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Zwei Männer zwischen zwei Autos stehend

Die Überwachung vietnamesischer Vertragsarbeiter in Ost-Berlin

Die DDR warb seit den 60er Jahren für verschiedene Industriebereiche zeitlich befristet Vertragsarbeiter aus dem sozialistischen Ausland an. Ein Großteil der Arbeitskräfte kam aus der Sozialistischen Republik Vietnam. In Ost-Berlin überwachte die Stasi die Arbeiter u. a. in Hinblick auf den wachsenden Schwarzmarkt und Schmuggel von "Spekulationswaren".

In den Kombinaten Ost-Berlins arbeiteten Ende der 1980er-Jahre mehr als 200 000 Personen, etwa im Glühlampenwerk in Friedrichshain oder in der Elektrokohlefabrik in Lichtenberg.
Die Staatssicherheit war in all diesen Produktionsstätten von Beginn an präsent: zur Bekämpfung von Sabotage, Spionage oder Geheimnisverrat, von Wirtschaftsstraftaten wie Planmanipulation oder von Verstößen gegen die Werksordnung. Auch die Verhandlungen mit westlichen Unternehmen überwachte sie.
Ein spezielles Überwachungsfeld der Geheimpolizei stellten die ausländischen "Vertragsarbeiter" dar. Ost-Berlin zählte 1988 über 14 000 Arbeitskräfte aus dem sozialistischen Ausland. Sie wurden in nahezu allen Branchen benötigt und eingesetzt. "Abgesichert" wurde dieser Einsatz nicht zuletzt von der Linie XVIII des MfS, die besonders auf »pro-westliche Einstellungen« oder politische Aktivitäten achtete. Die übergeordnete Koordination übernahm die Arbeitsgruppe "Ausländer" der Hauptabteilung II (Spionage).
Die mit Abstand größte Gruppe kam aus Vietnam. Im Mai 1989 waren es fast 5 000 Menschen. Sie mussten meist einfache und unbeliebte Anlerntätigkeiten verrichten, in der Regel zu Niedriglöhnen und im Schichtdienst. Die DDR-Regierung hatte an einer Integration keinerlei Interesse, sorgte vielmehr für eine weitgehende Abschottung der ausländischen Arbeitskräfte.

 

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Vom vietnamesischen Staat beauftragt, die Landsleute daheim mit Devisen und Konsumgütern zu versorgen, waren die Vertragsarbeiter auch neben ihrem offiziellen Einsatz wirtschaftlich aktiv: mit selbst produzierten Waren, aber auch mit Produkten wie Videorekordern, Autoradios oder Kosmetika, die mit Unterstützung vietnamesischer Botschaftsmitarbeiter aus West-Berlin eingeschmuggelt wurden.
Die Staatssicherheit erkannte in diesen Nebengeschäften in erster Linie Straftaten und Sicherheitsrisiken. Und sie befürchtete wachsende Spannungen angesichts des Schwarzmarktangebotes und der schlechten Versorgungslage mit Konsumgütern im Land. Mit allen Mitteln versuchte sie, den Handel zu unterbinden.

Im Sommer 1987 stieß die Stasi auf einen groß angelegten Schmugglerring, zwanzig vietnamesische Vertragsarbeiter sowie Angehörige der Botschaften Vietnams, Pakistans und Guineas waren involviert. Letztere lieferten "unter Missbrauch der Kontrollbefreiung an den Grenzübergangsstellen", so die Stasi, "Spekulationswaren" im Wert von mehreren Millionen DM nach Ost-Berlin und in die DDR. Die Stasi identifizierte die beteiligten Personen, belauschte ihre Absprachen im Palasthotel und im Café "Rendezvous" in den Rathauspassagen und setzte Agenten als Schein-Kunden ein. Besonders ins Visier nahm sie einen Techniker der Humboldt-Universität. Sie eröffnete gegen diesen führenden Kopf des Schmugglerrings den Operativen Vorgang "Kassette", verwanzte seine Wohnung, überprüfte seine Nachbarn und Verwandten und observierte seine Treffen mit Lieferanten. Die von der Stasi beschafften Informationen führten im Juni 1988 zu einem offiziellen Ermittlungsverfahren der Zollverwaltung. Das Gericht verurteilte den Techniker und drei weitere Personen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. Einige Botschaftsmitarbeiter mussten die DDR verlassen. Eine weitere Konsequenz des Falls war, dass den An- und Verkaufsläden im Land ab März 1988 der Handel mit Heimelektronik untersagt war.

Trotz allem hatten die Sicherheitsorgane Mühe, den schnell wachsenden Schwarzmarkt einzudämmen. Resigniert musste die ZAIG daher im September 1989 feststellen: "Der Ausländereinsatz ist nicht mehr beherrschbar".

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Publikation

Stasi in Berlin

Die DDR-Geheimpolizei in der geteilten Stadt

Die Länderstudie "Stasi in Berlin" dokumentiert die Geschichte der Staatssicherheit in der ehemaligen "Hauptstadt der DDR" unter regionalhistorischer Fragestellung.