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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und Willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Dagmar Hovestädt. Ich leite die Abteilung Kommunikation und Wissen im Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv und begrüße Sie wie immer mit meinem Co-Host Maximilian Schönherr, Radiojournalist und intensiver Archivnutzer.
Maximilian Schönherr: Heute gehen wir nach Dresden, das zur DDR-Zeit das Tal der Ahnungslosen hieß. Ich war als Kind und Jugendlicher öfter in diesem Tal, weiß also, warum es so hieß. Weißt du's auch?
Dagmar Hovestädt: Das hat mit der Reichweite der Fernsehtechnik der Bundesrepublik zu tun. Geographisch liegen Dresden und etliche andere sächsische Städte ja im Südosten, damals der DDR. Und die hatte ja nie Interesse daran, dass ihre Bevölkerung richtig gut Westfernsehen schauen konnte. Aus der Bundesrepublik wurde aber kräftig, auch mit technischer Verstärkung, ARD und ZDF nach Osten ausgestrahlt. Nur eben in der südöstlichsten Ecke war der Empfang sehr schwierig bzw. gar nicht möglich, so dass in Dresden ebenso gut wie kein Westfernsehen damals geschaut werden konnte. Das hat dann insofern ahnungslos gemacht, weil man ja durchaus andere Informationen im Westfernsehen erfahren konnte als im DDR-Fernsehen.
Maximilian Schönherr: Und es gab da sogar Antennenakrobatik. Also wo man zu welcher Tageszeit die Antenne hinstellt in welche Richtung. Wir sind heute jedenfalls, wenn auch nur virtuell, an der Technischen Universität Dresden zu Gast, die mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv zusammen eine App mit Stasi-Unterlagen programmiert hat. Diese App heißt "Geheim! - Die Stasi an der TU Dresden". Sie kam im Oktober 2021 in der Android-Version kostenlos auf den Markt. Und wenn Sie diesen Podcast einige Zeit später hören, wird es auch für iOS Geräte unter ihrem Namen zu finden sein, eben "Geheim! - Die Stasi an der TU Dresden". Erzähle mir, der ich noch nie dort war, etwas über die Außenstelle in Dresden, Dagmar. Wo liegt die eigentlich?
Dagmar Hovestädt: Die Außenstelle des Stasi-Unterlagen Archivs liegt in einem älteren Fabrikgebäude in der Risaer Straße in Dresden Pieschen. Das ist anders als beispielsweise in Leipzig nicht der Ort, an dem die Stasi schon zu DDR-Zeiten gearbeitet hat. Die alte Bezirksverwaltung der Stasi gibt es aber noch. Sie liegt ungefähr fünf Kilometer vom Archiv entfernt in der Bautzener Straße. Dort befindet sich heute eine Gedenkstätte, mit der wir auch zusammenarbeiten. Das Stasi-Unterlagen-Archiv in Dresden hat über 8,2 Kilometer Akten in den Regalen der Archivräume, darunter drei Millionen Karteikarten. Die Unterlagen stammen von der Stasi-Bezirksverwaltung und den 16 Kreisdienststellen im Bezirk Dresden.
Maximilian Schönherr: Die TU Dresden war ein Ort der DDR Hochtechnologie und gleichzeitig des Widerstands. Kein Wunder, dass die Stasi da ihre Niederlassung hatte. 4.000 Akten sind allein von 1975 an über die Technische Universität überliefert. Und zwar hat sie die Staatssicherheit in einer sogenannten Objektdienststelle gesammelt. Wo in der Hierarchie des Ministeriums für Staatssicherheit befand sich eine Objektdienststelle?
Dagmar Hovestädt: Das MfS, also das Ministerium für Staatssicherheit, war, und das ist ja nicht ungewöhnlich für größere Bürokratien, entlang der regionalen Strukturen des Landes organisiert. Es gab also eine Zentrale in der Hauptstadt in Ost-Berlin, über die wir in der vorangegangenen Podcast-Folge Nr. 45 übrigens spaziert sind. Dann gab es 15 Bezirksverwaltungen, also 15 Bezirke und 209 Dienststellen in den Kreisen, also die Kreisdienststellen. Und immer da, wo es Einrichtungen gab, die von besonders wichtiger wirtschaftlicher und politischer Bedeutung waren, wurden eben zusätzliche Dienststellen ausgegründet, oft in diesen Objekten, manchmal auch als Sonderreferat in der Kreisdienststelle oder Bezirksverwaltung. Also gab es in einem Kernkraftwerk, dem Uranabbau der Wismut oder bei Carl Zeiss Jena Objektdienststellen. Die waren aber nicht durchgängig in gleicher Anzahl über die 40 Jahre der DDR vorhanden.
Maximilian Schönherr: Ich habe mir die App auf meinem Android-Smartphone installiert und ausprobiert. Es fällt in dem Gespräch mehrfach der Begriff Augmented Reality, abgekürzt AR. Der bedeutet eine Mischung aus dem, was wir direkt vor uns sehen und realistisch aussehenden Einblendungen. Im Unterschied zu Virtual Reality, wo wir über eine VR-Brille nur die virtuelle Welt sehen. Beispiele: Das Museum national d'histoire naturelle in Paris zeigt seinen Besuchern über AR Tiere, die ausgestorben sind, die sich aber natürlich in die Museumsumgebung einpassen oder die National Gallery in London zeigt den Besucher*innen drinnen, wie es draußen aussieht, als wenn sie durch die Wände durchsehen könnten. Die Stasi App der TU Dresden baut darauf, was für Augmented Reality ja recht typisch ist, dass der reale Ort von der digitalen Information überlagert wird. Wenn wir also in Dresden sind, werden dann Wegbeschreibungen und Dokumente an den Gebäuden eingeblendet. Wer nicht in Dresden ist, kann die vielen Dokumente und Anmerkungen in der App aber auch so studieren.
Dagmar Hovestädt: Bevor wir mit dem Gespräch zur App loslegen, vielleicht noch zur Orientierung: Meine Gesprächspartner und ich reden recht ausführlich über die Produktion der App und die Inhalte und landen dann doch erst gegen Ende bei einer etwas genaueren Beschreibung der App selber.
Maximilian Schönherr: Wir hören eine Kollegin von dir aus Dresden, Maria Fiebrandt, die mit zwei weiteren Kolleginnen im Archiv für diese App recherchiert hat. Außerdem den Diplom Informatiker an der TU Dresden, Benjamin Russig, der das Projekt koordiniert und betreut.
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Dagmar Hovestädt: Dieses App-Projekt ist für uns eine echte Premiere, kann man schon so sagen, die Stasi-Unterlagen in einer Augmented Reality App einzubringen. Maria Fiebrandt von der Außenstelle Dresden des Bundesarchivs Stasi-Unterlagen-Archiv, erzählen Sie uns zu Anfang einfach mal kurz, seit wann arbeiten Sie eigentlich mit Stasi-Unterlagen in Dresden? Was machen Sie dort und was ist Ihre Rolle in dem Projekt gewesen?
Dr. Maria Fiebrandt: Ich bin seit 2012 im Stasi-Unterlagen-Archiv in Dresden tätig, habe viele Jahre Forschungsanträge bearbeitet und dabei viele spannende Akten und Themen gesehen. Und seit etwa zwei Jahren bin ich für die Öffentlichkeitsarbeit des Stasi-Unterlagen-Archivs in Dresden zuständig und jetzt in der Lage oder in der Position, diese Geschichten auch im Rahmen von Veranstaltungen oder von Programmen an die Öffentlichkeit bringen zu können. Im Rahmen des App-Projektes habe ich konzeptionelle Aufgaben übernommen, Texte geschrieben, Recherchen durchgeführt, also die inhaltlichen Hintergründe zur App beigesteuert. Und ich selbst bin von Haus aus Historikerin und fand es sehr spannend, mit den Akten direkt zu arbeiten, diese auch auszuwerten und am Ende so ein tolles Produkt in den Händen halten zu können.
Dagmar Hovestädt: Super und Herr Russig?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, also mein Name ist Benjamin Russig. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden, der Fakultät Informatik bei der Professur für Computergrafik und Visualisierung. Da bin ich seit Ende 2017 tätig. Ich möchte da auch meinen Doktor machen im Bereich Visualisierung und mit dem App-Projekt bin ich in Berührung gekommen als Betreuer für die Studierenden, die dieses Komplexpraktikum machen wollen. Und ja, mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Vorher hatte ich mit den Stasi-Unterlagen eher wenig zu tun und das war ganz interessant eigentlich, das dann also auch so ein bisschen kennenzulernen.
Dagmar Hovestädt: Sie haben gerade gesagt in Komplexpraktikum, das muss man vielleicht erstmal erklären. Was ist damit gemeint mit Komplexpraktikum?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, Komplexpraktikum, das ist eine Studienleistungen, die in irgendeiner Form eigentlich in sämtlichen Studiengängen, die wir haben, erbracht werden müssen. Und da ist einfach das Ziel, dass die Studierenden im Team arbeiten zum einen und zum anderen irgendwie eine relativ komplexe Aufgabe zu lösen haben aus dem gewählten Themenbereich. In unserem Fall ist das eben Computergrafik und Visualisierungen, die ja Zusammenarbeit notwendig macht, weil sie einfach so komplex ist, dass da eine Arbeitsteilung notwendig ist und die auch möglichst viele Aspekte abdecken soll aus dem Bereich, so dass der Name Komplexpraktikum da Programm ist. Also es geht darum ein Praktikum zu machen mit einer komplexen Aufgabenstellung, was auch komplexe Zusammenarbeit erfordert.
Dagmar Hovestädt: Und weil das so komplex sein muss, sind Sie auf die Stasi-Unterlagen gekommen?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Das weiß ich ehrlich gesagt so genau nicht. Ich wurde dann erst mit einbezogen, als es dann hieß: "Ja, wir machen da jetzt was". Da weiß vielleicht Frau Fiebrandt mehr, wie das eigentlich zustande gekommen ist.
Dr. Maria Fiebrandt: Wir haben vor etwa zwei Jahren überlegt, wie wir die vielen spannenden Themen, die wir in unseren Akten haben, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen können. Und zwar nicht über die klassischen Formate wie Vorträge oder auch Workshops, sondern die Idee war, die Geschichten aus dem Archiv herauszubringen. Denn nicht jeder hat ja die Möglichkeit, einen Forschungsantrag zu stellen und bei uns im Lesesaal die Akten auch selber zu lesen. Wir haben dann relativ bald festgestellt, dass die Akten zur Technischen Universität viele spannende Geschichten enthalten. Und in diesem Zusammenhang haben wir überlegt, wie wir die Geschichten denn an diesen Ort, also an die TU, bringen könnten. Unsere studentische Mitarbeiterin hatte dann die Idee, Herrn Gumhold von der Professur für Computergrafik und Visualisierung anzusprechen, weil er im Zusammenhang mit Augmented Reality ein ähnliches Projekt bereits hatte. Und durch diese Zusammenarbeit war es dann möglich, dass die Geschichten heute tatsächlich am realen Ort, also an konkreten Gebäuden im TU Campus erkundet werden können und zwar mithilfe von unseren Dokumenten, also Stasi-Unterlagen, Fotos, Videomitschnitten und Tönen.
Dagmar Hovestädt: Herr Russig, jetzt müssen Sie vielleicht noch mal erklären, wer Herr Gumhold ist.
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Der Herr Gumhold, das ist mein Chef, das ist der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Computergrafik und Visualisierung.
Dagmar Hovestädt: Und jetzt fangen wir trotzdem noch mal kurz an der technischen Seite an. Sie stellen sich vor, Sie wollen die TU Dresden mit den Akten verbinden. Was sind denn da die ersten Schritte? Und was machen Studenten dann bei dieser ganzen Sache? Was ist deren eigentliche Herausforderung?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Das ist auch der Grund, warum wir da eigentlich Augmented Reality brauchten in der App. Weil wenn es darum geht, dass Studenten das als eine Studienleistung erbringen sollen bei uns, dann braucht man natürlich irgendwie die Brücke zur Computergrafik. Und ja, da waren es zwei, drei Sachen, die da reingespielt haben. Also zum einen hat ja Frau Fiebrandt schon gesagt, dass wir damals schon mal so ein Projekt mit dem Glasmuseum Weißwasser hatten. Da gab es also die Idee schon, was man da machen könnte. Das hat allerdings in vielerlei Hinsicht noch so ein bisschen Raum gehabt zur Verbesserung, so dass es sich auch natürlich sofort angeboten hat, das noch zu wiederholen und auch die neuen technischen Entwicklungen da noch zu nutzen, die es inzwischen seitdem gibt. Und ja, das war dann halt die Idee, dass die Studenten das noch mal versuchen sollten. Die anderen Aspekte, gerade die Einbindung der Informationen und Geschichten, die uns von dem Unterlagen-Archiv zugespielt wurden dafür, ist natürlich auch ein bisschen eine technische Herausforderung gewesen. Das war dann auch zumindest innerhalb der Informatik so ein bisschen interdisziplinär. Also da musste eine Server-Infrastruktur geschaffen werden, ein Kommunikationsprotokoll musste erarbeitet werden zwischen den Studierenden, die die App programmieren und denen, die die Backend Infrastruktur mit dem Server machen. Da ist es also doch einiges zusammengekommen, was da zu machen war. Und deshalb ist es, denke ich mal, auch ganz gut, dass wir so viele Studierende hatten, die sich tatsächlich interessiert haben für die App, weil sonst wäre es wahrscheinlich auch gar nicht machbar gewesen in der Zeit.
Dagmar Hovestädt: Wie viele waren das?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Also es waren anfangs neun, einer ist noch relativ zeitig abgesprungen. Das hat uns aber immer noch mit acht Studenten und Studentinnen zum Glück, muss man auch sagen, es waren also recht viele, die auch durchaus eine leitende Funktion für sich selbst gefunden haben und das vorangetrieben haben. Es hat uns auch sehr gefreut und das ist also recht viel. Üblicherweise haben wir so ja vier, fünf, sechs maximal, die sich für so ein Komplexpraktikum anmelden. Und da waren wir sehr positiv überrascht, dass das so großen Anklang gefunden hat.
Dagmar Hovestädt: Und das heißt also, man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass es einen Bereich gibt, wo Leute daran arbeiten, die Informationen zu programmieren und sie auf einem Server zu speichern und einen anderen Bereich, der die App wirklich auch in der User-Führung und wie man das dann macht, wie man die Informationen organisiert und wie das am Frontend, wo man das Gerät in der Hand hält, wo man da drauf guckt, dass das funktioniert. Das waren sozusagen die beiden großen Teilbereiche, an denen man programmieren musste.
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Genauso so ist es im Prinzip. Auch die Interoperationen dazwischen zwischen diesen beiden Teilen ist auch nicht ganz trivial. Also auch da gab es noch welche, die sich dann darauf spezialisiert hatten, dass das gut zusammen arbeitet und aber genauso wie Sie das gesagt haben, das war dann auch die tatsächliche Aufteilung.
Dagmar Hovestädt: Frau Fiebrandt, wenn so ein Projekt losgeht und die TU Dresden dargestellt werden sollte, kann man dann sozusagen die gesamte Zeit der DDR in den Blick nehmen? Gibt es für all diese Zeiten Unterlagen? Wie wählt man die eigentlich aus für eine App?
Dr. Maria Fiebrandt: Also unser Anliegen war von vornherein möglichst den gesamten Zeitrahmen der DDR abzudecken. 1946 wurde die Technische Universität, damals eine Hochschule, wiedergegründet. Da gab es natürlich noch keine Stasi. Aber natürlich gab es den Überwachungsbedarf, der eben durch andere Dienststellen abgesichert wurde. Aber mit der Gründung der Stasi setzt sozusagen auch die Beobachtungen, die Überwachung, ein, die sich dann in den Akten widerspiegelt. Und wir haben versucht anhand verschiedener Beispiele, also beispielsweise dem Studentenprozess von 1959 oder auch das 1968 Prager Frühling zu diesen Ereignissen passende Geschichten zu finden, die sich mit Gebäuden an der TU mit Personen verknüpfen lassen und so den gesamten Zeitraum der DDR abbilden. Wir haben natürlich ein Überlieferungsschwerpunkt in den 80er Jahren, aber ganz gezielte Recherche macht es eben auch möglich, dass wir eigentlich aus allen Jahrzehnten bis 1989, also bis kurz vor der friedlichen Revolution, kurz vor Mauerfall, verschiedene Fälle vorstellen konnten und unterschiedliche Stationen unterschiedliche Geschichten aus allen Jahrzehnten vorstellen.
Dagmar Hovestädt: Haben Sie schon ein bisschen angedeutet mit dem Jahr '68. Ein Jahr in dem Studenten auch sehr kritisch waren. Das scheint dann wohl so ein Motivationsfaktor für die Stasi gewesen zu sein, also die politische Orientierung von jungen Menschen an der Universität, die vielleicht auch ein bisschen kritischer auf den Staat schauen, da sich vorbeugend zu orientieren und dann eben auch das zu tun, was sie oft gemacht hat, nämlich inoffizielle Mitarbeiter zu rekrutieren und da einzuführen. Gibt es da ein schlagendes Beispiel aus der Zeit?
Dr. Maria Fiebrandt: Also wir haben eben beispielsweise das Jahr 1968 uns genauer angesehen und einen Fall gefunden, in dem sogenannte Hetzzettel, also Flugblätter, quasi verteilt wurden auf die Studenten der Elektrotechnik, die den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag, die Niederschlagung des Prager Frühlings thematisiert haben. Auf dem Hetzzettel stand dann beispielsweise "Invasion statt brüderlicher Hilfe". Also ein Aufruf sich mit den Vorgängen in Prag auseinanderzusetzen. Dresden ist ja nicht allzu weit von Prag entfernt, also auch einfach durch die regionale Nähe. Und die Stasi begann also diese Personen, die dann relativ schnell verhaftet wurden, intensiv zu befragen. Es erfolgte eine Exmatrikulation. Also der Student konnte sein Studium nicht fortsetzen. Und die Studierenden, aber auch die Dozenten und besondere Forschungsbereiche, die als sehr sensibel eingestuft wurden, unterlagen eben besonderer Beobachtung. Und dafür gründete die Stasi auch eine eigene Objektdienststelle. Also bis 1975 waren verschiedene Abteilungen, unterschiedliche Mitarbeiter für die Überwachung der TU zuständig. Ab 1975 gibt es dann eine eigene Objektdienststelle mit bis zu 25 Mitarbeitern und etwa 200 inoffiziellen Mitarbeitern, die dann das gesamte studentische Leben, den studentischen Alltag, aber auch natürlich die Lehrveranstaltungen, die Dozenten und Forschungsbereiche ganz gezielt überwachen und jede Menge Akten, jede Menge Informationen zusammentragen, die wir eben heute in diesem besonderen Bestand zu Objektdienststelle TU im Archiv haben.
Dagmar Hovestädt: Gab es einen bestimmten Grund ausgerechnet 1975 so eine Objektdienststelle einzurichten?
Dr. Maria Fiebrandt: Also vermutlich auch vor dem Hintergrund des Jahres 1968 und der Zunahme von Forschungsinstitutionen an der TU. Also die Technische Hochschule wurde mit relativ wenigen Instituten und Studierenden wiedergegründet. Aber bereits 1961 hatte die Hochschule, die dann zur Universität wurde, etwa 11.000 Studierende. Die Zahl der Sektion, der Fakultäten hat immer mehr zugenommen und es waren eben auch sehr sensible Forschungsbereiche hinzugekommen, also die Kerntechnik beispielsweise oder auch die Mikroelektronik, die dann Anfang der 80er Jahre ja deutlich an Bedeutung gewinnt. Und es da auch ein System-Wettstreit im Prinzip gibt und Spionage, die eine Rolle spielt, also da wird der Überwachungsbedarf, der Kontrollbedarf der Stasi sicherlich noch verstärkt.
Dagmar Hovestädt: Also die Sorge dafür, dass einer dieser Studenten das Erforschte irgendwie nach außen trägt oder dass vielleicht auch jemand sich da eingeschlichen hat und da Wissen mitnimmt, die kann man da in den Unterlagen durchaus ablesen.
Dr. Maria Fiebrandt: Genau, man kann in den Unterlagen die Überwachung gezielt oder auch relativ breit angelegt sehen, man kann aber auch die Repression in den Akten erkennen, also bändeweise Ermittlungsunterlagen. Wir haben Akten der Staatsanwaltschaft, in dem dann eben auch die Aburteilung der vermeintlichen Staatsfeinde sich nachvollziehen lässt.
Dagmar Hovestädt: Das ist ja eine ziemlich erstaunliche Zahl: 25 hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi und dann noch mal 200 inoffizielle Mitarbeiter, die sich da auf dem Campus unter den Studenten tummeln. War das denn den Studenten damals bewusst, dass die Stasi doch gar nicht mal so, ich meine, es ist eine große Anzahl von Studenten, trotzdem ist es auch nicht wenig, was die Stasi da an Personal eingebracht hat? War denen das bewusst? Haben die das gemerkt, dass die Stasi da vor Ort war?
Dr. Maria Fiebrandt: Also das war ganz interessant. Als wir am 19. Oktober unsere App gestartet haben mit einem Live-Rundgang vor Ort, im TU Campus und einige Stationen vorgestellt haben, waren einige Zeitzeugen dabei. Unter anderem eben auch der Leiter des Bärenzwingers, also eines Studentenclubs, auch eine Station in der App, der dann davon berichtete, dass er vorgeladen wurde und in einem Gebäude, mehrere Treppen im oberen Zimmer, dann auch befragt wurde. Und die Zeitzeugen waren dann ganz überrascht, dass es nicht ein festes Büro der Stasi gab. Also sie hätten eine stärkere Präsenz vor Ort erwartet, aber so unterschwellig oder auch teilweise ganz direkt, hat man die Überwachung durch die Stasi schon mitbekommen. Zumindest war das der Eindruck, den die Zeitzeugen vermittelt haben.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, die Objektdienststelle war nicht wirklich ein Gebäude irgendwo?
Dr. Maria Fiebrandt: Die Objektdienststelle ist quasi nur ein Teilbereich, der an die Bezirksverwaltung in Dresden angegliedert war. Die Diensträume befanden sich in der Bezirksverwaltung, also die hauptamtlichen Mitarbeiter saßen auf der Bautzener Straße in Dresden, genauso wie die anderen Abteilungen der Bezirksverwaltung. Und im TU Gelände gab es dann aber verschiedene konspirative Wohnungen, wo die Mitarbeiter sich dann mit inoffiziellen Mitarbeitern oder auch mit dem Offizier im besonderen Einsatz, den es auch gab, getroffen haben.
Dagmar Hovestädt: Benjamin Russig, haben die Studenten, die an der App gearbeitet haben, hatten die eine Vorstellung davon oder war das für die auch alles komplett neu diese Geschichte so zu erfahren?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, also tatsächlich war das für die allermeisten davon komplett neu, weil man muss sagen, wir hatten einen überwiegenden Teil außereuropäische Studenten. Die wussten so ein bisschen, da gab es mal Ost- und Westdeutschland, aber so wirklich eine Vorstellung hatten die nicht, was das bedeutet. Und ich denke auch, dass die Thematik vielleicht beigetragen hat zu der hohen Studierendenzahl, die wir da hatten, weil wir haben uns auch Mühe gegeben gegeben, dass so ein bisschen spannend zu bewerben. Und es scheint gefruchtet zu haben. Oft war vorher gar keine so richtige Vorstellung von der Diktatur in Ostdeutschland da. Also wir hatten zum Beispiel auch relativ viele Studenten aus Indien und Indonesien und die waren sehr überrascht, dass es hier so lange nach dem Zweiten Weltkrieg noch so totalitär zuging. Also gerade die indischen Studenten, deren Eltern sind auch schon in einer Demokratie groß geworden. Und die haben von Deutschland ja eine relativ hohe Meinung und das kam für die schon überraschend, muss man sagen. Ja, also so ein bisschen Interesse an der Thematik gab es auf jeden Fall bei den Studierenden muss man an der Stelle aber vielleicht auch sagen, das ist natürlich das Hauptinteresse eher den technischen Aspekten galt.
Dagmar Hovestädt: Und Sie selber haben ja gesagt, mit Stasi-Akten und der Geschichte haben Sie sich so noch gar nicht beschäftigt. War das für Sie dann trotzdem, was interessant ist und was neu ist?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, also auf jeden Fall. Also schon alleine die Geschichten von der Universität selbst, die fand ich hochinteressant. Hab mich auch dabei ertappt, wirklich länger in der App herum zu stöbern und mir die Sachen durchzulesen. Ansonsten, also ich weiß zum Beispiel von meinem Vater, dass er wohl eine Stasi-Akte hat, aber er hat gesagt, er wollte sich das dann auch nie weiter angucken. Und das ist aber dann schon der ja der größte Berührungspunkt, den ich damit hatte. Und natürlich fand ich auch die Führungen, die wir bekommen haben von der Frau Fiebrandt im Archiv extrem interessant, damals als das Projekt anlief.
Dagmar Hovestädt: Wir gehen gleich auch auf die App ein. Ich habe noch eine Frage noch dazu: Können Sie das, was Sie über das Studentenleben damals unter der Beobachtung der Stasi erfahren auch mit dem Studentenleben heute in Beziehung setzen?
Dr. Maria Fiebrandt: Also durch die Augmented Reality kann man, glaube ich, schon ganz gut sich in diese Zeit zurückversetzen. Durch dieses Schwarz-Weiß-Foto, was sich dann aufbaut. Und anhand der Dokumente, die ja zeitgenössisch sind, also aus dieser Zeit stammen, kann man die Geschichte, die dann zu diesem Zeitpunkt stattfand, glaube ich schon ganz gut rekonstruieren, sich vielleicht sogar ein Stück weit hineinversetzen.
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ich habe auch gerade noch mal nachgesehen. Also wir haben natürlich durch Google hier hervorragende Analyse-Möglichkeiten - kann Fluch und Segen sein, in unserem Fall ist es Segen - und da sieht es eigentlich ganz gut aus. Ich sehe, dass wir eine Installations-Basis von 156 haben. Das heißt also, auf 156 unterschiedlichen Geräten ist die App installiert und wird wohl auch genutzt. Im Schnitt etwa eine halbe Stunde pro Installation wurde die App bisher verwendet. Ja, ist klar, es ist nicht davon auszugehen, dass jemand jetzt den ganzen Campus abschreitet. Aber wir haben auch schon zumindest eine 5-Sterne Bewertung, zu der sich ein Nutzer hat hinreißen lassen. Allerdings noch keine Rezensionen. Also an individuellem Feedback haben wir da jetzt noch nichts, aber das ist eigentlich für so eine kleine App, die jetzt auch nicht groß beworben wird schon recht gut, würde ich sagen.
Dagmar Hovestädt: Gibt es die auf Android und auf iPhone-Basis?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, das ist ein guter Punkt. Also aktuell nur auf Android Basis. Allerdings wir haben die von Anfang an auch mit Hinblick auf Apple-Geräte entwickelt und es funktioniert da auch. Wir haben allerdings überraschenderweise echt Probleme es auf den Apple Store zu bekommen, weil - da ist Apple selbst nicht unbedingt das Problem, es sind vielleicht eher auch die Strukturen an der Universität - weil wir brauchen ein Developer-Account, um das machen zu dürfen und der kostet etwas und es ist bezahlbar nur über Kreditkarte. Und das ist schwierig. Wir sind zurzeit gerade noch dabei, die Zuständigkeiten zu klären, wie wir diesen Account überhaupt beziehen können, ob das jetzt die Beschaffungsstelle macht oder unser Zentrum für Informationsdienste. Das wissen wir noch nicht ganz so genau. Es gibt ja auch die Möglichkeit eines kostenlosen Developer-Accounts für Bildungseinrichtungen. Aber auch das ist sehr kompliziert und mit viel Bürokratie verbunden. Das checken wir unabhängig davon auch noch. Also wir hoffen, dass es bald auf Apple-Geräten verfügbar ist, aber ich kann da jetzt aktuell leider noch keinen Zeitrahmen nennen.
Dagmar Hovestädt: Muss man denn in Dresden sein, um die App wirklich auch gewinnbringend zu nutzen?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Also ich würde sagen schon, weil das ist ja gerade die zweite Hauptsäule sozusagen der App, eben der Augmented Reality Modus und der geht natürlich nur vor Ort. Mit vielleicht einer Ausnahme, kann ich gleich noch sagen. Aber die Informationen sind natürlich trotzdem von überall her abrufbar. Also es gibt die Möglichkeit, entweder auf der interaktiven Karte, die man als erstes sieht, wenn man die App aufmacht, auf die Orte sozusagen zu klicken und dann sieht man direkt alles, was an diesem Ort an Informationen hinterlegt ist. Oder man kann auch einfach in die Galerieansicht gehen und sich da alles anschauen, was einen interessiert. Ja, und wir haben einen Eintrag auch zur Objektdienststelle, der jetzt nicht direkt mit einem Gebäude verknüpft ist. Und da gibt es einen alten Lageplan dazu, der auch in Augmented Reality funktioniert und das kann man überall machen. Da wird dann einfach in dem Gerät virtuell vor einem ein Tisch platziert und auf dem liegt die Karte und da kann man dann drum herumlaufen und sich das genau anschauen. Also das funktioniert von überall.
Dagmar Hovestädt: Frau Fiebrandt, Sie haben gesagt, es gibt mehrere Stationen und man könnte sogar einen ganzen Rundgang machen. Also wie soll man sich das vorstellen? Was sind denn diese 16 Stationen? Was haben Sie sich da ausgesucht und was passiert dann, wenn man die mit der App sozusagen abwandert oder da hingeht, wie stellt sich das auf meinem Handy dar?
Dr. Maria Fiebrandt: Wir haben insgesamt 16 Stationen, die erkundet werden können. Das ist kein festgelegter Rundgang, sondern man kann selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge und welche einzelnen Stationen man kennenlernen möchte. Sie sind über den gesamten Hauptcampus verteilt. Wir haben sogar zwei Außenstationen sozusagen. Also den Studentenclub Bärenzwinger, der ist ein Stück weg und den Informatik-Standort haben wir noch dazu genommen, der ist auch nicht im Campus. An diesen 16 Stationen kann man also unterschiedlichste Aspekte kennenlernen. Wir haben versucht inhaltliche Schwerpunkte zu bilden. Also neben den Hintergrundinformationen, was hat die Stasi an der TU gemacht, also "Stasi vor Ort", haben wir beispielsweise sensible Forschungsbereiche näher in den Blick genommen. Dazu gehört unter anderem die Kernforschung, die ab 1955 hier in Dresden an der TU auch beheimatet war und mit der spannende Geschichten in Verbindung stehen. Es gibt da die Verbindung zum Zentrum für Kernforschung in Rossendorf und dem dortigen Leiter Heinz Barwich oder zum Atomspion Fuchs, der andere in Dresden auch ein Lehrauftrag hatte. Andere sensible Forschungsbereiche sind die Mikroelektronik, die eben gerade in den 80er-Jahren dann ja auch zunimmt. Es sind aber auch Themen, die eher alltagsgeschichtlich ausgerichtet sind. Also überwachte Freizeit heißt das bei uns, da geht es um studentisches Wohnen, also Wohnheime beispielsweise oder eben der Studentenclub Bärenzwinger. Aber auch das politische Bewusstsein haben wir in den Blick genommen, also die sozialistische Persönlichkeit, die erzogen werden sollte. Nicht nur im Studium, also mit den Inhalten des Studiums, sondern eben auch im Alltag. Mit Hilfe von bestimmten Wohnheimordnungen oder Überwachung des studentischen Alltages. Es gehört letztlich da auch die Gedenkstätte Münchner Platz dazu, die direkt an die Universität angegliedert war und die den Antifaschismus, den symbolischen, den zelebrierten Antifaschismus in der DDR abbildet. Im Hinrichtungsstätte bis 1945, daran wurde erinnert, dass auch bis 1952 die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR dort befand, wurde natürlich zu DDR-Zeiten nicht thematisiert. Und dann natürlich auch der Themenschwerpunkt feindliches Verhalten. Also inwieweit wurde oppositionelles Verhalten verfolgt, eben zum Beispiel der Studentenprozess von 1959 fällt in diese Kategorie und auch das Jahr '89 ist vertreten mit einer Station, in der ein Aushang vorgestellt wird, wo zur Mitarbeit im Neuen Forum aufgerufen wird.
Dagmar Hovestädt: Wofür wurden die Studenten 1959 verurteilt?
Dr. Maria Fiebrandt: Wegen staatsfeindlicher Handlungen. Der Vorwurf bestand in der Vorbereitung eines Putsches, eines Staatsstreichs sozusagen. Die Forderung, die laut wurden, waren Pressefreiheit, Meinungsfreiheit. Und es hatte sich eine Gruppe gebildet, die auch konzeptionell, also auch inhaltlich sich Gedanken machte, wie die der neue Staat oder ein anderer Staat aussehen könnte. Die Gruppe wird dann durch inoffizielle Mitarbeiter verraten und angeklagt. Es kommt zu einem öffentlichkeitswirksamen Prozess und die Studierenden können ihr Studium nicht fortsetzen. Sie werden sogar inhaftiert, also erhalten Haftstrafen.
Dagmar Hovestädt: Hört sich so an, als könnte man auch die ganze komplexe Geschichte, die Kompliziertheit von Geschichte, die verschiedenen Aspekte selbst in so einer App in Erfahrung bringen. Da stellt man sich dann so vor, dass man die App eben vor das Gebäude hält und dann kann man aber Unterlagen auch in der App zu dem gleichen Gegenstand auf der App sich anschauen in seinem Handy?
Dr. Maria Fiebrandt: Genau. Also es baut sich im Prinzip zunächst das historische Bild auf, mithilfe der Augmented Reality. Und dann hat man die Möglichkeit, durch einfaches Scrollen nach unten, die Geschichte, die sich mit diesem Gebäude verbindet, zu erkunden. Wir haben also Stasi-Dokumente, die Bezug nehmen auf das konkrete Ereignis. Wir haben Filmsequenzen an einigen Stationen, aber auch Fotomaterial und Begleittexte, die diese Dokumente dann einordnen. Und je nach Interesse kann man sich mehr oder weniger intensiv mit den einzelnen Geschichten beschäftigen.
Dagmar Hovestädt: Herr Russig, Frau Fiebrandt, ich habe eine Frage noch mal nach ausländischen Studenten. Da haben wir vor einiger Zeit in unserem Podcast schon mal jemanden gehabt, der das richtig erforscht hat, wie die Stasi unter den Studierenden in der DDR an den Universitäten sich internationale Studenten gesucht hat, um über die auch quasi IM und Informanten zu gewinnen, die dann über diese Heimatländer berichten. Ist das in Dresden auch der Fall gewesen, dass die Stasi sich sehr stark bei internationalen Studenten bedient hat?
Dr. Maria Fiebrandt: Also wir haben in Dresden tatsächlich viele internationale Studierende gehabt, die in einem separaten Wohnheim untergebracht waren. Und dieses Wohnheim haben wir auch als Station in der App integriert. Es sind Wohnheimleiter, die sozusagen auf die Studierenden angesetzt werden. Und im Einzelnen kann es durchaus sein, dass auch die Herkunftsländer von Interesse für die Stasi waren. Aber alle Bereiche und damit auch das Wohnheim für die ausländischen Studierenden waren quasi von IMs durchsetzt. Und im Bedarfsfall - also die Stasi wurde ja zum Teil auch nicht nur vorbeugend, sondern eben auch in ganz konkreten Anlass tätig - in diesem Bedarfsfall konnte die Stasi relativ schnell die Informationen bekommen, die sie haben wollte.
Dagmar Hovestädt: Und die App ist auf Deutsch, oder?
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Die App ist zweisprachig. Das wäre sie vielleicht auch nicht gewesen, wenn wir nicht zu viele ausländische Studierende gehabt hätten. Man kann jederzeit zwischen Deutsch und Englisch umschalten.
Dagmar Hovestädt: Und dann haben wir die Stasi-Unterlagen auch übersetzt aufs Englische?
Dr. Maria Fiebrandt: Die Stasi-Unterlagen haben wir nicht transkribieren können, also die sind im deutschen Wortlaut. Die Dokumente sprechen ja ein Stück weit dann auch für sich. Durch den Aufbau, durch Stempel, durch handschriftliche Vermerke, durch Fotos. Also die Texte sind erläuternd in Englisch, die Dokumente sind in Deutsch.
Dagmar Hovestädt: Na dann danke ich bis hierhin sehr für die Erklärung und spannenden Geschichten aus dieser App. Man müsste, glaube ich mal, selber mal wieder nach Dresden fahren, um sie vor Ort auch auszuprobieren. Ich wünsche der App viel Erfolg und danke Ihnen beiden für ein spannendes Gespräch.
Dr. Maria Fiebrandt: Danke.
Dipl. Inf. Benjamin Russig: Ja, vielen Dank und auch Ihnen alles Gute.
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Maximilian Schönherr: Sie hörten ein Gespräch mit Dr. Maria Fiebrandt, Historikerin im Stasi-Unterlagen-Archiv in Dresden und dem Informatiker Benjamin Russig von der TU Dresden über die App "Geheim! - Die TU Dresden in den Stasi-Akten".
Dagmar Hovestädt: Unser Podcast endet immer mit einem akustischen Einblick in den riesigen Audiopool des Stasi-Unterlagen-Archivs. Wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang mit dem aktuellen Podcast-Thema.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Die Leipziger Messe stand zweimal im Jahr im besonderen Fokus der Aufmerksamkeit der Stasi. Und das Firmenvertreter aus der Bundesrepublik Informationen lieferten, war keine Seltenheit, einige über Jahre. So werden wir Ohrenzeugen eines Treffens zweier MfS-Mitarbeiter mit einem solchen IM, einem Inoffiziellen Mitarbeiter.
[Archivton]
[männlicher Sprecher 1:] Gleich von vornherein erstmal was ganz Wichtiges: Kritik ist ja bei dir erlaubt?
[männlicher Sprecher 2:] Joa.
[männlicher Sprecher 1:] Das hat 'ne böse Sache gegeben. Bei uns schräg gegenüber war'n Stand, der, also für uns, undefinierbar war.
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Da tauchte bereits am Sonntagabend das erste Gerücht auf. Das ist - Entschuldigung, wenn ich das so so so lapsus hersage, ne? - Und das ist-, ist-, ist ein Stützpunkt von der Staatssicherheit.
[männlicher Sprecher 2:] Aha.
[männlicher Sprecher 1:] Wenn ich dir persönlichen Rat geben darf, in der Richtung, ne? Das kannste ja sicher überprüfen, ob das so-, ob das so ist oder nicht-
[männlicher Sprecher 2:] Gibt's ne Standnummer?
[männlicher Sprecher 1:] Standnummer kann ich nicht dir sagen. Warte mal, wir hatten 327-
[männlicher Sprecher 2:] Wenn des gegenüber is-
[männlicher Sprecher 1:] Schräg gegenüber von uns, ne.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Und der, jedenfalls- Also am Sonntag - ähm - Mittag kam auf einmal das Gerücht auf, dass ist'n - äh - Stützpunkt von euch? Ja?
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Und - äh - hab ich gesagt: Kann ich mir nicht vorstellen und so und ne? Ich hab's erstmal abgewiegelt, ne. Und da hab ich gedacht: Na ja - und-, und das wurde-, also dieses Gerücht verdichtete sich immer mehr und - aber ein Rat von mir: Wenn das wirklich so ist-
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Wesentlich bessere Tarnung, ja? Ne?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, nee. Also erst mal muss ich dir sagen: Es ist selbstverständlich-
[männlicher Sprecher 1:] Ja, des-
[männlicher Sprecher 2:] -das ist die Staatssicherheit.
[männlicher Sprecher 1:] Ja, das ist klar.
[männlicher Sprecher 2:] Das ist mir vom Sicherungsstandpunkt her auf der Messe präsent ist, Punkt.
[männlicher Sprecher 1:] Das, ja. Gut.
[männlicher Sprecher 2:] Insofern verwundert es mich erst mal nicht.
[männlicher Sprecher 1:] Hmhm.
[männlicher Sprecher 2:] Äh - Ich weiß ni- Hatten die irgendwie nicht 'ne Tarnbezeichnung dran oder sowas?
[männlicher Sprecher 1:] Da gab's eben nichts.
[männlicher Sprecher 2:] Gar nichts?
[männlicher Sprecher 1:] Und-, und das ist was-, was so-, so-, so Doofkis.
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Das hat stutzig gemacht. Die hatten ein paar Bilder von irgendwelchen Industrieanlagen dranhängen.
[männlicher Sprecher 2:] Aha, Aha.
[männlicher Sprecher 1:] Ne?
[männlicher Sprecher 2:] Denkbar ist das schon für mich, denn guck mal, die-, die Leute, die bei uns die Volkswirtschaft absichern, müssen natürlich auch mit auf der Messe sein.
[männlicher Sprecher 1:] Ja, das ist-, das ist-, das ist mir alles klar. Nein, ich meine eben deshalb das nur als Rat, nich. Wenn - ja? - dann finde ich - äh - äh - also auch-
[Geräuschvolles Türschließen]
[männlicher Sprecher 3:] Verflixt, habe ich es doch nich geschafft.
[Lachen]
[männlicher Sprecher 2:] Ja, mein Lieber, wenn der Weg lang ist, muss man schneller laufen.
[männlicher Sprecher 3:] Muss man schneller laufen, das stimmt.
[männlicher Sprecher 1:] [Unverständlich, Überlagerung der Stimmen]. Nee, und das eben wie gesagt. Also - äh -, du kannst das ja sicher eruieren, ne?
[männlicher Sprecher 2:] Das lässt sich feststellen, ja. Bloß-, bloß, ich nehme an, die-, die Leute werden sie gar nicht groß was draus machen. Natürlich werden die mir sagen, wenn es stimmt, haben wir-, haben wir-, haben wir diesen Stand belegt. Wir haben ja auch kein Gewese daraus gemacht. Wir haben nicht drangeschrieben, wir sind Krupp.
[männlicher Sprecher 1:] Na ja, nein.
[männlicher Sprecher 2:] Wenn ich dich richtig verstehe.
[männlicher Sprecher 1:] Ja.
[männlicher Sprecher 2:] Haben se sich denn ordentlich benommen?
[männlicher Sprecher 1:] Was?
[männlicher Sprecher 2:] Haben se sich denn ordentlich benommen oder waren sie gar nicht so [unverständlich]?
[männlicher Sprecher 1:] Da war - äh - das ist das auch, was se über dieses Gerücht, so-, so - ich will nicht sagen, verbessert hat oder was, ne? - Aber da war also kaum Betrieb dran, das merkst du doch bei der Messe, ne?
[männlicher Sprecher 2:] Joa.
[männlicher Sprecher 1:] Ab und zu ist da einer reingegangen, da war 'ne Tür drinne, nich, und dann waren die dann in diesem Kabäuschen verschwunden, ne.
[männlicher Sprecher 2:] Joa.
[männlicher Sprecher 1:] Nich. Und da-, und da-, und du weißt doch, so wie unsere sind, nich? [unverständlich] Maul auf Deutsch, wie die Hessen so schön sagen, ne?
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."