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Nahaufnahme von weißen Christbaumkugeln, die an Tannenzweigen hängen.

Christbaumschmuck im Spiegel der Stasi-Unterlagen

Der beliebte Thüringer Christbaumschmuck hat seinen Ursprung im Thüringer Wald, speziell im kleinen Städtchen Lauscha. In der DDR waren die zerbrechlichen Erzeugnisse wichtiges Exportgut und sprudelnde Devisenquelle, denn den Großteil des Christbaumschmucks verkauften die Außenhändler Günter Mittags in den Ostblock und an den kapitalistischen Klassenfeind im Westen. Bis 1989/90 war die Produktion des Christbaumschmucks Teil der DDR-Planwirtschaft, deren Sicherung und Überwachung dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oblag.

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Auf einer in der Region um Lauscha gewachsenen Glasbläsertradition basierend, entwickelte sich seit den 1850er Jahren die Produktion des Christbaumschmucks. Dieser wurde von geschäftstüchtigen Sonneberger Spielzeugverlegern verbreitet. Die filigranen Glocken, Kugeln, Spitzen, Vögel und Zapfen hingen von nun an an den Weihnachtsbäumen und ersetzten den damals noch essbaren Baumschmuck. Bis in die frühen 1950er Jahre hinein produzierten Familienbetriebe im Rahmen der Heimarbeit einen Großteil des Christbaumschmucks. Im Zuge der Verstaatlichung der Wirtschaft pressten die DDR-Wirtschaftsbürokraten die Familienbetriebe zunächst in "Produktionsgenossenschaften des Handels" (PGH) und schlussendlich in einen "Volkseigenen Betrieb" (VEB), dem VEB Thüringer Glasschmuck Lauscha. Dieser Prozess war von Willkür und Enteignungen geprägt. Ende der 1940er Jahre/Anfang der 1950er Jahre verließen viele alteingesessene Glasbläserfamilien Südthüringen und begannen in Nordbayern, konkret in der Region Oberfranken, ein neues Leben.

"Hermsdorfer Kreuz" in Lauscha

Das beschauliche Lauscha lag im Kreis Neuhaus am Rennweg, der sich auf den Höhenzügen des Thüringer Waldes im Bezirk Suhl befand. Der Kreis Neuhaus war einer der kleinsten Kreise und die gleichnamige Kreisstadt die höchstgelegene der DDR. In den 1950er und 1960er Jahren verzeichnete die MfS-Kreisdienststelle (KD) Neuhaus zahlreiche "Diversionshandlungen", worunter die Geheimpolizei das Anbringen von Parolen und Losungen oder das bewusste Herbeiführen von Betriebsstörungen, Bränden und Havarien verstand. Aus einer Analyse der KD Neuhaus aus dem Jahr 1972 wird ersichtlich, dass Lauscha in den Augen des MfS als ein Sammelbecken für Feinde der SED galt. Denn hier sei ein besonderer "Konzentrationspunkt von solchen Personenkreisen, wie ehemalige Nazis, Rückkehrer, Zuziehende, Haftentlassene und Handwerker […], die für den Gegner ein Reservoir an Untergrundtätigkeit und andere feindliche Handlungen bilden." 

Als Hauptgrund dafür arbeitete die Analyse den Sachverhalt heraus, dass aufgrund der Abwanderung eines großen Teils der einheimischen Glasbläserfamilien nach Oberfranken eine Vielzahl von familiären und wirtschaftlichen Beziehungen bestünden. Konkret hieß es damals: "Die Stadt Lauscha bildet auf Grund des hohen Anteils verwandtschaftlicher Verbindungen und Kontakte in die BRD und Berlin-West einen Konzentrationspunkt und somit Basis des subversiven Missbrauchs im Rahmen der Kontaktpolitik des Gegners." Mehrere Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS kamen zum Einsatz und erarbeiteten Informationen zu den deutsch-deutschen Verwandtschaftsbeziehungen. IM "Jörg Stefan" war als Glasbläser in Heimarbeit tätig. Er nahm die Besucherinnen und Besucher einer stadtbekannten Gaststätte in Lauscha ins Visier, die im Volksmund den Spitznamen "Hermsdorfer Kreuz" trug und somit die Bedeutung als beliebter Treffpunkt von Angehörigen und Freunden aus Ost und West widerspiegelte.

Nahaufnahme von weißen Christbaumkugeln, die an Tannenzweigen hängen.
anuar 1970: Glasblasen in einer Heimwerkstatt in Lauscha vor einer Delegation des sowjetischen KGB

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen des "Gesellschaftlichen Mitarbeiters für Sicherheit" (GMS) mit Decknamen "Hubert", der mutmaßlich beim Wirtschaftsrat des Bezirks Suhl tätig war. Er gab in den frühen 1970er Jahren zu Protokoll: Die Produktion des Christbaumschmucks "erfolgte vor 1945 vorwiegend in Heimarbeit. Nach 1945 hat ein großer Teil der ehemaligen Heimarbeiter die DDR verlassen und in der BRD die Fertigung aufgebaut. Das Angebot der BRD an Baumschmuck aus Glas ist auf dem Weltmarkt gegenwärtig nicht konkurrenzfähig. Es wird vorwiegend für den Eigenbedarf produziert. Durch Restriktionen ist der Export [aus der DDR] in die BRD begrenzt. Eine Verbesserung ist auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Ein Interesse am VEB Thüringer Glasschmuck Lauscha ist erkennbar und zeigt sich besonders bei privat Einreisenden aus der BRD. Es handelt sich dabei um ehemalige Bürger aus Lauscha oder Steinheid. Durch die Leitung des Betriebes konnten derartige Bestrebungen bisher unterbunden werden. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass durch private Kontakte die Technologie und die geplanten Rationalisierungsmaßnahmen unbewusst oder auch bewusst weitergegeben werden." Der GMS "Hubert" sah also die Gefahr, dass durch die deutsch-deutschen Familienkontakte Betriebsgeheimnisse in den Westen abfließen könnten.

Im Stasi-Unterlagen-Archiv Suhl findet sich vielfach interner Schriftverkehr der DDR-Wirtschaftsbürokratie, etwa über den Export von produzierten Rohkugeln in den Westen oder die Verteuerung des Lauschaer Christbaumschmucks aufgrund des weltweit gestiegenen Silberpreises. Darüber hinaus sammelte ein ganzes Netzwerk inoffizieller Zuträger für das MfS Erkenntnisse aus dem Exportbereich. Darunter war IM "Gerd Müller", der als Reisekader an Verhandlungen mit bundesdeutschen und westeuropäischen Auftraggebern teilnahm. Er informierte seinen Führungsoffizier detailliert über die zustande gekommenen Vertragsabschlüsse und die darin ausgehandelten Konditionen.

In leitender Position im VEB Thüringer Glasschmuck arbeitete IM "Helmut Bauer". Dieser berichtete über Außenhandelsbeziehungen, denn die Verantwortlichen in der DDR waren davon überzeugt, dass sich vor allem die oberfränkische Konkurrenz für Einfuhrbeschränkungen von Christbaumschmuck aus der DDR stark machte. Anhand der eingesetzten IM lassen sich die permanenten Schwierigkeiten der ostdeutschen Planwirtschaft erahnen. So berichteten IM "Helmut Bauer" und GMS "Ludwig Greiner" über die Schwierigkeiten bei der Lieferung von Kartonagen vom verantwortlichen Verpackungsmittelwerk Saalfeld, denn diese trafen oftmals nicht termin- und qualitätsgerecht in Lauscha ein.

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"Original Thüringer Christbaumschmuck"

Alljährlich präsentierten Vertreter des VEB Thüringer Glasschmuck Lauscha ihre Erzeugnisse auf diversen Fachmessen. Dabei stachen vor allem die Leipziger Herbstmesse und die Spielwarenmesse in Nürnberg hervor. Für die devisenstarke Kundschaft aus dem Westen verwendeten die DDR-Wirtschaftsplaner das Label "Original Thüringer Christbaumschmuck". Dieses diente explizit für Geschäftsauftritte auf dem internationalen Parkett. Im Gegensatz dazu vermied die parteioffizielle Propaganda die Begriffe "Thüringen" und "Christbaum".

In den Beständen des Stasi-Unterlagen-Archivs Suhl ist ein Arbeitspapier der KD Sonneberg aus dem Jahr 1970 überliefert, dass die 21. Spielwarenmesse in Nürnberg bilanziert und auf die Bedeutung der Lauschaer Erzeugnisse eingeht. Fast schon enttäuscht arbeitete die Geheimpolizei heraus, dass die Traditionsprodukte eine schlechte Lackqualität aufwiesen. Der Christbaumschmuck sei veraltet und keinerlei Weiterentwicklungen erkennbar. Zudem gab es anhaltende Probleme mit der Verpackung und mit nicht eingehaltenen Lieferterminen. Resümierend stellte der Leiter der KD Sonneberg fest:

„Unsere Preise sind denen der Konkurrenz etwa gleich beziehungsweise nur im geringen Maße niedriger, so dass die Kunden im Zusammenhang mit der Qualitätsfrage auf Konkurrenzerzeugnisse zurückgreifen.“

BArch, MfS, BV Suhl, KD Sonneberg, Nr. 3697, Bl. 14

Nahezu gleichlautend unterrichtete kurze Zeit später der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Suhl, Kurt Richter, in einer geheimen Information den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Hans Albrecht. Der SED-Bezirkschef erfuhr, dass auf dem "Gebiet Christbaumschmuck, (...), die DDR wesentlich an Marktanteilen verlieren [wird]. Gründe hierfür sind: schlechte Lackqualität, schlechte Verpackung, Nichteinhaltung von Lieferterminen, keine wesentlichen Weiterentwicklungen und das die Konkurrenzunternehmen etwa gleiche Preise haben."

Auf den Nürnberger Spielwarenmessen stellten fortwährend Delegationen, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer zuvor durch das MfS im Rahmen zahlreicher Sicherheitsüberprüfungen auf ideologische Zuverlässigkeit geprüft wurden, das facettenreiche Sortiment vor. Diese speziellen Messekader achteten auch auf die Konkurrenz und hielten Neuheiten in den Bereichen Formen, Farben, Lacke und Verpackungen fest. Ferner galt es Werbekataloge und Muster zu besorgen. Heute finden sich in den Stasi-Unterlagen viele Berichte und Einschätzungen der Messekader wieder, da diese in der Regel auch dem MfS zur Verfügung gestellt wurden.

Ein Industriekaufmann, der 1967 zur Nürnberger Spielwarenmesse eingesetzt war, zeigte sich beispielsweise beeindruckt "von der schönen Ausführung der Hütchen aus Weißblech und einer gut verkupferten Schleife. Hier kann sich kein Rost mehr bilden, wie dies bei unseren Hütchen z.T. noch der Fall ist. Am Stand der Firma, Messehaus, III. Stock, konnten wir uns von der Festigkeit des Glastauchlackes durch Reiben mehrere Kugeln überzeugen, dass der zurzeit in Westdeutschland verarbeitete Lack widerstandsfähiger ist, als der von uns verwandte.“

Bei den Nürnberger Spielwarenmessen kamen auch IM zum Einsatz. Einer davon war der bereits erwähnte "Helmut Bauer", der zur Spielwarenmesse 1987 einen umfangreichen Aufgabenkatalog abzuarbeiten hatte. Für seinen Führungsoffizier der KD Neuhaus erarbeitete er eine Marktanalyse für den Thüringer Christbaumschmuck und warnte vor dem Einfluss der oberfränkischen Konkurrenz, die sich für Einfuhrbestimmungen von ostdeutschem Christbaumschmuck in die Bundesrepublik einsetzte.

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Verdächtige Einreisen und eine mutmaßliche Brandstiftung

Kundschaft aus dem Westen reiste regelmäßig nach Lauscha ein und kaufte vor Ort Rohkugeln oder bereits fertigen Christbaumschmuck in hoher Stückzahl. In diesem Zusammenhang geriet im Sommer 1987 eine Person aus Oberfranken in den Fokus: An der Grenzübergangsstelle Eisfeld unterzog ihn ein Angehöriger der Abteilung VI (Passkontrolle, Reisen, Tourismus) der MfS-Bezirksverwaltung Suhl einer Kontrolle. Im Anschluss ging eine Meldung an die KD Neuhaus. Diese lautete: "F[ahndungs]-Objekt reist zum VEB Thüringer Glasschmuck Lauscha, um eine Lieferung Glaskugeln im Wert von circa 20.000 Mark zu reklamieren und Verhandlungen zu führen über weitere Lieferungen von Baumschmuck. Als Grund der Reklamation gab das F[ahndungs]-Objekt an, dass sich bei den Glaskugeln der Lack aufgeworfen hat. F[ahndungs]-Objekt führt an Reklamationen mehrere als Baumschmuck gestaltetet Vögel mit, welche ebenfalls Qualitätsmängel aufweisen."

Doch warum geriet die Person ins Visier der Geheimpolizei? Das Misstrauen der Stasi resultierte aus mehreren Geschäftsreisen des Oberfranken, obwohl scheinbar gar keine Termine angesetzt waren. Womöglich, so die Annahme des MfS, lag sogar ein Fall von Militärspionage vor, denn in der Region Lauscha existierten funktechnische Anlagen der Sowjetarmee und der Nationalen Volksarmee.

Am 26. Mai 1986 kam es in einem Produktionsgebäude in Steinheid des VEB Thüringer Glasschmucks zu einem Brand. Die Gutachter schätzten, dass am Gebäude ein Schaden von 100.000 Mark und an Produktionsausfall ein Schaden von 20.000 Mark entstand. Was war geschehen? Am Nachmittag vernahm die Schichtleiterin im zweiten Obergeschoss einen Knall. Daraufhin stellten Mitarbeiter in der Nähe des Rundspritzautomaten einen Brand fest. Dieser Automat überzog die Rohkugeln mit Lack. Obwohl die Branduntersuchung die Kriminalpolizei übernahm, schaltete sich unverzüglich die KD Neuhaus ein, denn sie vermutete mögliche Brandstiftung. In der Logik der Stasi also ein bewusst herbeigeführter Anschlag auf die ostdeutsche Volkswirtschaft.

Der IM "Helmut Bauer" bekam umgehend den Auftrag, Reaktionen und Diskussionen aus der Belegschaft zu sammeln. Bereits Stunden nach dem Brand konnte er seinem Führungsoffizier einen Bericht übergeben. Anschließend kam die Wahrheit ans Licht: Die Kriminalpolizei fand keine Hinweise auf Sabotage, denn ein unsachgemäß installiertes Absaugrohr stellte sich als Ursache des Brandes heraus. Abschließend übersandte der Leiter der Kriminalpolizei im Bezirk Suhl einen mit Fotografien versehenen Abschlussbericht, den er mit der Formulierung "zur Kenntnisnahme und Wertung" an die Stasi-Bezirksverwaltung übermittelte.

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Zuständigkeiten und Aktenlandschaft

Für die geheimpolizeiliche Sicherung der Christbaumschmuckproduktion waren mehrere MfS-Diensteinheiten zuständig: Die KD Neuhaus für die örtlichen Fertigungsstätten; die KD Sonneberg im Rahmen der Einsatzplanungen für die Spielwarenmesse in Nürnberg, wo ein Großteil des Christbaumschmucks für den westlichen Markt präsentiert und angeboten wurde; die KD Ilmenau und die Linie XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) kamen aufgrund der Zugehörigkeit des VEB Thüringer Glasschmuck Lauscha zum VEB Kombinat Technisches Glas in Ilmenau ins Spiel. Hier lag der Fokus vor allem auf der Gewährleistung des Geheimnisschutzes, der Vorbeugung von Bränden und Havarien sowie auf der Erreichung der ökonomischen Planziele. Stets stützte sich die Geheimpolizei auf ein umfangreiches Netzwerk von IM und GMS.

Das Stasi-Unterlagen-Archiv Suhl verfügt über einen Aktenbestand, mit dem sich ein recht deutliches Bild der Christbaumschmuckproduktion zeichnen lässt. Ergänzend zu Beständen in einem Wirtschafts- oder Landesarchiv eröffnet dieser Bestand neue thematische Zugänge und hilft beispielsweise die offiziösen Verlautbarungen anlässlich übererfüllter Planvorgaben der DDR-Wirtschaftsbürokratie zu überprüfen.