[Jingle]Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Guten Tag meine Damen und Herren, ein Hallo an alle frisch herein gestolperten und natürlich an die fest abonnierten Freunde dieses Podcasts. Meine Tochter würde sagen: Freund-Innen dieses Podcasts. Maximilian Schönherr ist mein Name.
Dagmar Hovestädt: Und mein Name ist Dagmar Hovestädt. Ich bin die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und die zweite Stimme hier im Podcast. In der heutigen Folge geht es wieder um die Nutzung der Akten in einem wissenschaftlichen Kontext. Dieses Mal für die politikwissenschaftliche Forschung und das ist so ein bisschen auf der Kreuzung von internationalen Beziehungen und Erforschung moderner Nachrichtendienste.Du Maximilian hattest ja schon mal mit Anne Pfautsch im Podcast einen Gast, die als Kulturgeschichtlerin die Akten nutzte. Das sind dann einfach auch, wie ich finde ganz interessant, mal andere Fragen, die an diese Stasi-Akten gestellt werden, ne?
Maximilian Schönherr: Ja, Anne Pfautsch war schon wirklich ein Ausnahmefall, weil sie die DDR-Geschichte von innen kennt und über dieses große Schweigen in der DDR gesprochen hat und dann anhand ihrer Forschung euer Archiv kennengelernt hat, also das Archiv des BStU, und dann außer ihrer Forschung noch eine private Rechercheanfrage gestellt hat, die noch läuft. Das dauert ja immer einige Zeit, bis die bearbeitet ist. Wenn Anne Pfautsch dann so weit ist und diese Akten über ihren Großvater liest, werden wir sie nochmal aufgreifen.
Dagmar Hovestädt: Na ja heute geht es wie gesagt um das politikwissenschaftliche Analysefeld. Den Tipp hat mir eine Kollegin gegeben, die die Forscherin, mit der ich mich unterhalten habe, Dr. Sophia Hoffman ganz gut kannte und hatte von dieser Forschung schon erfahren. Sophia Hoffmann war, glaube ich, letztes Jahr länger bei uns im Archiv und Anfang dieses Jahres hat sie diesen Artikel publiziert, der heißt- -
Maximilian Schönherr: Sie war bei euch im Archiv. Siehst du alle Leute, die bei euch im Archiv auftauchen?
Dagmar Hovestädt: [lacht] Nee, sehe ich natürlich nicht. Ich sitze ja nicht am Eingang und zähle.
Maximilian Schönherr: Woher weißt du dann davon?
Dagmar Hovestädt: Na ja, weil die Kollegin mir das erzählt hat und die Sophia Hoffmann letztes Jahr kurz mal hier da war, die Kollegin zu besuchen und die hat sich mir dann vorgestellt. Und ich hab das schon fast wieder vergessen gehabt, bis dann dieser Artikel sozusagen bei mir mit dem Tipp gelandet ist: Siehst du, sie war doch letztes Jahr hier, jetzt hat sie ihren Artikel veröffentlicht. Und das hat mich gleich, sofort angesprochen, weil der heißt im Titel: "Arrab students and the Stasi - agents and objects of intelligence". Also der Artikel ist auf Englisch erschienen, in so einem Fachjournal und der heißt in der Übersetzung: "Arabische Studenten und die Stasi. Agenten und Objekte von nachrichtendienstlicher Tätigkeit." Es war, fand ich, deswegen so spannend, weil ich selber das gar nicht wirklich wusste. Dass arabische Studenten – ich sag übrigens immer "Studenten" und Sophia Hoffmann sagt konsequent Studierende" –
Maximilian Schönherr: Sagt man heute so!
Dagmar Hovestädt: Ja, ich weiß! Das ist mir aber beim Nachhören so aufgefallen. Wir haben das noch gar nicht besprochen, ob das zutrifft. Also ob auch Frauen unter den IM waren. Aber ich hab gemerkt, dass ich bei der Wortwahl, also wenn ich in der Vergangenheit denke, eher gefangen bin in der Sprachsensibilität der damaligen Zeit - also wir reden über die 80er Jahre – und gar nicht über die heutigen Notwendigkeiten nachgedacht habe. Also: Ich sag da ständig "Studenten". Die Sache aber mit diesen Studierenden aus den arabischen Ländern an DDR-Universitäten, die als Partner der Stasi, das war mir ziemlich neu.Und der andere Aspekt, den sie so verfolgt, das ist der Transfer von Wissen auch über nationale Grenzen hinweg, also in weitere nachrichtendienstliche Zusammenhänge, das fand ich eben auch super spannend.
Maximilian Schönherr: Was bleibt eigentlich bei eurem Archiv? Denn es ist nun mal das offenste von allen und das ist ja auch das spannende. Das heißt, diese Arbeit, die sich eigentlich mit der Interaktion von Geheimdiensten beschäftigt, das klappt ja – also, die Informationen sind ziemlich dünn, die von anderen Stellen kommen. Aber euer Archiv ist halt ein Bilderbuch.
Dagmar Hovestädt: Genau, wenn man also vergleichend Nachrichtendienste sich anschauen will, muss man idealer Weise natürlich Zugang haben zu den Unterlagen all dieser Operationen. Und wir sind so ziemlich das einzige geheimdienstliche oder geheimpolizeiliche Archiv, das 40 Jahre lang dieser geheimpolizeilichen, geheimdienstlichen Tätigkeit offengelegt hat. Aber eben in dem entscheidenden Punkt durchaus mit einer Lücke versehen. Denn die Auslandsspionage-Abteilung der Stasi, die HV A, hat sich selbst auflösen dürfen und das hat sie auch dadurch getan, dass sie ihre Dokumentation doch sehr stark vernichtet hat. Aber weil die Stasi eben Ausland und Inland auch sehr eng verzahnt hat – kommen wir gleich noch drauf zu sprechen in dem Gespräch, dass das durchaus etwas ist, das Sophia Hoffmann beobachtet – ist da eine größere Lücke, was die Auslandstätigkeit angeht, aber hier geht’s ja auch eben um Stasi, die sich mit Ausländern in der DDR beschäftigt. Und sozusagen die ausländische Information direkt serviert bekommt innerhalb der DDR.
Maximilian Schönherr: Was in dem Gespräch gar nicht vorkommt und es muss da auch nicht vorkommen, weil es dafür keine Rolle spielt, aber es ist ganz interessant. Weil: ich denke sofort an die Ressentiments, drücke ich das mal milde aus, die dann nach der Friedlichen Revolution auftauchten. Die sind natürlich ganz erheblich und die betrafen ja [betont: genau diese] Leute, die ein bisschen anders aussahen.
Dagmar Hovestädt: Ja, ich glaub diese Ressentiments gab es schon zu DDR-Zeiten. Also das ist ja durchaus deutlicher untersucht, dass die sogenannten "Vertragsarbeiter", die wir da kurz erwähnen, also aus Mosambik, Vietnam und anderen "Dritte Welt-Ländern" wenn man das in dem auch damaligen Sprachgebrauch so nenne möchte, die sind schon sehr isoliert gewesen, um nicht zu sagen gettoisiert und hatten immer wieder auch sehr unfreundliche Begegnungen. Also der latente Rassismus im Alltag war durchaus vorhanden. Wir haben das nicht weiter eruieren können, aber ich würde mal sagen arabische Studenten aus den sogenannten Bruderländern der sozialistischen Welt oder auch da in den blockfreien und umworbenen Staaten, die haben im universitären Kontext vielleicht nicht ganz so viel akuten Rassismus erleben müssen wie Vertragsarbeiter, die in der Platte am Stadtrand leben und im Kombinat arbeiten. Aber das ist jetzt ein bisschen mehr Spekulation, ich kenne mich da nicht so hundertprozentig aus.
Maximilian Schönherr: Habt ihr das Gespräch jetzt in Corona-Zeiten face to face geführt?
Dagmar Hovestädt: Ja, in meinem Büro. Das schaffen wir schon, dann mit entsprechend gebührendem Abstand zu sitzen. Das Haus betritt man mit einer kleinen Mund-Nasen-Bedeckung und dann lässt sich das durchaus so in direkter Begegnung tun.
Maximilian Schönherr: Also ich fand das ein ganz fantastisches Gespräch, was wir jetzt hören werden, wollte aber noch – Moment –eins, zwei, drei, vier, fünf Begriffe klären. Darf ich?
Dagmar Hovestädt: Fünf? Okay!
Maximilian Schönherr: Die tauchen darin auf.
Dagmar Hovestädt: Weil eine Sache wollte ich auch noch dazu sagen, aber wir können gern erst mal fünf Begriffe klären. Nummer eins.
Maximilian Schönherr: Bipolarität.
Dagmar Hovestädt: Na, die Welt aufgeteilt in zwei große Blöcke, zwei Pole. Nämlich die unter der sowjetischen Einflusssphäre und die unter der westlich-amerikanischen Einflusssphäre – Kalter Krieg.
Maximilian Schönherr: Ich kenn das nur aus der Psychologie, also klingt schon interessant.
Dagmar Hovestädt: [lacht] Genau, bipolar.
Maximilian Schönherr: Dann erwähnt ihr "unschöne Informationen" – das ist quasi alles, wo man jemandem anderen versucht was anzuhängen. Das ist doch typische Geheimdiensttätigkeit, oder?
Dagmar Hovestädt: Ja, das weiß ich auch nicht, da habe ich an der Stelle nicht richtig weiter nachgebohrt, außer dass ich wissen wollte, was sie mit "unschöne Information" meinte. Aber ich glaube, in so einem internationalen nachrichtendienstlichen Kontext geht es ja immer darum, in den Bereichen Verteidigung, Militär, Wissenschaft Informationen in Anführungsstrichen "zu klauen", die dem anderen strategische Vorteile bringen. Also, da sind wir mehr auf dieser Ebene, nicht zu sehr das, was man im Stasi-Kontext eben mit der Bespitzelung der Nachbarn und des Liefern und Denunzieren von Informationen an die Geheimpolizei so sieht. Da muss man immer den Unterschied stellen, wofür und in welchen Diensteinheiten und das nachrichtendienstliche Geschäft ist ja der strategische Vorteil in verschiedensten Technologien. Und ich glaube, da meinte sie mit "unschön" eben das sehr persönliche Denunzieren und die nachrichtendienstliche Informationssammlung, das eher strategisch, politisch, wirtschaftlich- und wissenschaftlich-politische.
Maximilian Schönherr: HV A nochmal?
Dagmar Hovestädt: Hauptverwaltung A. Schnell auch mit Aufklärung gleichgesetzt, aber offensichtlich heißt sie wirklich nur HV A – Hauptverwaltung A und steht dann für die Auslandsaufklärung. Also auch so ein militärischer Begriff für die Auslandsspionage.
Maximilian Schönherr: Da war nicht Mielke der Chef sondern...?
Dagmar Hovestädt: Bis 1986 ein gewisser Mischa Wolf. In der Sowjetunion im zweiten Weltkrieg in Moskau in der Komintern geschult und dann wirklich da auch eingesetzt und langjährig der unbekannte Spionage-Chef der DDR. Bis er irgendwann mal in den 70er Jahren mal in Stockholm geheimnisumwoben fotografiert wurde und dann war er geoutet.
Maximilian Schönherr: Wir würden Herrn Wolf gerne in diesem Podcast auch noch interviewen, aber das geht leider nicht mehr. Er ist schon von uns gegangen.
Dagmar Hovestädt: [lacht] Dazu müsstest du mal schnell ins Jenseits abtauchen und mal sehen, ob du ihn da findest und ob er mit dir noch sprechen möchte.
Maximilian Schönherr: Genau. BND und Irak – davon wusste ich überhaupt nichts! Das wird in dem Gespräch erwähnt. Darüber weißt du auch nicht mehr, wahrscheinlich, ne?
Dagmar Hovestädt: Genau so. Du siehst mich genau so die Schultern zucken und sagen: Das war mir auch neu. Sehr interessant!
Maximilian Schönherr: Und schließlich die Frau Weiß.
Dagmar Hovestädt: Unsere Mitarbeiterin in der Abteilung Auskunft, zuständig für Forschungs- und Medienanträge. Eine Kollegin, auf die ich auch neugierig geworden bin. Es hat mich sehr gefreut, dass die Zusammenarbeit mit ihr und der Autorin des Artikels so gut geklappt hat.
Maximilian Schönherr: Das heißt, man bekommt, wenn man so einen Antrag stellt wie jetzt deine Gesprächspartnerin, eine AU – heißt das – Person zugewiesen, die passen könnte, oder? Und das ist in diesem Fall eine Frau Weiß.
Dagmar Hovestädt: Sie heißt tatsächlich mit Nachnamen so. Natürlich haben wir das so aufgeteilt, dass das Wissen, was man sich erarbeitet in der Bearbeitung bestimmter Bestände, sozusagen kontinuierlich bleibt. Also wenn man sich mit HV A oder mit Studenten, Universitäten beschäftigt, dass das immer eine kleine Gruppe an Sachbearbeitern ist, sodass man immer wieder auch auf das Wissen aufbauen kann. Also dann gibt es die Abteilungen Medizin oder Sport oder MfS-Apparat und sie arbeitet halt in dem Bereich AU – Auskunft – der mit Universitäten und ausländischen, internationalen Verbindungen zu tun hat.Ich wollte auch noch was sagen zu der ganzen Geschichte. Also was mir sozusagen dann doch noch immer auffällt, wenn jemand eben von ganz außen seine Fachfragen an das Archiv stellt, ne. Wenn er also aus so einer politikwissenschaftlichen Analyseperspektive kommt, dann merke ich schon, dass das für den wirklich weniger Berührungsängste gibt, beziehungsweise nicht so das Gefühl für die Repressionsgeschichte, für die die Stasi ja auch vor allem steht, spezifisch beachten zu müssen. Das finde ich, ich würde schon sagen, aus der Binnensicht hier des Stasi-Unterlagen-Archivs denken wir immer auch mit, dass dieser Apparat eine Massenüberwachung seiner Bürger organisiert hat und auch Menschen fertig gemacht hat, weil sie ihre Rechte wahrnehmen wollten. Und diese Menschen, so ist zumindest eigentlich immer mein Gefühl, die sind immer beim Denken mit dabei, weil man auch den Respekt und die Achtung, die sie verdient haben für ihren Mut und ihre Opfer, sozusagen mit bedenken will. Aber wenn jemand gar nicht so in diesem Dialog der Aufarbeitung so drinsteckt, dann kommt der und sieht dieses Archiv nochmal mit einer ganz anderen Perspektive und ist da in Anführungsstrichen "ein bisschen kühler" oder "sachgerichteter" und kann das ganz anders aufschließen. Das finde ich auch immer sehr interessant.
Maximilian Schönherr: Ja, also ich kenne auch Leute, die die DDR heute noch glorifizieren und dieses Leid einfach ignorieren oder als Sonderfälle deklarieren. Aber wissenschaftliche Forschung muss nicht tümmeln, würde ich mal sagen. Sie setzt auf Fakten und Frau Hoffmann weiß es ja offenbar sehr zu schätzen, was sie insbesondere bei euch so findet und wie gut euer Archiv inzwischen erschlossen ist.
Dagmar Hovestädt: Ich würde mal sagen, sie setzt durchaus eine Tradition fort, von denen, die das Archiv damals erobert haben und der Gesellschaft zur Verfügung stellen wollten. Weil zumindest ein gewisser kleinerer Anteil der Revolutionäre, die sich dafür eingesetzt haben, diese Stasi-Unterlagen aufzumachen, wollten eben genau das: dass man Geheimdienste offen macht. Dass man sozusagen denen mal hinter die Fassade schauen kann und dass sie in der Demokratie offen gelegt werden und sich hinterfragen lassen und das erklärt sie eigentlich ziemlich gut: Dass man das bei uns im Detail sehr genau nachvollziehen kann, die Mechanik dieser Nachrichtendienste und davon auch Transferüberlegungen an aktuelle Nachrichtendienste stellen kann.
Maximilian Schönherr: Gut, dann hören wir jetzt dieses dreiviertelstündige Gespräch zwischen dir und der Politikwissenschaftlerin über arabische Studierende, die Stasi und den Wissenstransfer in nachrichtendienstliche Zusammenhänge, wobei die ein bisschen kurz, weil man einfach zu wenig drüber weiß; aber über euer Archiv erfährt man sehr, sehr viel.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Sophia Hoffmann, Dr. Sophia Hoffmann heute zu Gast im Podcast. Sie arbeiten am ZMO also dem Leibniz-Zentrum für…?
Dr. Sophia Hoffmann: …Moderner Orient.
Dagmar Hovestädt: Moderner Orient. ZMO. Und da stolpert man dann irgendwo über die Stasi oder wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass man Zentrum Moderner Orient, Stasi und die Studenten irgendwie zusammenbringt?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, ich leite am Leibniz-Zentrum Moderner Orient eine Nachwuchsgruppe, die besteht aus mir und zwei Ph.D.'s - also Doktoranden. Und da untersuchen wir vergleichend deutsche und arabische Nachrichtendienste und fragen uns, ob Ähnlichkeiten oder Unterschiede dieser Nachrichtendienste auch aus der internationalen Zusammenarbeit der Dienste, also der deutschen arabischen Dienste, hervorgegangen sind. Das ist also ein größeres Projekt, gefördert von der Volkswagenstiftung, ein sogenanntes "Freigeistprojekt" und das habe ich am ZMO angesiedelt, weil ich da schon mit der Direktorin vorher bekannt war und weil das da von der regionalwissenschaftlichen Komponente her gut reinpasst.Ich bin Politikwissenschaftlerin und nutze in diesem Projekt zwar historische Methoden, aber unser Ziel ist letztlich nicht historisch sondern unser Ziel ist politikwissenschaftlich und analytisch. Wir wollen verstehen, warum Nachrichtendienste in aller Welt in vielen Dingen so ähnlich sind seit dem Zweiten Weltkrieg und wollen eben auch untersuchen, ob Nachrichtendienste in unterschiedlichen politischen Systeme – in diesem Fall der BRD, also einer westlichen Demokratie, der DDR, ein sozialistischer Einparteienstaat und dann eben auch drei unterschiedliche arabische Länder, die sind so eine Mischung aus sozialistischem Einparteienstaat und Diktaturen oder so Autokratien - wie Nachrichtendienste da ähnlich oder unterschiedlich funktionieren.
Dagmar Hovestädt: Was sind die drei arabischen Länder?
Dr. Sophia Hoffmann: Irak, Syrien und Ägypten.
Dagmar Hovestädt: Gut und das heißt aber, das Stasi-Unterlagen-Archiv ist offenkundig nur eine Station, auch was den deutschen Bereich angeht. Also der aktive bundesrepublikanische Nachrichtendienst BND, Auslandsbeziehungen wären natürlich dann auch eine Quelle, die Sie aufsuchen müssten für das Projekt, ne?
Dr. Sophia Hoffmann: Auf jeden Fall. Da ist die Quellenlage natürlich viel schlechter als bei den anderen Nachrichtendiensten. Wir arbeiten mit dem BND-Archiv, das für die Öffentlichkeit und auch für die Wissenschaft nicht zugänglich ist, zusammen. Da machen wir so spezifische Anfragen und kriegen dann Akten oder auch nicht. Wir kriegen wenige Akten, ein paar BND-Akten sind ja auch im Bundesarchiv. Und dann müssen wir auch einfach viel mit alten Zeitungsberichten – der Spiegel hat sich da in den 80er Jahren sehr hervorgetan - Sekundärliteratur und allen möglichen Quellen arbeiten, wo es dann so Informationen über den BND so in den 60er, 70er und 80er Jahren gibt.
Dagmar Hovestädt: Der Artikel, weswegen wir jetzt heute hier zusammen sitzen, über den ich über den Tipp einer Bekannten gestolpert bin, der ist in Englisch, weil das die übliche Sprache ist für diese Art von Forschung? Gibt es vielleicht gar nicht so viele deutsche Fachzeitschriften, die das artikulieren?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, also ich sag mal so: Die Hauptdebatten in der Politikwissenschaft spielen sich allgemein in englischen Fachjournalen ab. Das ist jetzt auch karrieretechnisch förderlich, in englischen Journalen zu publizieren. Mein Ziel ist es auf jeden Fall auch, ein oder zwei deutsche Artikel zu produzieren. Zum Beispiel gibt es eine sozialwissenschaftliche Fachzeitschrift "Leviathan". Es gibt auch eine von der deutschen IB, also Internationale Beziehungen, die haben auch eine Zeitschrift. Aber die Hauptdebatte findet schon im Englischen statt. Wobei auch politikwissenschaftliche Nachrichtendienst-Studien sind auch im Englischen leider sehr unterentwickelt. Das ist fast alles historisch, was da sich abspielt.
Dagmar Hovestädt: Also die Transferleistung aus der historischen Erkenntnis und das heute und hier und jetzt zu leisten ist eher was, was man sich seltener anguckt. Jedenfalls ist dann klar, warum wir zu einer Quelle geworden sind. Und dann sogar noch mit der Spezifika, dass Studenten aus den Ländern, die sie mit untersuchen in dem Projekt, tatsächlich in den 80er Jahren für die Stasi interessant waren.Jetzt würde ich einfach mal auch in medias res in die Untersuchung einsteigen. Wie hat das angefangen oder wir hat man das Feld aufbereiten können, dass die Stasi sich in den 80er Jahren für Studenten interessiert? Gab es überhaupt so viel internationalen Austausch dort?
Dr. Sophia Hoffmann: Ich sag mal so: arabische Bürger sind natürlich seit den 50er Jahren, 60er Jahren in der DDR. In den späten 70er Jahren gab es dann vermehrt Abkommen mit den arabischen Republiken, im kulturellen Bereich, im Ausbildungsbereich, im nachrichtendienstlichen Bereich. Aber vor allen Dingen diese Abkommen in dem kulturellen Bereich haben dazu geführt, dass die Zahl der arabischen Studierenden stark in die Höhe geschnellt ist. Und im Zuge dessen hat das MfS, also die Stasi, dann arabische Studierende - ausländische Studierende generell - als ein wichtiges Überwachungsfeld identifiziert. Abgesondert von anderen Überwachungsfeldern. Da gab es dann auch – ich hab vergessen, wie man das jetzt im Deutschen nennt – einen Erlass?
Dagmar Hovestädt: Ich glaub der Befehl, ne?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, ein Befehl. Genau. Ein Befehl 1983 war das, glaube ich.
Dagmar Hovestädt: In dem Aufsatz, den ich jetzt – ich habe einen kleinen Vorteil, den habe ich natürlich direkt hier vor mir liegen – da schreiben sie "order number 3/81" also Befehl Nummer 3 aus '81.
Dr. Sophia Hoffmann: Das ist ein Befehl der Explizit darauf hinweist, dass jetzt auch regionale Unterabteilungen des MfS sich systematisch dem Feld ausländische Studierende zuwenden sollen. Und besonders wichtig sind Studierende aus Konfliktregionen, die vielleicht besonders politisiert sein könnten. Und arabische Studierende waren zu der Zeit hochpolitisiert und auch sehr politisch organisiert in der DDR. Dann war es klar, dass arabische Studierende nochmal besonders hervorstechen.
Dagmar Hovestädt: Waren die 80er Jahre dann auch nochmal so eine Zeit, wo diese Stellvertreter-Kriege, der Sozialismus in der Dritten Welt, in der arabischen Welt eine Rolle spielte und diese Bipolarität des Kalten Krieges in der Region eine Rolle spielte?
Dr. Sophia Hoffmann: Also die Bipolarität spielt insofern ja eine sehr wichtige Rolle, weil außer Südjemen keine der arabischen Republiken einem der Blöcke zugeordnet war und deswegen da so ein Wettbewerb stattfand, die ganze Zeit. Und natürlich auch die Regionalmächte die beiden Deutschlands gegeneinander ausgespielt haben. Aber die frühen 80er, '79 war so ein Umbruchjahr in der arabischen Welt. Der Nahost-Konflikt war extrem intensiv und dann war auch die palästinensische Oppositionsbewegung international sehr aktiv geworden.Und diese Politisierung spielte sich auf den Campussen der DDR-Universitäten stark aus. Also da ging es sozusagen hoch her, auch unter den arabischen Studierenden. Und aus der Sorge heraus, dass sich da irgendwelche Aktivitäten entwickeln könnten, die die Reputation der DDR im Ausland schädigen könnten oder die einfach intern irgendwie für Unruhe sorgen könnten, war es dem MfS einfach wichtig, diese Studierenden zu überwachen. Und es ist nicht so einfach natürlich, eine arabische Community zu überwachen, weil die natürlich untereinander alle Arabisch sprechen und natürlich ist da auch gewisses Regionalwissen wichtig, um die verschiedenen Gruppierungen gut einordnen zu können.Und deswegen war dem MfS sofort bewusst - und das ist auch in diesen Unterlagen immer sofort sichtbar - dass die Erkenntnis, dass man für diese Überwachung arabische Studierende rekrutieren muss, sofort da war. Und deswegen ging das dann eben los in den 80ern, dass in den verschiedenen Unis die dafür zuständigen Offiziere immer zwei oder drei arabische Studierende rekrutieren mussten, die aber auch nie so lange in der DDR blieben, deswegen mussten immer wieder neue rekrutiert werden, deswegen gibt es auch ganz schön viele Akten.
Dagmar Hovestädt: Das muss ich echt gestehen: Klar, man guckt das immer aus der Binnenperspektive der DDR, da waren die Universitäten sicherlich immer im Fokus. Aber ich hätte jetzt nicht sagen können, wie viele arabische Studenten da waren und dass sie wirklich einen Schwerpunkt waren, mit einem eigenen Mielke-Befehl versehen, als Zielgruppe für das MfS sozusagen so wichtig waren. Kann man das beziffern, pro Jahr, pro akademisches Jahr, wie viele Studenten das ungefähr waren?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, das kann man genau beziffern, weil es da immer wieder Unterlagen im Archiv gibt. Also immer wieder Auflistungen, wie viele Studierende sind da eigentlich genau da. Also das bewegte sich, ich glaub zum Höhepunkt waren es, glaube ich, 2.500 Studierende.
Dagmar Hovestädt: Wow, ja!?
Dr. Sophia Hoffmann: Es waren dann immer arabische Studierende und auch so auszubildende Militärkader, die wurden dann meistens so in einen gefasst. Also, das waren dann Studierende, die aber dann an Militäreinrichtungen waren und nicht an zivilen Unis. Also schon eine bedeutende Gruppe.
Dagmar Hovestädt: Das heißt für die Stasi waren die kommunikativ nicht so einfach zu erschließen. Sprache, Gepflogenheiten, vielleicht sogar auch verschiedene Splitterungen innerhalb der Studentengruppen, je nachdem was in den eigenen Ländern passiert. Und was ist denn das Instrumentarium, mit dem sich die Stasi denen nähert? Will sie die richtig rekrutieren?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja genau. Also, das Ziel von diesen regional-tätigen Offizieren war die Rekrutierung von zwei oder drei arabischen IMs, sozusagen. Aber das Instrumentarium um diese Studierenden zu rekrutieren ist dann relativ breit gefächert. Und das war das für mich sehr interessante, dass – bevor jetzt eine Ansprache passierte – ein langer bürokratischer Vorlauf existierte, in dem ein Offizier sich erst mal mit seinem existierenden Netzwerk an der Uni besprach, also Leute die ihm da gearbeitet haben, IMs oder einfach Kontakte.
Dagmar Hovestädt: Ja, Professoren, ne? Also es gab so eine offizielle Struktur zwischen MfS und der Nomenklatura, den SED-Funktionären in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau und vor allen Dingen gab es für jede ausländische Studierendengruppe immer auch Betreuer.
Dagmar Hovestädt: Ah!
Dr. Sophia Hoffmann: Und die hat er dann auch erst mal gefragt und dann vor allen Dingen auch immer die existierenden arabischen Informanten, von denen er wusste die fahren nächstes Jahr nach Hause: "Kennt ihr jemanden, der vielleicht passen würde, von der politischen Einstellung und so?" Und dann hatte der eben so Kandidaten und dann wurden Datenbanken gesichtet, ob diese Personen schon mal irgendwie aufgefallen sind. Dann konnte der sich die gesamte existierende Akte, also das heißt Bewertungen von Zuhause, Bewertungen von der existierenden Uni, natürlich Familienverhältnisse die waren dann ja alle bekannt, aber auch dann Noten. Hatte der irgendwie Probleme an der Uni – ja, nein; das konnte dann wieder Vorteile für die Ansprache oder auch Nachteile bedeuten und aufgrund dieses langen Vorlaufs, der anhand von auch vorgelegten, also gesetzten bürokratischen Vorgaben bestand, nach denen diese Offiziere ja auch ausgebildet waren, entwickelte dann der Offizier einen Plan für die Ansprache. Der basierte dann eben schon sehr spezifisch auf diesen ganzen Informationen, die er im Voraus gesammelt hatte. Einschätzung der Persönlichkeit, auch ganz wichtig.Und dann fand die Ansprache statt. Entweder ganz offen oder verdeckt. Also, das würde dann bedeuten, dass der Offizier sich erst mal als irgendwas anderes ausgibt und irgendwelche anderen Gründe vorgibt, warum er denn das Gespräch sucht. Und dann gab es ja nach Kandidat ein, zwei, manchmal auch über ein Jahr gestreckt immer wieder so Treffen, anhand derer dann der Offizier auch in Zusammensprache mit seinem Vorgesetzten sich überlegt, ob jetzt die offizielle Ansprache oder die offizielle Frage, die Rekrutierung stattfinden soll.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, das ist schon viel Zeitaufwand bevor überhaupt jemand ins Visier gerät oder in die engere Wahl gerät und dann auch noch angesprochen wird. Weil das ist klar, das ist ein entscheidender Moment. Ne, wenn das schief geht ist das für den Stasi-Offizier immer eine ziemliche Katastrophe, weil da hätte er eigentlich alles für tun müssen, dass [betont: der Moment] gut funktioniert, ja.
[Jingle] Sprecher: Sie hören: Sprecherin: "111 Kilometer Akten - Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Haben Sie in der Übersicht, also das musste man sich ja alles erst einmal erarbeiten, viele Fälle ansehen können von Rekrutierungsversuchen, die über die Zeit da passiert sind?
Dr. Sophia Hoffmann: Da muss ich als erstes betonen, dass ich da meiner Sachbearbeiterin Frau Weiß unglaublich verbunden und dankbar bin, weil die mich jetzt nicht direkt auf das Thema "arabische IM" oder Studierende gestoßen hat, da war ich schon so ein bisschen durch meine eigene Aktensichtung gekommen. Aber sie hat dann nochmal sehr stark nachgebohrt für mich auch und da wirklich ganz tolle Akten mir auf den Tisch gelegt, auf die ich sonst – also, wie hätte ich auf die stoßen können? Also das war eine ganz, ganz tolle Zuarbeit hier auch durch das Archiv. Also ich glaube, für diesen Artikel bearbeite ich spezifisch nur den Vorgang für zwei. Vergleichend. Weil es sonst einfach auch gar nicht passt, wenn man das so wirklich im Detail irgendwie nachvollzieht für einen Artikel. Insgesamt habe ich mir vielleicht, im Gefühl, so 15 Akten durchgesehen, würde ich sagen.
Dagmar Hovestädt: Verschiedene Rekrutierungsvorgänge?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, wobei die einfach sehr unterschiedlich auch sind. Und bei eben vielen dieser "arabischen IM"-Akten, so werden die hier sozusagen offiziell irgendwie auch genannt, ist das Problem, dass die später an die HV A übergeben wurden.
Dagmar Hovestädt: Ah, an die Auslandsspionage.
Dr. Sophia Hoffmann: Also die wurden an die Auslandsspionage übergeben, die sind dann nach Hause gegangen in die Arabischen Republiken und waren dann aber trotzdem sehr wertvolle Kontaktpersonen für das MfS. Aber weil sie dann ja nicht im Ausland gearbeitet haben, wurden sie dann eben zu Mitarbeitern der Auslandsspionage, der HV A. Und weil die Akten der HV A ja also- -
Dagmar Hovestädt: Vernichtet sind.
Dr. Sophia Hoffmann: ... vernichtet wurden, fehlt da immer diese entscheidende erste Akte. Also man hat dann fünf, sechs Akten oder so und dann sind da immer die Einzelberichte drin, also von den Treffs, ne, die Berichte der Treffs. Da wird dann immer irgendwas im großen Detail, im kleinen Detail besprochen, das ist dann auch sehr interessant. Man kann sich da drin verlieren, aber man kann es letztendlich nicht wirklich so gut bearbeiten, weil diese ganzen bürokratischen Vorgänge und die ganzen Informationen zu den arabischen Studierenden wären in dieser wertvollen ersten Akte gewesen.
Dagmar Hovestädt: Teil eins, genau. Ja.
Dr. Sophia Hoffmann: Teil eins. Und der ist dann immer weg.
Dagmar Hovestädt: Das stimmt natürlich! Sobald sie die DDR verlassen sind sie nicht mehr im inneren Bereich, in der DDR IM. Sondern sie sind im Ausland IM und dann werden sie umregistriert und dann wandert tatsächlich - das ist aber auch schon mal eine Erkenntnis – die Personalakte des IM, des Agenten quasi dann in die andere Abteilung und da wurde sie dann vernichtet.Trotzdem entscheiden Sie sich ja für zwei Fälle. Die sind der Gegenstand des Artikels.
Dr. Sophia Hoffmann: Ja.
Dagmar Hovestädt: Und die können wir vielleicht mal kurz ein bisschen beschreiben. Also Sie versuchen das noch ein bisschen, ich sag mal, zu anonymisieren. Auch weil die Personen, davon gehen Sie aus oder wissen Sie das auch, dass die bis heute leben, die beiden arabischen IM?
Dr. Sophia Hoffmann: Da hab ich keine Ahnung und da muss ich auch sagen: Das interessiert mich auch gar nicht. Also mich interessieren diese Akten tatsächlich aufgrund ihrer Vergleichbarkeit, die waren also ähnlich gut dokumentiert. Ich konnte die gut vergleichen. Und dann interessieren sie mich bezüglich des Analysewerts. Also, wie kann ich daraus abstrahieren? Wie kann ich aus diesen Akten verstehen, wie das MfS eigentlich funktioniert hat? Wie hat das MfS eigentlich anhand von Regularien, anhand von eingefahrenen Praktiken, anhand von –in diesem Fall auch zum Beispiel – Vorurteilen gegenüber der arabischen Welt: Wie hat das MfS da funktioniert?Diese persönliche Geschichte, die dahinter steht, die hat mich auch tatsächlich nie – da bin ich auch gar nicht neugierig. [lacht] Ja.
Dagmar Hovestädt: Gut. Und die sind beide in unterschiedlichen Städten in der DDR an den Universitäten und kommen nochmal woher?
Dr. Sophia Hoffmann: Die kommen aus zwei unterschiedlichen Arabischen Republiken. Ich weiß gar nicht, im Artikel geh ich- -
Dagmar Hovestädt: Doch, doch.
Dr. Sophia Hoffmann: Hab ich das?
Dagmar Hovestädt: Im Artikel. Ich glaube, der eine ist aus Palästina und der andere aus dem Jemen.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau, das stimmt. Dann hab ich es ja wohl doch gesagt. [Dagmar Hovestädt lacht] Also, der eine ist ein Jemeniter, also der ist natürlich aus der Demokratischen Volksrepublik Jemen, Südjemen. Und der andere ist ein Palästinenser.
Dagmar Hovestädt: Es hilft ja ein Stück weit einfach nur, um sich vorzustellen: Was hat die Stasi dann an Interesse? Ich meine, mir hilft das schon zu überlegen, ob da ein Ägypter oder ein Syrer, ein Iraker; ne, also das ist einfach weniger wegen der Person oder wegen bestimmter Überlegungen zu den Ländern. Aber einfach aus dem Interesse, was will die Stasi von denen wissen, was hat die DDR für Beziehungen zu diesen Ländern, was könnten da für Wissenkonstrukte einfach dran liegen? Das ist schon hilfreich, dann zu wissen, dass es nicht irgendein sondern ein spezifisches Land ist; aber die Person da noch nicht so relevant ist, ne.
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, es stimmt. Und es ist natürlich auch deswegen interessant, weil ja die Rekrutierung auch eben anhand von der politischen Arbeit dieser Studierenden auch läuft und da ist natürlich die Situation von einem Palästinenser ganz anders exponiert zu der Zeit als jetzt jemand aus Südjemen. Und es war vor allen Dingen auch für mich wirklich erstaunlich zu sehen, wie so ein relativ unten in der Hierarchie angesiedelter MfS-Offizier, was der so für ein unheimlich nuanciertes Wissen über die aktuelle arabische Politik hatte. Natürlich auch wahrscheinlich anhand seiner Arbeit mit den arabischen Studierenden. Aber so, dass er wirklich über Feinheiten wie zum Beispiel die Beziehungen zwischen der syrischen und irakischen Baath-Partei oder irgendwie die Beziehungen zwischen verschiedenen Parteien in Syrien und so. Also schon wirklich sehr spezifisches Regionalwissen. Das er dann aber eben auch mobilisieren kann, um die Studierenden so anzusprechen, dass sie ihn ernst nehmen. Also dass sie dann auch gerne mit ihm diskutieren und ihn dann auch als so eine Art Diskussionspartner einfach attraktiv finden und ihm auch vertrauen.
Dagmar Hovestädt: Wussten beide, dass sie dann mit der Stasi reden? Also im DDR-Kontext selber ist ja klar, wenn mich die Stasi anspricht, die ist in konstanter Präsenz für Menschen die in der DDR geboren sind bis zum gewissen Grade. Ich komme dahin als einjähriger, 2-jähriger Student und studiere an den Universitäten. Wir sind ja in der Region. Ich weiß gar nicht, ob das dann für einen Ausländer in der DDR so etwas erschreckendes oder auch etwas normales ist.
Dr. Sophia Hoffmann: Also da MfS ich sozusagen erstmal betonen, dass ich ja nur anhand der Berichte, die der MfS-Offizier verfasst hat, über diese er aber studierende lernen kann und da tu ich mich natürlich schwer wirklich sozusagen einzuschätzen, wie die Positionen von denen wirklich war ein, weil es ist immer gefiltert durch die Wahrnehmung von dem MfS-Offizier und dann muss man sich aber auch überlegen, dass die Berichte, die er schreibt, in denen stellt er sich auch immer gegenüber seinen Vorgesetzten in guten Licht da. Also wenn er dann sozusagen schreibt, dass seine Ansprache sehr erfolgreich war und irgendwie der Studierende so und so reagiert hat, da denke ich auch manchmal, ja vielleicht hat er war das aber auch eine Manipulation von den Studierenden, weil er sich irgendwie besonders suggeriert hat. Also das ist natürlich so eine gegenseitige [unverständlich].
Dagmar Hovestädt: Wie haben die sich denn unterhalten? In welcher Sprache?
Dr. Sophia Hoffmann: Die haben sich in dem einen Fall auf Deutsch unterhalten. Ich stolpere gerade so ein bisschen. Also übersetzt haben wir auf keinen Fall dabei. Sie haben sich auf Deutsch unterhalten, denn die haben natürlich schon auch deutsch studiert und die haben ja auch alle schon dieses einjährige Grundstudium durchlaufen, dass die in Leipzig gemacht haben. Dort haben sie dann auch Sprachtraining und so bekommen haben. Also die beiden Informanten waren sehr unterschiedlich und wurden deshalb auch, also um auf diese Frage zurückzukommen wussten die, dass sie mit dem MfS sprechen, wurden da deshalb auch unterschiedlich angesprochen. Also bei dem einen bei dem Studierenden aus Jemen aus Süd-Jemen, da hat der Offizier aus verschiedenen Gründen entschlossen direkt sich zu outen und zu sagen ich bin vom MfS, hat er noch gelogen, hat er gesagt, dass das MfS irgendwie interveniert hätte zugunsten von den Studierenden an der Uni, was gar nicht stimmte. Aber hat sich direkt offen gegeben und hat sich sozusagen als eine Art Patron der Studierenden gegeben und das hat super geklappt und dieser Studierende der hat sich sofort als ein total engagierter Informant gegeben.
Dagmar Hovestädt: Der berichtet dann worüber?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, die Zielstellung, die er eigentlich hat, ist in politische Aktivitäten von arabischen Studierenden an der Uni vor allen Dingen auch Palästinenser. Er fängt dann an über alles möglich zu berichten. Also alles einfach so aus seinem Umfeld, ganz banales Zeug, teilweise dann auch unschönes Zeug, also ja auch Aktivitäten von deutschen Studierenden und so.
Dagmar Hovestädt: Also unschöne im Sinne von, dass es Information sind mit der die Stasi...
Dr. Sophia Hoffmann: ... die denen dann schaden. Und der hat sofort ein sehr enges Verhältnis und will auch, also hat lauter Ideen, will sich noch irgendwie anschleichen an bestimmte Gruppen und unternimmt dann auch, weil er natürlich in den Westen reisen kann, das war dann natürlich für die Stasi auch unheimlich interessant, weil diese Studierende konnten dann natürlich aufgrund ihrer blockfreien Pässe in den Westen reisen. Dann spioniert er noch sowas aus in Westberlinund so. Also der wird dann so ein ganz Aktiver. Während der andere von Anfang bis Ende eine ganz zurückhaltende Haltung teilweise auch fast feindseligeHaltung und die Ansprache erfolgten auch zunächst verdeckt. Da sagt der Offizier, dass er von der ist und sich einfach informieren will über die aktuelle Situation im Osten und dann diskutieren sie einfach über das Herzensthema, diese Studierenden. Nämlich die palästinensische Politik, international Politik im Nahen Osten und so weiter und so fort. In einem späteren Gespräch, wo der MfS-Offizier sich dann zu erkennen gibt, ist die Reaktion auch zunächst negativ von den Studierenden und er hat auch angst.
Dagmar Hovestädt: Jetzt ist das Interesse ja für Sie weniger unbedingt gewesen zu sagen, was vermitteln die da voneinander oder füreinander, was kann die Stasi von denen abholen? Wie instruiert sie dann auch? Also wenn sie so seinen gelehrigen Schüler haben, wie den ersten, dann kann man ja richtig sehen, der wird sozusagen ein bisschen angetriggert und dann setzt er sich selber auf die Spur und nimmt die Rolle des Informationsbeschaffers selber an, aber die Frage ist halt, was ist eine wichtige und nicht so wichtige Informationen und steuert die Stasi das auch ganz bewusst, kann man das Erkennen in den Unterlagen?
Dr. Sophia Hoffmann: Also Sie meinen, ob der Offiziere es schafft ihnen sozusagen auf bestimmte Sachen anzusetzen?
Dagmar Hovestädt: Aber auch was an Informationen für die Stasi wichtig ist abzuholen, aber auch zu vermitteln, dass ist ja eine längere Beziehung, die die beiden sozusagen haben.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau diese Beziehung und genauso dieses gegenseitige vermitteln von Wissen ist auch mein Kerninteresse, weil es geht uns ja um die Frage, wie zirkuliert eigentlich nachrichtendienstliches Wissen letztendlich auch in der Welt. Also nicht nur zwischen Nachrichtendiensten sondern auch wie diffundiert dieses Wissen auch in andere gesellschaftliche Bereiche rein. Und wie lernen unterschiedliche Gesellschaften, unterschiedlichen Regierungen, unterschiedliche Nachrichtendienste eigentlich wie man so einen Nachrichtendienst aufzieht, organisiert, verbessert und so weiter.Und dieser Offizier hat beide von diesen arabischen, kriegen am Anfang so einen kleinen Crashkurs in konspirativen Methoden.
Dagmar Hovestädt: Das sind jetzt zwei unterschiedliche Offiziere an unterschiedlichen Orten der DDR.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau, also der zuständige Offizier kriegt so ein kleine Ausbildung und die treffen sich immer... Also teilweise treffen sich; es hat mich auchüberrascht; einfach im Studierendenzimmer, aber sonst treffen sie sich auch an so konspirativen Wohnungen. Also Wohnungen die das MfS nutzt für solche Treffen und da werden die auch eingewiesen, wie sie sich dazu verhalten haben und solche Sachen.
Dagmar Hovestädt: Also der Crashkurs beinhaltet dann was?
Dr. Sophia Hoffmann: Also vor allen Dingen das Betreten und Verlassen von diesen konspirativen Wohnung. Also wie man sich da so verhält, aber dann auch zum Beispiel, wie hält man Kontakt, also bestimmte Verabredungen wie telefoniert wird, vor allen Dingen bei diesem, der sehr interessiert dann ist da auch noch andere Sachen zu machen, dem wird gesagt, nee so darf man sich eben nicht verhalten und so, das ist sonst zu auffällig. Die andere Richtung wird natürlich erhält das MfS einfach Alltagsinformationen über diesen Studierendenalltag, den Alltag der Studierenden an den Universitäten, kriegt Briefings über die politisch aktiven Studierenden, das sind vor allem natürlich die PLO-Mitglieder, die sind sozusagen vom größten Interesse. Der beiden Studierenden entwickeln sich ganz anders als die originelle Einschätzung, haben wie sie sich entwickeln. Also es wurde am Anfang eigentlich eingeschätzt, dass der Palästinenser sich bald zum studierenden Führer entwickeln wird und der andere ist eher so ein schlechter Studierender und tut sich nicht so hervor. Sie entwickeln sich genau entgegengesetzt, dass ist auch interessant. Also der eine übernimmt auch so eine verantwortliche Rolle innerhalb seiner Community und der andere hat eigentlich immer nur so Probleme mit anderen Studierenden. Sie erhalten das, aber sie erhalten auch viele Informationen über die Situation in den Heimatländern der Studierenden, weil die fahren meistens ja einmal ja auch nach Hause und dann werden die auch befragt zu bestimmten Politikern in den Republiken oder irgendwelche Konflikte, die da waren. Und hinsichtlich Steuerung, es kommtselten vor, aber manchmal kommt es vor, dass der Offizier nirgendwo nachhakt. Also nach so einem Treffen, da existiert einfach immer noch so ein Protokoll von das passierte, das passierte, das passierte und auch dann für die Wissenschaftler sozusagen eine interessante Seite, Informationen wie es konnten jetzt vier Wochen keineTreffen stattfinden, weil der Offizier krank war oder irgendwie der Studierende hat solche Probleme oder was. Und dann gibt immer noch eine Auswertung, wo der Offizier sozusagen entscheidet auch wieder im Zusammenspiel mit dem vorgesetzten, welche von diesen Informationen eigentlich wie wertvoll waren und sollen die weiter gemeldet werden und so. Und dann kriegt er eben auch Anweisungen, wo er den Studierenden dann vielleicht noch mal nachsteuern soll. Also der kriegt dann immer noch mal gesagt, darauf sollst du jetzt besonders achten oder guck mal eben besonders da drauf, aber ich muss jetzt sagen, dass ich insgesamt nicht den Eindruck hab, dass bis auf eine Geschichte, wo so ein Verdacht entstand, dass ein Palästinenser für die Israelis spioniert hat, hat ich jetzt nicht den Eindruck, dass da irgendwelche Bombeninformationen kamen über den Alltag der Studierenden. Tatsächlich war interessanter dieser Bezug zum Ausland und aus politikwissenschaftlicher Sicht ist es einfach sehr interessant, weil man einfach sieht, dass diese eigentlich und auch in der Wissenschaft immer stark gezogene Grenze zwischen Inlands- und Auslandsnachrichtendienst im Alltag verschwimmt und das ist, würde ich sagen, nichts Besonderes fürs MfS, sondern das gibt es auch bei westlichen Nachrichtendiensten, das ist ein Phänomen, dass man bei Nachrichtendienstsystemen allgemeinen beobachten kann.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, da wo sich die Gelegenheiten geben, ist die organisatorische Struktur und die eigentlichen Zuständigkeiten irrelevant.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau also die Zuordnung zumindest und das ist natürlich gerade in demokratischen Kontexten, ist es natürlich viel, sage ich mal, ja sozusagen viel politisch vielleicht wichtiger oder so, weil da wird ja eben diese Grenze zwischen Auslands- und Inlandsnachrichtendienste immer so ganz als so ein demokratisches Gut eben auch betont. Ich glaube, dass existiert in der Realität nicht so stark, wie das nach außen wirkt.
Dagmar Hovestädt: Weil die Realitäten der Informationsbeschaffung ist wahrscheinlich ja durchkreuzen der demokratischen Organisationsprinzipien.
Dr. Sophia Hoffmann: Absolut und weil einfach ausländische Communitys in unserem nationalstaatlich organisierten politischen System oft generell suspekt sind oder suspekt werden und deswegen zum Ziel von Inlandsnachrichtendiensten werden, aber durch diesen Bezug zum Ausland verschwimmt dann die Grenze zur Auslandsspionage sozusagen oder zu dem Auslandsinformationsbeschaffung.
Dagmar Hovestädt: Das heißt man konnte schon erkennen, dass sie beeindruckt waren davon, dass ein etwas niederrangige Offizier in einer Provinzstadt in der Uni sich plötzlich mit so Feinheiten von iranischen, irakischen, syrischen, jemenitischen innenpolitischen Dingen auskennt. Die Informationen würde ja auch wahrscheinlich nicht in der Provinz verbleiben, sondern sie landet über das Ausland bei der HV A. Kann man das nachvollziehen in den Unterlagen oder ist auch da alles schon wieder verschwunden?
Dr. Sophia Hoffmann: Also ich erinnere mich dunkel, das es mal ein oder zwei Mal dann so Hinweise gab, also handschriftlich dann vielleicht, teilweise sowas wie "Das ist für die HV A" oder so und man sieht natürlich die Übergabe der Person auch, aber ich weiß es nicht, ob das dann einfach sozusagen in der DDR-Provinz blieb. Also ich glaube einfach, man sieht natürlich durch diesen Fall auch wie viel internationaler Ostdeutschland war. Wenn man es vom geografischen sieht, ostdeutsche Städte zu der Zeit waren, weil einfach die DDR durch ihre Solidaritätsprogramme mit Staaten in der dritten Welt oder auch so genannten sozusagen nationalen Befreiungsorganisation unheimlich viel gesellschaftlich und politisch aktivierte Menschen sozusagen aus aller Welt in alle größeren Städte der DDR geholt hat, die dann mit dem Wegfall der DDR da auch verschwunden sind. Das war noch so eine sehr interessante Seiteninformationen.
Dagmar Hovestädt: Dass die alle verschwunden sind?
Dr. Sophia Hoffmann: Ja beziehungsweise wie anders Ostdeutschland da aussah.
Dagmar Hovestädt: Achso, also die Wahrnehmung von der Seite, dass man von den sogenannten Vertragsarbeitern wusste, aus Vietnam, Mosambik und anderen Ländern und eigentlich eher, dass es problematischer war, weil sie nicht integriert waren, aber vielleicht das es die andere Sichtweise, dass in dem universitären staatlich sanktionierten Bereich auch der etwas herausgehoben aus dem normalen Alltag, dass es da durchaus ein größeres Internationalität gab und das insofern, ja, dass das Ausland das zu Hause war und man das da ganz gut anzapfen konnte. Kann man sagen wie lange die beiden Informationslieferanten waren und kann man durch die Tatsache, dass der Band 1, also die Personalakte, bei beiden verschwunden ist, sagen, dass hundertprozentig Kontakte dann von der Residentur, also den HHV-Mitarbeitern, inden jeweiligen Ländern im palästinensischen Territorium und auch in Jemen, dass das dann weiterging, können Sie das feststellen an den Unterlagen.
Dr. Sophia Hoffmann: Also bei diesen beiden war der Band 1 da. Deswegen habe ich die auch ausgewählt. Also den beiden war das da und ich sehe das hier gerade, die waren beide zwischen 83 und 89 im Kontakt mit ihren jeweiligen...
Dagmar Hovestädt: Das ist eine lange Zeit. Sie haben nämlich ihren Laptop dabei, dass kann man ja nicht sehen, wenn man nur hört.
Dr. Sophia Hoffmann: Ich steck jetzt schon wieder sehr in meinem neuen Artikel drin, dass ich jetzt tatsächlich nicht nachgucken muss. Genau aber die Intensität der Kontakte waren sehr unterschiedlich. Also wie gesagt, der eine hat sich alle zwei Wochen im Durchschnitt getroffen, hatte eine sehr enge Bindung zu seinem Führungsoffizier und der andere hat sich viel seltener getroffen
Dagmar Hovestädt: Und weiß man dann ob sie tatsächlich 89 weiter aktiv waren oder ob sie dann bei der Rückkehr in ihre Länder sich irgendwo durch diesen Wissenstransfer von der Stasi, wie verhalte ich mich, was heißt eigentlich Geheimpolizei, geheimdienstliche Arbeit? Ob sie das weitergetragen haben, weil es ist ja auch ein Interesse von Ihnen und der Knowledgetransfer, also was passiert mit dem Wissen und geht es weiter.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau uns interessiert eben einfach auch diesen Fall, wie nehmen diese arabischen Studierenden, die ein kleiner Weise ja auch eine nachrichtendienstliche Ausbildung erfahren, durch ihre durch ihre Tätigkeit, wie nehmen sie dieses Wissen eigentlich mit nach Hause?Und das ist in diesem Fall auch interessant, weil einige von den Akten, die ich gesehen haben, belegen eben auch, dass die Studierenden nach Hause gegangen sind, dann für ihre eigene Nachrichtendienste zu Hause tätig wurden und das ist natürlich besonders interessant, weil da kann man dann den direkten Transfer von einem Nachrichtendienst anderen wirklich nachvollziehen anhand von Personen. In diesem Fall ist der jemenitische Informant der ist 89 schon wieder Zuhause, strebt tatsächlich eine Rückkehr an, aber ist da mit Briefen in Kontakt. Was aus dem anderen geworden ist, weiß ich nicht, keine Ahnung. Ob der in Deutschland verblieben ist oder woanders wieder hingegangen ist, dass kann man nicht nachvollziehen.
Dagmar Hovestädt: Aber es ist auch interessant zu mindestens zu wissen, dass in dem einem Fall durchaus eine Kontinuitätsinteresse im Heimatland geweckt wurde in der gleichen Art und Weise unter Umständen weiter zu arbeiten.
Dr. Sophia Hoffmann: Ja, teilweise waren die natürlich auch schon mit ihren Sicherheitsdiensten im Kontakt bevor sie gegangen sind.
Dagmar Hovestädt: Sie haben das Spiel umgekehrt gespielt wie die Stasi.
Dr. Sophia Hoffmann: Es gab auch in einem Fall, also das war ein anderer Fall, wo sich dann ein Informant auch einfach Bescheid gesagt, übrigens ich arbeite auf meinen Dienst zu Hause, das war dann irgendwie auch eine Schwierigkeit, aber es wurde dann irgendwie auch überwunden, weil es in diesem Fall auch entweder Süd-Jemen also wirklich sozusagen Bruder Staat oder war es irgendwie eine Regierung mit der man gerade gute Beziehung hatte, dann war das nicht so nicht so tragisch.
Dagmar Hovestädt: Das ist super interessant, dass es eben in diesen Akten durchaus eine Offenheit gesteckt für ganz andere Fragestellungen, politikwissenschaftlicheTransfer, Binnenansicht von Geheimdiensten. Normalerweise sind Akten nicht so leicht verfügbar, auch wenn das jetzt schon über 30/ 35 Jahre her ist. Haben Sie das Gefühl, dass man trotz alledem da was strukturelles erkennen kann, das bis heute relevant ist?
Dr. Sophia Hoffmann: Auf jeden Fall! Also das Stasi-Archiv dem ich, wie jedem Archiv, wirklich mit großer Ehrfurcht begegne, weil es das, mag ironisch klingen, aber es ist ganz ehrlich gemeint, weil für mich sind diese Archive und besonders Archive die sozusagen den Machtapparat gegen ihren Willen entrissen worden sind praktisch das höchste, was wir an Zivilisation irgendwie erzielen können. Also deswegen bin ich diesen Archiven unheimlich verbunden und ich begegne diese auch mit einer Ehrfurcht und vor allen Dingen deswegen, weil es in diesem Fall das Stasi-Archiv eine solch ungeheuerlich fantastische Quelle ist um über die funktionsweise eines modernen Nachrichtendienstes zu lernen. Wir wissen sozusagen vergleichend genug über andere Nachrichtendienste um zu wissen, dass die Stasi, die natürlich besonders war und ihre Eigenheiten hatte, letztendlich ja keine Ausnahme ist, sondern sie ist ein Beispiel für einen modernen Nachrichtendienst, der in diesem Fall sozusagen unter der, sage ich mal jetzt bisschen Jargon-mäßig, unter den imperialen Förderung der Sowjetunion entstanden ist genau wie der BND unter der imperialen Förderung der USA entstanden ist und deswegen natürlich Ähnlichkeiten hat mit den sowjetischen Diensten und so weiter, aber letztendlich auch vergleichbar ist mit westlichen Diensten. Also das wissen wir, weil wir genug über andere Dienste wissen, aber dass man so spezifisch sich bestimmte Praktiken angucken kann, ist extrem selten. Da gibt es noch wenige andere Beispiele. Man kann es für den Irak zum Beispiel nachvollziehen, weil es da ein von den Amerikanern gekapertes riesiges Archiv gibt. Das liegt in den USA.
Dagmar Hovestädt: Ja genau! Aus dem Kurden Krieg in den späten 80ern. ein Jahrgenommen
Dr. Sophia Hoffmann: Und dann aber auch nach 2003 wurden auch sehr viele Akten mit nachrichtlichen Bezug in die USA gebracht. Also hier sie haben wir dann auch eine tolle Quelle, die aber unter viel suspekten Umständen, sage ich mal, als Archiv präserviert wurde als das Stasi-Archiv.
Dagmar Hovestädt: Guatemala gibt es noch, da gibt es ein Geheimpolizei-Archiv.
Dr. Sophia Hoffmann: Ja und Brasilien da gibt es das auch. Und was ich, aber wie gesagt sagen wollte, wir wissen genug über Geheimdienste oder Nachrichtendienste in in aller Welt, um zu sagen, die Stasi war nicht komplett außergewöhnlich, sondern sie war eben auch ein Beispiel für einen modernen Nachrichtendienst und deswegen kann man die Hypothese ableiten, dass eben andere Nachrichtendienste auch im Klein-Klein ähnlich funktionieren auch wenn wir das Klein-Klein dann nur vielleicht anhand von wenigen Dokumente nachvollziehen können und nicht so systematisch aufarbeiten können, wie für die Stasi und deswegen lassen sich eben diese Dinge politikwissenschaftlich abstrahieren. Also zum Beispiel dieses starke bürokratische Element und damit meine ich jetzt nicht nur diese Karikatur von einer Bürokratie von irgendwie überbordenden Akten und Offizieren, die eigentlich anderes tun, als die ganze Zeit irgendwie vor sich hin zu krickeln, sondern Bürokratien sind sehr gut untersucht anhand von auch Macht- und Herrschaftsfragen, wie regiert eine Bürokratie sozusagen intern auch ihre Mitarbeiter.
Dagmar Hovestädt: Und Legitimitätsfragen, was ich verschrifte, was ich in einem Regelwerk passe, kann sich daran messen lassen, dass ich eben den Regeln folge, den Gesetzen folge und damit legitimiere ich mein Tun ohne darüber nachzudenken, dass ich wirklich Menschenrechte verletzte, Menschen vielleicht sogar quäle oder Unrechtmäßigkeiten begehe.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau also das einmal, dass man sozusagen von dem moralischen Inhalt dessen was man macht abstrahiert, aber auch andere Dinge also die Wichtigkeit von Kategorien oder die Wichtigkeit von abstrakten Vorstellung über die Bevölkerung. Um als Bürokratie eine Bevölkerung zu regieren und zu kontrollieren oder auch einfach zu managen, ist es egal, ob ich jetzt das Gesundheitsministerium bin oder das Bildungsministerium oder eben der Nachrichtendienst. Dafür muss sich die Bevölkerung eine bestimmte Vorstellung entwickeln, was gibt es dann so für Kategorien, wie gefährlich oder wie vulnerabel oder wie bedroht oder wie ungesund oder wie gesund, was weiß ich, sind diese unterschiedlichen Kategorien und dann muss ich Interventionen starten, um die Probleme, die ich identifiziert habe, zu beantworten. Wir sehen eben, dass die Stasi da in vieler Hinsicht ganz genau so funktioniert. Bis es eben dann um das Individuum geht und das konnte ich aus dieser Untersuchung da von den Studierenden habe ich sozusagen auch eine Erkenntnis gezogen oder zumindestens konnte ich das sozusagen eine Hypothese entwickeln, worin sich eigentlich die Macht von modernen Nachrichtendiensten von der Macht anderer großer Behörden so unterscheidet. Das ist jetzt sozusagen meine steilen Hypothese, aber ich denke das ist schon irgendwie allgemein verständlich, dass sie eben arbeiten wie moderne Bürokratien, identifizieren Probleme anhand von Feindbildern, die sie haben und so weiter und überlegen sich dann Programme, wie sie diese Probleme lösen können oder diese Bedrohung für die nationale Sicherheit, wie sie die angehen können. Aber wenn es dann um die mögliche Praxis, also in diesem Fall jetzt Human Intelligence. Die Informationsgewinnung von menschlichen Quellen, dann reicht dieses abstrakte nicht, sondern das muss letztendlich wirklich in die Privatsphäre des Individuums eingedrungen werden und da sozusagen herum manipuliert werden auf schöne oder unschöne Weise. Und das ist etwas was andere staatliche Behörden nicht tun. Die behandeln uns letztendlich immer als eine Nummer und anhand von Daten, wie alt ist die Person Mann oder Frau, wie ist der Bildungsstand. Da fällt man in irgendeine Kategorie von der Krankenversicherung oder sonst irgendwas, aber der Geheimdienst geht eben weiter. Der findet eben raus, was ist da die politische Einstellung, mit wem hat diese Person eine persönliche Beziehung, gibt's da irgendwelchen Dreck, den wir nutzen können für unsere Rekrutierung.
Dagmar Hovestädt: Also ihre Schwachstellen, wo kann ich ran, um sie noch besser für mich nutzbar zu machen oder um etwas zu bewegen, was sie eigentlich tun will. Wo kann ich ihre Moral oder ihre Integrität untergraben.
Dr. Sophia Hoffmann: Genau, wobei man eben in diesem Fall auch sieht, dass ich glaube oder, dass ist wahrscheinlich auch einfach nur das einmal als eins des Human-Offiziers, dass die negative Ansprache natürlich das ist, was man am wenigsten will. Man will natürlich viel lieber positiven Report aufbauen und dann sehen, dass die Person einem wirklich gerne die Informationen bringen, was in diesen beiden Fällen mehr oder minder auch geschieht, aber trotzdem das sind gerade wir als moderne Subjekte... denen sozusagen von..., also wir saugen sozusagen mit der Muttermilch auf, dass das private und das politische und das staatliche und private getrennt ist, dass der Staat nicht letztendlich in unsere Privatsphäre eindringt und das machen Nachrichtendienste und das machen sie auch in westlichen Demokratien. Ich glaube, dass da letztendlich auch immer noch dieser komische Grund diese Grundangst herkommt, die viele von Nachrichtendiensten haben, weil sie wissen, dass Nachrichtendienste da auch außerhalb der Gesetze und das gilt eben auch für die Bundesrepublik oder andere westliche Demokratien, da so ein Freibrief haben, Dinge zu tun, die andere staatliche gehören eben nicht dürfen.
Dagmar Hovestädt: Dann ist es immer auch eine Frage, dass ist die Spezifität der DDR oder der sowjetischen Warschauer-Pakt-Staaten, was ist mein Feind, wer ist mein größter Feind und wenn das eigene Volk da relativ prominent der größte Feind ist, dann ist es noch mal eine andere Betrachtung dieser geheimpolizeilichen Bürokratie. Wir treffen uns heute jetzt zum Abschluss, weil sie heute auch wieder bei uns im Archiv waren. Sie haben es eben schon gesagt, es gibt ein neues Projekt. Hat es mit dem Stasi-Akten weiter zu tun oder ist es was ganz anderen?
Dr. Sophia Hoffmann: Also es kein neues Projekt sondern es ist einfach mein zweiter Artikel aus diesem Projekt, da geht es um den BDN und die BND-Beziehung zum Irak in den späten Siebzigern und Achtzigern und dem BND-Beziehung zum Nord-Jemen. Da bearbeite ich sozusagen einmal die historischen Fälle, das ist sozusagen sowas wie ein nachrichtendienstlicher Honeymoon, nenne ich das, zwischen den BND und den irakischen Sicherheitsbehörden der ging so bis Mitte der 70er bis Anfang der 80er. Aus verschiedenen Gründen gab es da so einfach ein Aufschwung mit den Beziehungen und dann guck ich mir spezifisch eine operative Geschichte an, das ist, ich glaube das ist 76, da hab ich gerade auch kleinen Blackout. Also da geht es darum, dass die rote Armee-Fraktion fünf Leute in der BRD freigepresst hatte und die waren jetzt im Süd-Jemen und jetzt beschäftigen sich die BRD-Sicherheitsbehörden mit Nord-Jemen und unterhalten vom Nord-Jemen Unterstützung, um da Überwachung zu tätigen und solche Sachen. Da entwickelt sich auch eine Zusammenarbeit. Anhand dieser Beispiele entwickle ich sozusagen meine Theorien über diesen transnationalen Wissenstransfer zwischen Nachrichtendiensten weiter. Für den Artikel sind vielleicht nur ganz punktuell DDR-Akten interessant, also Stasi-Akten interessant, das meiste kommt aus anderen Archiven. Heute war ich noch mal hier, weil Frau Weiß noch ein paar Akten für mich hatte über Ägypten, da muss ich sagen, das interessante war eigentlich ein aus dem russischen übersetzter Bericht, der vom Geheimdienst der Volksrepublik Rumänien kam. Ein Bericht über die ägyptischen Sicherheitsbehörden, dass die ihm nach 76, also nach dem Tod Nassers, jetzt den Amerikanern zugetan sind und jetzt ganz viel Ausbildungshilfe von den Amerikanern bekommen und da für mich das aller interessanteste, muss ich sagen, dass da im Bericht drin stand, man weiß natürlich nicht, ob das wahr ist oder nicht, dass diese große Ausrichtung der ägyptischen Nachrichtendienste auf die Moslem-Bruderschaft in den frühen 80ern, also der Bericht war von 81, ging so um die Entwicklung seit 76, dass das in Zusammenarbeit mit der CIA, also das die CIA das angefordert hat, dass sie sich jetzt auf die Moslem-Brüder stürzen und dass dafür Experten des SAVAK, der SAVAK ist der iranische Nachrichtendienst noch unter dem Schah, dass die aber natürlich sich sehr gut mit dieser Mensch islamischem Fundamentalismus auskannten, dass die in Ägypten waren und dass dann sozusagen iranische, amerikanische und ägyptische Nachrichtendienstexperten zusammengearbeitet haben, um jetzt die Moslem-Bruderschaft zu unterwandern.
Dagmar Hovestädt: Eine interessante, super spannende Reise durch die Akten durch die Geschichte da. Nichts ist heute so, weil es gestern so entstanden ist, sondern nur das alles immer eine lange Vorgeschichte hat, sondern da sind selbst Stasi-Akten noch mal dazu da heutige zusammenhänge besser zu erklären. Super! Vielen Dank Dr. Sophia Hoffmann. Es hat Spaß gemacht, das war eine spannende, sehr interessante Reise durch die Akten, durch ihre Forschung. Viel Glück und viel Erfolg weiterhin mit dem Projekt und neuen Projekten, die vielleicht danach noch mal kommen und wir hören jetzt hier wie immer zum Ende des Podcasts ein O-Ton aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv präsentiert von meiner Kollegin Elke Steinbach.
[schnelles Tonspulen]Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach. Ich kümmere mich mit meinen Kollegen um die Audio-Überlieferung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Wir hören heute einen Ausschnitt aus einer Aufnahme aus einer Rede von Erich Mielke, die er in Berlin an der Parteihochschule Karl Marx gehalten hat. Im November 1984 hat er ungefähr dreieinhalb Stunden über viele Punkte referiert unter anderem um die Wehrbereitschaft, die Erhöhung der Sicherheit an der innerdeutschen Grenze und zur Landesverteidigung. Dabei benutzte er sogar Bibelzitate als Argument für den Wehrdienst, aber hören sie selbst.
[Erich Mielke:] Angesichts der verstärkten Angriffe unterstreicht das von mir gesagte die Notwendigkeit gemeinsam die Anstrengung zu erhöhen um die gegen den Charakter und den Klassenauftrag der NVA und der anderen Organe der Landesparteien gerichteten Machenschaften erfolgreich sich zerschlagen, feindliche pazifistischer fatalistische Auffassung zu entlarven und zurückzuweisen, sowie die Verteidigungsbereitschaft der Jugend zu fördern und zu festigen. Heute hast, heißt das vor allem unseren jungen Menschen und nicht nur ihnen die Notwendigkeit höherer Verteidigungsanstrengungen bewusst zu machen. Jedem klar zu machen, dass wir Dienst im Sozialismus wahrhaftiger Friedensdienst und deshalb auch keine Ermessensfrage für den Einzelnen ist. Es gilt jeden Jugendlichen von der Gerechtigkeit und der Sieghaftigkeit unserer Sache zu überzeugen. Das muss das tragende Element der Wehr-Motivation sein. Die Heimat zu verteidigen, ist patriotische Pflicht, auch für einen Christen, das steht nicht im Widerspruch zu seinem Glauben. Nun muss ich etwas, solche ope.. Leute operieren mit der Bibel, aber wir können das auch. Es ist zwar nicht meine Art die Bibel zu zitieren, aber ich hatte das mit dem Direktor abgesprochen [Lachen aus dem Publikum], dass er auch die Biwel, Bibel neben seinen Marx und [unverständlich] zu liegen haben sollte. Wir können das auch, das ist zwar nicht meine Art, wie gesagt, aber mitunter ist das für unsere Argumentation einmal ganz nützlich. So heißt es beispielsweise im ersten Korintherbrief Kapitel 7 Vers 20 [Lachen aus dem Publikum]: Wer im Stand eines wehrpflichtigen berufen wird, kann und soll [unverständlich] stand vor Gott bleiben. Oder nehmen wir die Propheten Joel viertes Kapitel, der sagt: Macht aus eurem Flugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße. Das ist doch interessant Genossen. Nach Lukas Kapitel 22 Vers 35 gab Christus selbst seinen Jüngern den Befehl sich mit Schwertern zu bewaffnen. Das alles sind gute Argumente, die wir ebenfalls nutzen sollten, um auf alle Einfluss zu nehmen. Diese Berufung auf die, auf die Bibel weigern Wehrdienst zu leisten oder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Bibel ist überhaupt ein schönes Buch, da kann man ganz schön drin lesen, interessant. Da sieht man die ganze Heuchelei manchmal ne?
[Jingle]Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
[Musik]