[Jingle]
Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Ein Hallo und willkommen zur 45. Folge. Ihre Gastgeber wie immer, das bin ich, Dagmar Hovestädt, Leiterin der Abteilung Kommunikation und Wissen im Bundesarchiv im Bereich Stasi-Unterlagen-Archiv, und Maximilian Schönherr, Radio-Journalist und intensiver Nutzer von Archiven.
Maximilian Schönherr: Seit meinen ersten Besuchen in der Audioabteilung des Stasi-Unterlagen-Archivs stellte ich mir die Frage, was es mit diesem massiven Gebäudekomplex auf sich hat und hatte. Ich fuhr mit der U-Bahn dahin, ging dann einen Pflastersteinweg leicht bergauf, links sehr hohe Plattenbauten, rechts brach liegendes Garagengelände. Und dann stehe ich nach vielleicht 2 Minuten zu Fuß in einem deprimierenden Hof mit wenig Grün, umgeben von massiven ca. 5-stöckigen Gebäuden. In der Mitte stehen Tafeln mit Fotos und Texten zur Friedlichen Revolution, das ist eine Ausstellung Dagmar, oder?
Dagmar Hovestädt: Genau, das ist die Ausstellung Revolution und Mauerbau von der Robert-Havemann-Gesellschaft, die also mitten in dieser Stasi-Zentrale die Geschichte der Menschen erzählt, die sich gegen Stasi und Repression aufgelehnt haben.
Maximilian Schönherr: Jedenfalls lande ich in einem besonders deprimierenden Eck in diesem Innenhof, wo kein Durchkommen ist, sondern wo ich hineingehe, das nennt sich Haus 7. Da ist unten die Ausstellung "Einblick ins Geheime" und ein Paternoster-Aufzug der nach oben führt. Als ich das letzte Mal da war, ging der nicht. In der 2. Etage arbeitet Elke Steinbach, die ich ungefähr 2008 kennenlernte, und die für jede unserer Podcast-Folgen den O-Ton am Schluss liefert. Nebenbei bemerkt fand 2019 in diesem Haus 7 ein Workshop statt, zu dem ihr mich eingeladen hattet. Inspiriert davon habe ich dann auf der Rückfahrt nach Köln im Zug die Idee für diesen Podcast entwickelt.
Dagmar Hovestädt: Du lässt dich aber ganz schön von dem Gelände runterziehen, weil du das so deprimierend findest. So schlimm erlebe ich das gar nicht, aber ich bin ja auch seit zehn Jahren regelmäßig dort, selbst wenn mein Büro in Berlin-Mitte ist. In Berlin haben wir nämlich zwei Standorte, also hier in Mitte und in Lichtenberg. Ich sehe natürlich das Sammelsurium an Fassaden, hinter denen vier Jahrzehnte lang Repression gegen Menschen organisiert wurde. Aber ich sehe immer auch, was seither auf diesem Gelände passiert ist und wer heute hier aktiv ist. Das ist immer auch ein Triumph, eine Beruhigung und ein Ansporn, das es nie wieder zurück geht in die alte Zeit. Es ist jetzt unser Ort. Deiner, meiner, für jeden offen, der sich mit der Geschichte beschäftigen will. Daher heißt das Ding ja auch Campus für Demokratie, also die ehemalige Stasi-Zentrale, diese riesige Ansammlung von Gebäudekomplexen, die einmal die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Ost-Berlin ausmachten, als lebendiger Ort für die Beschäftigung mit Geschichte und Gegenwart. Ein kleiner Teil dieses Areals gehört dem Bund und in einigen der Häuser ist das Berliner Stasi-Unterlagen-Archiv und alle meine Archivkolleginnen und -kollegen untergebracht. Insofern triffst du dort auch die Menschen, die für die Audio-Überlieferung zuständig sind.
Maximilian Schönherr: Ich wollte mal wissen, woher die Nummern der Häuser kommen, also warum das Archivgebäude Haus 7 heißt und warum es ein Haus 2 gibt usw. Und wie diese quasi Stadt in der Stadt Lichtenberg ausgebaut wurde, zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit. Du hast mir dann den Tipp gegeben, mich mal mit Christian Halbrock zusammen zu schließen und mit dem wandere ich durch diesen Hof.
Dagmar Hovestädt: Genau, das macht ihr zwei beiden. Christian Halbrock arbeitet seit 2007 im Forschungsbereich des Stasi-Unterlagen-Archivs und hat sich dort mit der Verfolgung der Opposition durch die Stasi beschäftigt, aber immer wieder auch mit dem Gelände des Ministeriums hier in Berlin. Er ist Jahrgang 1963 und wuchs, wie man unschwer hört, im mecklenburgischen auf. In den 1980ern hatte er regelmäßiger unfreiwilligen Kontakt mit der Stasi, weil er sich u.a. in kirchlichen Umweltgruppen engagierte.
Maximilian Schönherr: Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, werden merken, was ich auch gemerkt habe, dass nämlich Christian Halbrock, den ich vorher nicht kannte, kein Reiseführer ist, der sich das alles angelesen hat. Unser Rundgang wird zu seiner eigenen Biografie des Widerstands. Er war am Rande des Gebäudekomplexes in Haft gewesen, und er war bei der Erstürmung des Geländes im Januar 1990 dabei.
Dagmar Hovestädt: Lass mich doch gern nochmal kurz zwei, drei Dinge erwähnen, damit man euch auch folgen kann. Also ihr seid im Innenhof des Geländes, das von vier Straßen eingesäumt wird, über die ihr häufiger redet: Die Frankfurter Allee, die Magdalenen-, die Normannen- und die Ruschestraße. Das ist der Hauptkern der Stasi-Zentrale und weil der quasi über die Jahrzehnte wie eine Burg abgeschottet nach außen immer weiter zugebaut wurde, gibt es eben einen Innenhof, auf den all die Gebäude, die ihr besucht, hinzulaufen. Christian Halbrock erwähnt aber auch das Teilobjekt Gotlindestraße, das ungefähr nochmal so viel Bürofläche umfasst wie das, was ihr da so in den Blick nehmt, und ziemlich genau einen halben Kilometer nördlich vom Campus gelegen hat, getrennt durch ein Fußballfeld, dessen Club sich wundersamer Weise über all die vier Jahrzehnte der Existenz des Ministeriums dort nicht von der Bauwut der Stasi hat einverleiben lassen. Christian Halbrock erwähnt das auch mal kurz, das Hans-Zoschke-Stadion. Und schließlich spielt die U-Haft in der Magdalenenstraße eine Rolle, aber die ist wirklich außerhalb des Campus auf der anderen Straßenseite, dort wo ein großes Gerichtsgebäude ist und in dessen Schatten diese U-Haft war. Aber soweit das zu rekonstruieren ist, das es heute nicht mehr so existiert, wie sie die Stasi bis 1989 genutzt hat.
Maximilian Schönherr: Wir werden mitten in dem Gespräch nochmal kurz an einer Stelle sagen, wo wir gerade sind, aber jetzt starten wir mit unserer Außenreportage auf dem Campus für Demokratie, dem ehemaligen Stasi-Hauptquartier im Osten Berlins. Mit der U-Bahn übrigens eine Viertelstunde von Berlin Mitte, also leicht zu erreichen. Ausstieg: Magdalenenstraße.
Dagmar Hovestädt: Ihr steht, dass sei zur Orientierung für die Zuhörenden gesagt, draußen, vor dem ältesten Gebäude des Areals, das auch gleichzeitig die Keimzelle der Stasi-Zentrale ist, also das Gebäude in dem alles anfing:
[Jingle]
Dr. Christian Halbrock: Wir haben an sich dieses große Gebäude, was 1930 entstanden ist, den Krieg ziemlich unbeschadet überlebt hat. Also gab es hier Büroflächen und bereits nach dem Krieg siedelt sich eine sowjetische Stelle an. Ein sowjetisches Informationsministerium wird es nur dubios genannt. Und in dieser Zeit schon agieren hier im gesamten Areal geheimdienstlich Tätige vor allen Dingen sowjetische Stellen, die auch mit ostdeutschen Stellen kooperieren.
Maximilian Schönherr: SMAD?
Dr. Christian Halbrock: SMAD, Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Das ist zum Beispiel hier-
Maximilian Schönherr: Ein Trabant!
Dr. Christian Halbrock: [lacht] der gehörte sicherlich dazu, ne. 601 Kombi, Zweitakter. Hier im Finanzamt, das sowjetische Informationsministerium. Gleichzeitig war ganz wichtig: Drüben befand sich eine Untersuchungshaftanstalt.
Maximilian Schönherr: Wo drüben?
Dr. Christian Halbrock: In der Magdalenenstraße dahinter, die von den Sowjets genutzt wurde. Dort tagte auch ein sowjetisches Militärtribunal, das mehrere Todesurteile fällte. Also das gehört an sich schon alles und gehörte dann auch bis 1989 zum Areal, das vom MfS genutzt wurde.
Maximilian Schönherr: Mielkes erstes Gebäude war das Haus 2, vor dem wir gerade stehen?
Dr. Christian Halbrock: Genau, das ist hier das Haus 2.
Maximilian Schönherr: Auf welcher Etage hatte er sich breit gemacht?
Dr. Christian Halbrock: Das weiß man nur unter Vorbehalt, also mit einigen Zweifeln. Aber man kann davon ausgehen, dass er in der zweiten Etage saß und zwar dort im Kopfbereich, wo heute der Nachbar-Bau anschließt.
Maximilian Schönherr: Und der Nachbar-Bau ist der jüngere Bau und Haus 1, ne?
Dr. Christian Halbrock: Das war sozusagen hier das Finanzamt. Da zog dann die Staatssicherheit ein nach der Bildung, Februar 1950, übernahm man das Gebäude und baute dies massiv aus. Also die gesamte obere Etage, das ist an sich gut erkennbar, die kleineren Fenster, wurde oben raufgestockt.
Maximilian Schönherr: Ja, es sind fünf Stockwerke.
Dr. Christian Halbrock: Genau, und dann, wo hier die Fallrohre runtergehen, also auch Regenrinne genannt hier. Ab diesen Bereich wurde neu rangebaut. Das ging vorne bis hier und am Ende wurde noch ein Flügel rüber gebaut. Sozusagen Haupteffekt: Man hat ein geschlossenen Innenhof, wo jetzt keiner reingucken kann, was man treibt. Drinnen gab es noch ein Festsaal, der entstand und somit dieser massive Ausbau schaffte den ersten Büroraum und nachdem man dann-
Maximilian Schönherr: Wir können weiter gehen. Es ist gerade wenig Wind.
Dr. Christian Halbrock: Nachdem man 1957 angefangen hatte '56, '57 dort unten diesen L-förmigen Bau zu bauen, das heutige Haus 7.
Maximilian Schönherr: Wo die Ausstellung ist.
Dr. Christian Halbrock: Genau, bürgerten sich hier gewisse Bezeichnungen ein. Man sprach immer vom Neubau. Das war der Bau, der '58 fertig wurde. Das war hier der Altbau - also Altbau, Neubau. Und dann entstand auf der Fläche dazwischen, wo noch ein Gebäude abgerissen werden musste, der sogenannte Zwischenbau, sozusagen der eigentliche Kern der Stasi-Zentrale, Altbau, Neubau, Zwischenbau. Und hier im Finanzamt in dem Gebäude, was dann Haus 2 irgendwann genannt wurde, saßen ja letztendlich alle Abteilungen drin, alle wichtigen Abteilungen des MfS. Das ergibt sich aus der Logik, weil es eben auch das erste Gebäude war. Der Minister hat eben wie gesagt sein Büro bis 1963 da drin. Also ziemlich lange Zeit, wenn man so nimmt. Die gesamte Lebenszeit, das war ja bis 1989.
Passant: Sagen Sie mal, wissen Sie wie man hier zum Augenarzt hochkommt?
Maximilian Schönherr: Also es gibt auch einen Augenarzt jetzt hier.
Dr. Christian Halbrock: Genau, es gibt hier allerhand Einrichtungen, die sich hier niedergelassen haben, also nicht nur das Finanzamt für Körperschaften, sondern hier ist eine Klinik inzwischen drin, das war ja auch mal eine medizinische Einrichtung vom MfS.
Maximilian Schönherr: Gehen wir in das Haus 1 mal rein oder geht es nicht.
Dr. Christian Halbrock: Doch das geht, das können wir machen.
Maximilian Schönherr: Woher kommen die Nummern? Wer hat die Nummern vergeben?
Dr. Christian Halbrock: Also lange gab es nur diese Bezeichnungen Altbau, Neubau, Zwischenbau. Für den Neubau, das heutige Haus 7, gab es auch die Bezeichnung die HV A, also weil dort die Hauptverwaltung Aufklärung drin saß.
Maximilian Schönherr: Also der Auslandsgeheimdienst.
Dr. Christian Halbrock: Genau, Auslandsgeheimdienst. Also die rausgezogen, nannte man das Gebäude dann die alte HV A. Also man hatte sozusagen eher umgangssprachliche Bezeichnungen für viele Gebäude und es ist nicht hundertprozentig nachweisbar, wann dann irgendwie wahrscheinlich Mitte Ende der 60er Jahre diese Durchnummerierung eingeführt wurde, also von Haus 1 bis in die hohen 40er im Teilobjekt Gotlindestraße. Es ist aber auch so, dass viele Nummern vergeben wurden, aber aus fehlen zum Beispiel die 30er Nummern. Da ist bisher auch noch keine Erklärung gefunden worden, warum man diese 30er Nummern freigehalten hat. Es ist eine Nummerierung, die das MfS dann für opportun hielt, das durch zu nummerieren. Es gab zwischenzeitlich auch mal Ende der 50er Jahre eine Nummerierung einzuführen, die ja sehr konspirativ sich anhörte mit Buchstaben und römischen Ziffern und so weiter. Richtig geheimdienstlich. Aber dann ist man doch zu dieser doch sehr einfachen Lösung gekommen.
Maximilian Schönherr: Gehen wir mal rein in das Haus 1. Also der Zwischenbau, wann wurde der ungefähr gebaut?
Dr. Christian Halbrock: Der Zwischenbau ist Ende 1963 übergeben worden.
Maximilian Schönherr: Und diesen Vorbau? Der kam dann später dran?
Dr. Christian Halbrock: Der kam später dran. Der Vorbau war ursprünglich noch nicht vorhanden.
Maximilian Schönherr: Es ist ein Tarneingang.
Dr. Christian Halbrock: Genau, man hat ja diesen schönen, verglasten Eingang, sehr modern gehalten. Und dann entstand in der ersten Hälfte der 70er Jahre drüben das Wohngebiet Frankfurter Allee Süd.
Maximilian Schönherr: Also das ist für mich voll 70er Jahre, diese Verschalung hier. Ist es aus den 70er Jahren?
Dr. Christian Halbrock: Genau, das ist aus den 70er Jahren. Man hat sozusagen in der ersten Hälfte der 70er Jahre dort das Wohngebiet Frankfurter Allee Süd gebaut, mit den entsprechenden Punkthochhäuser, eigentlich Wohnungsbau und die Wohnungen waren auch schwerpunktmäßig für MfS-Mitarbeiter vorbehalten. Es gibt auch mehrere Blöcke, die nur MfS-Wohnungen enthalten. Aber da-
Maximilian Schönherr: Damit nur die richtigen Leute reingucken können.
Dr. Christian Halbrock: Wo nur die richtigen Leute reingucken kann. Aber in diese Phase fällt auch die Anerkennungswelle der DDR, also etliche Staaten aus den Botschaften auch westliche Staaten. Und nun wurden überall in Ost-Berlin Wohnungen gebraucht und in einige Blöcke zogen dann sogar Pressevertreter und Botschaftsangehörige der Benelux-Staaten ein. Also jedenfalls dauerte es nicht lange, bis die ersten Fotos auftauchten-
Maximilian Schönherr: Mit Teleobjektiven.
Dr. Christian Halbrock: Mit Teleobjektiv und den bildlichen Freigang auf den schönen modernen Eingang. Das MfS hat es dann noch mal in einer Fotoserie bestätigt. Also noch mal selber eine Fotoserie angefertigt und dann fiel eben die Entscheidung: Man brauch hier unbedingt diesen Vorbau. Also mit diesem Betonformstein, durchlöchert, Durchbruch, "Plastische Wand" nennt sich das in Architekten-Sprache. An sich kennt man so was aus Brasilia oder anderen irgendwo hingeklotzten Neubaustädten. Aber es wirkt eben hier doch ein bisschen gedrungen, erfüllt aber seinen Zweck.
Maximilian Schönherr: Und der Zweck war welcher genau?
Dr. Christian Halbrock: Dass niemand von außen gucken konnte, wer hier ein und ausgeht, dass man auch die Nummernschildern nicht erkennen kann. Und das war natürlich ein Provisorium. Es war so, dass dieser Vorbau als Provisorium entstand und auch stehen blieb, solange bis diese Blöcke ringsherum fertig sind.
Maximilian Schönherr: Diese Plattenbauten?
Dr. Christian Halbrock: Diese Plattenbauten, 13 Geschosser, die dann an der Ecke Frankfurter Allee/ Ruschestraße hochgezogen wurden. Blockrandbebauung in Plattenbauweise, Konzept zur Schaffung von neuen Büroflächen, aber auch um neugierige Blicke von außen abzuwehren.
Maximilian Schönherr: Also auch die Hochhäuser besetzen mit befreundeten, systemtreuen Menschen?
Dr. Christian Halbrock: Ja gut, in der Blockrandbebauung, die hier entstanden ist, in den 13 Geschosser, kam sowieso nur die Auslandsspionage unter. Und hier in dem einen Block saß, die SED hatte auch so eine Art eigene Kreisebene, jede DDR-Gebietseinheit hatte eine eigene SED-Kreisleitung, FDJ-Leitung, DSF-Leitung, also Deutsch-Sowjetische Freundschaft und die Überwachung der Wirtschaft. Die saßen hier in dem letzten Block drin.
Maximilian Schönherr: Wir gehen jetzt mal rein, es wird zu laut hier und wir setzen eine Maske auf. Wo sind wir denn jetzt?
Dr. Christian Halbrock: Jetzt sind wir im Haus 1.
Maximilian Schönherr: Ja und was ist heute hier?
Dr. Christian Halbrock: Das ist der ehemalige Ministersitz von Erich Mielke. Ab Anfang 1964 sitzt ist hier der Minister drin, Erich Mielke, bis zum Schluss.
Maximilian Schönherr: Das heißt, der ist 1.000 mal durch diese bronzeartigen, eigentlich sehr schöne Türen, durchgegangen.
Dr. Christian Halbrock: Sehr schöne Türen, also-
Maximilian Schönherr: Hat ihm jemand die Tür aufgemacht?
Dr. Christian Halbrock: Auch das weiß keiner. Also jedenfalls wir haben noch keinen getroffen, der das weiß, auch so schön gestaltet mit diesem sogenannten Blut Marmor. Was auch mir zu Spekulationen Anlass gegeben hat, dass man hier eine eigene Zählung hat im Haus, also wir befinden uns im Erdgeschoss, dann gibt es ein sogenanntes Zwischengeschoss auf das Blicken hier und da drüber beginnt die erste Etage. Also der Minister saß in der ersten Etage, die natürlich nach Logik an sich die zweite Etage ist. Da hat man lange drüber spekuliert, warum das wohl so gewesen ist, ob der Minister aus Eitelkeit darauf bestanden hat, dass er in der ersten sitzt und deswegen die zweite zur ersten gemacht werden muss und die erste zur Zwischenetage. Das ist natürlich nicht beweisbar. Fakt ist auch, dass die Bauplanungsstäbe bei der konzeptionellen Planung des Baus bereits festgeschrieben haben: Die Etage, in die der Minister einzieht, ist die entscheidende Planungsgrundlage für alle anderen Wände und Bauten im Haus selber. Die tragenden Wände mussten auf diese Etage ausgerichtet werden, damit er sein entsprechendes großes Büro erhält und vielleicht wurde auch deswegen nur die zweite Etage zur ersten Etage, weil man das dann leicht erklären konnte. Eine Besonderheit ist, dass man auch hier neben einem Fahrstuhl, den es auch gibt, hier einen Paternoster hat. Und dieser Paternoster diente gleichzeitig auch als Aufzug für das benachbarte Finanzamt für das Haus 2, also die Keimzelle der Staatssicherheit.
Maximilian Schönherr: Das heißt, da konnte man durchgehen? Kann man jetzt noch?
Dr. Christian Halbrock: Bestimmte Leute durften durchgehen.
Maximilian Schönherr: Es gibt eine Tür.
Dr. Christian Halbrock: Früher gab es Türen, die sind alle natürlich verschlossen worden nach 1990. Aber damals gab es auf allen Etagen Durchbrüche und es gab eine Sonderzulassung für dieses Gebäude. Also die höchsten Obristen hatten diese natürlich. Und wer diese hatte, durfte dann auch das Privileg genießen und hier, wenn er sich im Haus 2 bewegte, im Finanzamt, den Paternoster hier zu benutzen. Der Rest durfte Treppen steigen.
Maximilian Schönherr: Mielke nahm Paternoster wahrscheinlich, oder?
Dr. Christian Halbrock: Also da haben wir tatsächlich jemanden getroffen, der meinte, er wüsste, wie es gewesen ist, eine Frau, die hier gearbeitet hat zu MfS Zeiten. Und sie meinte wohl, er hätte wohl ganz häufig die Treppen benutzt, um seinen Angestellten zu zeigen, wie taff und rüstig er doch ist. Und er hat ja schließlich oben auch seinen Ruhrbereich mit Liege und falls ihm das zu viel geworden ist, dann konnte er sich dort natürlich entspannen von den Strapazen.
Maximilian Schönherr: Und das ist ein Museum jetzt das sogenannte Stasi-Museum, oder? Und da kann man auch seinen Raum angucken. Müssen wir jetzt nicht tun.
Dr. Christian Halbrock: Genau, da kann man sozusagen das Mielke Büro angucken mit den entsprechenden angegliederten Räumen.
Maximilian Schönherr: Welches Gebäude haben Sie denn besetzt, mitbesetzt, kennengelernt?
Dr. Christian Halbrock: Also 1990, am 15. Januar war ja die Besetzung und da bin ich dann wie der gesamte Strom der Demonstranten zuallererst in das Haus 18 hineingekommen. Also das Haus 18 sieht man hier drüben, so ein braun verglastes Gebäude, was so ein bisschen an den Palast der Republik erinnert, so Palast der Tschekisten. Tschekist war ja die sowjetische Bezeichnung für Geheimpolizist. Dort bin ich rein mit vielen anderen und habe aber schnell festgestellt, dass es eben doch vor allen Dingen eine Versorgungseinrichtungen war. Es war schon interessant, weil man so was nicht kannte aus DDR-Zeiten, was ja heute normal ist, dass in Gebäuden integrierte Ladenzeilen existieren. Zu DDR-Zeiten kannte man das maximal aus Leipzig. Und das so was neu errichtet worden war in der DDR, war mir bisher unbekannt.
Maximilian Schönherr: Von wo kamen Sie? Haben Sie in Berlin gelebt?
Dr. Christian Halbrock: Ich habe damals in Berlin gelebt und bin wie der Großteil der Leute durch das Zufallstor, was hier geradezu liegt, von der Straße Ruschestraße aus-
Maximilian Schönherr: Durfte man reingehen?
Dr. Christian Halbrock: Nee, da durfte man natürlich nicht, also klar, logisch. Das war sonst immer stark bewacht und war auch an dem Nachmittag verschlossen mit einem großen Metalltor, bewacht aber nachdem sich dort die Demonstranten aufgestaut haben und es befanden sich auf dem Gelände ja auch schon Bürgervertreter, Bürgerrechtler, die aus den ehemaligen Bezirksstädten der DDR kamen und hier eine friedliche Übergabe verhandeln wollten mit dem MfS. Das MfS hat auch schon realisiert und gesehen, dass das so nicht weitergeht. Die DDR war ja im freien Fall und es ging irgendwie wieder darum, wie kriegt man das irgendwie über die Bühne, kann möglichst viel retten, möglicherweise ja ein sogenanntes Bürgerkomitee etablieren, was auch einen gewissen Schutz vielleicht noch bot vor allzu erzürnten Demonstranten. Also es gab schon Bürgervertreter vor Ort-
Maximilian Schönherr: Es war quasi die offizielle Verhandlungsbasis politisch, während Sie im Mob waren.
Dr. Christian Halbrock: Ja, vielleicht aus deren Perspektive vielleicht sicherlich, genau.
Maximilian Schönherr: Wieso hat man Sie reingelassen? Wie viele Leute waren es ungefähr?
Dr. Christian Halbrock: Wer hat uns eigentlich reingelassen? Es öffnen sich die Tore, also bis heute ist ungeklärt, warum sie sich öffneten.
Maximilian Schönherr: Sie haben geklopft oder dagegen geschlagen?
Dr. Christian Halbrock: Es wurde dagegen geschlagen und trotzdem ist es ja dann nicht immer garantiert, dass ein Tor aufgeht. Es sind auch Leute rüber geklettert, aber auch schon ziemlich früh.
Maximilian Schönherr: Wie hoch?
Dr. Christian Halbrock: Ja, wie hoch ist das? Vielleicht 2,50 Meter, würde ich vielleicht sagen in dem Dreh. Das ist bis heute ungeklärt, was ja sehr selten ist, wenn so ein historisches Ereignis passiert, dass sich keiner findet, der es gemacht haben will.
Maximilian Schönherr: Wie viele Leute ungefähr?
Dr. Christian Halbrock: Mehrere Tausend, die hier sozusagen auf der Ruschestraße warteten.
Maximilian Schönherr: Das heißt aber Stau, da konnten auch die Autos nicht mehr durchfahren.
Dr. Christian Halbrock: Da war auch nichts mehr mit Autoverkehr. Also zwei bis dreitausend hier auf das Gelände geströmt.
Maximilian Schönherr: Wie haben Sie sich denn verabredet gehabt? Es gab ja soziale Netzwerke im Internet noch nicht.
Dr. Christian Halbrock: Nee, es kursierten schon seit Tagen, lange davor Flugblätter, die auch an Elektroverteilung, Straßenlaternen, Hauswände geklebt wurden. Es gab zwei Varianten, Textvarianten. Eine die vor allen Dingen im Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte geklebt wurde und eine vor allem in den Süd Bezirken Treptow, Köpenick. Aufruf zur Kundgebung ungefähr Neues Forum kommt alle zur Zentrale zum MfS in der Ruschestraße. Bringt Steine, Mörtel, Zement mit und vermauert die Eingänge, damit da die Sache nicht weiterarbeiten kann. Also ungefähr sinngemäß.
Maximilian Schönherr: Damit nichts rausgetragen werden.
Dr. Christian Halbrock: Damit nicht rausgetragen werden kann, sicherlich. Und es war ja so, dass in den Bezirken der DDR schon überall die MfS-Zentralen besetzt waren, die Bezirkszentralen, das war das Kuriose und dass Berlin weiter arbeitete. Also die Besatzungen fanden ja ab 4. Dezember 1989 statt. Das war schon über einen Monat überfällig die gesamte Geschichte, aber in Ostberlin ging die Sache weiter. Es kam man noch ein drittes Ereignis dazu. Der Zentrale Runde Tisch, an dem die DDR-Regierung sich mit Bürgern Vertretern zusammengesetzt hatte und mit Vertretern der neuen Parteien und der alten Parteien, sollte über diese Sicherheitsfrage beraten. Und was die DDR-Regierung mit diesem Rundtisch im Schilde führte, ist auch noch zu diskutieren. Sicherlich glaubte die Regierung Zeit zu gewinnen, glaubte auch den Karren, der dahin trudelte und bergab fuhr, aufhalten zu können, stoppen zu können, Zeitgewinn, Stabilisierung und dann vielleicht wieder möglicherweise in Form einer neuen kleinen Volksfront, wie das Kommunisten so machen, die Sache wieder langsam in die eigenen Kanäle leiten. Das hätten sie, wenn sie vitaler gewesen wären, auch vielleicht hingekriegt. Aber in dem ja auch gerade zwei Vertreter des Neuen Forums, die mit an diesem Runden Tisch saßen, das Heft auf die Straße zurückwarfen und dort die Aktion beflügelten. Reinhard Schult und Ingrid Köppe waren die beiden, die dort ganz entscheidend waren und dadurch änderte sich die Konstellation komplett. Was der Runde Tisch wollte, war dann an sich egal. Es waren sozusagen Fakten geschaffen worden hierdurch.
Maximilian Schönherr: Bei den tausend Leuten, wo waren Sie da? In der Mitte?
Dr. Christian Halbrock: Ich war also nicht in der vorderen Spitze, eher in der Mitte, würde ich sagen.
Maximilian Schönherr: Jetzt geht das Tor auf und Sie kommen in dieses Gebäude, was dann also Stasi-Unterlagen-mäßig weniger interessant war. Aber Sie waren auf die Stasi-Unterlagen aus oder sie wollten Mielke rausjagen oder was war der Sinn dieser Aktion?
Dr. Christian Halbrock: Also für mich war irgendwie klar, diese DDR ist nicht mehr zu stabilisieren, diese Geschichte ist durch. Und ich habe auch nicht an die Stasi-Unterlagen gedacht und die Stasi-Akten gedacht, weil ich diesen ganzen Mythos "Meine Akte" und Wo ist meine Akte" da habe ich auch nicht so richtig dran geglaubt. Wahrscheinlich weil ich auch die ganzen Jahre zuvor verdrängt habe, dass die Stasi alles wissen könnte, weil ich immer dachte die wissen ja doch nicht alles. Sonst hätten sie auch schon lange zugegriffen.
Maximilian Schönherr: Was sie ja mal kurz getan haben.
Dr. Christian Halbrock: Ja, was sie auch mal hin und wieder getan haben, aber es war auch so, dass sie anscheinend doch nicht alles wussten, sonst wäre ich auch nicht wieder rausgekommen. Aber das habe ich für mich immer weggedrängt. Also habe nicht magisch und sklavisch an die Akte geglaubt, die über einen existieren solle. Für mich war es einfach wichtig, das war sozusagen ein Stück Zeitgeschichte, Weltereignis, da wollt ich mit dabei sein. Vorbild war an sich für mich immer diese Geschichte, die Heiner Müller in seinem Theaterstück Hamletmaschine beschreibt, sozusagen der Sturz des Stalin Denkmals in Budapest, sozusagen Sturz eines Machtsymbols, aber auch die Freude dieses Denkmal zu zerkleinern und sich ein Souvenir davon mitzunehmen. Das war sozusagen meine Motivation an dieser ganzen Geschichte.
Maximilian Schönherr: Konnten Sie eins mitnehmen? Von Haus 1?
Dr. Christian Halbrock: Ja, ich habe so ein paar Souvenirs mitgenommen.
Maximilian Schönherr: Wie kamen Sie hier rein? Also durch diese Tür kamen Sie dann rein?
Dr. Christian Halbrock: Nee, in Haus 1 habe ich das nicht mitgenommen. Ich habe diese Souvenirs im Haus 18 mitgenommen und in Haus 2 habe ich mir was mitgenommen, habe diese dann aber auch nicht ewig behalten, weil ich mich das dann irgendwie im Laufe der Jahre angenervt hat dieses blöde Zeug zu Hause zu haben. Und ich habe das dann irgendwann wieder anderweitig-
Maximilian Schönherr: Schreibtischstempel oder so was?
Dr. Christian Halbrock: Ja, ich hatte so, das gab's zu DDR-Zeiten, so Souvenirbücher so klein, die jeder Bonze und Parteigängern in seinen Vitrinen hatte. Und da gab's irgendwie was über irgendwelche kommunistischen Größen, die habe ich mir eingesteckt. Dann so ein komisch ausgepresster Kopf, glaub Ernst Thälmann war es, und dann noch ein Handbuch des Kriminalisten-
Maximilian Schönherr: Ernst Thälmann hätten Sie behalten können.
Dr. Christian Halbrock: Den hätte ich eigentlich behalten können, aber so doll war es dann auch wieder nicht.
Maximilian Schönherr: Sie kamen einfach so rein in das Finanzamt?
Dr. Christian Halbrock: Genau, das war ja der Witz sozusagen. Es wurde behauptet, die Gebäude wurden aufgebrochen, aber man kam überall rein. Und ich war da noch im Haus 2, bin dann noch viel herumgerannt durch die endlosen Flure und da hing an irgendeinem Brett so eine interne Verlautbarung des Amtes für nationale Sicherheit, wie das MfS inzwischen hieß. Da stand drauf in der Überschrift: "Was sagt das Amt für nationale Sicherheit zur bevorstehenden Rehabilitierung des einst verurteilten Walter Janka?" Und da stand da so ungefähr drauf: "Wir finden das richtig, wie damals auch seine Verurteilung richtig war". Und das fand ich dann doch sehr skurril und habe das dann abgetrennt und mitgenommen. Und hab es dann später dem Robert-Havemann-Archiv zur Verfügung gestellt als Dokument.
Maximilian Schönherr: Aber es war keine Plünderei, wie jetzt zum Beispiel 6. Januar in Washington, also da wo man einfach rein wollte und den Leuten an den Kragen und man hat alles kaputt gemacht, was auf dem Weg war, sondern es war ein vorsichtiges Reingehen von 1.000 Leuten.
Dr. Christian Halbrock: Das war eher sozusagen ein-
Maximilian Schönherr: Nicht respektvoll, aber-
Dr. Christian Halbrock: Nicht respektvoll, es ist vielleicht auch die eine oder andere Tür zu Bruch gegangen. Es wurde viel inszeniert, was bis heute Fragen aufwirft, dass sozusagen bevor die ersten Demonstranten in Haus 18 reingehen konnten, da bereits schon ein Papier aus den Fenstern flog. Und es ist auch offensichtlich, dass das die Parteizeitung Neues Deutschland und die Sozialistische Einheitspartei in PDS umbenannt wurde und auch die Reste des MfS dies nutzen wollten, um somit ein Rollback wieder zu inszenieren. Also das ND war ja sozusagen für viele Zeitungen der damaligen Zeit-
Maximilian Schönherr: ND ist Neues Deutschland. Jetzt gingen gerade viele junge Leute hier raus, die sich Mielkes Schreibtisch angeguckt haben.
Dr. Christian Halbrock: Genau. Die waren ja wie viele Zeitungen der damaligen Zeit mit dem Redaktionsschluss immer sehr früh dran. Und die Ereignisse hier zogen sich ja tatsächlich bis tief in die Nacht. Aber trotzdem erschien das Neue Deutschland ganz früh mit dem Aufmacher: Die Revolution hätte ihre Unschuld verloren und es hätte sozusagen ein blutiges lynchjustizähnliches Spektakel stattgefunden. Man hatte auch gleich sofort eine Zeitzeugin präpariert, die das dann auf einer Pressekonferenz zum Besten gab. Eine wirklich furchtbare Inszenierung.
Maximilian Schönherr: Fake News.
Dr. Christian Halbrock: Fake News.
Maximilian Schönherr: War Mielke im Haus, als Sie hier in der Gegend waren?
Dr. Christian Halbrock: Also ziemlich sicher nicht. Wo Mielke zu dem Zeitpunkt war weiß ich nicht, aber er war ja schon lange abgesetzt, hatte seinen Ministerposten verloren und Nachfolger wurde ja Wolfgang Schwanitz, der ehemalige Stellvertreter. Und auch der wurde abgelöst und durch Engelhardt ersetzt. Engelhardt kam aus dem Bezirk Frankfurt Oder und war dort für die Abteilung XV, also die Spionage, zuständig. Der Herr Engelhardt saß tatsächlich in Haus 1 in seinem Büro, hatte die Vorhänge zugezogen, wahrscheinlich damit keiner das Licht sieht und guckte sich das Spektakel im Westfernsehen an, wie da Leute berichtet haben.
Maximilian Schönherr: Woher wissen Sie das?
Dr. Christian Halbrock: Es sind Leute dann nicht nur später im Haus 2 drin gewesen, sondern auch durch diese Durchbrüche hier in das Haus 1, in den Ministersitz, reingekommen. Unter anderen Wolfgang Templin und Carlo Jordan, die am Runden Tisch saßen, und den dort erzählt wurde, es fände ein furchtbares Spektakel und Massaker in Lichtenberg statt. Die wurden dann in Staatskarossen hingefahren, um angeblich den besorgten Runden Tisch zu mimen, aber die setzen sich davon ab und liefen durch das Gebäude und trafen dann auf diesen Herrn Engelhardt in seinem Büro.
Maximilian Schönherr: Wie endet so eine Veranstaltung? Also, zerläuft sich das dann? Wann sind Sie nach Hause gegangen?
Dr. Christian Halbrock: Es gab dann Leute vom Neuen Forum, die begannen tatsächlich die einzelnen Etagen zu sperren mit ihren Schärpen, die sie hatten - keine Gewalt, neues Forum und so - und sperrten dann die einzelnen Zugänge ab. Und man traf dann auch immer wieder Leute, die man kannte und wir sind dann zum Teil noch auf diesem Gelände herumgerannt und waren, da kann ich mich dran erinnern, dann hinter diesem Haus 7 auf dem anderen Hof hinter Haus 1, da wo sich das Archivgebäude befindet und da war uns schon ein bisschen anders. Da war der Schutz der anderen Demonstranten nicht mehr dort, da waren wir dann nur noch zu fünft, sechst, siebt. Und dann war doch schon dem ein oder anderen mulmig, nach dem Motto: "Na ja, wenn jetzt doch eine Tür aufgeht und dann kommt ein Arm heraus und greift zu-"
Maximilian Schönherr: Weil ihr so wenige wart?
Dr. Christian Halbrock: Weil wir so wenige waren. Und es war ja auch ein spärlich beleuchtetes Gelände, wie das ja häufig in der DDR war, gerade so viel Licht wie nötig.
Maximilian Schönherr: Ich kenn das, ja.
Dr. Christian Halbrock: Und von daher hatte sich das ein bisschen verlaufen. Es gab dann den Aufruf: "Ja, wer will, soll unbedingt hier bleiben. Es soll ein Bürgerkomitee gebildet werden-"
Maximilian Schönherr: Eine Nachtwache.
Dr. Christian Halbrock: Nachtwache und ein Komitee, was dann auch hier die Auflösung mit übernimmt. Es gab ja durch den zentralen Runden Tisch bereits ein staatliches Auslösungskomitee, was eingesetzt wurde, mit dem entsprechenden Personal, was sozusagen alles meistens ein Dienstausweis hatte vom Ministerium des Innern oder von anderen Ministerien und dem sollte sozusagen ein Bürgerkomitee anbei gestellt werden. Und diese Aufrufe gab es auch. Und so verlief sich dann der Abend ein bisschen.
Maximilian Schönherr: Wann waren Sie dann im Bett und haben Westfernsehen geguckt?
Dr. Christian Halbrock: Nein, ich hatte keinen Fernsehen zu dieser Zeit. [lacht]
Maximilian Schönherr: Gehen wir noch mal raus?
Dr. Christian Halbrock: Ja, wir können gerne nochmal rausgehen. Der Wind hat sich gelegt, vielleicht.
Maximilian Schönherr: Um das mal zu beschreiben, weil das ja kein Fernsehen ist. Das ist hier sehr, sehr viel Beton um uns herum also. Und es ist alles ziemlich eng. Ich würde sagen, auf dem Platz links jetzt, wo Mielke wahrscheinlich immer rein fuhr, ja quasi Rechtsverkehr ist, da passen höchstens 50 Autos hin und es sind hohe Gebäude drumherum, typischerweise eben 5, 6 Stöcker-
Dr. Christian Halbrock: Bis 13.
Maximilian Schönherr: Bis 13 Stöcker, genau.
Dr. Christian Halbrock: Schönen Feierabend. [gerichtet an einen vorbeigehenden Kollegen]
Maximilian Schönherr: Schönen Feierabend.
Vorbeigehender Kollege: Danke.
Maximilian Schönherr: Hat denn diese DDR Ministerium für Staatssicherheit-Präsenz an der Geschichte von Lichtenberg was verändert?
Dr. Christian Halbrock: Ja, das hat auf jeden Fall massiv eingegriffen auf diese Entwicklung dieses Stadtbezirkes bis heute. Wenn wir uns das vorstellen, wir stehen hier oben an dem Finanzamt und daneben Haus 1, der Ministersitz. Als das Ministerium hier auftauchte, war es so, dass Teile dieses gesamten Geländes zu einer Gartenanlage gehörten. Es gab noch eine Straße, die nannte sich Helmutstraße und lief von oben durch, hier vorbei bis runter an die Frankfurter Allee. Da drüben standen Altbauten, die sogenannte Müllerstraße und auch das wurde dann komplett im Laufe der Jahre zugebaut mit MfS-Bauten. Aber auch der eigentliche Plan, den man hier hatte, dieses Gebiet zu entwickeln, sozusagen zu einem Stadtteilzentrum - es sollte ja noch ein zentrales Kino entstehen, das Stadion, das Hans-Zoschke-Stadion, das wurde ja gebaut tatsächlich. Man hatte dann eben die Normannenstraße und die Magdalenenstraße, die auch so was wie eine Einkaufsstraße war, wo man sozusagen bummeln konnte-
Maximilian Schönherr: Was jetzt nicht mehr ist.
Dr. Christian Halbrock: Ja, das verschwand dann einfach. Die Läden verschwanden komplett außer die Apotheke unten an der Ecke, das war die letzte Einrichtung, die noch bestand. Das MfS übernahm auch die alten Wohnhäuser, siedelte die Mieter um, die Läden wurden geschlossen. Unten im Parterre Bereich wurden die Fenster verkleinert, davor kamen Gitter und auch die Eingangstüren wurden in den Hofbereich verlegt. Also was hieß, dass dort entweder nur noch Attrappen waren oder eine zugemauerte Stelle. Also das ganze veränderte sein Charakter und von der Grundanlage ist es bis heute so, dass wir hier in diesen riesigen Betonkomplex haben, der sozusagen von der Normannenstraße bis runter an die Frankfurter Allee reicht, der sich wie ein Riegel ins Stadtgebiet legt. Also die Durchquerung des Stadtgebietes ist nur über die Frankfurter Allee und die Normannenstraße möglich, sonst über diese doch sehr lange Strecke führt sozusagen wirklich eine Verbindung von Ost nach West. Und das ist sozusagen für die stadträumliche Entwicklung eine große Bürde, Schlicht und einfach.
Maximilian Schönherr: Auch heute noch?
Dr. Christian Halbrock: Auch heute noch, eindeutig.
Maximilian Schönherr: Jetzt sag ich mal für die Leute, die nicht den Podcast hören und die nicht Lichtenberg so gut kennen. Es ist, und da möchte ich jeden dazu ermutigen auch, ganz leicht mit der U5 Magdalenenstraße auszusteigen. Und dann geht man ungefähr drei Minuten in diesen ziemlich grässlichen Innenhof voller Beton und dann kann man sich mindestens zwei Ausstellungen angucken und vor allem die Ausstellung in Haus 7, an der Sie jeden Tag vorbeigehen, weil ihr Büro da ist.
Dr. Christian Halbrock: Richtig, das ist die Ausstellung zur Revolution 1989, die stand ursprünglich auf dem Alexanderplatz zum Anlass der Revolution und ist dann hierhin gebracht worden, wo sie ganz gut aufgehoben ist.
[Jingle]
Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Maximilian Schönherr: Wenn Sie eine Wohnung suchen würden, würden Sie hier eine finden?
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Also diese Frage müssen wir kurz einordnen, ob er da einziehen würde. Wir stehen wo genau? Du weißt es viel besser, als ich es jetzt in Erinnerung habe?
Dagmar Hovestädt: Also ihr seid ja dann aus dem Innenhof ein bisschen nach Süden Richtung Frankfurter Allee gegangen und steht vor diesem Riegel, den sie da als Sichtschutz quasi gebaut haben, an der Ecke, die 13 Geschosser, die Christian Halbrock da benennt. Und das war eben das waren die Bürogebäude der HV A, der Auslandsspionage oder das Haus 15, wie das damals hieß.
Maximilian Schönherr: Mal gucken, ob Christian Halbrock da einziehen möchte.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Wenn Sie eine Wohnung suchen würden, würden Sie hier eine finden?
Dr. Christian Halbrock: Also momentan stehen die Blöcke ja leer, weil nicht so richtig klar ist, was aus ihnen werden soll. Es wäre natürlich schön, wenn man dort drin vielleicht Studentenappartements, Mikrowohnungen bauen könnte, mit denen man weitgehend die Außenfassaden auch erhält. Es ist ja eine ganz große Diskussion: Was passiert eigentlich mit den Blöcken?
Maximilian Schönherr: Sind die statisch okay?
Dr. Christian Halbrock: Die sind statisch massiv gebaut. Die sind so massiv im Erdreich verstärkt, es befindet sich in einem Block sogar eine Bunkeranlage darunter - Bunkeranlage ist übertrieben - also man nannte das immer Schutzräume, die sind massiv verstärkt im Erdboden und die sind auf jeden Fall stabil bis zum geht nicht mehr. Aber natürlich wäre die Frage, wenn man jetzt was drin machen würde, die Dämmauflagen, die man heutzutage hat, Fassadendämmung-
Maximilian Schönherr: Und Wärmedämmung.
Dr. Christian Halbrock: Und Wärmedämmung würden ja schon dazu führen, dass der Charakter dieser Blöcke sich grundsätzlich verändert. Und wir haben das ja oben in der Gotlindestraße, das Teilobjekt nördlich des Hans-Zoschke-Stadions, wo heute das Arbeitsamt ist und das Bundesverwaltungsamt, da hat man das gemacht, da hatte man das machen müssen und die Blöcke haben doch so stark ihren Charakter verändert, dass man dann nur noch den Baukörper erahnt.
Maximilian Schönherr: Hier sieht man das noch, das wirkt sehr authentisch. Und es ist menschenleer.
Dr. Christian Halbrock: Es gibt Architekturstudenten, die hatten jetzt schon vorgeschlagen, dass man in diese Wohnungen - und das ist ein sehr massiver Plattenbau, da kann man einzelne Platten im Inneren auch rauslösen - dass man da sozusagen einzelne Segmente einbaut, die in sich isoliert sind. Und das ist an sich ein relativ guter Vorschlag. Aber was daraus wirklich dann wird am Ende, weiß kein Mensch.
Maximilian Schönherr: Warum waren Sie in U-Haft, wenn auch nur kurz, hier und wo?
Dr. Christian Halbrock: Ja, man hat ja die Untersuchungshaftanstalt Magdalenenstraße auf der östlichen Seite, hinterm Haus 1, eine der zentralen Untersuchungshaftanstalten des MfS und diese wurde neben der zentralen in Hohenschönhausen genutzt.
Maximilian Schönherr: Hohenschönhausen ist wie weit von hier?
Halbrock: Das ist ungefähr 2 Kilometer entfernt. Und diese Untersuchungshaftanstalt, die sozusagen im besten wilhelminischen Stil noch sozusagen erhalten geblieben ist-
Maximilian Schönherr: Dicke Mauern?
Dr. Christian Halbrock: Dicke Mauern, ja. Mit der entsprechenden preußischen, sozusagen schmucklosen Fassade-
Maximilian Schönherr: Betritt mich nicht.
Dr. Christian Halbrock: [lacht] Und da wurden eben politische Gegner eingesperrt in der Frühzeit, weil sie vielleicht westliche Literatur besessen haben, weil man ihnen vorwarf, sie hätten Spionage betrieben, hätten Informationen weitergegeben und was nicht alles. Im Laufe der Jahre gab es so eine Art Spezialisierung. Hohenschönhausen nahm die sozusagen dem MfS wichtigen zentralen politischen Gefangenen auf, je nach Erwägung, ob das eben eine besonders schwerwiegende politische Tat war oder die Häftlinge aus dem Westen stammten oder aus dem westlichen Ausland stammten. Und hier in die Magdalenenstraße kamen bevorzugt Häftlinge, die, wie es hieß, Angehörige der bewaffneten Organe waren. Dann, ab Mitte der 80er Jahre wurde durch einen Neubau eine Untersuchungshaftanstalt des MfS, die in Neubrandenburg entstand und die diese Funktion übernehmen sollte, wurde die Funktion hier etwas obsolet und '87 erging dann vom Minister ein Befehl, wo drin stand: diese Untersuchungshaft anstatt des zukünftig als zentraler Zuführungspunkt in Ostberlin zu nutzen. Also das heißt, wenn sozusagen die Demonstration stattfinden gegen die Wahlfälschung, gegen das Verbot von Kirchenzeitung und was auch immer, sind die, die dann festgenommen werden und an denen das MfS interessiert sind, hierhin gebracht, vernommen, Beweise gesichert, vielleicht kriminaltechnisch noch behandelt und dann wird entschieden, kommen sie raus oder kommen sie nicht raus. Und das ist tatsächlich gemacht worden. Und bei mir war es in zwei Fällen: Einmal ging es um tatsächlich eine Demonstration zur Wahlfälschung und einmal um das Verbot von Kirchenzeitung, Zensur von Kirchenzeitung. Ja, das war-
Maximilian Schönherr: Haben Sie sich dagegen gewandt, in dem Sie-
Dr. Christian Halbrock: -öffentlich demonstriert haben, ja.
Maximilian Schönherr: Das war '87?
Dr. Christian Halbrock: Das war '88, '89. So in dem Dreh muss das gewesen sein.
Maximilian Schönherr: Wo das durchaus noch risikobehaftet war, wie man eben daran sieht.
Dr. Christian Halbrock: Ja, das war schon risikobehaftet, aber es war auch so eine Art letztes Aufbäumen. Also ich habe mich seit Anfang der 80er Jahre mich irgendwo betätigt in irgendwelchen oppositionellen Gruppen, Demonstrationen organisiert, also hatte dann auch vom MfS den "Operativen Personenkontrolle Organisator", sozusagen wegen Organisation von staatsfeindlichen Zusammenkünften. Und viele Festnahmen, Verhöre, die ich dann erlebt habe, waren wesentlich härter und wesentlich anstrengender und wesentlich riskanter, wo man nicht wusste, kommt man wirklich raus. "Einleitung Überprüfungsverfahren" auf Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und so weiter und so fort. Hier war es so, dass bereits mit der Demonstration im Gefolge etliche westliche Journalisten unterwegs waren und sozusagen die Sache begleitet hatten. Und man kam rein und man wusste, die stehen schon unter Zeitdruck, weil sie können einen ja nur 24 Stunden, also bis 0 Uhr des Folgetages festhalten. Und es war dann tatsächlich auch so, dass ich es einmal komplett abgestritten habe und sagte: Ich weiß nicht, was ich hier machen soll und warum ich hier überhaupt bin. Und dann kam irgendwann nach paar Stunden ganz stolz der Vernehmer rein und meinte, er hätte jetzt Westfernsehen gesehen den Beitrag und das ist klar, da hat er mich erkannt. Und dass ich da auch dabei war und-
Maximilian Schönherr: Stimmte das?
Dr. Christian Halbrock: Das stimmte. Aber es war klar, die standen unter Zeitdruck und die hatten an sich nicht mehr die Macht, wie noch zwei, drei Jahre vorher einen komplett verschwinden zu lassen.
Maximilian Schönherr: Wussten Sie, als Sie hier in U-Haft waren, also diesen einen Tag, diese eine Nacht, wo Sie waren? Also dass das Gebäude 1 direkt vor Ihnen ist?
Dr. Christian Halbrock: Also das wusste ich weitgehend. Ich wusste, dass wir in die Untersuchungshaftanstalt Magdalenenstraße gebracht wurden.
Maximilian Schönherr: Und Sie wussten natürlich, Magdalenenstraße ist das Ministerium.
Dr. Christian Halbrock: Genau. Ich hatte mir auch von Freunden im Westen immer Literatur rüber schmuggeln lassen und bringen lassen, unter anderem auch Karl Wilhelm Fricke's Buch über die Staatssicherheit der DDR. Und da wurde schon ziemlich detailliert geschrieben, was wo ist. Und ich kannte das Areal sowieso sehr gut hier, weil da drüben steht die Glaubenskirche am Roedeliusplatz und da hatten wir diese doch etwas verwegene Idee im September 1983 da einen kirchlichen Friedens- und Arbeitskreis zu gründen, was nicht so eine gute Idee war, sozusagen in Greif und Sichtweite des Ministers. Und drüben im Kindergarten der Glaubenskirche ging meine Tochter eine Zeit lang zum Kindergarten und ich arbeitete in einem kirchlichen Buchladen unten in der Pfarrstraße. Und daher kannte ich das Areal ziemlich gut und hatte mir schon auf vieles einen Reim gemacht.
Maximilian Schönherr: Aber Sie kannten es halt nur von außen.
Dr. Christian Halbrock: Ja, ein Glück. Das hier ist Haus 22. Das hieß ursprünglich nur das neue Speisehaus. Das ist errichtet worden um 1960 rum, also mit den eigentlichen Bürogebäuden und dem Ministersitz sind auch verschiedene Versorgungsgebäude entstanden. Also das neue Speisehaus, später der Dienstleistung- und Versorgungskomplex. Diese hatten ja natürlich die Funktion, den Angestellten, was ihnen zur Pausenverpflegung zur Verfügung zu stellen. Dieses neue Speisehaus stand dann im Ende aber nur den obersten Obristen, den obersten Rängen in der militärischen Struktur zur Verfügung. Deswegen bürgerte sich intern so der Begriff ein: "Feldherrnhügel". Hier wäre der Feldherrnhügel.
Maximilian Schönherr: Das sind ja auch ein paar Treppenstufen.
Dr. Christian Halbrock: Ja, das ist ein paar Treppenstufen höher. Aus der Historie weiß man, dass dieser kleine Hügel, der sich hier befindet, mal Standort einer Mühle war, einer preußischen Windmühle, die dann aber um die Jahrhundertwende um 1900 auch schon verschwunden ist. Aber daher hat man diesen kleinen Hügel hier. Gleichzeitig sind diese Gebäude ziemlich wichtig gewesen für politische Schulungen, Konferenzen der Diensteinheiten und auch Festivitäten und Empfänge, die der Minister veranstaltet hat oder seine Stellvertreter.
Maximilian Schönherr: Den wir hier sehen.
Dr. Christian Halbrock: Den wir hier sehen. Also das ist-
Maximilian Schönherr: Fast in Naturgröße.
Dr. Christian Halbrock: Fast in Naturgröße. Es ist ja so, dass nicht nur ein Ministerium aus gefolgsamen und parteiüberzeugten Mitarbeitern besteht, sondern gleichzeitig muss man immer für den entsprechenden ideologischen Budenzauber sorgen. Also man muss sehen, dass diese Leute ständig strebsam, parteilich überzeugt und immer gläubig sozusagen bei der Stange gehalten werden. Und dafür sind eben solche Schulung und Unterweisung eben ganz wichtig. Und damit haben diese Gebäude, wie das neue Speisehaus ist, eben auch eine ganz wichtige Funktion erfüllt. Viele Ausstellungen, die dann hier abgehalten wurden. Aber das sind wie gesagt, die ideologische Einräumung und Begleitung der Arbeit, auch zur Stimulierung einer hohen Einsatzbereitschaft. Das ist ebenso das A und O eines Betriebes, der irgendwie was ganz Komisches herstellt.
Maximilian Schönherr: Und was macht Mielke hier auf diesem Riesenfoto?
Dr. Christian Halbrock: Der nimmt anscheinend eine Parade ab.
Maximilian Schönherr: Von einem Soldaten, Blitzlichtaufnahme, die Stiefel scheinen im Spätabendlicht und im Hintergrund sehen wir das Gebäude, wo wir gerade drin sind.
Dr. Christian Halbrock: Genau, das neue Speisehaus.
Maximilian Schönherr: Weit musste er nicht gehen. So ungefähr eine Minute.
Dr. Christian Halbrock: [lacht] Nein, da musst er nicht weit gehen. Und auch sehr schick seine Mütze, muss ich sagen. Die ist so ein bisschen die sibirische, russische Variante mit dem kleinen Kräusel-
Maximilian Schönherr: War kalt auf seinem Kopf.
Dr. Christian Halbrock: Hat schon was. Und die schicken Handschuhe, schon toll.
Maximilian Schönherr: Ja, und rechts daneben sehen wir jetzt mal die Gebäude. Eigentlich alle, aber das habe ich noch gar nicht gesehen, obwohl ich hier auch schon war. Es gibt auch ein "H", das ist der Hof, oder wie?
Dr. Christian Halbrock: Das wird der Hof sein.
Maximilian Schönherr: Haus 8 und 9. Wo ist jetzt ihr U-Haft Gebäude?
Dr. Christian Halbrock: Das hat keine Nummer, neben Haus 8 und 9, hinter Haus 1. Da ist ein Plattenbau, das ist der Sitz der zentralen Auswertung und Informationsgruppe um Werner Irmler. Das ist sozusagen das Hirn der Staatssicherheit, das ist der Typ, der wirklich die Informationen alle auswertet. Und der Werner Irmler ist gelernter Oberforstmeister aus Zehdenick gewesen und der wusste wie man im Wald den Baum wiederfindet. Und das ist sozusagen für die Staatssicherheit ganz entscheidend, dass man sozusagen wirklich ein System erdenkt, den Einzelnen in der Masse wiederzufinden. Entsprechend hat er Auswertungssysteme erdacht, aufgebaut, auch häufig nach westlichem Vorbild. Hat geguckt, was macht der Herold vom BKA in der Bundesrepublik? Wie stellt der das an?
Maximilian Schönherr: Wie macht er Rasterfahndung?
Dr. Christian Halbrock: Genau, wie macht der Rasterfahndung, Schleppnetzfahndung und diese ganzen Sachen. Das hat sozusagen die DDR auch übernommen, ausgebaut für politische Zwecke. Und hinter diesem Areal sieht man so querstehend ein Block, das ist die Untersuchungshaftanstalt. Die wurde aus sozusagen, wie das so heißt, aus operativ taktischen Gründen nicht in die Zentrale integriert. Das war ja eh so nach sowjetischem Vorbild, dass jedes Areal in einzelne Segmente zerlegt wurden, wo nur jeder einen bestimmten Zugang hatte zu einem Teilbereich. Und das war auch so, dass grundsätzlich Untersuchungshaftanstalten des MfS immer eine eigene Sicherheitszone sein mussten innerhalb eines Areals. Und so wurde es auch mit der Untersuchungshaftanstalt in der Magdalenenstraße gehandhabt, die war noch mal separat, wurde die behandelt.
Maximilian Schönherr: Also man sieht hier ein Areal, wo man damals nicht reinkam. Es sei denn man hatte was wichtiges hier zu tun.
Dr. Christian Halbrock: Genau, kam man nicht rein, wo man aber auch nicht rein wollte.
Maximilian Schönherr: Und über uns ist jetzt der Saal, wo Mielke dann gerne seine ewig langen Veranstaltungen hielt, wo immer ein Tonband mit lief, weil das Audioarchiv ist einfach voll mit elend langweiligen Reden.
Dr. Christian Halbrock: Genau. Ja, Mielke. Seine endlosen selbstgefälligen Reden, bei denen er sich selbst gerne reden hörte. Und er ist ebenso wie jeder klein gewachsene Minister auch so ein Tyrann für sich gewesen. Es gab dann auch immer wieder Anlässe, wo er dann mitten im Sommer die Idee hatte, er müsse jetzt im Juli alle Leiter von Bezirksverwaltung nach Berlin eintrommeln, weil er eine ganz wichtige Rede hält und eine wichtige Stabsübung durchführt auf dem Papier. Letztendlich ging es ihm einfach darum, dass er doch Kontrollverlust-Ängste hatte, wenn Leute in Urlaub fuhren oder zur Kur fuhren. Nein, er wollte die Leute alle Zeit greifbar haben. Und schon nach drei Tagen Urlaub, die so ein Bezirksverwaltungschef hatte, fiel Mielke ein, dass er doch jetzt gerade was von ihm wollte und fing ihn an zu nerven. Und so was gibt es dann auch hier. Das zeigt so ein bisschen so den Charakter dieses Kleintyrannen.
Maximilian Schönherr: Letztes Thema. Wann sind Sie hier Angestellter geworden beim Bundesbeauftragten?
Dr. Christian Halbrock: 2007.
Maximilian Schönherr: Wie ist das passiert?
Dr. Christian Halbrock: Ja, ich hatte Geschichte und Ethnologie studiert und hatte verschiedene Sachen gemacht, hatte vor allen Dingen zur evangelischen Kirche und zur katholischen Kirche in Polen gearbeitet und hatte dann die Idee, dass diese Geschichte MfS und so, das müsste man vielleicht auch mal anders beleuchten. Damals war der Befund noch so, dass diese Stasi-Zentrale, um die es ja jetzt doch schon so ein großes Interesse gibt und wo viele Leute gerne hinkommen und viele Klassen, die wurde damals selbst unter Hardcore-, sozusagen, Aufarbeitungsjunkies nur mit den Fingern angefasst und keiner wollte nach Lichtenberg. Hiermit wollen wir nichts zu tun haben. Und es war wirklich sehr schwierig, Leute hier zu bewegen, hierhin zu kommen, hier Veranstaltung zu besuchen und irgendwie hatte ich gedacht, man müsste doch irgendwas zu diesem Gelände mal machen, aber vielleicht etwas anders als das man nur darüber redet, welche Hauptabteilung wo drin saß und wie viel Mitarbeiter hatte und welche Dienstanweisung befolgte. Und in dem Zusammenhang hatte ich gedacht, ich mache so eine Synthese aus Stadtgebietsforschung und Entstehung dieses Areals. Ich zeige auf, was hier an sich verschwunden ist, bevor das Gebiet entstand und wie auch die umliegende Bevölkerung darauf reagiert hat und wie sich das Stadtgebiet verändert hat.
Maximilian Schönherr: Eigentlich auch das, worüber wir auch gesprochen.
Dr. Christian Halbrock: Genau das, worüber wir gesprochen haben. Und das wurde schon vor meiner Anstellung fertig. War so 2006 fertig, ist dann auch als Buch erschienen. Lukas Verlag, Berlin. Und ja-
Maximilian Schönherr: Wie heißt das Buch?
Dr. Christian Halbrock: Das ist "Mielkes Revier: Stadtraum und Alltag rund um die MfS Zentrale in Berlin-Lichtenberg". Viele Interviews geführt mit Leuten, die hier als Anwohner irgendwo sind und auch festgestellt, dass es keineswegs so ist, dass das hier, wie man Anfang der 90er Jahre meinte, so eine Art Stasi-Stadt ist. Oder es gab auch das Klischee von Berlin Lichtenberg: Platte, Glatze, Stasi. Das war keineswegs so, ich habe viele bürgerlich gesinnte Leute getroffen, die hier die ganze DDR-Zeit über gewohnt haben, festgestellt, dass es hier sehr aktive Sozialdemokraten gab, die sich heimlich getroffen haben und anderes. Und das findet sich in dem Buch dann wieder unter den vielen Zeitzeugen-Interviews, die ich gemacht habe. Und über diesen Weg bin ich dann doch bei dieser Stasi-Unterlagenbehörde gelandet, obwohl das eigentlich nie mein Ziel war.
Maximilian Schönherr: Da war Jahn noch nicht der Bundesbeauftragte.
Dr. Christian Halbrock: Nein, da war noch Marianne Birthler die Beauftragte.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war ein Rundgang mit meinem Kollegen, Dr. Christian Halbrock, Forscher im Stasi-Unterlagen-Archiv, jetzt im Bundesarchiv. Wer sich noch intensiver mit der Mielke-Stadt beschäftigen möchte, dem sei sein Buch "Mielkes Revier: Stadtraum und Alltag rund um die MfS Zentrale in Berlin-Lichtenberg" ans Herz gelegt. Und im kommenden Jahr, vermutlich in der zweiten Jahreshälfte, bringen wir selber noch mal ein neues Werk über die Stasi-Zentrale von ihm heraus. Und dann kann man bei uns auf der Seite nachschauen, wie man das dann lesen kann.
Maximilian Schönherr: Was Herr Halbrock und ich gar nicht ansprachen, ist die Zukunft des Geländes. Also, wie geht es denn da weiter?
Dagmar Hovestädt: Anteile gehören dem Bund, dem Land Berlin und auch in Privatbesitz. Die ehemalige Poliklinik des MfS zum Beispiel ist ja seit 1990 ein Ärztezentrum in Privatbesitz, genau an diesem Ort. Der Bezirk hat es zum Sanierungsgebiet erklärt. Die Häuser 1, 7 und 22 stehen unter Denkmalschutz. Der Senat von Berlin hat einen Standortmanagement eingerichtet, weil es eben eine integrierte Planung mit viel Aufwand zwischen den verschiedenen Parteien verbunden ist. Und als nächsten Motor der Weiterentwicklung kann man sicherlich den Bundestagsbeschluss sehen, der sagt, dass hier ein Archivzentrum zur SED-Diktatur entstehen soll und alle Unterlagen im gesamten Bundesarchiv zur DDR hier an diesem historischen Ort lagern werden. Und dann gibt es ja auch noch den Leerstand, der eben auch Potenzial bedeutet, das aber in privater Hand liegt. Ich denke mir das so: Es hat Jahrzehnte gedauert, den Ort für die Repression zuzumachen und es braucht eben auch Zeit, ihn in der Demokratie zu einem lebendigen neuen Ort zu gestalten.
Maximilian Schönherr: Wirst du mal von Mitte dann dahin umziehen?
Dagmar Hovestädt: Die Büros werden tatsächlich in zwei Jahren schon umziehen. Da gibt es ein Bürogebäude in der Nähe an der Frankfurter Allee, in das wir alle umziehen werden, weil wir dieses Gebäude hier in Mitte verlassen müssen.
Maximilian Schönherr: Unser Podcast endet immer mit einem akustischen Einblick in den riesigen Audiopool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Ende September 1989 wird in Halle ein Mann wegen des Verdachts der versuchten Republikflucht über die damalige CSSR vernommen. Er ist damit nicht allein, denn zu dem Zeitpunkt war versuchte Republikflucht über Ungarn oder die CSSR der häufigste Vorwurf in Vernehmungen DDR-weit. In den knapp 3 Stunden wird der Vernehmer mehrfach sehr laut, was in Halle keine Seltenheit war. Wir hören 3 Minuten, und diesmal muss ich zarte Gemüter warnen, weil der Einstieg gleich in die Vollen geht. Aufgrund der Lautstärke kommt es auch zu Verzerrungen und Bandecho.
[Archivton]
[männlicher Sprecher 1:] Ja, sagen Sie mal, [unverständlich]!
[männlicher Sprecher 2:] [Stammeln]
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]! Sie gehen seit Mai nicht mehr arbeiten!
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Von was für Geld leben Sie, wenn [unverständlich]!
[laute Schritte]
[männlicher Sprecher 1:] Reisen in der DDR, in ein Nachbarland [unverständlich]! Das können Sie ihre Großmutter erzählen! [unverständlich]
[Laute Schritte]
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]
[Pause]
[männlicher Sprecher 1:] Ich sagte zu Beginn der Vernehmung, dass Sie das Recht haben über die Beweismittel unterrichtet zu werden. Das ist eines ihrer Rechte. Die Unterrichtung über die Beweismittel, sagte ich weiterhin, geschieht im Laufe des Verfahrens bis hin zum Abschluss desselben. Alle Dinge, die wir wissen, die wir beweisen können, werden wir aus guten Grund Ihnen nicht sofort auf den Tisch legen. Das bedeutet nicht, dass wir mit gezinkten Karten spielen. Wir spielen mit offenen Karten-
[männlicher Sprecher 2:] Hmm, hab ich gesehen.
[männlicher Sprecher 1:] -aber wir decken die Karten erst zu gewissen Zeiten auf.
[männlicher Sprecher 2:] Joa, das hab ich gesehen.
[männlicher Sprecher 1:] Wir decken die Karten auf, wenn es an der Zeit ist.
[männlicher Sprecher 2:] [unverständlich]
[männlicher Sprecher 1:] Wir bestimmen, wie lange Sie [unverständlich] werden. Durch ihr Verhalten-, durch ihr Verhalten vor-
[männlicher Sprecher 2:] [unverständlich]
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]. Wenn ich rede, rede ich, dann haben Sie Sendepause. Sie wissen also demzufolge nicht, was zwischenzeitlich Ihre Frau bereits schon alles gesagt hat? [Pause] Ja? Sie wissen das zwar, als solches, wir haben ja mit Ihrer Frau gesprochen, aber Sie wissen ja nicht, was Ihre Frau alles erzählt hat zwischenzeitlich. Also lassen Sie gefälligst Ihre Nerven-
[männlicher Sprecher 2:] [unverständlich]
[männlicher Sprecher 1:] Sie reiten sich doch immer tiefer rein.
[männlicher Sprecher 2:] [Husten]
[männlicher Sprecher 1:] Wenn Sie jetzt nicht so langsam vernünftig werden-
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Wenn Sie nicht so langsam vernünftig werden, dann sind Sie in der Scheiße vollkommen drinne und kommen so schnell nicht wieder raus! [Unverständlich] Sie müssen ja nur mal dran denken, so wie man in den Wald reinruft, so schallt das raus aus dem Wald!
[Archivton]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."