Unterzeichnung des Grundlagenvertrags zwischen BRD und DDR 1972,
Quelle:
Bundesregierung / Foto: Lothar Schaak / B 145 Bild-00004566
"Normale gutnachbarliche Beziehungen"
Der Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR
Am 21. Dezember 1972 wurde in Ost-Berlin der "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Der sogenannte Grundlagenvertrag, der im Sommer 1973 in Kraft trat, war für beide Seiten ein Meilenstein und ein weiterer Schritt der Entspannungspolitik zwischen Ost und West.
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Während des Kalten Kriegs und jahrzehntelangen informellen Kontakten zwischen der Bundesrepublik und der DDR sollte der Grundlagenvertrag dazu dienen, "normale gutnachbarliche Beziehungen" herzustellen, die Beziehung der beiden deutschen Staaten zu "normalisieren".
Nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags am 21. Dezember 1972. Die beiden Verhandlungsführer Egon Bahr (Links) und Michael Kohl (Rechts) im Haus des Ministerrats der DDR in Ost-Berlin.
Quelle: Bundesregierung / Foto: Lothar Schaak / B 145 Bild-00004566
Stasi wappnet sich gegen Gefahren
Die Stasi allerdings wappnete sich gegen potentielle Gefahren, die sich aus dem Entspannungsprozess und der deutsch-deutschen Annäherung für die DDR ergaben. Schon bei Abschluss anderer innerdeutscher Abkommen wie dem Transitabkommen, das im Dezember 1971 unterzeichnet wurde, hatte sie die Notwendigkeit betont, den Prozess mit erhöhter Aufmerksamkeit und operativen Maßnahmen zu begleiten.
Daher war die Stasi in die Gespräche der beiden Delegationen involviert. Durch die schriftlichen Protokolle der Gespräche sowie Berichte von Anwesenden war sie genauestens über die Vertragsverhandlungen informiert. In einer Dienstbesprechung im Juli des Jahres betonte Stasi-Minister Erich MielkeMielke, Erich 28.12.1907 - 21.05.2000
, dass die Verhandlungen "harter Klassenkampf" seien.
„In diesen Fragen (...) zeigt sich insbesondere die gesamte imperialistische, antisozialistische, gegen die DDR gerichtete Zielstellung des Imperialismus der BRD und der Brandt/Scheel-Regierung.“
Erich Mielke
Rede des Ministers für Staatssicherheit bei der Dienstbesprechung zur Auswertung der 6. Tagung des ZK der SED
Auf bundesrepublikanischer Seite führte die Gespräche der Bundesminister für besondere Aufgaben Egon Bahr, die Leitung der DDR-Abordnung hatte auf Vorschlag von HV A Chef Markus Wolf der Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Michael Kohl inne. Kohl war bis 1975 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Hauptverwaltung A (HV A) registriert, doch ergibt sich aus den Akten nicht eindeutig, wie weit seine Zusammenarbeit mit dem Auslandsgeheimdienst der Stasi reichte.
Kontroverse über die Grundlage der Beziehungen
Der zentrale Streitpunkt war die Frage nach dem Charakter der zwischenstaatlichen Beziehungen. Die DDR-Führung verlangte die volle völkerrechtliche Anerkennung der DDR als souveränen Staat. Die Bundesregierung vertrat den Standpunkt, dass die einheitliche deutsche Nation weiter existiere und die beiden deutschen Staaten daher eine besondere Beziehung zueinander hätten. Damit hielt die Bundesregierung am grundgesetzlich verankerten Gebot der Wiedervereinigung fest.
Mehrere Monate führten die Delegationen und die beiden Verhandlungsführer zähe Gespräche, die auch die Viermächte-Zuständigkeiten, die Frage eines Friedensvertrages und praktische Regelungen wie Reiseerleichterungen, die Einrichtung neuer Grenzübergänge oder die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten in beiden deutschen Staaten berührten.
Über die Verhandlungen, so auch über die Vier-Augen-Gespräche zwischen Egon Bahr und Michael Kohl, sind in den Stasi-Unterlagen zahlreiche Berichte überliefert.
Weiteres Dokument über die Verhandlungen zwischen Michael Kohl und Egon Bahr:
Interner Link
Protokoll über ein Gespräch zwischen Michael Kohl und Egon Bahr
Die Verhandlungen zum 1972 geschlossenen "Grundlagenvertrag" führten Egon Bahr für die Bundesrepublik und Michael Kohl für die DDR. Die Stasi war stets in Gespräche zwischen den beiden Delegationen involviert und verfasste zahlreiche Berichte zu den Vertragsverhandlungen.
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Spekulationen über Wahlausgang in der Bundesrepublik
Neben den eigentlichen Verhandlungsthemen verweisen die Berichte auch auf parteipolitische und wahltaktische Überlegungen der sozialliberalen Koalition, vor allem in Hinblick auf die anstehenden Bundestagswahlen im November 1972. In diesem Zusammenhang wies Mielke auf der Dienstbesprechung im Juli des Jahres auf die möglichen Konsequenzen einer Wahlniederlage der sozialliberalen Koalition hin.
„Der Ausgang dieser Wahlen ist zweifellos von Bedeutung, und zwar nicht nur für die Lage in der BRD selbst, sondern auch für die Weiterführung der Entspannungspolitik der sozialistischen Staatengemeinschaft, besonders der DDR. (...) Daher gilt es, mit unseren spezifischen Mitteln und Möglichkeiten dazu beizutragen, den Angriff der CDU/CSU abzuwehren.“
Erich Mielke
Rede des Ministers für Staatssicherheit bei der Dienstbesprechung zur Auswertung der 6. Tagung des ZK der SED vom 13.7.1972
Bis zum Schluss der Verhandlungen fanden die Delegationen in grundsätzlichen Fragen keine Einigung. Offensichtlicher Ausdruck ihrer unterschiedlichen Auffassungen zur nationalen Frage und der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR war die Vereinbarung, anstelle von Botschaftern Ständige Vertreter zu entsenden. Dennoch vereinbarten Michael Kohl und Egon Bahr mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags eine Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten in der Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie im Bereich des Verkehrs-, Post- und Gesundheitswesens.
Für die Stasi galt es, die weiteren Annäherungsprozesse und die erhöhte Freizügigkeit zwischen West und Ost im Auge zu behalten. Dafür leitete sie operative Maßnahmepläne ein, wie die "Sicherung" der "Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR". Außerdem überwachte sie die Arbeit bundesrepublikanischer Journalisten.
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