[Jingle]
Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Hallo und Willkommen zu einer delikaten Episode Westberliner Rundfunkgeschichte. Die bekam im Ministerium für Staatssicherheit hohe Priorität und ist deswegen im Stasi-Unterlagen-Archiv gut dokumentiert. Ich bin Maximilian Schönherr, Journalist, zusammen mit Dagmar Hovestädt, der Leiterin der Abteilung Kommunikation und Wissen im Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen-Archiv führen Sie heute zurück ins Jahr 1987.
Dagmar Hovestädt: Das war der Start des privaten Hörfunks in Deutschland, in der Bundesrepublik, natürlich auch in Westberlin. Und das war eine echte Zäsur in der deutschen Rundfunklandschaft und hat die Platzhirsche bis dato ganz schön geärgert. In Berlin waren das der öffentlich rechtliche Sender Freies Berlin und der RIAS, das Radio im amerikanischen Sektor, das aus Schöneberg gesendet hat. Privatfunk war 1987 ein Experiment, für das die Landesmedienanstalten auch Vorgaben machten, weil natürlich viele Anbieter die neuen Frequenzen nutzen wollten, um damit Geld zu verdienen, nämlich mit viel Werbung und in der Regel seichter Musik. Um sich kommerziell erfolgreich zu machen, wurden bestimmte Frequenzen für eine begrenzte Zeit auch an Radiomacher mit alternativen Konzepten vergeben. Und die UKW Frequenz 100,6 beispielsweise war zweigeteilt. Tagsüber gab es kommerzielles Musik-Radio, genannt nach der Frequenz Radio Hundert,6 und abends dann das alternative Projekt Radio 100, in dem sich viele politische Gruppen der alternativen Szene zum Radio machen einfanden.
Maximilian Schönherr: Ich war in der Zeit öfter in Westberlin, weil ich Freunde da hatte. Auf der Frequenz 100,6 fanden merkwürdige Dinge statt, die ich vom ARD Hörfunk nicht kannte. In den Nachtstunden zum Beispiel moderierte ein Frank Schmeichel drei Stunden lang das Bettgeflüster, sehr skurril. Die politischen Alternativen gaben sich in den Abendstunden die Klinke in die Hand. Einmal im Monat sendete eine Stunde lang ein Team von drei, vier Leuten, eine Sendung namens Radio Glasnost. Obwohl ich in der Zeit viel Radio in Berlin hörte, war mir Radio Glasnost nicht bekannt. Wie auch, wenn Radio Glasnost nur eine Stunde pro Monat lief. Dagegen setzte diese Stunde im Osten der Stadt und bis 100 Kilometer in die DDR hinein Tonbänder und Kassetten zum Mitschneiden und Weiterverbreiten in Gang. Und sie rief die Stasi auf dem Plan. Stasi-Chef Erich Mielke machte die Bekämpfung dieser Sendungen zur Chefsache. Ich kam darauf über die Webseite des Stasi-Unterlagen-Archivs.
Dagmar Hovestädt: Genau, das ist nämlich auf unserer "stasi-mediathek.de"-Seite, dem Schaufenster ins Archiv, und wir haben das als Geschichte online gestellt: Radio Glasnost. Und da gibt es einen Untertitel, der heißt "Außer Kontrolle". Das war sozusagen die Einleitung zu dieser Sendung. Und es waren Beiträge von Oppositionellen aus der DDR, die in Westberlin gesendet wurden und eben dadurch auf eine ganz unaufwendige Weise, dass Zensurverbot umging und die Möglichkeit schaffte, Alternativen zum politischen Diskurs in der DDR sozusagen in den Äther zu senden. Und das hat die Stasi natürlich sehr geärgert. Wie genau diese Inhalte in Westberlin gelandet sind, das erfahren wir im Gespräch. Die Stasi hat das natürlich super nervös gemacht. 1987, da war die DDR zwei Jahre vor ihrem 40. Geburtstag und Berlin hat 750 Jahre gefeiert. Und da erdreisten sich einfach ein paar Oppositionelle der DDR, ihre Gedanken über den Äther zurück in die DDR zu schicken. Und das hat richtig was ausgelöst.
Maximilian Schönherr: Ich zitiere mal eine Akte vom 9. September 1987, die auf der Webseite des Stasi-Unterlagen-Archivs in dieser Bildstrecke zu sehen ist. Damals war Radio Glasnost gerade einmal gelaufen. Ein Schreiben von Mielkes Stellvertreter Wolfgang Schwanitz an die Leiter der Hauptabteilung III, die Abteilung für Funkaufklärung und Funkabwehr. Zitat: "Ich bitte Sie um die Einleitung und Durchführung der politisch operativen Maßnahmen gegen Radio Glasnost, die entsprechend den vom Genossen Minister bestätigten Schlussfolgerungen in Ihre Verantwortung fallen. Unterschrift Schwanitz, Generalleutnant."
Dagmar Hovestädt: Die Dokumente über Radio Glasnost in der Mediathek enthalten auch ein von der Stasi erstellten Mitschnitt der Sendung. Da haben wir das wieder, dass die Stasi in ihrer Sammelwut tatsächlich Dinge aufbewahrt, die man gar nicht so einfach mehr anderswo findet. Hören wir also gern in die Mitte der Sendung vom 25. April 1988 hinein, in der die Moderatorin Störungen durch die Stasi anspricht.
[Ausschnitt Radio Glasnost vom 25.04.1988]
[männlicher Sprecher 1:] Das die im Zusammenhang der Wehrpflicht getroffenen Gewissensentscheidungen nicht in einem Bewertungszusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Vorgängen gebracht werden. [Tusch]
[Piepen]
[Ilona Marenbach]: Wir können sicher sein, dass wir die Sendung so lange wiederholen werden, bis sie störungsfrei empfangen werden kann. [Piepen] Hört auf das Radio 100, dann sagen wir wann. [Piepen] "Many Years Ago" hieß dieses Stück von Mzwakhe, einem schwarzen Dichter aus Südafrika, der dort seit Januar im Knast sitzt. Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche hat sich positiv zur Entwicklung in der Sowjetunion geäußert-
[Ende des Ausschnittes]
Maximilian Schönherr: Wenn Sie das heutige Podcast Gespräch spannend finden, hören Sie sich ruhig anschließend die ganze Sendung von damals auf der Webseite des Stasi-Unterlagen-Archivs an. Ich besuchte für diesen Podcast Ilona Marenbach, die Sie gerade als Moderatorin gehört haben und ihren Mann Dieter Rulff, den Redakteur von Radio Glasnost.
Dagmar Hovestädt: Was die beiden nicht erwähnen, was mir aber vielleicht noch wichtig zu benennen ist, dass die Wirkung von Radio Glasnost für Menschen in der DDR extrem wichtig waren, aber dass das Hören der Sendung dort wirklich auch strafbewehrt war. Und es gibt in den Unterlagen auch Geschichten von Menschen, die diese Mitschnitte gemacht haben, sie verbreitet haben und deswegen für zwei oder drei Jahre im Knast gelandet sind, weil die Stasi eben Exempel statuieren wollte. Man sollte nicht damit durchkommen, anderes Denken, freieres politisches Artikulieren wirklich auch zu verbreiten. Und da wollte sie besonders hart sein. Und das finde ich echt extrem, dass man für das Hören einer Radiosendung in den Knast geht.
Maximilian Schönherr: Dann starten wir.
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Ilona Marenbach: Also ich bin Ilona Marenbach, ich bin jetzt Redakteurin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und vor ein paar Jahren, ich will jetzt nicht so genau sagen wie viel, war ich mal Moderatorin der Radiosendung Radio Glasnost.
Dieter Rulff: Ich heiße Dieter Rulff, war früher bei Radio 100 Radioredakteur, danach bei Zeitungen journalistisch tätig und bin jetzt seit anderthalb Jahren auf Rente.
Maximilian Schönherr: Wer kam auf die Idee von Radio Glasnost? Es war ja kein Radiosender. Es war ein einstündiger Slot im Abendprogramm, einmal monatlich auf 100,6 und später auf einer anderen Frequenz.
Dieter Rulff: Also Radio 100 begann zu senden im März 1987 und wir verstanden uns selber auch als eine Art von links-alternatives Medium, was aus Westberlin und über Westberlin vor allen Dingen berichtete. Und ich hatte aber immer schon die Idee, eigentlich müsste man auch was über und mit der DDR machen, die drum herum war. Nun war es relativ unmöglich, da einen Korrespondenten hin zu schicken wie die anderen Sender, weil das erstens zu teuer wär und zweitens wir das wahrscheinlich auch nicht hätten leisten können. Und dann kam ich im Kontakt mit Roland Jahn und Rüdiger Rosenthal, die kamen damals- also waren vorher aus der DDR abgehauen.
Maximilian Schönherr: Sie sind Wessi?
Dieter Rulff: Ich bin Wessi, ja. Und die beiden waren da auch schon Wessis, also Westberliner, aber kamen ursprünglich aus der DDR. Und mit denen habe ich dann besprochen, ob man nicht eine Sendung macht über die DDR, aber nicht in der Art und Weise wie Korrespondenten über die DDR berichten, sondern berichten lassen aus der DDR.
Maximilian Schönherr: Tagsüber wurden Schlager gesendet, oder? Ich habe irgendwie Radio 100 unangenehm in Erinnerung vom Tagesprogramm, am Abend wurde es interessant, oder?
Dieter Rulff: Ja, also die Frequenz war gesplittet, tagsüber sandte Hundert,6, das war ein Westberliner Privatsender, der von Ulrich Schamoni hauptsächlich betrieben wurde. Das war eine gängige Musiksende-Schiene mit eher konservativen Anstrich und die war sehr populär in Westberlin. Und wir waren sozusagen das ausgleichende Pendant, nämlich links-alternativ und-
Maximilian Schönherr: Ab 18 Uhr?
Dieter Rulff: Ab 17 Uhr war es.
Maximilian Schönherr: Durch die ganze Nacht?
Dieter Rulff: Ne, bis 11 Uhr abends.
Maximilian Schönherr: Und was wurde dann gesendet?
Dieter Rulff: Danach kam wieder Hundert,6. Wir hatten sozusagen die Nische innerhalb eines Betonfunks nannte man das damals, die das angereichert hat, die sozusagen für Pluralität sorgte.
Ilona Marenbach: Dann haben wir aber die Frequenz gewechselt. Es gab eine zweite Frequenz, die ausgeschrieben wurde und wir bekamen sechs Stunden zunächst. Die restliche Zeit hat ein RTL Ableger übernommen, der dann relativ schnell Pleite ging und wir hatten 24 Stunden. Also am Schluss, zum Ende hin, hatten wir tatsächlich 24 Stunden, was uns natürlich auch ziemlich überfordert hat, muss man einfach sagen.
Maximilian Schönherr: Sie haben ja nicht 24 Stunden moderiert, Sie haben eine Stunde einmal im Monat moderiert oder mehr?
Ilona Marenbach: Na ja, ich habe im Frühprogramm moderiert. Wir hatten eine Spätnachmittags-Strecke "Welt am Draht" und die Sendung "Radio Glasnost", die dann eben erst später auf Sendung ging.
Maximilian Schönherr: Das war eine Idee von mehreren Leuten, die sich in der Kneipe trafen, oder? Oder hat Roland Jahn gesagt, sowas müssten wir unbedingt machen oder Sie oder?
Dieter Rulff: Also wir haben uns getroffen mit Roland Jahn vor allen Dingen und haben dann überlegt, wir machen was über und aus der DDR mit der Oppositionsbewegung der DDR und haben dann überlegt: Wie machen wir das und was machen wir? Und da wir nicht so eine Art Standard-DDR-Berichterstattung machen konnten und wollten - also sprich: Korrespondent rüberschicken, der dann mit Material zurückkommt - kamen wir dann auf die Idee: Wir lassen einfach die Leute, die Oppositionellen drüben selber was organisieren, was sie wollen und sind praktisch nur die Abspielposition, der Abspielsender für sie. Das war der Grundgedanke. Damit verbunden war natürlich eine ganze Reihe von Implikationen, nämlich erstens, dass wenn die etwas produzierten, nicht wollten, dass wir da redaktionell eingriffen, nicht irgendwas verändern oder technisch auch nur verändern. Und damit war auch verbunden die Schwierigkeit, die Beiträge, wie man sie nennen konnte, über die Grenze zu bringen. Das war ja alles illegal. Und die Schwierigkeiten muss man erst mal überwinden, organisieren, also Transporte organisieren und erst Leute auch drüben organisieren, die das überhaupt machen wollten. Und es dauerte eine Zeit lang, dann haben wir im Sommer '87 angefangen zu senden.
Maximilian Schönherr: Und Roland Jahn hatte die Kontakte nach drüben von seinen ehemaligen Freunden?
Dieter Rulff: Also Roland war unsere Hauptkontaktperson und er hatte ein unheimlich breites Netz an Leuten, mit denen er drüben noch nach wie vor in Kontakt stand und die für ihn das machten oder für uns das denn machten. Und es war sozusagen ein relativ großes Spektrum der DDR-Opposition in Ost-Berlin. Das waren vor allen Dingen die Kirchengruppen und andere Basisgruppen, die jeweils denn Beiträge lieferten. Und dann gab es allerdings auch kleine Gruppen, also zum Beispiel Künstler aus dem Prenzlauer Berg oder Punkmusiker, die dann was produzierten. Dann gab es auch eine Schwulenszene in Ostberlin, die was produzierte und uns dann damit belieferte.
Maximilian Schönherr: Wenn man zu DDR feindlich war, als, sagen wir mal, links denkender Grüner, dann bekam man von den Dekapisten immer ein auf die Mütze. Haben Sie mit den Leuten, weil die waren natürlich gegen so Radio Glasnost wäre natürlich nicht denkbar gewesen. Haben Sie die überhaupt wahrgenommen? Gab es solche Leute?
Dieter Rulff: Also es gab solche Leute in rauen Mengen in Westberlin und es gab die vor allen Dingen auch bei uns im Radiosender Radio 100. Es verstanden sich zwar alle Links irgendwie, aber in der damaligen Zeit war zwischen links, sprich Sozialdemokrat oder SEW, was damals sozusagen DKP in Westdeutschland war und uns, die wir eher sozusagen biographisch politisch aus der Sponti-Ecke kamen, gab es ziemlich Unterschiede. Weshalb wir auch wenig Schwierigkeiten hatten mit der DDR-Opposition zu kooperieren und die zu featuren, was andere natürlich im Sender völlig daneben fanden, weil sie sagten, sie können nicht gegen die DDR, sprich gegen die Staatsführung operieren.
Maximilian Schönherr: Und da gab es dann Sitzungen, also Redaktionssitzung, wo das ganze Abendprogramm durchgesprochen wurde und diese Differenzen auftraten?
Ilona Marenbach: Weniger. Es gab Sitzungen und wir haben das Material besprochen, was angeliefert worden ist. Und ich habe mir Gedanken gemacht: Wie kann man das so anmoderieren, dass es eben nicht nur die Leute, die in das Geschehen involviert sind, in Ostberlin interessiert, sondern auch ein West-Publikum interessiert? Das war ja meine Aufgabe, die Themen aus dem Osten zu nehmen, aber auch einem Publikum im Westen anzubieten. Wir haben in dem Kreis diskutiert und wir haben uns auch heftig gestritten manchmal. Tatsächlich, wenn es darum ging, wie weit darf man eingreifen in das Material, was geliefert worden ist? Da hätte ich gerne das eine oder andere Mal bestimmte Schnitte gemacht oder Dinge anders formuliert. Aber da haben sowohl Dieter als auch Roland und auch Rüdiger drauf geachtet, dass das authentisch blieb und mich manchmal auch in eine Situation gebracht, wo ich Dinge anmoderiert habe-
Maximilian Schönherr: -mit spitzen Fingern.
Ilona Marenbach: Ja, tatsächlich mit spitzen Fingern. Aber es hat Spaß gemacht und es hat uns auch Spaß gemacht, innerhalb dieser Redaktion von Radio 100 wiederum so eine kleine Opposition zu bilden. Also da auch gegen den den linken Mainstream so ein bisschen an zu senden mit dem, was wir da machen.
Maximilian Schönherr: Das heißt, der linke Mainstream hat den Abend bestückt und Sie waren da eigentlich ein Sonderfall?
Ilona Marenbach: Ja, dieser eine Montag im Monat war tatsächlich ein sendetechnischer Sonderfall. Und ich glaube, wir haben nur so lange tatsächlich da auch überleben können, weil wir erfolgreich waren. Das muss man ja sagen, war die erfolgreichste Sendung auf ganz Radio 100, nur einmal im Monat, nur eine Stunde mit einer Wahrnehmung, die weit über das hinausging, was die anderen Programme, an denen ich auch beteiligt war und die ich auch gut fand, sonst geleistet haben. Allein dadurch, weil viele in der DDR die Sendung aufgenommen haben, über Kassetten dann einfach auch verbreitet haben und wir dann später auch schon, als wir lange nicht mehr gesendet haben, Reaktionen bekommen haben von Leuten, die das irgendwo im Süden gehört haben und meinen Namen kannten. Also ich habe einmal in der Redaktion schon beim SFB Besuch bekommen von zwei Kollegen, die sich dafür bedankt haben, was wir gesendet haben und das einfach mal sagen wollten, wie wichtig das für sie gewesen ist in der Zeit. Das war mir selber nicht klar. Zu der Zeit war mir nicht klar, was für eine Wirkung wir haben und wie wichtig das vielleicht auch für manche Leute gewesen ist.
Maximilian Schönherr: Also eine Einschaltquote hatten sie wahrscheinlich nicht. Also sie wussten nicht, wie populär die Sendung war, als Sie sie moderiert haben. Das hätte auch die Stunde danach viel populärer sein können in der Anmutung. Aber im Nachhinein, das waren quasi Ergebnisse, die - Mielke kennt Sie persönlich, also beim Namen. Also ja, also in der DDR waren Sie schon wirklich eine große Nummer.
Ilona Marenbach: Na ja, es hätte uns ja auch mit den Einschaltquoten nichts genützt. Die wurden zwar erhoben, aber das gilt natürlich nur für das Westpublikum.
Maximilian Schönherr: Und in Westberlin hat es ja weniger interessiert.
Ilona Marenbach: In Westberlin haben wir mit dem ganzen Sender - Ich weiß gar nicht wie viel, wie hoch die Quote war.
Maximilian Schönherr: Aber ich war mal Gast. Ich habe den Sender besucht als - ich habe es gerade ihrem Mann erzählt - als der wahre Heino da aufgelegt hat. Und da, da war ich. Ich weiß nicht, was ich da gemacht habe, aber jedenfalls, da war ich in dem Sender. Ich kenne den Sender.
Ilona Marenbach: Na ja, der der Sender war schon sehr divers. Und dadurch, dass so unterschiedliche Gruppen, zum Teil gezwungen durch die Medienanstalt, die gesagt habt, ihr bekommt die Lizenz, aber nur, wenn die und die und die und alle zusammenarbeiten aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Und dadurch hatten wir schon eine Diversität, die uns so einen so einen bunten Stempel aufgedrückt hat, die aber nach innen nicht wirklich gelebt war. Also da haben schon die einzelnen Gruppen nebeneinander her existiert. Also das waren schon richtige Besitztümer, manche Sendestrecken.
Maximilian Schönherr: Haben Sie die live moderiert, die Glasnost-Sendungen?
Ilona Marenbach: Ja, ich glaube wir haben alle Sendungen sind live gelaufen.
Maximilian Schönherr: 18 Sendungen?
Ilona Marenbach: Ja.
Maximilian Schönherr: Das weiß ich zufällig.
Ilona Marenbach: Ich nicht, aber- [lacht]
Maximilian Schönherr: War das viel Stress mit diesen ganzen Kassibern, die man schmuggeln musste aus der DDR, um das zwei-wöchentlich zu machen? Das hatten Sie ja ursprünglich angekündigt, habe ich gelesen, das kam in ihrer Moderation und Sie haben es angedroht quasi.
Dieter Rulff: Ich glaube, das Problem war weniger der Transport. Also der war zwar illegal, man musste ihn immer organisieren, hatten wir eigentlich wenig mit zu tun. Weil einer der Prinzipien der Sendung war, dass die einzelnen Elemente, also sprich die, die produzieren im Osten, die, die transportieren nach Westen über die Mauer oder durch die Mauer und die, die produzieren die Sendung produzieren, das ist sehr getrennt war, man kaum was voneinander wusste. Aber das Problem war weniger der Transport, der ging eigentlich immer über den ein oder anderen Kanal. Aber diejenigen, die produziert haben, man musste sozusagen der DDR auch genug Nachrichten haben, genug Sachen, über die zu berichten war. Und das war dann eher schon schwierig drüben sowas zu organisieren, weil sehr viel sich abspielte in der Kirche, also in der Kirche von unten hauptsächlich. Und so viel passierte da eigentlich in der Oppositionsbewegung der DDR nicht. Als wir anfingen, gab es denn immer die Kirchentage von unten und dann mal Pleiße-Friedensmarsch. Aber das waren alles so Events, die verteilten sich auf Monate. Also es war nicht wie in Westberlin, also wo du permanent irgendwas passierte und up to date war.
Maximilian Schönherr: Also also in der Sendung, die ich gehört habe, spielt ein Kirchentag eine Rolle und die Publikationen drumherum, die nicht erscheinen durfte und das, das ist nicht in Ordnung ist, las ein Sprecher. Woher kam der Text?
Dieter Rulff: Die Texte kamen immer von drüben. Die wurden nicht per Kassette von drüben rübergebracht. Also wir haben keine O-Töne von drüben gekriegt, sondern der größere Teil waren einfach Manuskripte, also Texte, die uns per Papier rübergeschickt wurden, die wir denn oder Sprecher dann eingelesen haben. Was schon aus Gründen der Tarnung sinnvoll war, damit die Leute nicht erkannt werden, die das drüben machen.
Maximilian Schönherr: Hat sich das dann später geändert?
Ilona Marenbach: Ja, wir hatten schon den einen oder anderen O-Ton drin. Es war jetzt nicht nur alles nacherzählt und produziert.
Dieter Rulff: Also bei den politisch brisanten Texten, die ich jetzt auch im Nachhinein als die politisch brisanteren ein klassifizieren würde, war das so, dass die eigentlich per Papier kamen. Oder was auch an und an passierte, dass bei öffentlichen Veranstaltungen, zum Beispiel in der Kirche der DDR, irgendjemand ein Mikro offen hatte, aber das natürlich nicht kundtat. Das heißt also zum Beispiel bei einer synodalen Tagung hat in der Synodale Fischbeck, was auch ein DDR Oppositioneller war, was vorgetragen, also Kritik an der Kirchenleitung, an Stolpe zum Beispiel. Und deshalb wurde aufgenommen und diese Aufnahmen haben wir denn zugespielt gekriegt. Und dann war die Maßgabe an uns: Wir müssen es abspielen, aber ohne Kommentierung und ohne textliche Bearbeitung. Das heißt, wir mussten sozusagen die Leute darauf vorbereiten, was jetzt kommt. Dann konnte man zehn Minuten lang Kirchentag von unten hören, also einen, der da redete und Kritik übte, nämlich Fischeck. Der selber wusste aber auch nicht, dass er aufgenommen wird. Schon aus Eigenschutz nicht.
Maximilian Schönherr: Am Schluss der Sendung, die ich gehört habe, geben Sie das, was wir im Zündfunk in München auch immer am Schluss hatten, nämlich Veranstaltungstipps. Wo kam die her?
Ilona Marenbach: Die kamen auch über den Weg. Die haben nicht wir zusammengestellt, sondern die kamen dann tatsächlich nach einiger Zeit dann kamen immer mehr. Am Anfang musste man sie sicherlich eher mühsam zusammensuchen, aber das war dann schon so ein kleinerer Kreis an Publikum, die die Sendung gehört haben und für die das wichtig war, dass ihre Veranstaltung denn auch darüber kommuniziert wird. Wir haben ja auch überwiegend Musik aus der DDR gespielt, auch Musik, die sonst nirgendwo zu hören ist, oder von Bands, die selbst wir schon ein bisschen schräg fanden. So einfach, wo die Akustik auch entsprechend kellermäßig war.
Maximilian Schönherr: Also die die Sendung, die ich hörte, beginnt mit einer Musik, über die Sie dann drüber moderieren.
Ilona Marenbach: Herbst in Peking war das, ne?
Maximilian Schönherr: Wer?
Ilona Marenbach: Die Musik von Radio Glasnost, die Band hieß, glaube ich, Herbst in Peking gewesen. Aber, i am not sure.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
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Maximilian Schönherr: Wann haben Sie denn mitgekriegt, dass die DDR da großes Interesse hatte, was dagegen zu unternehmen, dass Sie überhaupt auf dem Schirm der DDR ankam? Doch sicher nicht schon nach der dritten Sendung, da waren Sie nämlich schon sehr wahrgenommen, da hatten Sie wahrscheinlich noch gar keinen Dunst davon, dass das Ministerium für Staatssicherheit sich sehr dafür interessiert.
Dieter Rulff: Also richtig los ging es Anfang '88. Im Januar '88 war die Rosa Luxemburg Demonstration, wo Oppositionelle ja mit Transparenten demonstriert hatten in Ostberlin. Und darüber war berichtet worden. Und dieser ganze Konflikt führte in der Folge dazu, dass mehrere Bürgerrechtler ausgewiesen wurden nach Westberlin, unter anderem Freya Klier, Stephan Krawczyk, Bärbel Bohley und Fischer. Und da in dem Kontext wurde sozusagen als die Opposition drüben in Ostberlin stärker wurde, wurden natürlich auch die Aufmerksamkeit der Stasi, glaube ich, stärker. Und die merkten dann auch, dass wir praktisch einen Abspielkanal, also ein Medium dieser Opposition waren und neigten natürlich sowieso dazu, alles verschwörungsmäßig zu übersteigern und haben uns dann eine größere Rolle, eine steuernde Rolle zugesprochen, die wir gar nicht hatten und sagten: Also das wird von Westberlin aus organisiert und zwar von uns aus, was völliger Quatsch war.
Maximilian Schönherr: CIA spielt ja auch noch mit.
Dieter Rulff: Ja und der CIA im Hintergrund ist sozusagen der große Inspirator des Ganzen. Und das führte dann dazu, dass sie erstens zwei Maßnahmen ergriffen, eine technische nämlich, indem sie anfingen uns zu stören, Störsender aufzubauen in Ost-Berlin, im Osten, rund um Westberlin. Und das zweite war eine vehemente mediale Auseinandersetzung. Wir wurden denn in allen möglichen Medien im Osten, also im Neuen Deutschland, bei TASS, sogar in Moskau angegriffen, der Subversion und der Steuerung als feindliche Kräfte angeklagt. Und das führte natürlich im Umkehrschluss dazu, dass im Westen alle hellhörig wurden und guckten: Was ist das denn für eine Truppe, die so was provozieren kann und die Staatsführung der DDR so auf die Palme bringen kann? Und darüber haben wir dann eine unheimliche Aufmerksamkeit auch im Westen gekriegt. Also das hat überhaupt den Sender, wenn man so will, publizistisch erst mal gepusht.
Maximilian Schönherr: Ja, aber was war das erste Signal, was Sie wahrgenommen haben in der Richtung? Kam da jemand aus dem Osten und sagte: Ihr werdet total viel gehört und irgendwie geht es dann, jetzt werden die richtig aufgeregt? Wie haben Sie es mitgekriegt?
Ilona Marenbach: Ich glaube, das war über den Störsender, der so stark war, dass er auch im Westen gestört hat, also so, dass man auch hier die Sendung nicht empfangen konnte.
Maximilian Schönherr: Und das war schon die vierte, fünfte Sendung, glaube ich.
Ilona Marenbach: Ja, es war relativ am Anfang, da stimmt.
Dieter Rulff: Der Störsender kam nach diesen Januar-Ereignissen, die man nicht mit den technischen Maßnahmen, die ergriffen wurden, also weil man den Eindruck hatte, irgendwie die Opposition in Ostberlin wird zu wirkmächtig oder kriegt zu viel Publizität. Und da man der Idee oder der Phantasie anhaftete, dass die irgendwie aus dem Westen gesteuert sein müssen, also von uns, war natürlich eine der Maßnahmen, die Sie ergriffen haben, Störsender aufzustellen in Ostberlin, aber auch rund um Westberlin, was ja damals eine Insel war, also sprich in Potsdam und in Neubrandenburg und und und. Im Umkreis von 120 km konnte man uns ja hören und überall dort hat man den Störsender aufgestellt, damit wir nicht mehr empfangbar sind. Damit hat die DDR allerdings dann gegen die Internationale Postabkommen verstoßen, was wiederum die Deutsche Bundespost auf den Plan rufen musste, die ja dafür sorgen musste, dass wir eine freie Frequenz haben. Und damit wurde das Ganze sozusagen zu einer internationalen Verwicklung. Und deshalb wurde das zu so einer Art politischen und technischen Selbstläufer, der dazu führte, letztendlich, dass die DDR ihre Störmaßnahmen irgendwann einstellen musste oder eingestellt hat-
Maximilian Schönherr: Sehr bald.
Dieter Rulff: Ja, nach dreimal, glaube ich. Und dann wohl versucht hat, das durch Beschweigen sozusagen zu befrieden.
Maximilian Schönherr: Haben Sie denn die Störung selber gehört? In der Sendung während Sie moderiert haben?
Ilona Marenbach: Nee, ich glaube nicht. Ich glaube also in der Situation nicht. Aber es kann sein, dass wir angerufen worden sind und darüber dann das registriert haben, dass da was nicht in Ordnung ist. Und es hat dann auch eine Weile gebraucht, bis dann überhaupt klar war woran liegt denn das nun? Was ist da jetzt der Grund? Das hat in der Folge für mich die Bedeutung gehabt. Ich habe mich da nicht mal so wirklich wohlgefühlt, durch die DDR zu fahren. Also ich habe in der Zeit es dann auch vermieden, nach Ost-Berlin zu fahren, mich irgendwo aufzuhalten, weil ich nicht so genau wusste, wie ernst nehmen dies jetzt haben mit Ihren Beschuldigungen und-
Maximilian Schönherr: Wahrscheinlich klug, dass Sie so gehandelt haben. Aber warum waren Sie denn früher öfter in Ostberlin?
Ilona Marenbach: Öfter jetzt nicht unbedingt, aber ich war neugierig und mir hat einiges gefallen, was jetzt vielleicht ein bisschen merkwürdig klingt, aber weil es so fremd war, weil es noch anders gerochen hat. Straßen irgendwie noch ganz anders aussahen, so ein bisschen fast zurückversetzt in die 50er oder noch 20er Jahre. Also es hatte schon eine gewisse Faszination, aber ich hatte jetzt keine Verwandten oder Freunde in der DDR oder in Ostberlin. Es war reine touristische Neugierde.
Maximilian Schönherr: Das heißt, Sie sind nach dem Erfolg der Sendung, sagen wir nach Folge 5 oder so, nicht mehr in einer in die DDR gereist?
Ilona Marenbach: Also bis zum Ende der Sendung war ich nicht mehr da. Du warst am 4. November bei der großen Demonstration. Wart ihr in Ost, in Ostberlin? Ich nicht.
Dieter Rulff: Aber das war praktisch schon zu Ende unserer Sendezeit, also der gesamten Sendezeit von Radio Glasnost. Weil mit der friedlichen Revolution drüben, also mit den November-Demonstrationen, war klar, jetzt gibt es hier einen Regimewechsel. Und damit war sozusagen unser Auftrag erledigt. Also mission accomplished, kann man sagen. Und wir haben dann den Sender eingestellt.
Maximilian Schönherr: Als die Aufmerksamkeit auffällig war, also ein neues Deutschland berichtet über diesen faschistischen Sender, den Sie da betrieben haben. Ging es Ihnen da gut? Das war ja erfolgreich.
Dieter Rulff: Ja, also ich sag mal so, das war ein Erfolg und wir haben uns darüber gefreut. Und vor allen Dingen war das ein - Das ist so eine Art David Goliath Situation - Also wir haben da sozusagen unsere mediale Steinschleuder in Gang gesetzt und haben getroffen. Volltreffer. Sonst hätten sie ja nicht so reagiert. Und gleichzeitig konnten die uns aber auch nix. Also wir hockten ja in Westberlin. Also die konnten toben, haben sie auch gemacht, haben uns aller möglichen Dinge bezichtigt. Also Straftatbestände, von denen ich dann wusste nach DDR-Recht, wären es locker 7, 8 Jahre gewesen, aber sie konnten unserer nicht habhaft werden. Ich meine, das war allerdings auch der Grund, weshalb ich tunlichst gemieden habe, über die Mauer zu gehen, also durch die Mauer zu gehen, nach Ost-Berlin zu gehen, weil ich dachte, das kann bestimmt nicht gut enden.
Maximilian Schönherr: Also Sie waren in den Stasi-Akten immer mehr so ein Fragezeichen-Typ, über den wissen wir nichts. Über Sie wussten Sie schon einiges, weil Sie die ganze Moderation abgeschrieben haben? Das ist ja schon bizarr. Also Sie waren die nominale Größe. Sie waren das eigentlich Böse.
Ilona Marenbach: Ja, kann schon sein. Gut, dass mir das zu dem Zeitpunkt nicht ganz so klar gewesen ist, weil meine widersprüchliche Haltung auch zu der Sendung ist ja: Ich war tatsächlich nur ein Sprachrohr. Ich habe sie nicht selber gestaltet. Ich habe die Themen nicht selber ausgesucht, ich habe sie nicht wirklich redigieren können. Ich war selber nicht Autorin, also so meine Mittäterschaft bestand einfach darin, dass ich ins Mikrofon gesprochen habe und Dinge angekündigt habe.
Maximilian Schönherr: Ja, aber Sie als Redakteur haben wir auch nicht groß mitreden können, weil die Skripte eben so vorgetragen werden mussten. Die haben halt die Aufnahmen, wahrscheinlich die Regie gemacht dafür, oder?
Dieter Rulff: Ich habe nur die Sendung organisiert. Das heißt also, die Bänder, wie man es damals noch gemacht hat, die Bänder zusammengeschnitten, die Leerstellen, die "Äh's" und "Oh's" rausgeschnitten und die Sache sozusagen sendefähig gemacht. Und ansonsten war ich das Gesicht, habe den Kopf dafür hingehalten, öffentlich. Mehr aber auch nicht muss.
Maximilian Schönherr: Mussten Sie ihn mal wirklich hinhalten?
Dieter Rulff: Hinhalten heißt nicht, dass er kürzer gemacht wurde.
Maximilian Schönherr: Aber jetzt soll mal der oder die hervortreten, die dafür verantwortlich sind. Wurden Sie von irgendjemandem mal eingeladen, um der oder die Sie gefragt hat: Was machen Sie hier eigentlich?
Dieter Rulff: Nein, also es wurde natürlich, als denn die Störaktionen durch die DDR begann, kamen natürlich jede Menge Anfragen von Westjournalisten. Es ging bis hin nach Japan, also wo denn Journalisten anfragten und Interviews machen wollten und und und.
Maximilian Schönherr: Die haben dann beim Sender angerufen oder haben die-
Dieter Rulff: Ja, die wollten wissen, wer ist Radio Glasnost? Also wer sind die Figuren, die dahinter stecken und haben sich dann gemeldet und haben dann Porträts gemacht oder Interviews gemacht und und und. Dafür war ich zuständig.
Maximilian Schönherr: Von wem kamen denn der Name Radio Glasnost?
Ilona Marenbach: Den habt ihr euch ausgedacht. Roland Jahn und und Dieter Rulff.
Dieter Rulff: Also genau genommen, ich habe mir den ausgedacht. Und das war eine der ersten Konflikte, die wir hatten. Also intern auch mit Roland, obwohl Roland dahinter stand. Aber Radio Glasnost hatte natürlich damals in Mitte der 80er Jahre einen ziemlichen Anklang an Gorbatschow.
Maximilian Schönherr: Nur.
Dieter Rulff: Nur. Und für viele in Ostberlin war das so, dass damit natürlich das Level des Senders sehr hoch gehangen würde, denn das musste die DDR-Führung sofort provozieren. Schon der Name alleine, bevor überhaupt die erste Silbe über den Äther kam, war klar, also dieser Sender dient dazu, die DDR-Führung zu desavouieren. Von daher war das schon der erste Konfliktpunkt.
Maximilian Schönherr: Wer war dagegen Glasnost als Name?
Dieter Rulff: Na ja, wie gesagt, drüben waren sehr viele in den Basisgruppen, die gesagt haben, das ist nicht so passend, weil wir sind nicht Gorbatschow-Vertreter oder das ist nicht unsere Linie, wir sind eine Kirchen-Gruppe, meinetwegen von unten eine Basisgruppe. Und wir haben die und die praktischen Anliegen oder die und die oppositionellen Anliegen. Wir wollen aber nicht mit der Führung der KPdSU, also sprich mit Gorbatschow in einen Topf geworfen werden. Der ist ein Lautsprecher.
Maximilian Schönherr: Aber es klingt ja schon, als wären diese Ost-Personen, diese Widerstandsgruppen, Mitredakteure. Quasi auf einer Ebene mit Ihnen, wenn die bei der Namensfindung der Sendung mitreden wollen.
Dieter Rulff: Also sagen wir so, die waren auf einer Ebene mit uns, wenn nicht sogar über uns, weil das die Sende-Philosophie war: Es wird aus Ost-Berlin gesendet, also die Beiträge kommen von da und in Ostberlin wird auch bestimmt, was und wie gesendet wird und was eben nicht gesendet wird. Das heißt also, bei den war immer das Prä darüber zu bestimmen, also was Inhalte sein soll. Natürlich haben wir verschiedene Kanäle in Ost-Berlin gehabt. Das war halt nicht nur Ostberliner Zentralredaktion, die da bestimmt hat.
Ilona Marenbach: Das war ja nicht nur der Streit um den Namen, sondern es ging auch um meine Position dabei. Also ich bin nun erkennbar nicht aus dem Osten gewesen und die Frage ist: Ist das legitim? Das jemand mit einer Westbiografie authentische Texte und Beiträge aufgreift, anmoderiert sogar auch zum Teil mit einem Kommentar, manchmal konnte man ja so in dem Unterton dann schon meine Position dazu erkennen. Das war auch für mich ein Konflikt. Also ich habe das durchaus nachvollziehen können, dass man sich da an mir reibt. Aber wenn man so eine Geschichte macht, dann muss man sich auch vertrauen. Also der Kreis derer, die Radio Glasnost verantwortet haben, war einfach beschränkt auf eine Handvoll Leute jetzt bei uns. Und je weniger da mitmachen, desto besser und sicherer für alle. Das war so ein bisschen auch das Prinzip, sonst hätte es sicherlich auch wenn man gesucht hätte, Castings gemacht hätte, hat man zu der Zeit natürlich nicht, aber sicherlich auch jemanden finden können, die oder der da authentischer rüberkommt als ich.
Maximilian Schönherr: Und wer hat Sie denn als Moderatorin gefunden und eingekauft, in Anführungszeichen? Honorar gab es ja wahrscheinlich eher minimal.
Ilona Marenbach: Honorar gab es gar keins zu dem Zeitpunkt. Später gab es, glaube ich für Moderation 30 D-Mark für eine Stunde. Nur das kam über uns, über uns.
Maximilian Schönherr: Also, Sie kannten sich?
Ilona Marenbach: Wir kannten uns schon, genau, zu der Zeit. Und es ist ja auch so gewesen, dass tatsächlich dann versucht worden ist, uns so ein bisschen zu infiltrieren. Es gab ja Stasi-Spitzel bei uns in der Zeit.
Maximilian Schönherr: Wo bei Ihnen?
Ilona Marenbach: Ja, bei Radio 100 und ganz speziell auch bei Radio Glasnost tauchte eines Tages ein aus der DDR kommender Kollege auf, der auch mit uns mitgearbeitet hat und dann - ich muss jetzt mal kurz nachdenken - und dann irgendwann später gestanden hat, dass er beteiligt gewesen ist an der Manipulation von Wasserproben, die wir eigentlich ziehen wollten. Es ging um die Mülldeponie vor Ketzin und wir wollten nachweisen, dass das Grundwasser da vergiftet ist und haben zum ersten und einzigen Mal für Radio 100 Verhältnisse Geld in die Hand genommen, ich glaube 500 D-Mark, um diese Wasserproben ziehen zu lassen. Und die Wasserproben kamen zurück und waren glasklares Leitungswasser ohne irgendeinen ein Bestandteil von Gift dabei. Und somit waren die 500 D-Mark natürlich in den Sand gesetzt oder ins Wasser gefallen. Und hinterher kam dieser Kollege und hat uns gestanden, dass er damals die Proben gezogen hat und sie vertauscht hat, weil er sowohl uns eigentlich gut findet und unterstützt und in der Opposition zu Hause war, aber gleichzeitig auch Stasi-Spitzel und das gemacht hat. Das war aber dann so, ich glaube ein, zwei Jahre später. Die Mauer war auf, wir saßen im Restaurant, was damals unter den Redaktionsräumen auch betrieben wurde von Leuten aus unserem Umfeld. Das war immer so ein Medientreffpunkt, das Strada. Wir saßen da und er kam rein und war auf Büßer-Tour. Er ist zu allen gekommen, denen er geschadet hat. Was jetzt für uns nicht so ein Drama war. Es war schlimmer für die Leute in der DDR, aber das zeigt dann im Nachhinein, dass doch eine stärkere Aufmerksamkeit auf dem Sender, der Sendung und uns lag, als uns zu dem Zeitpunkt überhaupt bewusst gewesen ist.
Maximilian Schönherr: Den Namen von dem nennen wir nicht? Denn laut Stasi-Unterlagen-Gesetz nennen wir den Namen der MfS Mitarbeiter.
Ilona Marenbach: Das blöde ist, das ist so ein Allerweltsname, dass sich da jetzt eben auch andere angegriffen fühlen können.
Maximilian Schönherr: Hat er das Wasser dann- Wie groß waren die Wasserflaschen? Oder war es eine Flasche?
Dieter Rulff: Also die Flasche selber haben wir gar nicht zu Gesicht bekommen. Die wurde von ihm aus sozusagen aus der DDR, also von dieser Mülldeponie beschafft. Und dann wurde sie zu einem Labor in West-Berlin gebracht, die dann die Wasserprobe analysierte. Und dann haben wir ein Ergebnis gekriegt. Und wie gesagt, dieses besagte Ergebnis, dass das Wasser glasklar und astrein sei. Was uns natürlich etwas erstaunt hat. Und wie gesagt, die Aufklärung des Ganzen haben wir dann erst nach dem Fall der Mauer erfahren.
Maximilian Schönherr: Und die 500 D-Mark? Wo blieben die hängen? Bei der Person mit dem Allerweltsnamen?
Dieter Rulff: Nein, die blieben hauptsächlich beim Labor hängen. Also das war der größte Posten dabei. Ich glaube eher dieser Mitarbeiter, der hat von uns gar kein Geld gekriegt, hat es so gemacht.
Maximilian Schönherr: Und wie ging dann Radio Glasnost zu Ende? Die DDR ging zu Ende und dann gingen Radio Glasnost auch zu Ende? Das heißt-
Ilona Marenbach: Die Aufgabe war erfüllt. Es gab immer mehr Medien, die sich dann mit der Situation in der DDR befasst haben, die auch dann eben in Ostberlin und sonst wo ihren Sitz aufgemacht haben. Und wir haben gesagt, das macht jetzt keinen Sinn mehr und haben noch eine Abschlussrunde gemacht. Ich glaube, im Dezember 90.
Dieter Rulff: Eine sehr obskure Sendung, haben wir dann zum Abschluss gemacht. Und zwar haben wir uns überlegt nach der friedlichen Revolution war klar, also das jetzt praktisch die DDR in der BRD aufgeht oder aufgehen wird damals noch, sind wir dann hingegangen zu Jürgen Kuczynski. Da war so ein Altvorderer, so eine Alt-Intellektueller der SED, ein Wirtschafts- und Sozialforscher, der unheimlich viel publiziert hatte, damals schon. Und haben diesen alten Mann denn zum Niedergang der DDR und seiner Kenntnis des Politbüros und der Reaktion des Politbüros gefragt. Es war in sich eine ganz interessante Sendung. Das war ein Stunden-Interview, stand aber nun überhaupt nicht mehr in der Tradition von Radio Glasnost.
Maximilian Schönherr: Haben Sie das Interview geführt?
Ilona Marenbach: Wir beide haben das gemacht. Ich habe aber eine andere Erinnerung, die da jetzt ist. Ich denke, unsere letzte Sendung war die Diskussionssendung, an der Christoph Singelnstein teilgenommen hat und Ibrahim Böhme und wer noch? Wir hatten so 5, 6 DDR-Oppositionelle, ehemalige, die im Studio bei uns waren. Ja, und das war nicht die letzte Sendung?
Dieter Rulff: Also die, wenn man so will, die letzte Sendung in der Tradition von Radio Glasnost.
Maximilian Schönherr: Das war dann ungefähr Weihnachten?
Dieter Rulff: Das war Weihnachten '89 und dazu hatten wir dann Vertreter von allen oppositionellen Gruppen, die sich damals gebildet hatten oder bildeten gerade, ins Studio geladen. Die konnten ja jetzt alle nach Westberlin kommen.
Maximilian Schönherr: Kannten die alle die Sendung?
Dieter Rulff: Zum Teil. Also teilweise waren die sozusagen aus der Szene, zum Beispiel da war damals war noch Ibrahim Böhme für die SPD, oder SDP hieß die ja in Ost-Berlin oder im Osten dabei. Weiß gar nicht, ob der das kannte. Der ist ja später dann auch als IM enttarnt worden. Der war aber Sprecher der Sozialdemokratie und war dann in der Sendung drinne und in dieser Talkrunde, die wir da hatten. Und es war ein wunderbarer Abschluss, weil sozusagen die ganze Oppositionsspektrum, was sich da gebildet hatte, denn einmal im Studium präsent war.
Maximilian Schönherr: Und der Sender ging pleite, als die DDR quasi pleite war? War das zeitgleich oder mussten Sie noch ein bisschen senden, als die DDR schon abgewickelt war?
Dieter Rulff: Also die DDR ist an vielen schuld gewesen, auch das Politbüro, aber nicht an dem Niedergang von Radio 100. Also das ist dem klassisch kapitalistischen Prinzip der Werbefinanzierung des Rundfunks geschuldet gewesen, dass sozusagen der Sender sich einfach nicht richtig über Werbung finanzieren konnte und irgendwann unsere Ressourcen aufgebraucht waren. Das war eigentlich der Hauptgrund dafür.
Maximilian Schönherr: Ich meine, Werbung haben sie sowieso nicht gesendet.
Dieter Rulff: Doch, wir haben Werbung gesendet. Die war nur dermaßen minimal, dass sie kaum auftauchte.
Maximilian Schönherr: Auch in Radio Glasnost, in der Stunde?
Dieter Rulff: Nein, in der Stunde nicht. Da gab es keine Werbung.
Maximilian Schönherr: Okay, das heißt, die Werbung war dann der Schreibwarenladen in Schöneberg, oder so?
Dieter Rulff: Genau, das waren lauter kleine und mittelständische Unternehmen, meistens auch ein bisschen politisch angehaucht, die das gut fanden, was wir machten.
Ilona Marenbach: Es gab mal irgendeine Markenwerbung, wo es heiße Diskussionen gab intern, ob man das machen darf oder nicht. Ich weiß leider nicht mehr, welche Marke es war, aber das war dann schon so ein so einen Konflikt, wo man merkt-
Maximilian Schönherr: Es ist nicht politisch korrekt.
Ilona Marenbach: -ist nicht politisch korrekt. Und die Vorstellung, man könnte einen Privatsender betreiben, der nur mit politisch korrekter Werbung überleben kann und vielleicht ein bisschen mehr zahlt als 15 Mark pro Beitrag und 30 Mark pro Moderation, das war nicht so ganz realistisch.
Maximilian Schönherr: Jetzt komme ich zum letzten Thema. Das, was wir heute auf ihm im Stasi-Unterlagen-Archiv über Radio Glasnost lesen können, ist es von Ihrem Interesse getrieben worden oder hat es Roland Jahn mal rausgefischt? Auf der Webseite findet man eine ganze Abhandlung über Radio Glasnost oder wollten Sie das selber mal wissen, wie war nun das eigentliche, was da passiert ist?
Dieter Rulff: Also soweit ich das nachvollziehen kann, das war allerdings nicht mehr unbedingt unsere Baustelle, ist es von den Oppositionellen drüben in Ost-Berlin organisiert und recherchiert und durchgesehen und aufbereitet worden, das ganze Stasi-Material. Die haben ja damals einen unheimlichen Wust an Stasi-Papieren durchgesichtet und nicht nur die Personalakten von oppositionellen in den Händen gehabt, sondern auch von Institutionen wie Radio 100 und Radio Glasnost und das haben die alles aufbereitet.
Ilona Marenbach: Also wir haben einmal haben wir unsere Akteneinsicht getätigt, also beantragt, hingegangen. Das war unspektakulär, da war nichts, zu dem Zeitpunkt habe ich nicht viel über uns finden können.
Maximilian Schönherr: Über Sie als Person oder über Radio Glasnost?
Ilona Marenbach: Über mich als Person, über ihn als Person, über Glasnost, also das, was mir zumindest ausgehändigt wurde, das war eine relativ dürftige Akte mit kruden Zusammenstellungen, wo wild spekuliert wurde auch, aber nichts, was jetzt wirklich tieferen Einblick in den Sender oder die Sendung gegeben hätte.
Maximilian Schönherr: Das heißt-, ja?
Dieter Rulff: Also, im Nachhinein kann man das ja nachvollziehen, dass das unheimlich auch Rechercheaufwand ist alles zusammenzutragen, weil es bei der Stasi zum Beispiel waren unheimlich viele Abteilungen dabei zu Gange uns zu bekämpfen. Da waren sowohl die Ostberliner-Abteilung, die die Opposition observierten und infiltrierten, da gab es die Stasi-Abteilung zum Beispiel in Potsdam, in Neubrandenburg, die die Maßnahmen gegen uns organisieren mussten. Und da gab es natürlich auch die Mitarbeiter in Westberlin, die dann den Sender observierten und teilweise auch infiltrierten. Also es war schon richtig groß angelegt, wenn man so will, es war nicht eine einzelne, aber eine ziemlich groß angelegte Operationseinheit.
Maximilian Schönherr: Aber das ist die Planung von den Störsender und so weiter, das haben Sie dann selber erst gelesen, als es schon fertig war? Da haben Sie nichts mit mit der Aufdeckung zu tun?
Ilona Marenbach: Nein, also das haben wir alles erst hinterher erfahren.
Maximilian Schönherr: Und was Sie über sich selber in der Akte fanden, das war alles im Zusammenhang mit Radio Glasnost?
Ilona Marenbach: Das war im Zusammenhang mit Radio, Glasnost und Radio 100 ja.
Maximilian Schönherr: War das eine schöne Zeit?
Dieter Rulff: Ja, also man hat ein bisschen Weltgeschichte gemacht, um es mal übertrieben auszudrücken.
Ilona Marenbach: Dem kann ich vollumfänglich zustimmen. [lacht]
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war das Gespräch mit der Moderatorin und dem Redakteur von Radio Glasnost. Ilona Marenbach und Dieter Rulff. Radio Glasnost auf dem alternativen Radioprojekt Radio 100 versetzte die Stasi von 1987 bis 1989 in helle Aufregung.
Maximilian Schönherr: Und nun, wie immer der akustische Blick ins Archiv.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. In den Protokoll-Mitschnitten des Telefonverkehrs beim Offizier vom Dienst in der Zentrale des MfS in Berlin und in den Bezirksverwaltung hier in Neubrandenburg finden sich verschiedenste Anrufe von Menschen, die ihre Dienste anbieten, Denunzianten mit stets wichtigen Mitteilungen über Drohungen und Beschimpfungen bis hin zu Menschen, die Alltagsfrust und Sorgen loswerden wollen. Und das Tag für Tag. Der Anruf, den wir heute hören, ist ein eher seltener. Bei der Erschließung ließ sich nicht genau feststellen, wann dieser Anruf einging. Auf dem Tonband befinden sich die Originalfassung und eine durch das MfS bearbeitete Variante, was vielleicht auch den Fundort Operativ-Technischer-Sektor, kurz OTS, erklärt, denn der war unter anderen mit akustischen Expertisen betraut. Ob der angekündigte Fluchtversuch ernst gemeint und letztendlich erfolgreich war, vermag ich leider nicht zu sagen. Wir hören den kompletten Anruf, der 04:18 Minuten dauert.
[Archivton]
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]. Guten Tag.
[männlicher Sprecher 2:] Hallo, sind Sie zuständig für Repu-, Republikflucht?
[männlicher Sprecher 1:] Für was bin ich zuständig?
[männlicher Sprecher 2:] Für Republikflucht.
[männlicher Sprecher 1:] Ne, bin ich nicht zuständig. Um was geht es denn?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, wer ist da zuständig?
[männlicher Sprecher 1:] Na, um was geht es denn?
[männlicher Sprecher 2:] Na, um Republikflucht!
[männlicher Sprecher 1:] Ja, dann sagen Sie doch um was es geht.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, ich will das nicht 10 mal wiederholen. Sind Sie zuständig oder nicht? Dann ruf ich jemand anders an.
[männlicher Sprecher 1:] Natürlich.
[männlicher Sprecher 2:] Sind Sie zuständig?
[männlicher Sprecher 1:] Joa.
[männlicher Sprecher 2:] Ja. Ich habe vor nachher abzuhauen, heute Nacht.
[männlicher Sprecher 1:] Von wo abzuhauen?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, Staatsgrenze West.
[männlicher Sprecher 1:] Und warum?
[männlicher Sprecher 2:] Ach, stinkt mir alles hier.
[männlicher Sprecher 1:] Stinkt Ihnen alles hier?
[männlicher Sprecher 2:] Genau. Ich hab keine Lust mehr hier in Neubrandenburg hier nur zu schuften.
[männlicher Sprecher 1:] Ja, wie ist denn der Name?
[männlicher Sprecher 2:] Ach, warum? Dann-, dann fangen sie mich ja ab an der Grenze.
[männlicher Sprecher 1:] Fangen wir Sie ab?
[männlicher Sprecher 2:] Ja. Ich will aber einfach von dem Recht Gebrauch machen auszureisen. Will einfach im Ausland will ich da auch noch meinen Wohnsitz da aufschlagen, wie das so schön heißt. Ich kenn mich da nicht so genau aus.
[männlicher Sprecher 1:] Ja, und wie haben Sie sich das gedacht? Wie soll das vonstattengehen?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, einfach raus, wollte einfach nach - äh - nach Dahme rüber schwimmen mit nem Taucheranzug.
[männlicher Sprecher 1:] Taucheranzug?
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Über die Dahme?
[männlicher Sprecher 2:] Nein, Dahme ist drüben auf der BRD-Seite.
[männlicher Sprecher 1:] Dahme?
[männlicher Sprecher 2:] Ostsee. Wissen Sie das nicht?
[männlicher Sprecher 1:] Ne, so genau kenne ich mich geographisch nicht aus.
[männlicher Sprecher 2:] Ja. Darf ich das oder-, oder krieg ich da eine vorn-, vorn Bug geballert?
[männlicher Sprecher 1:] Ach, das weiß ich nicht.
[männlicher Sprecher 2:] Na ja, ich probier's mal. Was-, was blüht mir wenn ich geschnappt werde?
[männlicher Sprecher 1:] Das weiß ich auch nicht.
[männlicher Sprecher 2:] Wie gesagt: Ich nehme nichts mit, ich habe nichts geklaut, ich hab nichts gemacht. Ich will nur raus. [unverständlich] wie ich will. Das muss doch gehen, oder nicht?
[männlicher Sprecher 1:] Das weiß ich nicht, ob das geht.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, ich probier's. Und dann lande ich wieder in Bautzen, was?
[männlicher Sprecher 1:] In Bautzen? Wieso in Bautzen?
[männlicher Sprecher 2:] Oder? Oder woanders?
[männlicher Sprecher 1:] Wieso "wieder in Bautzen"? Waren Sie denn mal in Bautzen?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, sicher.
[männlicher Sprecher 1:] Nanu, warum denn? Auch wegen Republikflucht?
[männlicher Sprecher 2:] Ne.
[männlicher Sprecher 1:] Ne? Wegen was denn?
[männlicher Sprecher 2:] Ach, das möchte ich lieber nicht am Telefon sagen. Ich weiß nicht, wer noch mithört.
[männlicher Sprecher 1:] Noch-, noch hören wahrscheinlich nur wir beide.
[männlicher Sprecher 2:] Na, na, wer kann da die Leitung angezapft haben?
[männlicher Sprecher 1:] Na, das weiß ich nicht.
[männlicher Sprecher 2:] Ne, also das ist ja egal jetzt mit Bautzen. Die Sache ist gegessen, ist vorbei. Bin- Gott sei Dank, dass ich da jetzt über anderthalb Jahr schon draußen bin.
[männlicher Sprecher 1:] Anderthalb Jahre?
[männlicher Sprecher 2:] Ja. So, also komme ich-, komme ich da wieder hin - äh - wieder zurück, wenn ich da versuche wegzuschwimmen, oder?
[männlicher Sprecher 1:] Ja, wissen Sie, da müssen Sie sich mal mit unseren Gesetzen befassen.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, weiß ich. Aber da blicke ich nicht so ganz durch.
[männlicher Sprecher 1:] Da steht doch alles drin.
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] Was strafbar ist und was nicht strafbar ist.
[männlicher Sprecher 2:] [unverständlich] Ich habe aber auch [unverständlich] das durchgelesen, habe was gemacht und da war es-, war es auf einmal doch strafbar.
[männlicher Sprecher 1:] Ja?
[männlicher Sprecher 2:] Ja.
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]
[männlicher Sprecher 2:] Doch.
[männlicher Sprecher 1:] Unsere Gesetze sind doch eindeutig.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, sicher, die sind eindeutig. Das stimmt. Haben mir die anderen auch gesagt. Aber wir machen das heute Abend. Keine Sorge.
[männlicher Sprecher 1:] Sie machen das heute Abend?
[männlicher Sprecher 2:] Ja. Muss mal gucken, wie das Wetter ist, wenn nicht, dann Morgen. Haben Sie da-, ich hab mal ne Frage: Haben Sie da so-, so-, so komische Sachen Unterwasser, so Abhörmikrofone oder irgend sowas?
[männlicher Sprecher 1:] Das weiß ich nicht, dafür bin ich nicht zuständig.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, das, das glaube ich auch, ja ist klar. Aber ich versuche es mal. Wie gesagt, ich hab nichts geklaut, ich will nur einfach mal ne kleine Reise ins Ausland machen. Ich hoffe, da hat man nichts dagegen haben.
[männlicher Sprecher 1:] Vielleicht machen Sie die offiziell, die kleine Reise?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, hab ich schon probiert.
[männlicher Sprecher 1:] Und?
[männlicher Sprecher 2:] Nix, abgelehnt. Hatte ich nachher Besuch, war nicht gut. Habe ich aber abwimmeln können.
[männlicher Sprecher 1:] Abwimmeln können?
[männlicher Sprecher 2:] Ja, ja.
[männlicher Sprecher 1:] Sie hatten Besuch, von wem denn?
[männlicher Sprecher 2:] Ach, da- [lacht] Da brauche ich Ihnen doch nicht viel drüber zu erzählen. Das haben Sie doch bestimmt in Ihren Akten da liegen.
[männlicher Sprecher 1:] Ja, aber wissen Sie, ich kenne Sie doch gar nicht.
[männlicher Sprecher 2:] Ja, ich habe Ihnen ja meinen Namen noch nicht gesagt. Nein, den will ich auch besser nicht sagen, sonst krieg ich vielleicht deswegen schon einen rein.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."