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Akten im Stasi-Unterlagen-Archiv

Lesben im Visier der Staatssicherheit

Die DDR-Geheimpolizei stufte Zusammenschlüsse homosexueller Menschen als "feindlich-oppositionelle Gruppen" ein. Sie setzte gezielt auf IMs, um mehr über diese Szene zu erfahren und um gegen sie vorzugehen.

Die Leipziger Filmemacherinnen Barbara Wallbraun und Claudia Max arbeiten seit zwei Jahren an einem Dokumentarfilm über "Lesben in der DDR". Im Zuge ihrer Recherchen nahmen sie auch im Stasi-Unterlagen-Archiv Leipzig Einsicht in Akten des MfS. Aus ihnen geht hervor, wie die DDR-Geheimpolizei versuchte, lesbische Gruppen durch weibliche IMs auszuhorchen und zu zersetzen.

Die DDR-Geheimpolizei stufte Zusammenschlüsse homosexueller Menschen als "feindlich-oppositionelle Gruppen" ein. Sie setzte gezielt auf IMs, um mehr über diese Szene zu erfahren und um gegen sie vorzugehen. Daher widmeten die Forscherinnen der Frage besondere Aufmerksamkeit, wie der Stasi die Anwerbung von Spitzeln im Kreis homosexueller Frauen gelang.

"Julias" berichteten über intime Details

Innerhalb von Schwulen-Gruppen baute die DDR-Staatssicherheit vor allem auf männliche "Romeos", die Liebschaften vortäuschten. Sie sollten als "Lockmittel" Informationen beschaffen. Ähnlich ging sie unter Lesben vor. "Gab es das weibliche Pendant zu 'Romeos' in Form von 'Julias'?" lautete die Ausgangsfrage von Barbara Wallbraun bei ihrem Vortrag am 29. Januar 2015 im Stasi-Unterlagen-Archiv Leipzig.

Der Alltag lesbischer Frauen in der DDR war reich an Schwierigkeiten. Zum einen trauten sich viele nicht, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Zum anderen gab es lange Zeit keine Treffpunkte im öffentlichen Raum. Sie entstanden erst in den achtziger Jahren unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche.

Die Staatssicherheit hatte allerdings weniger ein Problem mit der sexuellen Orientierung der einzelnen Personen. Eine Inoffizielle Mitarbeiterin sprach sogar zum ersten Mal über ihre Homosexualität mit einem hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, fand Barbara Wallbraun beim Studium von Stasi-Akten heraus. Allerdings stufte das MfS die organisierte Interessenvertretung lesbischer Gruppen und deren länderübergreifende Vernetzung als eine Bedrohung für die streng geordnete sozialistische Gesellschaft ein.

Wie tiefgreifend die Bespitzelung reichte, veranschaulichte Barbara Wallbraun am Beispiel einer Informantin namens IM "Anne Frank". Sie begann ihre Spitzeltätigkeit 1981 in einer Zwickauer Frauengruppe. Zielstellung der Staatssicherheit war die "Zersetzung der Gruppe", entsprechend der in der Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV) festgelegten Strategien zur Verunsicherung, Verleumdung und Spaltung oppositioneller Zirkel. "Anne Frank" nutzte ihre vielfältigen Kontakte in dieser Szene für das MfS gewissenlos aus. Sie berichtete über Vorlieben, Vorhaben und Ansichten der ihr bekannt werdenden Frauen und beschrieb detailliert ihre Treffen mit ihnen.

Richtlinie 1/76 zur Bearbeitung Operativer Vorgänge

Die Richtlinie 1/76 regelte das geheimpolizeiliche Vorgehen der Stasi gegen politische Gegner in Operativen Vorgängen (OV). Ausgangspunkt dafür waren zumeist Hinweise auf strafrechtlich relevante Verstöße gegen DDR-Recht. Das MfS) ermittelte daraufhin gegen die betreffende Person und erkundigte sich über familiäre Umfeld sowie den Freundes- und Kollegenkreis und holte weitere Informationen ein.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Die Erfahrungen von Dr. Ursula Sillge

Auch Dr. Ursula Sillge stand im Visier der Stasi. Bei ihrer privaten Akteneinsicht stieß sie auf mehr als ein Dutzend Stasi-Spitzel, die über sie berichteten. Ursula Sillge hatte 1985/86 den "Sonntagsclub" in Berlin gegründet - einen kirchenunabhängigen Raum für den Austausch und die Interessenvertretung homosexueller Menschen. Im Jahr 1991 veröffentlichte die Kulturwissenschaftlerin ein erstes Buch über ihre Erfahrungen: "Un-sichtbare Frauen - Lesben und ihre Emanzipation in der DDR".

Um Ursula Sillge zu diskreditieren, ließ das MfS Gerüchte über eine angebliche Spitzeltätigkeit und SED-Parteimitgliedschaft der engagierten Frauenrechtlerin streuen. Im Leipziger Zeitzeugengespräch schilderte sie nun ihren mühseligen Kampf für mehr Toleranz des Staats gegenüber dem "Sonntagsclub", der im Frühsommer 1988 beinah gescheitert wäre. Die Stasi hatte Intrigen und gezielt lancierte Gerüchte gegen die Leiterin forciert.

Zur Zersetzung einzelner Lesben-Gruppen wandte die Stasi vielfältige Strategien an. Einige dieser Maßnahmen erlebte auch Dr. Ursula Sillge. Ihre Telefongespräche wurden abgehört, ihre Kontakte zu anderen Personen überwacht, sie wurde diskreditiert und mehrfach von MfS-Mitarbeitern einschüchternd verhört. Trotz allem beschrieb sie humorvoll ihre ersten selbstbewussten Schritte, um Kontakt zu anderen lesbischen Frauen zu finden. Sie wandte sich zur Partnersuche direkt an die "Ehe- und Sexualberatung" in der DDR, ein damals höchst ungewöhnlicher Schritt.

Derzeit arbeitet sie am Aufbau eines "Lila Archivs". Im Mittelpunkt dieses Archivs soll die Würdigung besonderer Leistungen engagierter Frauen stehen. Auch über die Situation lesbischer Frauen in der DDR will sie dort informieren. In der abschließenden Fragerunde interessierten sich Besucher insbesondere für die Folgen ihrer Stasi-Überwachung. Dr. Ursula Sillge verwies dabei auch auf die wirtschaftlichen Konsequenzen, die sie bis heute zu tragen habe. So habe ihr der SED-Staat eine Promotion gezielt verwehrt.

Flyer des Berliner "Sonntags-Club".