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Werbebroschüre der Stasi zum Scharfschützengewehr 82 (SSG 82)

Die geheimen Waffen der Stasi

Die Entwicklungs- und Produktionsstätte der Abteilung "Bewaffnung und Chemischer Dienst" des MfS war als Einrichtung der NVA legendiert. In Wahrheit verbarg sich hinter dem "Zentralen Abnahmebüro" die DDR-Geheimpolizei.

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Der Thüringer Wald galt einst als Zentrum der deutschen Waffenindustrie. Namhafte Hersteller, wie Haenel, Krieghoff, Merkel, Sauer, Simson oder Walther hatten in der Region Suhl / Zella-Mehlis ihren Ursprung. Auch nach 1945 wurden hier Sport-, Jagd- und Komponenten für Militärwaffen gefertigt, wobei der Stasi die geheimpolizeiliche Durchdringung dieser nun volkseigenen Betriebe oblag. Dadurch bestanden beste Voraussetzungen für die Abteilung "Bewaffnung und Chemischer Dienst" (BCD) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), im damaligen DDR-Bezirk Suhl eine eigene Produktionsstätte aufzubauen. Dort wurde das Scharfschützengewehr 82 (SSG 82) entwickelt und gefertigt.

In der Suhler Innenstadt erinnert heute nichts mehr an jenen weißen Mehrzweckbau, der zu Beginn der 80er Jahre auf dem weitverzweigten Betriebsgelände des damaligen VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerkes (FAJAS) errichtet wurde. Bis zur Friedlichen Revolution wies ein Schild das markante Gebäude als Dienststelle der Nationalen Volksarmee (NVA) aus. Die Aufschrift lautete: "Nationale Volksarmee – ZAB-Stelle". Hinter der Chiffre "ZAB-Stelle", also "Zentrales Abnahmebüro", verbarg sich in Wahrheit eine Produktionsstätte der Stasi.

Hier ließ die Unterabteilung "Produktion" der Abteilung BCD des MfS Waffen konstruieren und fertigen. Diese Abteilung hatte ihren zentralen Dienstsitz in der Freienwalder Straße in Berlin-Hohenschönhausen. Zum Aufgabenkatalog gehörte vor allem die Bereitstellung von Bewaffnung, Munition sowie ABC-Schutzausrüstung für die Stasi-Diensteinheiten. Zudem entwickelte, erprobte und produzierte die Abteilung BCD geheime Waffen, die ausschließlich innerhalb der DDR-Geheimpolizei Verwendung fanden.

Als Dienststelle der NVA legendiert

Aus den Stasi-Unterlagen geht hervor, dass das MfS und der VEB FAJAS am 7. Mai 1980 einen Vertrag schlossen. Dieser sah vor, dass die Stasi – gegen eine Zahlung von 3.500 Mark – ein Gelände innerhalb des Werkes erwarb, um hier ein "Abnahmegebäude" zu errichten.

Das dreigeschossige Stasi-Dienstobjekt erhielt nach seiner Fertigstellung eine ausgeklügelte Sicherungsanlage, die von einem Diensthabenden überwacht wurde. So war beispielsweise der Zugang zum Gebäude durch ein Zahlenschloss gesichert. Ferner besetzte ein MfS-Mitarbeiter auch außerhalb der regulären Dienstzeiten das "Abnahmegebäude". Die weiträumige Außensicherung der Dienststelle übernahm, wie überall auf dem Gelände des VEB FAJAS, das Betriebsschutzkommando der Deutschen Volkspolizei.

Für die Unterabteilung "Produktion" der Abteilung BCD waren am Standort Suhl etwa 25 Personen tätig – allesamt Stasi-Mitarbeiter. Als deren Leiter fungierte zeitweise ein Offizier im besonderen Einsatz (OibE). Nur Angehörige der Unterabteilung sowie ein kleiner, ausgewählter Personenkreis, der zum Stillschweigen verpflichtet war, durften das Gebäude betreten.

Die Geheimpolizisten der Abteilung BCD übernahmen die diesbezügliche Überwachung "MfS-fremder Personen" im Dienstgebäude. Folglich wurde der Personenkreis, der Kenntnis über Mitarbeiter, Organisation sowie Tätigkeit der "NVA-Dienststelle" besaß, bewusst klein gehalten. In diesem Zusammenhang geriet ein Laufrichter aus dem VEB FAJAS in den Fokus der Stasi. Diese stellte fest: "Auf Grund der Kompliziertheit unserer Geräte [SSG 82] ist es für uns nur möglich bei ihm Läufe richten zu lassen. In diesem Zusammenhang nutzt [geschwärzt] jede Möglichkeit, um von unseren Mitarbeitern, die die Geräteteile zu ihm bringen und holen, Informationen zu gewinnen."

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Die Unterabteilung "Produktion" der Abteilung BCD kooperierte eng mit den Mitarbeitern der Abteilung XVIII (Volkswirtschaft) der Suhler Bezirksverwaltung des MfS, die für die geheimpolizeiliche Überwachung des VEB FAJAS (Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl) verantwortlich waren. Dabei übernahmen die Genossen der Suhler Abteilung XVIII alle anfallenden Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die das Gebäude betreten sollten. Die Suhler MfS-Mitarbeiter koordinierten auch den Einsatz Inoffizieller Mitarbeiter. Dabei ging es hauptsächlich um die Erkennung vermeintlicher "Verdachts- und Spionagehandlungen". Dessen ungeachtet, so schätzte die Unterabteilung "Produktion" ein, kam es regelmäßig vor, dass Betriebsangehörige des VEB FAJAS vielfach "Anspielungen in Bezug auf das Organ [also das MfS], der Geheimhaltung und anderen Dingen" äußerten.

"zur Lösung spezifischer Aufgaben"

Dass die Leitungsebene des MfS mit der Arbeit ihrer Unterabteilung "Produktion" der Abteilung BCD zufrieden gewesen sein muss, zeigt unter anderem die Tatsache, dass das "Kollektiv der UA [Unterabteilung] Produktion der Abt.[eilung] Bew.[affnung] u.[nd] Chem.[ischer] Dienst" am 1. Mail 1982 mit dem Orden "Banner der Arbeit" Stufe II ausgezeichnet wurde.

In einem Schreiben vom 12. September 1983 an den Leiter der Hauptabteilung (HA) Personenschutz, hob der Leiter der Abteilung BCD hervor, dass "zur Ausrüstung spezieller Kräfte gemäß Befehl 1/81 des Genossen Ministers" seine Diensteinheit das SSG 82 entwickelt habe. Dabei sah der Kanon der Geheimpolizisten – bei möglichen "Geiselnahmen und terroristischen Handlungen" – auch den Einsatz von Scharfschützen vor. Zudem sollte das SSG 82 bei der Objektsicherung eingesetzt werden, um auf einer Entfernung zwischen 100 bis 300 Metern diverse Ziele bekämpfen zu können.

Das MfS konzipierte sogar eine eigene Werbebroschüre für ihr SSG 82. Darin hieß es: "Mit diesem Scharfschützengewehr steht dem MfS eine Waffe zur Verfügung, die zur Lösung spezifischer Aufgaben eingesetzt werden kann. Mit der Aufnahme der Produktion in Werkstätten der Abteilung Bewaffnung und Chemischer Dienst wird der Import von speziellen Scharfschützengewehren aus dem NSW [nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet] und Militärscharfschützengewehren aus dem SW [sozialistischen Wirtschaftsgebiet] eingestellt." Bei Letzteren bezog sich das MfS auf das Standardscharfschützengewehr des Warschauer Pakts, das "Dragunow", das das MfS ab den 80er Jahren durch das SSG 82 ersetzte.

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Die "Wunderwaffe der Stasi"

Die ersten Gewehre aus der Musterproduktion gingen an diverse Stasi-Einheiten, die das SSG 82 am Sitz der Abteilung BCD in Berlin Höhenschönhausen umfassend erprobten. Für diese Aufgaben entsandten die HA PS, die HA XXII (Terrorabwehr), die HA VI (Passkontrolle, Tourismus, Inter-hotels) sowie die Abteilung BCD spezielle Mitarbeiter nach Berlin. Nach der Erprobung, die mehrere Stunden in Anspruch nahm, fanden sich die Geheimpolizisten bei einem Imbiss zusammen und tauschten ihre Erfahrungen bei der Benutzung des SSG 82 aus. In den Stasi-Akten finden sich dutzende derartige Einschätzungen. So hielt ein MfS-Angehöriger, der das Gewehr ausgiebig testete, fest: "Durch den günstigen Druckpunkt und den geringen Rückstoß beim Schießen bin ich mit der Waffe sehr zufrieden. Der geringe Rückstoß ermöglicht eine schnelle neue Zielaufnahme."

Bis 1989 produzierte die Abteilung BCD rund 1.900 Scharfschützengewehre vom Typ SSG 82. Weitergehende Planungen sahen vor, das SSG 82 mit einem Nachtsichtgerät, einem Schalldämpfer und einem Zielfernrohr auszustatten. Während und nach der Friedlichen Revolution wurde die DDR-Geheimpolizei entwaffnet und die Waffenkammern der Stasi geleert. Allein in den Beständen der am 4. Dezember 1989 gestürmten Suhler Bezirksverwaltung des MfS, fanden sich zehn Gewehre vom Typ SSG 82. Später gingen die eingesammelten Scharfschützengewehre an die NVA bzw. die Bundeswehr.

In den folgenden Jahren gelangte ein großer Teil in den Verkauf. Bundesdeutsche Waffenkataloge priesen in den 90er Jahren das SSG 82 als "Wunderwaffe" an. Darin wurde argumentiert, dass die "Waffenexperten der Stasi" ein Gewehr konstruiert hätten, welches "keine Konkurrenz im Westen" gehabt habe. Neben dem SSG 82 ließ die Stasi in ihrer Suhler Produktionsstätte zudem einen eigenen Revolver (Modell Smart) sowie eine Kleinstmaschinenpistole, die gedeckt getragen werden konnte, entwickeln.

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