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Das sichergestellte U-Boot

Mit dem U-Boot durch die Elbe

An einem eisigen Wintermorgen im Jahre 1976 ereignete sich an der Elbe, in der Gegend von Wittenberge in Brandenburg, eine dramatische Szene. Arbeiter entdeckten ein zylinderformiges Etwas im Fluss, das an ihnen vorbei treibt. Das Treibgut entpuppte sich schließlich als U-Boot, darin ein Ehepaar, das in dem selbstgebauten Gefährt die Flucht in den Westen gewagt hatte.

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Zunächst schien dieser Februartag wie jeder andere: Arbeiter des Wasserstraßenbauamtes waren damit beschäftigt ein Frachtschiff zu entladen und achteten kaum auf das Treiben an der Elbe. In einer Pause zogen sich die Kollegen zum Aufwärmen in das Steuerhaus zurück, während ihre Blicke über das Wasser der zum Teil vereisten Elbe wanderten.

In einiger Entfernung trieb ein dunkler Gegenstand durchs Wasser, der nach einem fassähnlichen Behältnis aussah. Da aber treibende Gegenstände in der Elbe nichts Außergewöhnliches sind, spekulierten die Kollegen nur kurz über dessen Identität und Herkunft, bevor sie dann wieder ihren eigenen Gedanken nachhingen.

Wenig später trieb dieser Gegenstand allerdings unmittelbar an dem Schiff der Arbeiter vorbei, und nun sahen sie, dass sich auch Tauwerk an ihm befand. Diese Feststellung überraschte die Kollegen und sie beschlossen, sich das ganze genauer anzuschauen. Als sie mit ihrem Boot näher heranfuhren, stellten sie mit Erstauen fest, dass der Behälter mit einer Luke versehen war, die nun offen stand. Ihre Überraschung war perfekt, als sie in der Öffnung das Gesicht eines Mannes erblickten. Offensichtlich handelte es sich bei diesem Gegenstand nicht um ein treibendes Fass, sondern um eine Art Wasserfahrzeug – und vermutlich um das ungewöhnlichste Wasserfahrzeug das ihnen je untergekommen war.

Spektakulärer Fluchtversuch im eisigen Fluss

Die Arbeiter des Wasserstraßenbauamtes waren so verdutzt, dass sie den Mann dieses Gefährts nur fragten, wo er denn hinfahren wolle. Dieser jedoch antwortete nur: "Da vorn ist noch jemand drin." Nun wurden die Kollegen hellhörig und forderten den Mann auf an Bord ihres eigenen Schiffes zu kommen. Die ganze Sache schien ihnen sehr undurchsichtig und sie verständigten die Wasserschutzpolizei, die kurze Zeit später eintraf und sich der Situation annahm.

Zu ihrer großen Überraschung stellte sich heraus, dass sie soeben einen der wahrscheinlich spektakulärsten Fluchtversuche in der Geschichte der DDR aufgedeckt hatten. Denn die Personen an Bord des merkwürdigen Gefährts waren Eheleute, die versucht hatten mit einem selbst gebauten U-Boot die DDR auf dem Weg durch die Elbe zu verlassen.

Dieser Plan war so originell, dass er wahrscheinlich auch funktioniert hätte, wenn das Schicksal nicht eingegriffen hätte.

Sechs Jahre Vorbereitung

Als die Eheleute 1967 den Entschluss zur Flucht fassten, begann der Mann, ein gelernter Ingenieur für Wärmetechnik, mit dem Studium von Fachliteratur zum Bau von Tauchbooten und deren Wasserung. Jahrelang wurde der Plan in allen Einzelheiten vorbereitet. Sie erkundigten sich über die Gegebenheiten der Elbe, überlegten sich eine geeignete Route, und fertigten ausführliche Aufzeichnungen all ihrer Berechnungen an.

Zwei Jahre lang wandten die Eheleute ihre gesamte Freizeit und alle Urlaube auf, um an der Konstruktion zu arbeiten, bevor sie schließlich bereit war. Bei der Herstellung musste der Mann immer wieder auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, etwa bei der Ausführung spezieller Schweißarbeiten am Tauchkörper. Um diese Hilfe unauffällig in Anspruch nehmen zu können erfand er die Geschichte, dass er an einer Erfindung in seinem Fachgebiet Wärmetechnik arbeite.

Unglaublicherweise blieben die aufwändigen Arbeiten an dem U-Boot durch Polizei und Stasi völlig unentdeckt. Ende 1975 waren die Arbeiten beendet. Das Gefährt war nun 7 Meter lang, 3.820 Kilogramm schwer und hatte einen Durchmesser von 0,87 Metern. Auch der Transport des großen Boots blieb unentdeckt, obwohl es nur mit Hilfe eines Traktors und Tiefladers zu einer geeigneten Stelle an der Elbe gefahren werden konnte, von wo aus eine problemlose Wasserung möglich sein würde.

Unglücke durchkreuzen den Plan

Doch alle Mühen waren umsonst, eine Kette von Unglücken und Missgeschicken machten den Plan zunichte. Als die Eheleute um ein Uhr morgens bei starkem Frost endlich die ausgewählte Stelle erreichten und mit der Wasserung begannen, riss das Seil, mit dem das Boot am Tieflader befestigt war. Das Boot rollte zu schnell in Wasser. Der Mann versuchte sofort, das Boot zu retten. Dabei fiel er jedoch ins eisige Wasser und musste sich nun erst einmal umziehen und aufwärmen, damit er nicht erfror.

Da sie allerdings bei der Wasserung vergessen hatten den Anker zu werfen, trieb das Boot in der Zwischenzeit ab und geriet außer Sichtweite. Daraufhin mussten die Eheleute also entlang des Flusses nach ihrem Boot suchen, wo sie es schließlich auch etwa 200 Meter flussabwärts fanden. Es war zwischen einigen Eisschollen stecken geblieben. Beim Versuch in das Boot zu gelangen brach die Frau ebenfalls im Eis ein und verlor ihre Schuhe und Handschuhe. Frierend und durchnässt musste sie sich notdürftig im winzigen Bootsrumpf umziehen.

Währenddessen versuchte ihr Mann, das Eis zu brechen und das Boot zu starten. Doch erst jetzt wurde er sich der ganzen Tragweite des Zwischenfalls bei der Wasserung bewusst, denn das Boot hatte durch den harten Aufprall erheblichen Schaden genommen. Es war weder tauch- noch manövrierfähig und der Motorantrieb funktionierte nicht.

Die Eheleute wagten dennoch den Fluchtversuch, indem sie sich in dem manövrierunfähigen Boot treiben ließen. Sie hofften, auf diese Weise über die Grenze getrieben zu werden. Vielleicht wäre sogar dies noch gelungen, hätten sie den Schutz der Dunkelheit nutzen können. Doch durch den Zwischenfall hatte sich ihr Zeitplan so erheblich verzögert, dass der Morgen inzwischen angebrochen war und somit auch ihre letzte Chance schwand. So kam es am Ende zur Entdeckung durch die Arbeiter, die Festnahme durch die Wasserschutzpolizei und den Ermittlungen der Stasi.

Stasi bescheinigt wasserdichte Konstruktion

Die später eingeschaltete Stasi begutachtete das beschlagnahmte U-Boot zur Beweissicherung. In einer Fotodokumentation hielten sie Bauart und Konstruktion des Fahrzeugs fest. Experten der Stasi kamen zu dem Schluss, dass der Fluchtversuch mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen wäre, hätte das Tauchboot keinen Schaden gehabt. Im Grenzbereich der Elbe waren keine ausreichenden Unterwassersicherungen vorhanden, bei der für das Tauchboot ermittelten Tauchtiefe von maximal 30 Metern und einer maximalen Fahrtdauer von einer Stunde hätte die Strecke bis zum Zielhafen auf westdeutschem Gebiet problemlos überwunden werden können.

Die Eheleute wurden zu mehreren Jahren Haft verurteilt und 1979 aufgrund der Amnestie zum 30. Jahrestag der DDR vorzeitig entlassen. Schon während der Haft stellten sie einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik. Während ihrer Haft machten sie immer wieder deutlich, dass sie eine Wiedereingliederung in die DDR ablehnen und sich dieser zur Not auch durch Flucht widersetzen würden. Obwohl seitens der DDR versucht wurde, das Paar umzustimmen und am Auswandern zu hindern, konnte es 1982 die DDR verlassen.

Das Boot war nach Abschluss der Untersuchungen durch die Stasi verschrottet worden.