nach sich.

Am 18. November folgte eine lapidare ADN-Meldung folgenden Inhalts: "Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift 'Sputnik' von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, statt dessen verzerrende Beiträge zur Geschichte".

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Es war unschwer zu erraten, dass nicht das Postministerium das Verbot veranlasste. Vielmehr handelte es sich um einen Entschluss der SED-Führung. In der November-Ausgabe des "Sputniks" ging es um den 1939 geschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin, der auch eine Aufteilung Polens vorsah. Diese Darstellung widersprach jedoch dem in der DDR propagierten Geschichtsbild. Mit dem Artikel "Gegen die Entstellung der historischen Wahrheit" lieferte die SED-Führung in ihrem Zentralorgan „Neues Deutschland“ am 25. November die Begründung für ihre Entscheidung nach. (o.V., Gegen die Entstellung der historischen Wahrheit, in: Neues Deutschland, 25.11.1988, S. 2.)
Sie war eine heimliche Abwendung vom Demokratisierungsprozess in der UdSSR.

Reaktionen und Proteste gegen das Verbot

Die Reaktionen auf das "Sputnik"-Verbot waren ablehnend, wütend und teilweise aggressiv und kamen sowohl von SED-Mitgliedern wie auch von Parteilosen.

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Handzettel mit der Aufschrift: "Für Sputnik. Denn in der Masse liegt die Kraft! Beschweren Sie sich..." Links neben dem Text ist ein Portraitfoto von Michail Gorbatschow abgebildet.

Das Zentralkomitee der SED, die Jugendorganisation der Partei (FDJ), die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), das Presseamt, verschiedene Zeitungsredaktionen sowie weitere staatliche und gesellschaftliche Organisationen erhielten Tausende von Eingaben aus Betrieben, Universitäten, Schulen und von Einzelpersonen. Beispielhaft dafür stehen folgende Stasi-Dokumente zu Reaktionen auf das "Sputnik"-Verbot von:

Drastisch formulierte Einzel- und Kollektiveingaben wurden zur weiteren Bearbeitung an die Stasi übergeben. Alle anderen Einsendungen erhielten standardisierte Antworten unter Verweis auf die oben erwähnten Artikel. Die Aussprachen zwischen der Parteikontrollkommission (PKK) und den Verfasserinnen und Verfassern der Eingaben vom Dezember 1988 basierten auf den Argumenten aus diesen beiden Artikeln. Sie dienten zur "Gesinnungsprüfung" der betreffenden SED-Mitglieder. Schließlich gelang es damit, Diskussionen über die Situation in der DDR noch einmal abzuwürgen.

Auch Stasi-Angehörige schrieben Eingaben an das Zentralkomitee der SED. Bei anschließenden Aussprachen sollten sie ihren kritischen Standpunkt zu der Zensurmaßnahme aufgeben.

Für die Parteiführung hatte das "Sputnik"-Verbot schwerwiegende Folgen. Es vertiefte die Entfremdung zwischen der SED und ihren "loyal-reformorientierten" Anhängern, befürchteten letztere doch eine Abschottung der DDR auch nach Osteuropa. Die beinahe unterschiedslosen Argumentationen von  SED-Mitgliedern und Parteilosen zeugten laut Stasi-Berichten von Unverständnis und Ablehnung des Verbots. Selbst SED-Anhänger übten Kritik an der Informationspolitik der Partei und forderten eine argumentative Auseinandersetzung mit den Positionen im "Sputnik".

Reaktionen gab es auch von sowjetischer Seite. Im Februar 1989 musste das SED-Politbüro zur Kenntnis nehmen, dass die Sowjetunion zum 1. April eine erhebliche Reduzierung der Bezugszahlen von 24 DDR-Zeitungen und –Zeitschriften mit der Begründung eines erforderlichen Ausgleichs der gegenseitigen Lieferungen verfügte:

Erst unter dem neuen SED-Generalsekretär Egon Krenz wurde im Oktober 1989 eine Wiederaufnahme des "Sputnik" in die Postzeitungsliste angekündigt.