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"Betrug am Arbeiter"

1977 wurde in der DDR ein weit verbreitetes Genussmittel zum Politikum: Der Kaffee. Aufgrund gestiegener Weltmarktpreise hatte sich die DDR-Regierung entschlossen, einige Kaffeesorten durch einen "Kaffee-Mix" genannten Verschnitt zu ersetzen. Dies löste einen Sturm der Entrüstung aus, der die SED binnen weniger Monate zwang, das neue Produkt wieder vom Markt zu nehmen.

"Muffig-erdig, wirklich gemein" – so lautete das vernichtende Urteil des professionellen Kaffeetesters einer Hamburger Großrösterei, nachdem man ihm das neueste Produkt aus dem "Kombinat Nahrungsmittel und Kaffee" in Halle vorgesetzt hatte – den "Kaffee-Mix". Dieses Mischgetränk aus minderwertigem Rohkaffee und Ersatzstoffen wie gerösteten Erbsen, Roggen, Gerste und Zuckerrübenschnitzeln ersetzte nach einem SED-Beschluss ab August 1977 die bisherigen günstigen Kaffeesorten "Kosta" und "Mocca-Fix Silber". Doch nicht nur der westdeutsche Kaffee-Experte fand den Trunk ungenießbar, auch in der DDR-Bevölkerung stieß das Mischgetränk auf einhellige Ablehnung. Es hagelte Beschwerden, die staatlichen Stellen wurden mit einer Flut von über 14.000 Briefen empörter Bürger überschüttet.

Auch das MfS registrierte in seinen Stimmungsberichten den massiven Unmut, als bisher bekannte Kaffeesorten aus den Regalen verschwunden waren und die schlechte Qualität des Ersatzproduktes "Kaffee-Mix" offenbar wurde. Es zeige sich, so ein Bericht vom 1. September, dass "Qualität und Preis der neuen Kaffeesorte 'Kaffee-Mix' von breiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt werden." Zudem könne der Mix mit älteren, noch in vielen Cafés und Kantinen eingesetzten Kaffeemaschinen nicht zubereitet werden. Die Ersatzstoffe ließen das Kaffeepulver so aufquellen, dass die Filter verstopften und manche Maschine sogar zum Explodieren gebracht wurde.

Zwei Frauen in Arbeitskitteln stehen vor zwei großen Kaffeemaschinen und bieten jemandem eine Tasse Kaffee an

Beklagt wurde zudem eine Ungleichbehandlung: Die Sparmaßnahmen richteten sich "nur gegen den 'kleinen Mann'", da in Arbeitergaststätten nur noch Mischkaffee angeboten würde, während es in Interhotels weiterhin echten Kaffee gebe. Der Wegfall der günstigen Sorte "Kosta" benachteilige vor allem Rentner, die sich die teureren Sorten nicht leisten könnten. Sogar vom "Betrug am Arbeiter" war die Rede, dem "nicht einmal mehr eine Tasse Kaffee gegönnt" würde. Zudem stünden die Sparmaßnamen beim Kaffee in keinem Verhältnis zu "Repräsentationskosten auf höherer Ebene", zur "Einfuhr von teuren Westwagen für Funktionäre" und zur "Nutzung von Dienstwagen für private Zwecke".

Verschärfend kam hinzu, dass die Presse über die Sparmaßnahmen nicht informiert hatte. Das führte dazu, dass das Bedienungspersonal in Gaststätten "von den vollkommen überrascht mit Mischkaffee bedienten Kunden beschimpft würde", wodurch es veranlasst werde, "entweder mitzuschimpfen oder zu kündigen." In der Bevölkerung kursierten schon bald Spottnamen für den Kaffee-Mix wie "Erichs Krönung" oder "Edescho – Erichs Devisenschoner". Mehr noch als der geballte Unmut zwang die schlichte Kaufverweigerung der Verbraucher die Regierung zum Einlenken. Bereits im September wurde der Preis für den Kaffee-Mix herabgesetzt, im Januar 1978 beschloss das Politbüro, die Produktion ganz einzustellen.

Die DDR im Blick der Stasi

Weitere Details und Dokumente zur "Kaffeekrise" und zum Jahr 1977 befinden sich im Buch "Die DDR im Blick der Stasi 1977", erschienen in der Reihe "Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung". Der Band wurde bearbeitet von Henrik Bispinck und herausgegeben von Daniela Münkel im Auftrag des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

Alle bisher erschienen Bände können Sie online einsehen.