In Ost-Berlin träumt die überzeugte Sozialistin Bettina Wegner (Jg. 1947) von mehr Meinungsfreiheit. Seit 1963 verbringt sie einen Großteil ihrer Freizeit mit dem Schreiben von Gedichten und Liedern. Als Bettina Wegner im September 1964 eine Ausbildung zur Bibliothekarin in der Staatsbibliothek beginnt, wachsen in ihr die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Arbeiter-und-Bauern-Staats. Sie sieht, dass die propagierten Lebensverhältnisse im Sozialismus und der Alltag der Menschen auseinanderklaffen.
Die Flugblätter werden nur kurze Zeit später von der Volkspolizei entdeckt. Am Vormittag des 26. August wird Bettina Wegner verhaftet und in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt nach Berlin-Pankow eingeliefert. Ihr wird "staatsfeindliche Hetze" nach § 106 des StGB vorgeworfen. Ihr Sohn kommt in die Obhut seiner Großeltern.
Nach einer Woche intensiver Verhöre wird Bettina Wegner unter "Weiterführung der Ermittlungsverfahren" vorzeitig aus der Haft entlassen. Erich Mielke persönlich unterzeichnet diesen Beschluss. Eine ungewöhnliche Entscheidung angesichts des schwerwiegenden Vorwurfs der "staatsfeindlichen Hetze". Der Hintergrund: Bettina Wegners Eltern sind angesehene SED-Genossen. Trotz der vorzeitigen Entlassung muss sie bis zur Verhandlung Ende Oktober 1968 viermal wöchentlich zur Vernehmung in die Stasi-Zentrale. Schließlich wird sie zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Diese Strafe wird in eine zweijährige Bewährungsstrafe umgewandelt.
Militärisch war die DDR an der Niederschlagung des Prager Frühlings nicht beteiligt. Aber die Stasi unterstützte die Wiederherstellung der alten politischen Ordnung in der ČSSR mit verschiedenen "Maßnahmen" zur Überwachung und Kontrolle von Reformanhängern, so auch im Rahmen der am 28. August von Mielke angewiesenen Operation "Genesung".