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Das Umweltschutz-Paradox

Die Deutsche Demokratische Republik hatte in ihrer Verfassung von 1968 den Umweltschutz fest verankert. Mit der Gründung des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft im Juni 1972 schuf sie eine Institution, welche die Maßnahmen des Umweltschutzes in die Tat umsetzen sollte. In der Realität fand im Gebiet der DDR eine massive Umweltverschmutzung durch staatliche Betriebe statt. Umweltauflagen wurden missachtet und Umweltschäden damit wissentlich in Kauf genommen.

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Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sorgte in diesem Prozess dafür, dass die durch staatseigene Unternehmen entstandene Verschmutzung der Umwelt nicht an die Öffentlichkeit geriet. Gleichzeitig überwachte die Stasi Umweltschutzgruppen wie Greenpeace, aber auch Umwelt- und Friedensgruppen, die unter dem Dach der Kirche agierten. Dieses paradoxe Handeln spiegelt sich in den Stasi-Akten wider.

In Kapitel 2 Artikel 15 der Verfassung der DDR von 1968 stand "Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers." (Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 1968, Kapitel 2, Artikel 15)

Die Aufgabe die Natur und Umwelt zu schützen, lag also in der Hand staatlicher Institutionen. Umweltschäden können dementsprechend nicht isoliert von der staatlichen Führung betrachtet werden. Wenn Probleme und Versäumnisse im Schutz der Umwelt überhaupt thematisiert wurden, dann wurden diese meist auf die geerbten Strukturen des zuvor herrschenden kapitalistischen Systems zurückgeführt. Von offiziellen Stellen wurden Umweltschäden geleugnet, obwohl es "offenkundige Umweltschäden/- belastungen" (BStU, MfS, BV Dresden, BdL Dok 1165, Bl. 2) gab, wie es das MfS in einem Kontrollbericht zu Umweltschutzorganisationen in der DDR verlauten ließ. Sowohl die Stasi, als auch das von der Stasi regelmäßig ins Bild gesetzte Zentralkomitee der SED bzw. die regionalen Parteileitungen waren sich der entstandenen und entstehenden Schäden bewusst. In Kontrollberichten, die sich in den Stasi-Akten erhalten haben, wird ausführlich berichtet, z.B. über hohe Tierverluste durch Schäden an der Kläranlage in Kamenz bei Dresden (Vgl. BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XVIII, Nr. 2392) oder über die negativen Auswirkungen des VEB Chemiewerk Agrotex auf einen angrenzenden Kleingarten. In letzterem Fall wurde die sofortige Stilllegung der Anlage gefordert (Vgl. BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XVIII, Nr. 12392).

Dabei regte sich in der Bevölkerung zunehmend Protest. Zwei Beispiele aus dem ehemaligen Bezirk Dresden sollen hier exemplarisch vorgestellt werden: die Elbverschmutzung und die Proteste gegen den Neubau eines Reinstsiliziumwerkes in Dresden-Gittersee.

Die Elbverschmutzung

Die Elbe glich zum Ende der DDR einer Kloake. 40 Jahre DDR hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Ursache war bekannt und für jeden sichtbar. So stand in einem Informationsschreiben der Abteilung XVIII der Stasi: "Die Wasserbelastung der Elbe […] ist vor allem auf unzureichende bzw. nicht vorhandene Kläranlagen für industrielle und kommunale Abwasser sowie umweltbelastende Technologien zurückzuführen." (BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 156592, Bl. 76)

Im Jahr 1989 lief mindestens die Hälfte der Dresdner Abwässer ungefiltert in die Elbe. Zuvor war die Zahl noch weitaus höher gewesen, da 1987 bis 1989 das Klärwerk brach lag. Hinzu kamen Industrieabwässer. So leitete das Zellstoffwerk Pirna schwefelhaltige Ablauge in die Elbe. Im Weiteren führten die unzureichenden Klärkapazitäten des Stahl- und Walzwerks Riesa, zu einer größeren Belastung für den Fluss. Aus der Landwirtschaft flossen Abwässer in die Elbe, welche die Nitratwerte in die Höhe schießen ließen (Vgl. BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 156592). So kam es in den 1980er Jahren zu einer starken Verunreinigung der Elbe im Raum Pirna/ Dresden/ Riesa.

Um dieser grenzübergreifenden Schadstoffbelastung entgegenzuwirken, einigten sich die Städte Dresden und Hamburg im Rahmen eines Städtepartnerschaftsprojekts auf eine gemeinsame Umweltpolitik. Im Vordergrund stand hier eine sauberere Elbe, da auch die Stadt Hamburg unter der Elbverschmutzung litt. Der Hamburger Bürgermeister sagte hierbei eine Finanzierung des Dresdner Kanalisationssystems zu.

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Gittersee

2012 war die Sanierung des Areals in Dresden-Gittersee, wo zwischen 1947-1961 die "Wismut" Uran aus Braunkohle gewonnen hatte, abgeschlossen. Die Renaturalisierung der lange Zeit radioaktiven Fläche hatte 1993 begonnen und steht sinnbildlich für den zu großen Teilen rücksichtslosen Umgang mit der Umwelt in der DDR, dessen Auswirkungen noch bis heute zu spüren sind.

Allerdings regte sich 1989 auch in der Bevölkerung der DDR Widerstand gegen ein anderes Projekt in Dresden-Gittersee. Dort sollte ein Reinstsiliziumwerk entstehen, welches Silizium als Grundstoff für den immer größer werdenden Bedarf an Elektrochips liefern sollte. Von diesem Werk, den Transporten der benötigten Stoffe und den zukünftig entstehenden Abfällen, ging eine große Gefahr für die Umwelt und Anwohner*innen aus. Sogenannte Bittgottesdienste, organisiert von Anhängern des kirchlich-ökologischen Arbeitskreises (BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XIX, Nr. 212781), boten Anwohnerinnen und Anwohnern die Möglichkeit sich über den Bau des Reinstsilizuimwerks zu informieren. Hier regte sich großer Protest gegen den Bau und gegen den Standort des neuen Werks. Vor allem die fehlenden Informationen von Seiten der zuständigen Organe über die Risiken des Werks sorgten für Unmut. Am 3. Juli 1989 mündeten diese in eine Demonstration mit über 100 Teilnehmern gegen das Werk. (BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 41319)

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Umweltschutzgruppen

Die massiven Versäumnisse in der Umweltschutzpolitik und die entstandenen Schäden blieben vielen DDR-Bürgerinnen und Bürgern nicht verborgen. So wurde zum Beispiel bei einem Podiumsgespräch mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Dresden der Unmut über die Umweltqualität zum Ausdruck gebracht (Vgl. BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XX, Nr. 10289). Konkret wurde dies an der Wasserqualität der Elbe deutlich.

Aus diesem Unmut entwickelten sich an verschiedenen Orten in der DDR Umweltschutzgruppen. Diese kamen hauptsächlich unter dem Dach der Kirche zusammen. Sie bot den Raum, ökologische Fragen zu diskutieren. Des Weiteren entstand mit der Umweltbibliothek in Berlin und deren Zweigstellen ein Ort, an dem teilweise verbotene Schriften zu Umweltthemen aufbewahrt und zugänglich gemacht wurden. Eigene Zeitschriften, wie die Umweltblätter, entstanden.

Das gemeinsame Einstehen von DDR-Bürgern für den Umweltschutz interpretierte das MfS als eine "Diffamierung staatlicher Umweltpolitik" und stufte ihr Handeln als feindlich-negativ ein. Das offizielle Kredo der SED war also ein Bekennen zum Umweltschutz, während Umweltschutzgruppen überwacht und als feindlich angesehen wurden.

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger erkundigten sich bei westlichen Umweltschutzgruppen über Möglichkeiten der Gründung und Mitgliedschaft bei Gruppen wie dem BUND und Greenpeace.

Das Interesse an Greenpeace rührte sicherlich auch von Aktionen der Gruppe auf dem Gebiet der DDR her. Eine Aktion bestand im Aufhängen eines 30 Meter langen Transparentes an der Georgi-Dimitroff-Brücke (heute Augustusbrücke, BStU, MfS, BV Dresden, KD Dresden-Stadt, Nr. 92909, Bd. 4) von fünf aus dem Westen eingereisten Aktivistinnen und Aktivisten.

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Unter dem Motto "Schadstoffe sind Grenzenlos Dresden – Hamburg - Nordsee“ wollten sie damit auf die oben erwähnte Verschmutzung der Elbe durch die DDR hinweisen. Der Tenor dabei war klar: Umweltverschmutzung macht nicht an Grenzen halt. Die Schadstoffe, die in Dresden in die Elbe gelangten, sorgten auch in Hamburg und in der Nordsee für Probleme. Daraus entwickelte sich auch die Forderung der Aktivistinnen und Aktivisten, die DDR sollte sich auch an der Nordsee-Konferenz 1987 zum Schutz des Meeres beteiligen.

Am Beispiel der Elbverschmutzung wird deutlich, dass der DDR-Umweltschutz weit hinter den selbstgesetzten Zielen der "Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt" zurückblieb. Grund dafür war nicht mangelndes Wissen über die Ursachen – die Stasi arbeitete in diesem Punkt fleißig zu: Berichte zu maroden staatseigenen Betrieben und Städten ohne effektive Abwassersysteme und Kläranlagen lagen vor. An die Öffentlichkeit sollten sie jedoch nicht gelangen. Durch das Verheimlichen der allerdings für jeden sichtbaren Verschmutzung sollte eine gesellschaftlich getragene Umweltschutzpolitik unterbunden werden. Gelungen ist dies nicht.

Till Saremba