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Sprecherin: "111 Kilometer Akten- [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Hallo und willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Maximilian Schönherr, ich bin Radiojournalist und einer der beiden Gastgeber des Podcasts, zusammen mit Dagmar Hovestädt, die die Abteilung Vermittlung und Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv leitet.
Dagmar Hovestädt: Wir sprechen ja hier im Kern weitestgehend über die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit. Darüber wer sie nutzt und warum. Auch wer hier arbeitet und was es braucht um diese Akten zu verwahren, zu bewahren und zugänglich zu machen. Ich bin dabei immer wieder erstaunt, dass es für jeden Einzelnen doch auch so eine intensive Begegnung mit diesen Unterlagen ist. Insbesondere bei unserem heutigen Thema. Da reden wir über junge Menschen, die heute schon sehr erwachsen sind und was es heißt, in einer Diktatur aufzuwachsen und mit der Stasi in Berührung zu kommen. Maximilian Schönherr: Und zwar sprechen die drei auf einem Podium in der ehemaligen Stasi-Zentrale Lichtenberg, heute der Campus für Demokratie genannt. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Campus-Forums statt. Weil ich nie da war, von wem kam eigentlich die Idee und wie lange gibt es das schon?
Dagmar Hovestädt: Das Campus-Forum ist im Grunde genommen die Verkörperung der Idee des Campus für Demokratie in der Stasi-Zentrale. Nämlich an dem historischen Ort mit dieser Geschichte von Repression und Unterdrückung von Menschenrechten, Themen des Damals mit dem Heute in Beziehung zu setzen und über Demokratie zu reflektieren indem wir uns mit Geschichte beschäftigen. Das ist erst im letzten Jahr entstanden. In der Corona Zeit war es extrem schwierig Veranstaltungen zu machen und daher haben wir einiges gebündelt, was ein bisschen liegen geblieben ist. Deswegen ist es auch heute in der zweiten Auflage ein hybrides Format. Man kann es Online sehen. Man kann vor Ort dabei sein. Es dauert drei Wochen und hat drei große Themenkomplexe: Biografien in der SED-Diktatur, das war die erste Woche. Die zweite Woche beschäftigt sich mit Menschenrechten im Konflikt. Dabei sind neben den dauerhaften Partnern, der Robert-Havemann-Gesellschaft und dem Berliner Aufarbeitungsbeauftragten, auch spezifische Kooperationspartner zu Themen wie Pressefreiheit, also Reporter ohne Grenzen, dabei. Die werden diese Woche bearbeitet und nächste Woche, Anfang Mai 2022 - du denkst ja immer über das Podcast Publikum nach das in ein paar Jahren noch hört - haben wir in der dritten Woche Archive im Fokus. Und da geht's um verschiedene Überlieferungen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv und parallel Geschichten aus z.B. dem Archiv der DDR-Opposition.
Maximilian Schönherr: Wir haben in dieser Podcast Reihe öfter sehr dramatische bis tragische Geschichten behandelt. Menschen die von der Stasi auf mehr oder weniger subtile Weise fertig gemacht wurden. Heute hören wir drei sehr verschieden Autobiografien mit sehr verschiedenen Erfahrungen mit der Stasi. Ich würde sagen, wir stellen jetzt mal die drei direkt vor und zwar in der Reihenfolge des Auftretens am Podium. Zunächst Frank Lingsminat. Er wurde 1964 in Ostberlin geboren. Sein Vater war ein hochrangiger Offizier im Ministerium für Staatssicherheit bei der Spionageabwehr der Hauptabteilung II. Das Leben als Sohn eines Stasi-Offiziers, noch dazu in unmittelbarer Nähe zur Stasi-Zentrale, war eine harte Nummer. Viele Kinder von Stasi-Offizieren wuchsen mit der strengen Erwartung ihrer Eltern auf. Das sie ihnen in die Firma, also ins Ministerium, folgen würden. So auch Familie Lingsminat.
Dagmar Hovestädt: Ich stelle gerne die Moderatorin des Gesprächs an dieser Stelle vor. Das ist die Journalistin und Autorin Ruth Hoffmann, die 2012 ein Buch genau über dieses Thema geschrieben hat: "Stasikinder, Aufwachsen im Überwachungsstaat". Ihre Recherche zu den Töchtern und Söhnen der Stasimitarbeiter hat viel angestoßen. Unter anderem auch einen Film und eine Selbsthilfegruppe. Daher kennt sie auch Frank Lingsminat sehr gut. Das wird im Gespräch ziemlich deutlich.
Maximilian Schönherr: Die zweite Person im Gespräch ist Angela Marquardt. Auch eine sehr komplexe und schwierige Biografie. Sie ist 1971 in Greifswald geboren worden, in eine Familie die mit der Stasi zusammenarbeitete. Sie wuchs mit den Führungsoffizieren ihrer Eltern auf, Freunde der Familie quasi. Männer denen sie vertraute und die sie, in mehrerer Hinsicht, missbrauchten. Als Angela Marquardt 14 Jahre jung war haben sie sie für die Stasi rekrutiert. Das veröffentlichte sie viele Jahre später in einem Buch das 2015 erschien. Es hieß: "Vater, Mutter, Stasi. Mein Leben im Netz des Überwachungsstaats". Ihre Geschichte ist auch eine Auseinandersetzung mit den Schablonen von "Opfern" und "Tätern" und wie wir heute mit den Bedingungen von Diktaturen umgehen.
Dagmar Hovestädt: Das stimmt. Je länger die DDR zurückliegt, desto mehr gibt es ja auch schon Erzählungen über die DDR, die sich in Narrativen und Schablonen so verfestigt haben. Die Repression und Überwachung haben viele Menschen gebrochen, Lebensläufe zerstört, Menschen nachhaltig geschädigt. Viel zu wenige haben sich mit ihrer Verantwortung für dieses Leid beschäftigt oder auch nur dazu bekannt. Das ist eine riesige Leerstelle. Aber es wird durchaus auch deutlich, dass die Linie zwischen Opfer und Täter nicht automatisch immer nur entlang der Stasikategorien zu ziehen ist.
Maximilian Schönherr: Das ist bei der dritten Biografie im Gespräch auch sehr offenkundig. Tim Eisenlohr wurde 1973 in Berlin geboren. In einem, man könnte sagen, doch recht stramme aber liberal denkende Funktionärsfamilie. Tim Eisenlohr erzählt seine junge Lebensgeschichte der Verweigerung. Mit 12 trat er aus der Jugendorganisation "Junge Pioniere" aus. Mit 14 war er bei der regimekritischen Gruppe von Oppositionellen, die sich über die Berliner "Umweltbibliothek" organisierten. Am 25. November 1987 gab es um Mitternacht eine Razzia in der Umweltbibliothek, bei der auch der Teenager Tim Eisenlohr verhaftet wurde und in U-Haft bei der Stasi unweit der Stasi-Zentrale landete.
Dagmar Hovestädt: Bei der Veranstaltung wurden hin und wieder auch Fotos und Dokumente gezeigt und im Gespräch besprochen. Das ist natürlich bei einem Podcast schwierig im Erleben dieser Diskussion nachzuholen. Beispielsweise aber Tim Eisenlohr, weil darüber gesprochen wird, ein Polaroidfoto das die Stasi in der Nacht dieser Razzia im Keller der Umweltbibliothek gemacht hat. Quasi die Aktivisten dabei frisch ertappt festhalten wollte. Das Foto kann man auch Online z.B. bei der Robert-Havemann-Gesellschaft im Archiv der DDR-Opposition schnell finden. Dann, glaube ich, haben wir alles ausreichend eingerahmt. Ruth Hoffmann beginnt das Gespräch mit einer wichtigen Erinnerung, weit über 30 Jahre nach den Ereignissen.
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Ruth Hoffmann: Sie sitzen hier als Erwachsene, aber wir sprechen von ihrer Kindheit und Jugend. Das muss man immer im Hinterkopf behalten, finde ich. Frank, Sie waren ja damals in einer Situation, die ganz anders war, als die von Tim. Sie hätten sich wahrscheinlich nicht getraut, sozusagen "regimekritisch" tätig zu sein. Sie haben sich ja schon mit Ihrem Vater wegen größeren Banalitäten, eigentlich, gezofft.
Frank Lingsminat: Ja. Na, ich war komplett integriert und war sogar mit 14 Jahren FDJ-Sekretär an der Schule gewesen. Da sollte ich auch Offizier werden und das war der Weg den mein Vater für mich vorgedacht hat. Dann kam ich irgendwie in die Pubertät und dann spielte wirklich Musik eine große Rolle für mich. Ich muss es immer wieder erzählen: Musik ist wirklich die Sache, die eine große Rolle spielte. In unsere Klasse kam dann eine Schalplatte. Ich war 14 gewesen. Eine Punkschalplatte von den Sex Pistols, die wirklich mein Leben verändert hat. Auch das Leben meines Vaters. Der mit mir nicht mehr zurechtkam. Und ich dachte mir: "Was machen die da, das ist ja doll!" Und das hat mich total verändert zu dem Zeitpunkt. Das muss ich einfach so sagen. Also die Musik, die ich ja heute auch noch mache, war der Auslöser für die Opposition, die ich dann gegen meinen Vater aufgebracht hatte.
Ruth Hoffmann: Sie sagen, das hat auch das Leben ihres Vaters verändert, das hat seine Gründe. Das ist der Druck unter dem Ihr Vater stand und den er letztlich auch an Sie weitergegeben hat.
Frank Lingsminat: So ist es. Also, mein Vater kam danach gar nicht mehr mit mir zurecht. Er war ein sehr politisierter Mensch. Auf Grund dessen das mein Opa, der im Konzentrationslager Buchenwald war, der im Widerstand war. Er war Sekretär der Bezirks- in Dresden. Er hat dort oben auf dem weißen Hirsch neben der Ardenne-Ansiedlung gewohnt. Und das hat meinen Vater sehr geprägt. Er, also mein Vater, ist schon mit 17 Jahren in die Staatssicherheit eingetreten. Dann bin ich groß geworden und er kriegte schon mit, dass das nicht so funktioniert, schon als ich noch klein war. Ich war immer ein Freiheitsliebender Mensch. Also, jetzt bin ich 58, kann ich das gut reflektierend sagen. Und damit kam er immer nicht klar, mit mir. Bis der Auslöser kam als ich 15 wurde, kam er mit einem Freiheitsliebenden Menschen wie mir. Ich wäre gerne um die Welt gereist, das war ja in der DDR für mich gar nicht möglich gewesen. Und ich fühlte mich immer sehr unter Druck gesetzt. Es ging mir gar nicht gut, ich habe als Kind große Probleme gehabt. Heutzutage würde man sagen, man hat dann eine Persönlichkeitsstörung. Also, ich musste was machen, dass mir gar nicht gefallen hat. Ich war ein wilder Junge gewesen der Frei sein wollte und nicht unter Zwängen leben wollte.
Ruth Hoffmann: Aber es ging eigentlich gar nicht um politische Themen. Sie wollten einfach nur RIAS Berlin hören.
Frank Lingsminat: Ich wollte einfach nur Frei sein und Leben. Meine Mutter hat das so ein bisschen aufgefangen. Meine Mutter war Lehrerin gewesen und auch Mitglied der SED. Wir waren ein sehr politisierter Haushalt. Da spielte Politik immer eine immense Rolle. Es ging um nichts anderes als um Politik. Also mein Vater war keiner der mich jemals in den Arm genommen hat und gesagt hat "Ich liebe dich" oder das irgendwie verstanden hat. Es ging nur um Politik. Auch die Freunde die ich hatte die ja z.B. in einem anderen Haushalt großgeworden sind, wo der Vater Handwerker war oder sowas. Das waren für meinen Vater Kapitalisten. Für mich war das also sehr schrecklich gewesen.
Ruth Hoffmann: Und die Dinge über die ihr euch dann gestritten habt, das waren aber letztlich ja Lappalien.
Frank Lingsminat: Das würde man heute als Lappalien bezeichnen. Es ging um Musik. Und ich war ja auch so ein bisschen ein Fußballfan gewesen. Das man Fan eines Westvereins war. Und was weiß ich was. Ich war in Polen und hab da einen Wimpel gekauft für einen Westverein.
Ruth Hoffmann: Borussia München Gladbach.
Frank Lingsminat: Borussia München Gladbach, genau. Und den musste ich vor den Augen meines Vaters verbrennen.
Ruth Hoffmann: Und wie alt waren Sie da?
Frank Lingsmina: Da war ich 15 Jahre alt.
Ruth Hoffmann: Und wie war das für Sie damals?
Frank Lingsminat: So Fanatisch ist mein Vater gewesen. Er sagte selber später das er Stalinist war.
Ruth Hoffmann: Wann später?
Frank Lingsminat: Nach der Wende. Als er einmal besoffen war. Da habe ich ihn mal besoffen gemacht und gefragt "Für was hast, warst du damals gewesen"? Das war das einzige mal das er überhaupt darüber gesprochen hat. Muss ich einfach so sagen. Er war immer sehr kontrolliert gewesen. Es war ein Moment mal in einer halben Stunde. Da war ich aber schon zu alt gewesen. Da waren die 90er Jahre und ich hatte andere Sachen zu tun.
Ruth Hoffmann: Wussten Sie denn damals warum Sie in dieser Situation sind? Warum Sie diesem Druck ausgesetzt sind?
Frank Lingsminat: Tja, schwer zu sagen jetzt gerade.
Ruth Hoffmann: Sie haben ja hier gegenüber gewohnt. Konnten auf die Zentrale schauen von der Wohnung aus. Sie wussten, ihr Vater ist hier irgendwie.
Frank Lingsminat: Mein Vater- Also ich war in der Schule gewesen, hier in dem Neubaugebiet. Da wurde mein Vater ja auch nicht als Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt, sondern als Mitarbeiter der Volkspolizei. Das durfte ja keiner wissen. Alle in dem Neubaugebiet, die da wohnten, wussten, dass das der Stasi-Block ist. Das wussten alle. Da wurde man auch, wenn man auf dem Spielplatz war oder Fußball gespielt hat, wurde man schon ein bisschen verfemt von den Kindern. Die anderen Kinder, deren Eltern Bauarbeiter oder sowas waren, oder die einfach anders drauf waren, die halt nicht so politisiert waren, die haben uns dann schon- Da hat man schon was erlebt auf dem Fußballplatz.
Ruth Hoffmann: Wussten Sie, warum Sie in dieser Situation waren? Was Ihr Vater machte? Was sagte Ihnen das Wort Stasi?
Frank Lingsminat: Da war ich noch viel zu jung gewesen. Er hatte versucht mich zu integrieren, aber meine Freiheitsliebe sorgte immer für Widerstand. Irgendwie konnte er mich damit nicht erreichen. Wie gesagt, die Musik hat dann wirklich alles verändert.
Ruth Hoffmann: Es war ja die Konspiration gegenüber allem. Es war ein Geheimnis, was Ihr Vater machte. Die Stasi selbst natürlich auch. Was haben Sie in der Schule gesagt? Mussten Sie auch wie alle immer das Berühmte Kürzel MdI für Ministerium des Inneren nennen?
Frank Lingsminat: Mein Vater arbeitet beim Ministerium des Inneren, musste man sagen. Das kennen, glaub ich, viele, ja.
Ruth Hoffmann: Angela, wenn Sie in der Schule waren und das MdI von anderen Schülern hörten, sagte Ihnen das was? Oder löste das was aus?
Angela Marquardt: Nee. Ich hatte auch zwei Mitschüler deren Eltern auch beim Ministerium des Inneren gearbeitet haben. Also, die bei der Stasi gearbeitet haben. Aber das waren einfach nur Berufe. Darüber hat man auch nicht nachgedacht mit 9, 10, 11 Jahren, wenn das im Klassenbuch eingetragen war. Insofern war das für mich ein ganz normaler Begriff, über den ich nicht nachgedacht habe und ihn auch nicht hinterfragt habe.
Ruth Hoffmann: Auch nicht als "Code" sozusagen?
Angela Marquardt: Nee. Also ich war in einer Russisch-Klasse, da waren alle Eltern irgendwie Lehrer, Ärzte, Ministerium des Inneren. Das war nichts Ungewöhnliches in den Russisch-Klassen. Das waren ja schon ausgewählte Kinder, die bestimmte "biografische" Vorsortierungen hatten. Man hat halt nicht über die Berufe der anderen Eltern nachgedacht, jedenfalls nicht als Kind. Das war nicht so mein Interesse.
Ruth Hoffmann: Natürlich. Und das Wort Stasi, wann war Ihnen das ein Begriff. Können Sie sich daran erinnern?
Angela Marquardt: Das habe ich das erste Mal 1989 gehört. Stasi in die Produktion. Als die Demonstrationen begannen. Davor kannte ich den Begriff Stasi überhaupt nicht.
Ruth Hoffmann: Rückblickend wissen Sie aber, dass die Stasi in Ihrer Familie eine, gelinde gesagt, sehr große Rolle gespielt hat. Und für Sie und Ihr Leben. Könnten Sie uns einmal schildern wie das damals war? Ich würde gerne noch eine Sache da vorwegschieben. Das soll hier nicht das Thema sein. Aber ich finde es zum Verständnis Ihrer Geschichte wichtig. Sie haben schlimme Erlebnisse gehabt in Ihrer Kindheit. Ihr leiblicher Vater war gewalttätig und Ihr Stiefvater hat Sie, seit Sie 9 waren, sexuell missbraucht. Wie gesagt, das soll jetzt hier nicht das Thema sein, aber ich finde es ist wichtig für das Verständnis. Denn diese Männer, die da als Führungsoffiziere in Ihrer Familie ein- und ausgingen, waren die ersten männlichen Bezugspersonen denen Sie vertrauen konnten. So beschreiben Sie es in ihrem Buch. Da ist ja die Situation, die Sie Zuhause vorgefunden haben.
Angela Marquardt: Na ja das ist jetzt natürlich ein bisschen verkürzt dargestellt. [Lacht]
Ruth Hoffmann: Verkürzt, natürlich.
Angela Marquardt: Die Stasi ist ganz offensichtlich mit meinem Stiefvater in die Familie gekommen. Der zu diesem Zeitpunkt, so die Recherche, schon Kooperiert hat. Und ich bin wie gesagt 9 Jahre alt gewesen. Ich habe weder über die Leute, die bei uns ein- und ausgegangen sind, nachgedacht, noch hatte ich mit denen, als ich neun war, irgendwelche Kontakte. Ich bin halt einfach mit denen groß geworden. Die sind halt ab meinem 9 Lebensjahr in unserem Haushalt ein- und ausgegangen. Sie haben auch mit meinen Eltern Weihnachten gefeiert. Also auf eine andere Idee sie als Freunde meiner Eltern zu bezeichnen, mit denen ich quasi groß geworden bin, bin ich nicht gekommen. Man denk ja nicht über die Freunde seiner Eltern nach.
Ruth Hoffmann: Natürlich nicht. Genau darauf wollte ich auch hinaus. Sie haben dann ja erst sehr viel später erfahren was eigentlich passiert ist und haben dann selber auch Ihre Recherchen angestellt. Dann haben Sie sich mit minderjährigen IM, was Sie selbst dann ja auch waren, beschäftigt. Was haben Sie da herausgefunden? Vielleicht erzählen Sie einfach, was da rückblickend mit Ihnen passiert ist.
Angela Marquardt: Wie viel Zeit haben wir? [Lacht]
Ruth Hoffmann: [Lacht]
Angela Marquard: Ganz so einfach oder verkürz kann man das nicht darstellen. Ich bin auch immer ein bisschen vorsichtig Kinder und Jugendliche als IM zu bezeichnen. Es ist teilweise bekannt, für die die sich mit der Materie beschäftigen, dass der jüngste der mal eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hat 11 Jahre alt gewesen ist und ich scheue mich einen 11-Jährigen als IM zu bezeichnen.
Ruth Hoffmann: Die Stasi hat sie so genannt. Das muss man dazu sagen.
Angela Marquardt: Genau. In diesem Falle ist es vielleicht besser von "Betroffenen" zu reden. Und in meinem Fall ist das ja eher ein hineinwachsen in diese Situation gewesen. Die Akte beginnt, glaub ich, als ich 12/13 bin. Die Verpflichtungserklärung liegt dann im Mai 85, glaub ich. Und dieses Vertrauensverhältnis von dem Sie gesprochen haben, das war natürlich da. Ich habe keine Rebellion zu meinen Eltern gehabt. Ich bin in einem sehr staatskonformen Haushalt groß geworden. Ich kannte Begrifflichkeiten wie Stasi oder auch Widerstand nicht. Insofern beginnt das, was ich dann später herausgefunden habe, natürlich schon 1983/84. Die ganze Geschichte ist, ich bin zu dem Zeitpunkt als meine Stasi-Akte auftauchte Mitglied des deutschen Bundestages gewesen und bin dann medial damit konfrontiert worden. Das war 2002 und zu diesem Zeitpunkt war das eine Geschichte, die mich gar nicht so richtig erreichte. Ich bin früh aus dem Elternhaus gegangen, einen Grund haben Sie hier genannt. Ich habe dann in Greifswald alleine gelebt bis zur Wende. Ich bin 18 gewesen zur Wende und als die Mauer fiel begann ein neues Leben. Ich bin in die Welt gezogen. Ich habe mir die Welt angesehen, die man vorher nicht angucken konnte. Ich bin sozusagen auf Antifa-Demos gegangen und hab mein Leben gelebt. Und 2002 hat mich ein Leben von vor 1989 eingeholt, auf eine sehr brutale Art und Weise nämlich in der Öffentlichkeit. Und es hat natürlich, das muss man der Ehrlichkeit halber sagen, noch ein paar Jahre gedauert, bis ich in der Lange gewesen bin, wirklich zu begreifen, was in dieser Akte drinsteht, die ich mir 2002 angucken durfte, die ich gelesen aber nicht verstanden habe. Weil natürlich zu dieser einen Geschichte immer eine andere Geschichte dazu gehört und ich natürlich auch für mich ein anderes Leben aufgebaut habe und bestimmte Dinge hinter mir lassen wollte. Und das war ehrlich gesagt weniger die Stasi-Geschichte, die ich immer eher als Geschichte meiner Eltern begriffen habe. Und als ich dann 2002 ein Stück weit damit konfrontiert wurde, als ich sah, dass meine Stasi-Akte bis 1995 geht, und exakt ein gefakter Lebenslauf, sozusagen, dort drinstand, war ich auch gar nicht in der Lage das alles zu begreifen. Und dann gab es diesen Schlüsselmoment in meinem Leben, der dazu führte, dass ich wusste, dass ich die Geschichte erzählen muss. Ansonsten gehe ich sozusagen an dieser Geschichte kaputt, weil sie natürlich auch mit sehr viel Scham besetzt ist. Wir reden darüber das ich ein sehr sehr junger Mensch gewesen bin und in Vorbereitung auf diese Veranstaltung bin ich ja auch gefragt worden, können wir hier ihre Verpflichtungserklärung ranbeamen, können wir hier ihre Akte ranbeamen. Und ich habe einen sofortigen Reflex gehabt, Nein. Denn meine Geschichte ist nicht auf eine Verpflichtungserklärung reduzierbar. Auch wenn sie, wie haben Sie gesagt, in schöner Kinderhandschrift geschrieben ist. Weil diese Verpflichtungserklärung eigentlich gar nicht die Geschichte die dahinter steckt wirklich wiedergibt. Und ich habe ja versucht das im Buch mit Hilfe- von Frau Hollstein, ich habe sie gesehen, sie sitzt sogar hier, großen Dank. Habe mir auch Hilfe suchen müssen, sonst hätte ich diesen Prozess gar nicht ganz alleine geschafft. Wie gesagt, so eine Geschichte aufzuarbeiten und Verantwortung für etwas übernehmen, die ich auch übernehmen will, die aber auch ein stückweit in die Familie gehört. Denn wenn man so groß wird, wie ich groß geworden bin und am Ende des Tages steht die Frage: "Was wäre gewesen, wenn die Mauer nicht gefallen wäre? Wäre ich ein Stasi-Spitzel geworden? Hätte ich Studierende in der Theologischen Fakultät in Greifswald sozusagen an die Stasi verraten?" Das sich einzugestehen, sich diese Fragen zu stellen. Mit dem Wissen von heute ist es sehr einfach Fragen an das Gestern zu stellen. Aber diese Situation selber erlebt zu haben und das zu vermitteln heute. Wo Stasi heute ein Begriff ist unter dem viele sich Dinge vorstellen, die aber dennoch ausdifferenziert nicht immer so einfach sind. Und sich eingestehen zu müssen, dass man benutzt wurde als Kind und Jugendliche, das ist kein schöner Prozess.
Ruth Hoffmann: Das ist, finde ich, genau das richtige Stichwort: Benutzt. Ich konnte sofort verstehen, als Sie sagten, Sie möchten ihre Verpflichtungserklärung hier nicht sehen. Ich habe deswegen gesagt sie ist in Kinderschrift geschrieben, weil ich so erschütternd fand, wenn man sieht, dass es eben Kinderschrift ist. Und ich finde, dass man daran den Missbrauch sieht. Aber ich finde, das ist genau der Punkt, Sie sind missbraucht worden oder doppelt missbraucht worden. Ihr Vertrauen ist missbraucht worden.
Angela Marquardt: Ja, ich musste gar nicht unter Druck gesetzt werden. Man hat mir nicht gesagt, es passiert das und das, wenn du das nicht machst oder so. Ich habe diesen Menschen einfach vertraut. Für mich waren sie wie gesagt auch gar keine Stasi-Mitarbeiter. In meiner Akte ist ja z.B. auch, ich glaube, da war ich 14 oder 15, da sollte ich was über einen Mitschüler aufschreiben. Was ich ja auch artig gemacht habe. Das sind keine Dinge, über die man heute gerne spricht. Das sind Dinge für die man sich schämt. Und dennoch habe ich zu dem Zeitpunkt, als ich das gemacht habe, weil man es mir gesagt hat, das überhaupt nicht hinterfragt. Das System der DDR hat am Ende von solchen Menschen wie mir gelebt. Wenn die Mauer nicht gefallen wäre, hätte ich vielleicht nie Fragen gestellt. Auch in meinem Leben gab es Punkte, wo es mir vielleicht hätte auffallen können. Aber ich habe mich in einer Situation befunden, wo es gar kein anderes Weltbild gab. Ich hatte gar keine anderen Einflüsse. Wie gesagt, diese Russischklassen sind ja auch nicht umsonst zu DDR Zeiten gebildet worden. Diese Einflüsse von Musik oder so- Ich glaube, ich habe mal heimlich Depeche Mode gehört, weil ich im Internat gelebt habe. Aber es war jetzt auch nichts weltbewegendes Depeche Mode zu hören. Ich hatte nur dieses DDR konforme Elternhaus. Wenn das dann darauf hinausläuft, dass du sozusagen in der "Gewöhnung" ein angepasstes Stasispitzelchen wirst, da kann man im Nachhinein viel und lange drüber reden. Und die Akte ist ja auch entsprechend, kann man ja nachlesen, habe ich ja auch im Buch vieles veröffentlicht. Und ich hatte ja zwei Herausforderungen: Eine Öffentlichkeit die mich verurteilt hat, auf der Straße angespuckt hat. Und auf der anderen Seite die eigene Familiengeschichte, die so schambesetzt ist. Ich weiß, dass meine Eltern Menschen geschadet haben. Dann haben sie diese Parallelität, die eigene Geschichte aufzuarbeiten und das dann auch noch in der Öffentlichkeit tun zu müssen, das ist natürlich kein so einfacher Prozess. Dem habe ich mich gestellt und finde es auch wichtig, dass man diese Geschichten erzählt, weil die Elterngeneration eben schweigt. Auch meine Eltern standen unter dem Einfluss meiner Großeltern. Mein Großvater war im Krieg. Das mögen alles hehre Ziele früher gewesen sein, aber das was daraus gemacht wurde, ist einfach ein System das zurecht untergegangen ist. Und ich selber bin dann immer erschrocken, dass ich ein Rädchen in diesem System geworden oder geblieben wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre.
Ruth Hoffmann: Na ja, die eigentlich Rädchen saßen hier.
Angela Marquardt: In der Stasi-Zentrale? [Lacht] Ja, wie gesagt, ich bin nicht unter Hauptamtlichen groß geworden. Meine Eltern hatten ja normale Berufe. Mein Stiefvater hat im Theater gearbeitet, meine Mutter ist auch Lehrerin gewesen. Wie gesagt, die Themen waren bei uns vermutlich manchmal ein bisschen ähnlich. Meine Mutter ist Staatsbürgerkunde Lehrerin gewesen und entsprechend bin ich dann halt auch groß geworden.
Ruth Hoffmann: Ihnen wurde sozusagen mit Jahrzehnten Verspätung klar, was mit Ihnen gemacht wurde. Jetzt mal abgesehen von dieser zusätzlichen Schwierigkeit mit der Öffentlichkeit. Das stell ich mir als den größten Schock vor. Dass Sie sich im Nachhinein Ihr Leben aus den Akten rekonstruieren mussten. Was war das für ein Prozess, wie haben Sie das erlebt? Haben Sie Diskrepanz erlebt zwischen Ihren Erlebnissen und was in den Akten stand?
Angela Marquardt: Ja, durchaus. Wir wissen ja heute aus den Erkenntnissen, das was in den Akten steht nicht eins-zu-eins richtig ist. So wie ich auch sage, die Verpflichtungserklärung gibt am Ende des Tages nicht die Geschichte, die dahinter steckt wieder. Die Schwierigkeit ist so ein bisschen, das ist in der Akte das eine steht und das andere, was ich erlebt habe, steht dem dann zum Teil gegenüber oder deckt sich mit der einen oder anderen Erinnerung. Und am Ende des Tages bleibt die Frage, was war in diesem jugendlichen Leben eigentlich wirklich meine Entscheidung und was war eine manipulierte Entscheidung, das ist kein Prozess der Spaß macht. Weil du dich ja die ganze Zeit hinterfragst. Wo hätte ich was merken müssen? Wo bin ich einfach mitgelatscht? Wo stimmt die Akte? Wo stimmt sie nicht? In der Akte stand z.B. das ich am Straßenrand stehe und trampe und dann in den Trabi einsteige, so wie das wohl häufiger mal üblich war, wenn IMs eingesammelt wurden. In meinem Fall war das gar nicht der Fall. Ich war bei den Leuten teilweise zu Hause. Ich habe mit denen Abendbrot gegessen. Die haben mich vom Judotraining abgeholt. Und später stellte sich dann heraus in vielen Gesprächen, dass sie solche Dinge in die Akte schreiben mussten, weil so wie sie mit mir Umgegangen sind, war es eher ungewöhnlich. Das man auch in die Familie eingebunden wird usw. und dann so ein hohes Vertrauensverhältnis bestand. Für mich ist bis heute die Schwierigkeiten zu sagen, was war eigentlich real Ich und was waren die anderen. Und da kann ich mir immer noch nicht jede Frage beantworten, auch wenn ich mir Mühe gebe und das ist komisch. Weil sie versuchen ihr Leben zusammenzusetzen. [Lacht] Das gelingt natürlich nicht an jeder Stelle. Weil eben meine Erinnerungen mit denen in der Akte zum Teil nicht übereinstimmen. Und ich habe halt auch niemanden mit dem ich darüber reden kann. Die andere Seite schweigt. Insofern bin ich ganz darauf angewiesen auf die Aktenrecherche, auf meine eigenen Erinnerungen, wie ich Dinge bewerte, was gar nicht unbedingt immer richtig sein muss. Aber wenn sich Eltern- und Großelterngenerationen diesem Diskurs verweigern, dann kann man halt auch nichts machen. Aber die Erkenntnis nicht zu wissen, was war jetzt eigentlich in meiner Kindheit wirklich ich selbst und was nicht. Da geht man etwas komisch mit durchs Leben, ja.
Ruth Hoffmann: Konnten Sie mit ihren Eltern sprechen, Frank?
Frank Lingsminat: Ich habe den Kontakt zu meinem Vater nie wieder gesucht. Meine Eltern haben sich nach der Wende getrennt und, das ist eigentlich Traurig was ich jetzt erzähle, ich habe dann meinen Sohn bekommen und meinem Sohn habe ich seinen Opa vorenthalten.
Ruth Hoffmann: Sie wollten es nicht?
Frank Lingsminat: Nein, ich wollte es nicht. So einen Vater sollte mein Sohn nicht kennenlernen. Es war bitter für meine Frau, die in einem ganz anderen Haushalt groß geworden ist. Das war eine Handwerksfamilie. Ich würde es vielleicht jetzt machen. Ich habe es nie gemacht. Ich habe es meinem Sohn später erklärt als er 18 war. Er wusste, dass ich noch die [Unverständlich] hatte. Er hat es dann verstanden. Er hat auch geweint. Ich habe es ihm aber erklärt und er hat mich auch verstanden. Ich habe den Kontakt zu meinem Vater komplett abgebrochen. Diese Familie lösche ich mit diesem Namen aus und hab den Namen meiner Frau angenommen.
Ruth Hoffmann: Warum? Wenn ich das noch einmal so platt fragen darf. Warum war dieser Bruch für Sie wichtig?
Frank Lingsminat: Ich war immer gekränkt von meinem Vater und habe ihn auch nie Verstanden. Er hat mich auch nie in den Arm genommen. Er hat mir nie Liebe gezeigt, gar nichts. Das konnte mein Vater nicht. Er war ein Eiskalter stalinistischer Politiker gewesen, so agierte er auch. Als mein Sohn zur Welt gekommen ist, habe ich zu meiner Frau gesagt, sollten da harte Entscheidungen gefällt werden, gerade wenn er in die Pubertät kommt, ich werden meinen Sohn niemals schlagen und ihm Gewalt antun. Mein Sohn hat das dann auch ausgenutzt. [Lacht] Ich habe ihn in Freiheit großgezogen und das habe ich ihm dann auch erklärt und er hat sich sehr bedankt bei mir.
Ruth Hoffmann: Aber ein Gespräch mit Ihrem Vater hat es nie gegeben?
Frank Lingsminat: Als meine Schwester, die kam zur Welt als ich 13 war. Mein Vater wusste da schon, mit dem wird ja nichts mehr. Meine Schwester hat dann später noch lange mit ihm Kontakt gehalten, also nach der Wende. Ich habe den Kontakt nie wieder gesucht. Ich fühlte mich verletzt und gekränkt. Ich habe mein eigenes Leben geführt. So wie sie sagte, ich habe einfach mein Leben geführt. Es waren die 90er Jahre, da gab es Techno und Nirvana. Ich hatte andere Sachen zu tun gehabt, als mich mit so einer Scheiße zu beschäftigen. Vielleicht habe ich das auch verdrängt. Meine Frau hat dann immer gesagt, geh doch zu deinem Vater, aber ich habe es nicht geschafft. Der Schmerz war zu groß gewesen, was er mir angetan hat. Ich spüre bis heute immer noch ein Ostzentrum in meinem Gehirn, wo ich nicht ganz frei bin. Ich lerne jetzt junge Leute kennen, die so 30 sind, die das gar nicht erlebt haben, die sind einfach in Freiheit großgeworden. Und ich merke, dass ich mich manchmal selber einschränke, mich selber begrenze. Und das werde ich, glaub ich, nicht mehr los. Ich schaffe das einfach nicht. Man schafft es irgendwie schon, wenn man Drogen nehmen würde. Aber ich kriege es nicht mehr raus. Und damit werde ich vermutlich auch sterben müssen. Das darf man keinem Kind antun, so eine Gewalt. Wenn ein Kind frei sein möchte, dann muss man ihm die Freiheit auch geben. Das sollte man immer machen.
Ruth Hoffmann: Also es war auch Gewalt?
Frank Lingsminat: Ja, mein Vater hat mich noch geschlagen, bis ich 18 war.
Ruth Hoffmann: Bis sie 18 waren?
Frank Lingsminat: Ja. Er konnte es einfach nicht fassen. Ich war ja auch links, aber viel Linker als er. Ich war für Respekt, Toleranz und eine bessere Welt. Aber Diktatur ist keine gute Welt, das funktioniert nicht. Und er wollte halt besser sein. Aber ich sagte zu ihm, ihr seid nicht gut. Wenn man Menschen unterdrückt und was er da in der Umweltbibliothek erlebt hat, das geht ja nicht. Auch die waren für eine bessere Welt und der Sozialismus wollte eine gute Welt sein. Aber er war es nicht.
Ruth Hoffmann: Tim, Sie haben quasi das Gegenteil davon erlebt, oder zumindest teilweise. Sie haben sehr offene Eltern gehabt.
Tim Eisenlohr: Ja, das kann man sicherlich so sagen und mir wird jetzt auch hier in dem Gespräch noch mal bewusst, wenn ich mir die anderen Biografien anhöre, wie privilegiert ich in dieser Hinsicht war. Also, ich hatte sehr offene, sehr kritische Eltern, sehr liberale Eltern, fast schon ein bisschen zu liberal. Und klar, sie kamen ursprünglich aus einem sehr sozialistischen Hintergrund. Gerade die Familie meiner Mutter bestand aus eher höheren Kadern. Der Bruder meiner Mutter war zum Beispiel der Direktor dieser halbstaatlichen Firma, die die Intershops geleitet hat, war da aber hauptamtlich für die Stasi eigentlich für die Außenaufklärung zuständig und hat da Informanten und Agenten in westdeutschen Firmen angeworben. Der Vater meiner Mutter war ein Reisekader, der überall in der Welt unterwegs war und in den unterschiedlichen Botschaften und Vertretungen in der ganzen Welt geguckt hat, wie die Lebenshaltungskosten sind, weil die in Devisen gezahlt wurden, und hat natürlich auch fleißig Berichte geschrieben. Meine Oma mütterlicherseits war Kaderleiterin im Krebsforschungszentrum Buch und natürlich auch in der Partei. Ja, und meine Mutter war ursprünglich, also als meine Eltern sich kennengelernt haben, im Berliner Tierpark. Da hatten sie beide eine Ausbildung als Zootierpfleger gemacht und da haben sie sich kennengelernt. Meine Mutter kam aus diesem sehr kommunistisch geprägten Elternhaus und mein Vater wiederum eher aus einem bürgerlich-liberalen. Also, meine Oma väterlicherseits war Oberhebamme in der Charité, eine sehr früh emanzipierte, gerade, aufrechte, humanistische Frau. Mein Opa väterlicherseits war einfach Buchhalter und in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, hatte da keine negativen Eindrücke gegenüber den Westalliierten und war eher so ein bisschen der westlichen Welt zugewandt. Und diese beiden sehr unterschiedlichen Menschen sind sich da begegnet und haben so ihren Weg gesucht. Aber beide eigentlich am Anfang sehr kommunistisch überzeugt, wollten sie dieses Land mit aufbauen.
Ruth Hoffmann: Aber Ihrem Vater sind dann doch Zweifel gekommen. Er war Staatsanwalt, hat die Zustände in Gefängnissen gesehen.
Tim Eisenlohr: Also, er war noch kein Staatsanwalt. Er hat sich nach seinem Armeedienst ja freiwillig an die innerdeutsche Grenze gemeldet, hat da als Unteroffizier, als Hundestaffelführer und Scharfschütze gedient, hatte sich auch beworben. Er wollte "Kundschafter des Friedens" werden, was ja dieser bekannte Euphemismus dafür ist, im Außeneinsatz der Stasi zu arbeiten.
Ruth Hoffmann: Im Westen?
Tim Eisenlohr: Im Westen halt, ja. Er ist da später auch als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden und hat dann nach seiner Armeezeit und nach seiner Ausbildung als Zootierpfleger Jura studiert und war auf dem Weg - so hat er es später dann erzählt -, jüngster Staatsanwalt der DDR zu werden. Er war sehr sehr ehrgeizig und war so kurz vor Schluss praktisch und hat dann aber eben - er war ja auch in Gefängnissen eingesetzt - Dinge gesehen, die ihn komplett in seiner sehr idealistischen Vorstellung vom Kommunismus erschüttert haben. Da ist er dann oft zu seinen Vorgesetzten gegangen und hat gesagt: "Genossen, warum tun wir das? Wir sind doch die Guten." Also, auf diese sehr einfache, doch im Nachhinein naive Form hat er sie angesprochen. Und man muss sich natürlich auch immer vor Augen führen: Diese Genossen, ältere Menschen, die auch im Nazi-Deutschland im Widerstand waren und da auch als Antifaschisten teilweise im Knast gesessen haben, hatten eine andere Härte und hatten auch eine andere Einstellung zu der ganzen Sache. Und für die war mein Vater einfach zu weich. Das war ja eine Art Krieg, es war eine Art Kalter Krieg. Mein Vater hat dann auch diese Zweifel mit nach Hause getragen zu meiner Mutter, die ja eigentlich auch sehr kommunistisch war, und sie haben immer sehr offen darüber geredet. Er hat dann eben einen Weg raus aus dieser Karriere zum Staatsanwalt gesucht, weil er nicht zum Täter werden wollte.
Ruth Hoffmann: Jetzt müssen wir aber zu Ihnen kommen, bevor wir nur bei Ihren Eltern hängen bleiben. Sie sind also in einem relativ liberalen Haushalt groß geworden, hatten auch Zugang zu Westliteratur, haben Sie erzählt, waren dann sogar schon mit zwölf bereit, im Grunde alles über den Haufen zu werfen. Wie sind Sie sozusagen zu diesem Widerstandsgeist geworden? Waren das Ihre Eltern, ist es das, worüber in Ihrer Familie gesprochen wurde? Woher kam dieser widerständige Geist, dass Sie mit zwölf kein Pionier mehr sein wollten oder sich mit der Direktorin Ihrer Schule angelegt haben?
Tim Eisenlohr: Also, ich bin da jetzt nicht von meinen Eltern hingetrieben worden. Das war nicht so, dass die gesagt haben: "Du musst jetzt Widerstand leisten." Ich habe ja auch noch drei Schwestern und einen Zwillingsbruder, die sind ganz andere Wege gegangen. Meine Eltern haben uns das immer offengelassen und sie haben gesagt: "Informiert euch, seid kritisch, hinterfragt die Dinge, trefft Entscheidungen, aber steht auch zu denen, tragt die Konsequenzen." Das, was mich dann zu dem kritischen Menschen gemacht hat oder zu dem, was ich dann später gemacht habe, war eigentlich ein Erlebnis, da war ich neun. Da gab es damals diesen Mehrteiler "Holocaust", wo es um die Vernichtung der Juden geht. Das war diese amerikanische Produktion, die man ja auch im Osten empfangen konnte. Heute würde man kein neunjähriges Kind mehr vor den Fernseher setzen und denen das zeigen. Das waren andere Zeiten. Meine Eltern wollten uns zu Antifaschisten erziehen, was ihnen immer ganz wichtig war, und ich habe das als neunjähriges Kind gesehen. Ich war eher ein Bücherwurm in der Zeit, so romantisch, empathisch, großes Gerechtigkeitsempfinden. Und dann siehst du als Neunjähriger dieses unendliche Grauen. Du verstehst es gar nicht, du fühlst dich-- Ein großes schwarzes Loch tut sich auf und droht dich zu verschlingen und es entstehen ganz viele Fragen in dir. Einmal: Wie kann das überhaupt passieren? Wie kann das sein, dass so etwas passiert, und so viele Menschen schauen zu? Das waren jetzt noch nicht so konkrete Fragen, aber die entwickelten sich in der Zeit in meinem Kopf, weil ich total traumatisiert war von diesem Film. Und ich fing an, alles darüber zu lesen, was es zum Thema Nationalsozialismus gab: über den Widerstand, aber auch über die Täter, über die Hitler-Jugend et cetera. In mir hat sich dann so ein Gefühl verfestigt: nicht, dass ich das als Gnade der späten Geburt empfunden habe, sondern als Fluch. Ich habe gedacht: Warum warst du damals nicht auf der Welt, warum hast du es nicht verhindert, warum hast du nicht an der Seite von Sophie Scholl und an der Seite der "Roten Kapelle" gestanden und Flugblätter verteilt, warum hast du dich nicht beim Aufstand im Warschauer Ghettoaufstand aus dem Fenster gehängt und irgendwelche Nazis abgeknallt?
Ruth Hoffmann: Aber es reichte Ihnen sozusagen nicht, sich auf der antifaschistischen Gründungslegende der DDR auszuruhen?
Tim Eisenlohr: Nein, überhaupt nicht. Ich war bis zu der Zeit ja ein sehr zufriedener Jungpionier. Das waren ja auch positive Leitbilder, die wir hatten - Haltet euch gesund, helft den alten Leuten, die Kohlen hochzutragen, schützt die Natur! -, und antifaschistisch, und dann hat man diese schönen Lieder auf dem Schulhof gesungen wie "Der kleine Trompeter". Für mich war das absolut in Ordnung. Aber dann kam diese Zeit, als ich anfing, alles über den Nationalsozialismus zu lesen und stieß irgendwann auch auf die Hitler-Jugend und auf die "Pimpfe" und fing - das muss ich klar dazusagen - nicht an, unsere Jugendorganisation gleichzusetzen, aber es waren Parallelen, die mich irritierten: einmal diese Uniformität, diese Gleichschaltung, diese ähnlichen positiven Leitbilder: Helft den alten Leuten über die Straße, haltet euch sauber, die deutsche Jugend muss gesund sein! Das waren so Sachen, die ich nicht einordnen konnte. Ich konnte sie nicht richtig fassen. Ich habe dann angefangen, kritische Fragen zu stellen, die ich eigentlich nicht als kritisch empfunden habe, und dann zerplatzte diese Wohlfühlblase, in der man ja ist, wenn man überall so mitmacht. Und darauf wurde sehr unverhältnismäßig reagiert. Dann habe ich irgendwann gedacht: Das gefällt mir hier nicht mehr. Und mit zwölf habe ich beschlossen, dass ich aus den "Thälmann-Pionieren" austrete, und habe das meinen Eltern gesagt. Die haben erst mal den Kopf geschüttelt und gedacht: Oh Gott, was macht der Junge jetzt? Das ist seitdem gewachsen, aber im Stile ihrer Erziehung haben sie gesagt: "Gut, Tim, das kannst du machen. Das wird nicht leicht, aber tu das halt." Und dann bin ich zu meiner Klassenlehrerin und habe gesagt: "Ich möchte aus den "Thälmann-Pionieren" austreten." Die ist natürlich aus allen Wolken gefallen. Ein zwölfjähriger Junge steht vor ihr und sagt, er will da austreten. Ich war halt politisch ein bisschen frühreif. Und dann ging es wirklich los. Ich habe die nächsten zwei Wochen im Direktorat, im Sekretariat verbracht mit einer Traube von Lehrern um mich herum. Unsere Direktorin, die Traudl Lau, war eine Altstalinistin, hatte sich auch die Haare so ein bisschen lila gefärbt wie die Margot [Honecker], mit der sie so ein bisschen befreundet war. Für die war das natürlich ein riesiger Gesichtsverlust. Die war so stinksauer, dass jetzt in ihrer Schule jemand aus der Reihe tanzt und ihre ganze Statistik versaut. Dann redeten sie alle auf mich ein: "Tim, was willst du denn später mal werden?" Und ich so: "Na ja, vielleicht Tierarzt." - "Das kannst du dir schon mal abschminken. Mit der Einstellung kannst du noch nicht mal Abitur machen. Dir ist schon klar: Wenn du aus dieser Jugendorganisation austrittst, bist du auch nicht mehr versichert. Das heißt, du kannst auch keine Klassenfahrt mehr mitmachen und Ähnliches." Bis zu dem Zeitpunkt war das für mich so ein Auf-den-Busch-Klopfen. Also, ich weiß gar nicht, ob ich es durchgezogen hätte, aber ich bin so ein Dickkopf. Und da die so unverhältnismäßig darauf reagiert haben, habe ich gedacht: Da stimmt irgendwas nicht, da ist irgendwas faul, jetzt musst du da austreten. Im Nachhinein denke ich, dass das so ein bisschen im Kleinen das zeigt, was die DDR mit der Opposition im Allgemeinen - in Anführungsstrichen - falsch gemacht hat: diese übermäßige Reaktion und einen eigentlich dahin zu treiben. Ich weiß gar nicht, ob ich diesen Weg gewählt hätte, wenn die geschickter gewesen wären, wenn die gesagt hätten: "Tim, wir brauchen dich, kannst du uns helfen?" und versucht hätten, mich einzubinden. Aber dieses unverhältnismäßige Dagegengehen hat mich erst recht in diese Richtung getrieben und ich habe gedacht: Nee, jetzt gehe ich da raus. Und dann bin ich auch wirklich ausgetreten.
Ruth Hoffmann: Dann sind Sie ja immer weiter noch in die Oppositionsszene gekommen. Vielleicht können wir da noch eben Bilder zeigen.
Tim Eisenlohr: Da habe ich mittlerweile zur Berliner Umweltbibliothek gefunden. Ich will meine Rolle da nicht zu hoch hinstellen. Ich war einfach immer dabei, war im Ausleihdienst von den Büchern.
Ruth Hoffmann: Vielleicht sagen Sie kurz, was die Umweltbibliothek war.
Tim Eisenlohr: Ach so, Entschuldigung! Natürlich. Die Umweltbibliothek war ein Versuch, einen größeren Teil der Bevölkerung einfach zu informieren mit unabhängigen Medien. Also, wir hatten Bücher aus dem Westen zu Umweltthemen, aber auch zu politischen Themen, es gab eine eigene Zeitschrift, die herausgebracht wurde, die sogenannten Umweltblätter, es wurden auch andere Publikationen gedruckt, wie zum Beispiel der "Grenzfall", was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste. Es war auch ein Versuch der Vernetzung, also dass man da einfach einen Ort hat, wo sich die unterschiedlichen Gruppen treffen konnten. Wir hatten im Hinterraum so einen Verteiler, wo in einem großen Regal die ganzen unterschiedlichen Oppositionsgruppen aus der DDR ihre eigenen Fächer hatten, wo die ganzen unabhängigen Publikationen drin waren oder auch "Der Spiegel" oder Ähnliches. Es gab oben noch ein Café beziehungsweise eine Galerie, wo Künstler ausstellen konnten, die im sozialistischen Kulturbetrieb nicht stattfinden konnten, wo es Filmvorführungen gab und Ähnliches. Und da bin ich damals dazugestoßen.
Ruth Hoffmann: Ihre Eltern wussten das auch?
Tim Eisenlohr: Meine Eltern wussten das. Ganz kurz noch mal zu diesem Bild gesagt: Das ist übrigens ein Bild, das die Stasi von uns gemacht hat, unmittelbar nach der Razzia. Das ist diese Razzia, die Sie angesprochen haben, in der Nacht vom 24. auf den 25. [November 1987]. Das ist sozusagen entstanden, kurz nachdem sie uns da an die Wand gestellt und nach Waffen durchsucht hatten - natürlich nichts gefunden. Da haben wir noch gedacht: Oh, Stasi mit Westtechnik. Weil sie uns mit Polaroid-Kameras fotografiert hat. Deswegen ist das auch so schön in Farbe und so schick. Genau. Also, jetzt noch mal zu den Eltern: Die wussten das und hatten sich natürlich auch immer Sorgen um mich gemacht. Mein Vater hat mir natürlich auch immer an die Hand gegeben, was passiert, wenn ich mal verhaftet werde. Das kann man sich heute schlecht vorstellen, dass man einen 14-Jährigen in so eine Situation laufen lässt und sagt: "Mach das. Tu das." Aber die wollten uns halt zu starken Persönlichkeiten erziehen und haben mir zum Beispiel gesagt: "Du musst immer um zehn zu Hause sein." Ich wäre nicht da in die Razzia geraten, wenn ich mich darangehalten hätte. Also, ich war natürlich auch ein bisschen rebellisch. Meine Eltern waren gerade in Leipzig bei einer befreundeten Künstlerin und haben gesagt: "Du bist um zehn zu Hause." Aber ich habe mich natürlich nicht darangehalten. Die Razzia war dann gegen Mitternacht. Meine große Schwester hat mich nicht verraten, weil die dann auch immer irgendwelche Sachen gemacht hat, die sie nicht durfte. Dadurch bin ich da reingekommen und dadurch, dass ich dabei war, ist auch diese ganze Stasi-Aktion ein Schlag ins Wasser gewesen, weil es eigentlich eine interne Abmachung gab unter den Leuten von der Umweltbibliothek, dass sie diesen "Grenzfall" - das war diese sehr verbotene Schrift, für die sie uns bei dieser Aktion "Falle", wie sie genannt wurde, eigentlich erwischen wollten - nicht gedruckt haben, weil die Absprache unter den Älteren in der Umweltbibliothek war: Wenn Minderjährige dabei sind, drucken wir das nicht. Und ich wollte halt nicht nach Hause gehen. Ich wäre planmäßig nach zehn nach Hause gegangen. Aber da Tim nicht nach Hause wollte, haben wir nicht den "Grenzfall" gedruckt. Und als die Stasi uns dann da die Bude einrannte, wurden immer noch die Umweltblätter gedruckt.
Ruth Hoffmann: Genau. Was die Stasi sich erhofft hatte, etwas Illegales auf frischer Tat sozusagen feststellen zu können, das war dann der Fehlschlag.
Tim Eisenlohr: Genau.
Ruth Hoffmann: Aber Sie wurden ja verhaftet, verhört. Die Verhörprotokolle haben Sie dann viele Jahre später, als Sie Ihre Akte oder die Akte Ihres Vaters einsahen, noch mal nachlesen können. Wie war das für Sie, dem Tim von damals in den Akten zu begegnen?
Tim Eisenlohr: Dazu muss ich sagen: Das habe ich wirklich erst sehr spät gemacht. Ich habe auch diese Zeitzeugen-Arbeit erst sehr spät angefangen, weil es mich ehrlich gesagt danach nicht mehr so interessiert hat. Ich habe das nicht so wichtig genommen, was ich damals gemacht habe. Mich hat das heute interessiert. Und erst 2012 ist die BStU durch Zufall auf mich gekommen - mein Name wurde immer falsch geschrieben, glaube ich - und hat mich dann zu so einer Veranstaltung eingeladen. Das heißt, ich habe auch erst ganz spät diese Verhörprotokolle gesehen. Die habe ich dann erst bei dieser Veranstaltung gesehen und musste auch erst mal diesem Tim von damals begegnen. Da habe ich gedacht: Wow, wie hast du damals geredet, wie hast du das formuliert, wie warst du da so drauf? Das war auch erst mal wieder ein Eintauchen ins Damals. Und dann habe ich diese Akte eigentlich später erst gelesen im Rahmen eines Buchprojektes, das geplant war. Über eine Medienanfrage bin ich dann relativ kurzfristig an diese Akten drangekommen und habe erst meine Akte angesehen. Da war nicht so viel drin. Dann bin ich den Umweg gegangen, weil ich wusste, dass mein Vater als Inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde. Und dann habe ich die Akte von meinem Vater bekommen und das war wirklich spannend. Jetzt kann man natürlich denken, ich habe in der Akte von meinem Vater so viel über mich gefunden, weil der über mich geredet hat, aber das war nicht so. Er wurde natürlich von seinem Führungsoffizier auch über mich gefragt und diese negative, dekadente Einstellung seines Sohnes wurde auch thematisiert, aber das kam eigentlich eher dadurch zustande, dass unsere Familie, obwohl mein Vater als Inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde, auch noch parallel beobachtet wurde. Dazu muss man verstehen, dass es innerhalb der Stasi ein sehr konspiratives System gab. Also, der Führungsoffizier meines Vaters wusste zum Beispiel nicht, dass wir von einem anderen beobachtet wurden, und der wusste das auch nicht. Das, was ich dann in der Akte gelesen habe, war sozusagen der Teil, wo wir beobachtet worden sind. Da stand dann wirklich richtig viel drin. Also, wir wurden beobachtet, seit ich bei den "Thälmann-Pionieren" ausgetreten bin. Ich habe viel über mich als Schüler und über meinen Zwillingsbruder erfahren: dass wir oft zu spät zur Schule gekommen sind und solche Lappalien, dass der eine sehr oft erst zur fünften Stunde gekommen ist und der eine nicht wusste, wo der andere ist, dass wir oft ganz viele Sachen aus der Westzone anhatten und so ein Kram, aber eben auch Dinge wie dass ich im vertraulichen Gespräch mit meiner Lehrerin gesagt habe - da war ich 13: "Die reaktionärsten Einrichtungen in unserem Staat sind Schule und Militär."
Ruth Hoffmann: Hat Ihr Vater das nicht von seinen Führungsoffizieren wieder vorgehalten bekommen?
Tim Eisenlohr: Na ja, erst als das dann mit dieser Umweltbibliothek war, wurde es dann schon ein bisschen kritischer. Dann gab es ja auch so einen Zwischenfall, wo ich, nachdem ich bei den "Thälmann-Pionieren" raus war, mit einem schwarzen Halstuch oder mit einem schwarzen Tuch zur Schule gekommen bin und es da einen riesigen Skandal gab, weil dann ein Mädel aus meiner Klasse auf mich zugekommen ist und mir da einen ordentlichen Pionierknoten reingemacht hat, und es dann einen riesigen Skandal gab über den Staatsbürgerkunde-Lehrer, der mich von der Schule schmeißen wollte, wenn ich das nicht abnehme, weil das ein Zeichen der Hitler-Jugend wäre, was natürlich Schwachsinn ist, die hatten ein Lederkoppel und alle wussten, dass ich ein Antifaschist war. Dann ist jemand vom Bildungsdezernat in meine Klasse gekommen, während sie mich an dem Tag rausgeschmissen hatten, und dem hat er erzählt, dass ich ein Nazi wäre. Die haben ihn aber ausgelacht, weil sie wussten, dass ich das nicht bin.
Ruth Hoffmann: Und da hat Ihr Vater Ärger bekommen?
Tim Eisenlohr: Genau. Da gab es richtig Stress und da musste er auch vor den Parteiausschuss. Da ging es dann wirklich hoch her. Noch mal ganz kurz zu dem Moment, als ich dann diese Akte in der Hand hielt. Ich habe ja dann diese Akte von meinem Vater gekriegt. Es gibt ja immer diese Tarnnamen und auf dieser Akte stand dann: Tim Schwarz.
Ruth Hoffmann: Als Deckname?
Tim Eisenlohr: Ja, als Deckname. Tim ist mein Vorname. Dann habe ich natürlich sofort geblättert: Wann war die Anwerbung, wann ist dieser Tarnname, dieser Deckname denn entstanden? Dann stelle ich tatsächlich fest, dass das vor meiner Geburt war. Und jetzt sitze ich da als Mitte 40-Jähriger und fange erst mal an zu realisieren, dass mein Vater allen Ernstes, also dass ich sozusagen den Decknamen meines Vaters bei der Stasi trage. [lacht] Das fand ich erst mal sehr skurril. Ich habe dann meinen Vater natürlich auch gefragt und dann erhielt das Ganze noch eine andere Ebene. Dann meinte mein Vater: "Nein, nein, das war so." Er hat ja im Tierpark gearbeitet und meine Mama bei den Menschenaffen. Da gab es so ein Schimpansen-Pärchen und der eine davon hieß Tim und der war sehr beliebt. Und das fiel ihm so auf die Schnelle ein, als er gefragt wurde, was für einen Namen er nehmen soll. Ich erfuhr sozusagen in einer Woche, dass ich erstens den Decknamen meines Vaters bei der Stasi trage und zum anderen den eines Schimpansen. Das musste ich erst mal ein bisschen verdauen. Also, das fand ich jetzt nicht schlimm, aber es war schon bemerkenswert, ja.
Ruth Hoffmann: Aber daraus geht ja hervor, dass Sie mit Ihrem Vater darüber sprechen konnten.
Tim Eisenlohr: Ja, ich konnte mit ihm darüber sprechen. Er hat aber relativ spät erst Details darüber berichtet. Ich habe ja auch diese Akte gelesen, natürlich mit einem gewissen Bauchgrimmen und einer Angst, weil ich natürlich auch gedacht habe: Wem hat der da geschadet, was hat er da gesagt? Er hat uns das ja auch immer so ein bisschen gesagt, dass er bei der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter geführt wird, ist aber nie in die Details gegangen. Im Großen und Ganzen konnte ich einigermaßen erleichtert sein von dem, was ich da gelesen habe. Er war ein bisschen naiver auch, als ich gedacht habe, hat Dinge versucht wie: Er wollte ja immer, dass unsere Familie rauskommt aus dem Land und hat dann versucht, die Stasi zu überreden, dass er doch im Außendienst viel sinnvoller einzusetzen wäre, und hat sozusagen versucht, denen das zu verkaufen, damit wir dann rauskommen. Das waren so andere Sachen, die ich dann da erfahren habe. Ich habe das ja komplett durchgelesen. Er hat so ein paar Beobachtungsberichte geschrieben, die - das kann ich jetzt nicht genug beurteilen - aus meinem Dafürhalten eher harmlos waren. Also, da gab es nichts, dass er irgendjemanden hingehängt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Das würde jetzt zu weit führen, darauf einzugehen.
[Jingle]
Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
[Jingle]
Ruth Hoffmann: Ich möchte gerne einmal noch fragen, wie aus eurer Sicht die Vergangenheit noch nachwirkt bei euch? Können Sie das sagen? Das ist jetzt sehr groß gefragt, aber inwiefern beschäftigt Sie das noch, wie bekommen Sie das unter die Füße? Frau Marquardt?
Angela Marquardt: Na ja, das ist eine Geschichte, die einen das ganze Leben begleitet. Ich habe vor anderthalb Jahren einen neuen Job angefangen und habe dann meinen ersten Arbeitsauftrag erfüllt. Ich musste eine E-Mail an einen Bürger schicken und der Bürger hat dann geantwortet, dass er sich von einem ehemaligen Stasi-Spitzel heute nicht den Datenschutz erklären lässt. [seufzt] Das sind die Momente, wo man halt weiß, dass man die Geschichte nicht loswird. Es geht vielleicht am Ende des Tages auch nicht ums Loswerden, sondern vielleicht so ein bisschen um die Bitterkeit, dass diejenigen, die die Verantwortung dafür haben, sie nicht übernehmen und ich natürlich schon auch versuche, ein wenig stellvertretend die Verantwortung zu übernehmen. Ich habe ja auch teilweise das Gespräch gesucht mit den Opfern von meinen Eltern, konkret mit einer Mutter einer Mitschülerin, die sozusagen bespitzelt wurde, mit der ich noch gesprochen habe. Das waren natürlich teilweise sehr bewegende Gespräche und die wirken bis heute nach. Allein, als meine ehemalige Mitschülerin Silke, die auch in dem Buch vorkommt, zu mir gesagt hat, also das hat sie dann 2014 zu mir gesagt: "Meine Mutter hat immer gesagt: Mit den Marquardts darfst du nicht reden, die sind alle bei der Stasi." Und das war dieser Moment, wo so klar wurde: Ich war 13, 14 und sie hatten schon recht, weil sozusagen die Staatssicherheit schon einen großen Plan hatte. Man muss dazu wissen: Es ging nie um eine Klasse, sondern es ging wirklich um so eine Perspektivkader-Tätigkeit. Natürlich beschäftigt mich das bis heute, weil ich mich dafür schäme, und diese Scham werde ich auch nie los. Ich habe da natürlich auch ein schlechtes Gewissen und da können die Leute fünfmal sagen: "Musst du gar nicht." Weil meine Akte ist in der Öffentlichkeit, mein aufgeschriebenes Kindergekrakel, meine Verpflichtungserklärung ist in der Öffentlichkeit und die Akten meiner Eltern liegen irgendwo geschreddert in Frankfurt/Oder, da ist wenig nachweisbar. Wir haben alles gegeben mit der Unterlagen-Behörde, der ich auch heute sehr dankbar bin, die mich da sehr unterstützt hat in der Recherche. Das Thema wird mich auch morgen und übermorgen noch beschäftigen und das geht halt in den Alltag rein. Das ist einfach keine Sache "Ich rede mal über die Vergangenheit.", sondern ich kann auch hundert Geschichten aus der Gegenwart erzählen, wo man dann sozusagen undifferenziert am Pranger steht, weswegen ich ja auch gesagt habe: Diese Verpflichtungserklärung ist ja nur ein Teil dieser hundertseitigen Akte. Ich habe zum Beispiel auch in der Akte gelesen: "Sie erzählt andauernd über ihre Probleme." und "Wir müssen sie noch mehr in die Richtung kriegen, dass sie uns erzählt, wo irgendwelche staatsfeindlichen Aktivitäten sind.", also, wo in der Akte selber zum Ausdruck kommt, warum ich eigentlich mit diesen Leuten geredet habe, weil es die ersten Männer waren, die mir irgendwie nicht wehgetan haben. Auf der anderen Seite haben sie das sozusagen gnadenlos ausgenutzt. Das werden Sie ein Leben lang nicht los. Natürlich lebt man damit. Also, ich kann auch lachen, ich gehe auch gern zum Fußball, ich interessiere mich für Fußball und so weiter, aber es kann dir halt jeden Tag im Alltag passieren, wie bei diesem Jobwechsel: Ich war so glücklich, diesen Job zu haben, und dann - puff! - kriegst du drei Wochen nach Jobbeginn so ein Ding vorgeledert. Nun ist die Arbeit relativ relaxt damit umgegangen, aber das macht immer wieder etwas mit mir, weil es mich sozusagen immer wieder auf diesen Teil der Geschichte reduziert, der ja nur ein ganz kleiner Teil ist. Deswegen wird es mich mein Leben lang begleiten. Das ist vor anderthalb Jahren klar geworden: Auch in der Öffentlichkeit werde ich immer mal wieder auch negativ angesprochen. Du hast nicht die Zeit, immer die Geschichte zu erzählen, und die Verantwortung, die ich selber habe, soll ja auch thematisiert werden, aber du bist halt am Ende des Tages alleine mit diesem Vorwurf, ein Kinderspitzel gewesen zu sein.
Ruth Hoffmann: Man muss vielleicht noch einmal sagen: Die Öffentlichkeit ist eher dadurch entstanden, dass Sie politisch tätig waren, was ja für Sie ein ganz wichtiger Anker war. So beschreiben Sie es in Ihrem Buch.
Angela Marquardt: Ja. Also, der Mauerfall war für mich eine riesige Befreiung. Man konnte Wandzeitungen machen, man hatte Meinungsfreiheit und, wie gesagt, man konnte sich die Welt ansehen. Ich bin relativ schnell politisch aktiv gewesen. In der DDR hat mich das nicht interessiert, das fand ich alles sehr langweilig. Insofern war das für mich eine Befreiung und das war für mich sozusagen auch ein Schritt in ein neues Leben. So eine Missbrauchsgeschichte hinterlässt ja Spuren und wenn sie dann mit so einer Geschichte einhergeht, dann ist man natürlich auch sehr froh, wenn man sozusagen so einen persönlichen Akt der Befreiung daraus machen kann. Nichtsdestotrotz ist das Reden und die Befreiung das eine, aber man kann es nie abschütteln. Es gab neulich wieder so diesen Moment, da habe ich mich mit einem Freund unterhalten und der erzählte: "Meine Tochter hat mich letztens gefragt, was eigentlich aus mir geworden wäre." Er hat gesagt: "Na ja, wahrscheinlich hätte ich bei der Kirche geantwortet." und so weiter. Mir ist in diesem Moment noch mal bewusst geworden, dass ich diese Frage überhaupt nicht leicht beantworten kann. Was wäre aus mir geworden, wenn die Mauer nicht gefallen wäre? Darauf wird es nie eine Antwort geben, auch wenn ich sie ein Stück weit erahne. Und es ist bestimmt keine gute Antwort für mich persönlich. Ich war dann auch für so einen ganz kleinen Moment neidisch, dass man so locker darauf antworten kann, wobei Neid das natürlich nicht so richtig beschreibt, weil es ja gut ist, dass es solche Menschen gab, dass es auch solche Biografien gibt. Aber die DDR war einfach wirklich ein richtiges Scheißland und hat es nötig gehabt, Kinder und Jugendliche zu missbrauchen für ihre Stasi-Zwecke. Das muss man sich einfach mal vergegenwärtigen. Auch in meiner Akte kommt ein Minderjähriger vor, der wiederum auf mich angesetzt war. Also, die haben Kinder und Jugendliche aufeinandergehetzt. Das kann man nicht oft genug betonen und das sollte diese Gesellschaft auch mal aufarbeiten, nicht nur dadurch, dass Betroffene ihre Geschichte erzählen, sondern auch Täterinnen und Täter. Aber gut, die kann man nicht zum Jagen tragen, also setzen wir uns hier hin und erzählen die Geschichte unserer Eltern.
Ruth Hoffmann: Eigentlich stehen Sie hier Rede und Antwort, wo eigentlich andere Rede und Antwort stehen müssten. So ähnlich ist es bei Ihnen auch.
Frank Lingsminat: Ich muss sagen, ich habe das mit dem Buch, das du da geschrieben hast, verarbeitet und mich beschäftigt das kaum noch heutzutage, nur das, was ich aus der Vergangenheit gelernt habe. Das heißt, indem ich anderen sage, ihr müsst für Respekt und Toleranz sein. Ich bin auch bei der Antifa organisiert und so etwas, habe da meine Wege gesucht. Also, ich habe mit diesem Buch wirklich die Kiste geschlossen, aber sie beschäftigt mich bloß noch persönlich, wie ich vorhin schon mal erzählt hatte, wegen des Problems, das ich mit meinem Vater hatte, und dass ich in diesem Land aufgewachsen bin und immer noch manchmal - das kann ich nicht genau erklären - so eine bestimmte Unfreiheit in mir spüre oder mich gehemmt fühle. Also, wäre die Wende nicht gekommen, hätte es mich gebrochen. Das habe ich immer noch so in mir. Aber mit dem Buch, das du geschrieben hast, und diesem Film, der daraus auch entstanden ist, habe ich das wirklich abgearbeitet.
Ruth Hoffmann: Tim, ist für Sie noch etwas hängen geblieben aus der Zeit?
Tim Eisenlohr: Auf jeden Fall das unglaublich große Gefühl von Dankbarkeit, Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal, Dankbarkeit gegenüber meinen Eltern, weil, wie wir sehen, das kann auch ganz andere Richtungen nehmen. Und das Bewusstsein, dass auch mein Leben hätte eine ganz andere Wendung nehmen können. Also, es ist schon so, dass so etwas nicht aus dem Nichts entsteht. Dessen bin ich mir ganz stark bewusst. Ich sehe mich auch nicht als der Tolle oder als der-- Ich habe kein Gefühl von Selbstgerechtigkeit, überhaupt nicht. Ich glaube oder ich weiß, dass mich diese Zeit eher positiv geprägt hat, Dinge kritisch zu hinterfragen, und auch in diesem Gefühl, einen Auftrag zu haben, dass es mit dem Engagement von damals nicht erledigt ist und dass es heute auch jede Menge zu tun gibt und dass gerade dieses doch sehr positive Schicksal, das ich habe, mir auch eine Verpflichtung auferlegt hat, auch heute noch aktiv zu sein und weiterzumachen.
Ruth Hoffmann: Ja. Dieses positive Fazit können Sie ja, was die Vergangenheit betrifft, leider nicht ziehen und ich finde--
Angela Marquardt: Na ja, eine Verpflichtung ziehe ich da auch draus.
Ruth Hoffmann: Ach so.
Angela Marquardt: Also, warum ich mich heute politisch engagiere und es sozusagen ganz schlimm finde, wenn eine Demokratie für normal erachtet wird, wenn Menschen die einfach so - pff -, ne? Also, es ist gut, dass Menschen in einer Demokratie groß werden, aber sie zu verteidigen, das sehe ich schon auch als-- Für mich ist das sozusagen unglaublich wichtig, weswegen ich ja auch in Schulklassen gehe und darüber rede und halt erkläre, wie Diktaturen funktionieren, was sie aus Menschen, was sie mit Menschen machen. Ich finde, diese Verantwortung hat man mit so einer Biografie dann schon. Das muss nicht jeder machen. Ich persönlich mache das und das nehme ich dann schon auch als positives Fazit am Ende des Tages. Also, ich werde immer wählen gehen. Irgendeine Partei werde ich finden, die ich wähle. Ich werde mich mit Sicherheit niemals, niemals der Demokratie verweigern, egal wie viel Kritik ich auch an ihr oder an politischen Sachen habe. Ich werde mit Sicherheit immer versuchen, sozusagen jetzt meinen Mund aufzumachen und Menschen zu hinterfragen, weil das habe ich nie gelernt. Das habe ich nie gemacht und das mache ich heute dafür bis zum Erbrechen. Das ist, glaube ich, manchmal auch anstrengend für meine Umwelt.
[Leises Lachen mehrerer Personen]
Tim Eisenlohr: Das kommt mir sehr bekannt vor.
[Beifall]
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war zum Schluss Angela Marquardt, die als 14-Jährige in die Fänge der Stasi geriet und 2015 das Buch "Vater, Mutter, Stasi: Mein Leben im Netz des Überwachungsstaates" schrieb, zusammen mit der Journalistin Miriam Hollstein. Das Gespräch wurde moderiert von Ruth Hoffmann, die 2012 ihre Recherche über Stasi-Kinder veröffentlichte. Frank Lingsminat ist einer der Protagonisten des Buchs, der über sein Leben mit seinem Stasi-Vater erzählte. Und schließlich hörten wir die Geschichte von Tim Eisenlohr, der als 14-Jähriger von der Stasi verhaftet wurde. Alle haben in den Stasi-Unterlagen mehr über die Aktivitäten der Stasi erfahren und sich in der Stasi-Zentrale, dem Campus für Demokratie, Ende April 2022 im Rahmen des 2. Campus-Forums über ihre Biografien ausgetauscht.
Maximilian Schönherr: Unser Podcast endet immer mit einem akustischen Einblick in den riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.
[Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Mielkes Jagdleidenschaft war über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. Die teilte er mit Honecker, Stoph und anderen hochrangigen Politikern sowie den sowjetischen Freunden. Die Schorfheide in der Nähe von Berlin war nur ein beliebtes Jagdrevier der am Ende 22 Staatsjagdgebiete, zu denen die normale Bevölkerung keinen Zutritt hatte. Von den Gelagen im Anschluss an die Jagden zeugen mehrere Tonbandaufnahmen im Audio-Bestand, aber auch der folgende Ton fand sich als Vorbereitung, Einstimmung und Lehrmaterial sozusagen. Aus den 46 Minuten habe ich drei zusammengeschnitten.
[Archivton]
[Jagdhornmusik]
[Tonaufnahme eines röhrenden Hirsches]
[männlicher Sprecher]: Sehnsüchtig.
[Tonaufnahme eines röhrenden Hirsches]
[Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."