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Raubzug im Spielzeugland

Der Verkauf von Porzellanpuppen und Puppenteilen in großen Mengen ließ im Sommer 1982 Mitarbeiter der Abteilung 13 der Hauptabteilung VII (HA VII/13) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und Steuerfahnder des Rates des Bezirkes Magdeburg aufmerken. Sie leiteten Ermittlungen gegen zwei Personen aus Wernigerode ein. Die Spur führte sie nach Thüringen.

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Der DDR-Antikhandel hatte die Erwirtschaftung von Devisen zur Aufgabe. Durch den Verkauf von Antiquitäten und Kunstgegenständen aus dem Besitz von Privatleuten, Galerien, Bibliotheken, Schlössern, Museen und Archiven generierte der Staat Einnahmen. Bis in die 60er Jahre hinein wickelten Privathändler einen großen Teil des Kunst- und Antiquitätenhandels ab. Von Bedeutung zu dieser Zeit war der Antikhandel Pirna, den der Staat 1974 zerschlug. Er gliederte ihn - als Betriebsteil, der für den DDR-Binneneinkauf zuständig war - als Volkseigenen Betrieb (VEB) Antikhandel Pirna in die Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) ein.

Eine Ministerratsverfügung vom 18. Januar 1973 bildete die Grundlage für die Arbeit der KuA, die ihren Hauptsitz in Ost-Berlin hatte. Organisatorisch gehörte sie zum Schattenreich der Kommerziellen Koordinierung, über den der Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel und Offizier im besonderen Einsatz (OibE), Alexander Schalck-Golodkowski, herrschte. Die KuA hatte ihren Hauptsitz in Ost-Berlin und unterhielt im brandenburgischen Mühlenbeck ein Großlager, das für Händler aus dem Westen einen integrierten Galeriebereich vorhielt.

Bis 1990 besaß die KuA das Monopol für den Export von Antiquitäten und Kunstgegenständen. Die KuA, das MfS, die Kriminalpolizei, die Zollverwaltung und die Finanzbehörden sorgten dafür, die Stücke für die devisenträchtigen Märkte nutzbar zu machen. Sie setzten Sammler sowie Kunst- und Antiquitätenhändler gezielt unter Druck, kriminalisierten, verhafteten, verurteilten und enteigneten sie.

MfS und DDR-Antikhandel

Für den Bereich "Schmuggel und Spekulation" war im MfS zunächst eine Arbeitsgruppe im Anleitungsbereich von Mielkes Stellvertreter Bruno Beater verantwortlich. Diese ging nach dessen Tod in der HA VII (Sicherung des Ministeriums des Innern) als Abteilung 13 auf. Die HA VII/13 kooperierte mit der Kriminalpolizei (Arbeitsgebiete I und II), der Zollverwaltung (Zollfahndung), den Finanzbehörden (Steuerfahndung) und dem Justizapparat. Zum einen ging es darum, fortlaufend Informationen über Sammler sowie Kunst- und Antiquitätenhändler auszutauschen und diese tatsächlichen bzw. angeblichen Schieber und Spekulanten der Steuerfahndung zuzuführen. Dies brachte zum anderen mit sich, dass sich aus den Ermittlungen heraus Erkenntnisse über Kunstgegenstände und Antiquitäten ergaben, die sich die KuA für ihre Devisengeschäfte einverleiben konnte. Zwischen der HA VII/13 und der KuA bestanden intensive Arbeitsbeziehungen, die sich in regelmäßigen Beratungen, gemeinsamen Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsaktionen sowie in Gutachter- und Expertentätigkeiten niederschlugen.

Hinzu kam, dass sich zahlreiche Beschäftige des DDR-Antikhandels zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet hatten. Darunter Gernot Haubold, Leiter Einkauf der KuA ("Rose") und einer der Generaldirektoren, Joachim Farken ("Hans Borau"). Die im Bundesarchiv aufbewahrten Unterlagen lassen den Schluss zu, dass sich die Rolle der HA VII/13 oftmals auf die des Handlangers beschränkte, der erst aufgrund seiner geheimpolizeilichen Instrumentarien und Ermittlungen die Voraussetzungen für den späteren Zugriff der KuA schuf.

Zwei Sammler aus Wernigerode

Im Harzstädtchen Wernigerode existierte ein überschaubarer Kreis von Sammlern und Händlern antiquarischer Gegenstände. Zu ihnen gehörte auch Manfred Grundmann (Name pseudonomisiert), der seit Mitte der 70er Jahre Möbel, Uhren, Schmuck, Gemälde, Münzen und Vasen von Privathand aufkaufte und mit Gewinn weiterveräußerte. Grundmann zog 1981 nach Erfurt und entfaltete auch dort zahlreiche Geschäftsaktivitäten. Schon bald boten ihm mehrere Personen aus Jena, Waltershausen und Ohrdruf Porzellanpuppen und Puppenteile an. Grundmann erfuhr, dass diese "in der Nähe des Rennsteigs" ausgegraben, aus Abraumhalden ehemaliger Puppenfabriken geplündert und geerbt worden seien.

Aus Auktionskatalogen, Fachliteratur und Erzählungen wusste Grundmann, dass Thüringen einst als das Spielzeugland galt. Die Firma Kämmer & Reinhardt in Waltershausen etwa stieg zu einem der weltweit größten Puppenproduzenten auf. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise aber kamen Produktion und Absatz von Porzellanpuppen ins Stocken und gänzlich zum Erliegen. Die vorrätige Ware wurde auf Müllkippen und Abraumhalden entsorgt oder als Baumaterial sowie als Füll- und Dämmstoff genutzt.

Als Grundmann erfahren hatte, welche Preise für die Porzellanpuppen und Puppenteile gezahlt wurden, kaufte er Unmengen davon auf. Anschließend veräußerte er das Konvolut zwischen September 1981 und April 1982 in der Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna.

Eine Freundschaft und Geschäftsinteressen verbanden Manfred Grundmann und Günther Zillner (Name pseudonomisiert), der auch zum Sammlerkreis aus Wernigerode zählte. Zillner arbeitete kurzzeitig als Einkäufer für die Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna und spitzelte für das Kommissariat I des Volkspolizeikreisamtes Wernigerode unter dem Decknamen "Freddy". Außerdem unterhielt er viele Kontakte in die Sammler- und Händlerszene und prahlte vor seinem Führungsoffizier damit, dass er den Leiter der HA I des Bereiches Kommerzielle Koordinierung und OibE, Manfred Seidel, persönlich kannte. Erfolglos versuchte Zillner, diverse Gewerbegenehmigungen zu erlangen und veräußerte antiquarische Gegenstände spekulativ weiter.

Über Grundmann kam Zillner in Kontakt mit den aus Jena, Waltershausen und Ohrdruf stammenden Anbietern. Wie sein Kompagnon kaufte auch er Stücke an und überließ sie zwischen März und Mai 1982 der Magdeburger Filiale des VEB Antikhandel Pirna. Doch die Anbieter verlangten zunehmend höhere Preise und hielten die Fundstätten weitestgehend geheim. Grundmann und Zillner wollten nun selbst tätig werden und in der Nähe ehemaliger Porzellan- und Puppenfabriken graben.

Grabungen in Katzhütte und vermeintlicher Deal mit der KuA

Ihre Suche nach früheren Porzellan- oder Puppenfabriken führte Grundmann, Zillner und einen Bekannten ins Schwarzatal nach Katzhütte im Thüringer Wald. Hier produzierte einst die Fabrik Hertwig & Co., die sich auf Porzellanpuppen spezialisiert hatte. Die Firma war längst verstaatlicht und firmierte unter dem Namen VEB Zierkeramik Katzhütte. Die drei Schatzsucher besichtigten eine Abraumhalde, die an das Betriebsgelände grenzte. Hier fanden sie Puppenteile, rechneten aber mit noch ergiebigeren Fundstellen.

Durch den Tipp eines Bürgers aus Katzhütte kamen sie schließlich auf ein Gelände am Flüsschen Schwarza in der Nähe einer Jugendherberge. Dort förderte eine Probegrabung ganze Puppen, Arm- und Beinteile zutage. Anschließend brachte das Trio die Beute zu einer Bekannten nach Wernigerode und kaufte schleunigst Zelte, Propangaskocher, Schlafsäcke, Schaufeln, Klappstühle, Säcke und Eimer.

Anfang Juli 1982 fuhren Grundmann, Zillner und zwei Bekannte nach Katzhütte, wo sie campierten und Plastiksäcke und Kartons mit Porzellanpuppen und Puppenteilen füllten. Bald schon kamen Grundmann und Zillner erste Bedenken: Welchem Käufer soll man dieses riesige Konvolut anbieten? Wie lassen die sich daraus ergebenden steuerlichen Aspekte und Eigentumsfragen klären? Zillner schlussfolgerte, dass Bergung und Verkauf des Grabungsguts nur in Absprache mit der KuA realisiert werden könne. Er erinnerte sich an seine Kontakte und telefonierte mit OibE Manfred Seidel und Joachim Farken alias Inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Hans Borau". Zillner erinnerte sich später: "Herr Farken sicherte mir zu, sich mit den entsprechenden Regierungsstellen bzw. Ministerien in Verbindung zu setzen, um die anstehende Problematik zur Zufriedenheit beider Seiten rechtlich und auch steuerlich unter Vertrag zu bekommen."

Tage später schlug Zillner in Mühlenbeck mit einer Musterkollektion auf und traf Vereinbarungen mit leitenden Mitarbeitern. Eigenständig telefonierte er sogar mit der Strafvollzugsanstalt Halle/Saale. Er holte Erkundungen ein, ob es möglich sei, dort große Menge an Porzellan zu reinigen und zu verpacken. Das Duo, nun voller Tatendrang und mit der vermeintlichen Unterstützung der KuA im Rücken, machte sich wieder auf nach Katzhütte. Die Grabungscrew erregte zunehmend das Aufsehen der lokalen Behörden. Der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei stellte Grundmann und Zillner zur Rede. Diese aber gaben redegewandt und selbstsicher an, im Auftrag der KuA nach altem Porzellan zu graben. Sie wähnten sich in trügerischer Sicherheit, nicht ahnend, das bereits hinter den Kulissen das MfS auf den Plan getreten war.

Ermittlungen der Stasi

Am 28. Juli 1982 leitete die HA VII/13 die Operative Personenkontrolle (OPK) "Puppe" ein. Der operative Mitarbeiter, Major Joachim Milarg, klärte Personenzusammenhänge auf, prüfte, ob Hinweise auf Straftaten nach Strafgesetzbuch der DDR (StGB) vorlagen und woher die Porzellanpuppen und Puppenteile stammten. In dem Vorgang ist dokumentiert, dass dabei u.a. Gernot Haubold, alias IM "Rose", half. Der Leiter Einkauf der KuA führte bereits Absprachen und Telefonate mit Zillner. Von IM "Rose" erfuhr Major Milarg, dass die ausgegrabenen Porzellanpuppen und Puppenteile aus einer Abraumhalde in Katzhütte stammten.

Milarg reiste in den Süden der DDR und machte sich selbst vor Ort ein Bild. Er fand relativ schnell das zwischen einem Berghang, dem Flüsschen Schwarza, dem VEB Zierkeramik und der Jugendherberge befindliche Gelände.

„Insgesamt scheint die Halde eine nicht zu schätzende Menge heiler und defekter Puppenteile zu beinhalten. In wenigen Minuten wurde vom Unterzeichner, ohne zu graben, eine Menge von Teilen aufgesammelt, die vor allen Dingen zeigen, welche Vielfalt an Puppenteilen in Form, Größe und Art in diesem Geröll stecken.“

Joachim Milarg
Hauptabteilung VII, Abteilung 13

Milarg schloss seine Beobachtungen mit der Erkenntnis ab, dass das Gebiet leicht auszubeuten sei und deswegen eine zügige Bergung in die Wege geleitet werden müsse.

Zeitgleich setzte sich die HA VII/13 mit der Rechtsstelle des MfS in Verbindung. Diese sollte klären, wem denn die aufgefundenen Porzellanpuppen und Puppenteile gehörten. Nach einer Anfrage beim Senat für Zivilrecht beim Obersten Gericht schlussfolgerte die Rechtsstelle, dass der Staat Besitzer sei. Schließlich seien die gefundenen und ausgegrabenen Stücke von hohem gesellschaftlichem Interesse und das Eigentum an ihnen sei aufgegeben. Bei unrechtmäßiger Aneignung müssten die Stücke herausgegeben werden. Außerdem müsste der Staat bei Verkäufen seinen steuerlichen Anspruch (Einkommens-, Vermögens- und Umsatzsteuer) geltend machen. Diesen Part übernahmen dann auch Steuerfahnder der Abteilung Finanzen beim Rat des Bezirkes Magdeburg. Sie eröffneten ein Ermittlungsverfahren gemäß § 176 StGB.

Anfang September 1982 registrierte die HA VII/13 die OPK zum Operativen Vorgang (OV) um. Denn die in der OPK erarbeiteten Tatbestände - Steuerhinterziehung gemäß § 176 StGB und "asoziales Verhalten" gemäß § 249 StGB - hatten sich aus Sicht des MfS bestätigt. Nun ging es darum, die Beschuldigten im Rahmen eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens abzuurteilen und weitere Maßnahmen einzuleiten. Am 6. September 1982 schlugen MfS, Volkspolizei und Steuerfahndung zu: Grundmann und Zillner kamen in Haft, Räumlichkeiten wurden durchsucht. Dabei konnten große Mengen Porzellanpuppen und Puppenteile sichergestellt werden. Das Bezirksgericht Magdeburg verhängte Haftstrafen: Zwei Jahre und drei Monate für Grundmann, zwei Jahre und sechs Monate für Zillner. Beide hatten zudem Steuern in Höhe von 300.000 Mark der DDR nachzuzahlen.

Am Vormittag des 28. Oktobers 1982 brach in der MfS-Bezirksverwaltung Suhl hektische Betriebsamkeit aus. Gegen 10:30 Uhr - so hielt es Dienststellenleiter Oberst Gerhard Lange in seinem im Stasi-Unterlagen-Archiv Suhl überlieferten Dienstkalender fest - meldete sich telefonisch Generalleutnant Gerhard Neiber. Dieser war einer der Stellvertreter Erich Mielkes aus der Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Er teilte mit, dass im Thüringer Wald, konkret in Katzhütte im Kreis Neuhaus, bei illegalen Grabungen wertvolle Porzellanpuppen und Puppenteile entdeckt worden waren. Lange notierte akribisch, dass die HA VII einen OV bearbeite und zwei Personen aus Wernigerode bereits inhaftiert seien.

Dem MfS-Bezirkschef wurde nun die Aufgabe übertragen, kurzfristig eine Bergungsaktion auf die Beine zu stellen, um die "Verwertung der weiteren Bestände ein[zu]leiten." An jenem Donnerstag und am darauffolgenden Freitag stand Langes Diensttelefon nicht mehr still: Es erfolgten Telefonabsprachen mit leitenden Mitarbeitern der HA VII, dem Leiter der Kreisdienststelle (KD) Neuhaus und mit Abteilungsleitern der Bezirksverwaltung Suhl. Parallel dazu setzte Lange das Machtzentrum des Bezirkes, nämlich die SED-Bezirksleitung mit dem an der Spitze stehenden 1. Sekretär Hans Albrecht, über das Vorhaben im Kreis Neuhaus in Kenntnis. Lange vermerkte hierzu kurz, dieser sei "einverstanden mit [der] Realisierung."

In Katzhütte kamen ab dem 1. November 1982 schweres Gerät und Mitarbeiter der MfS-Bezirksverwaltung Suhl zum Einsatz. Diese bargen, reinigten, sortierten und verpackten innerhalb von knapp zwei Wochen circa 3,5 Tonnen an unterschiedlichsten Porzellanpuppen und Puppenteilen. Etwa zur gleichen Zeit förderten bei Ohrdruf Angehörige des MfS-Wachregiments ungefähr 1,1 Tonnen Grabungsgut zutage. Eine Stasi-Kamera hielt die Aktion fest und es entstand eine Fotodokumentation für Minister Erich Mielke. Dieser wurde von Beginn an durch Joachim Büchner, den Leiter der HA VII, und seinen Stellvertreter, Gerhard Neiber, über die Bearbeitung des OV "Puppe" auf dem Laufenden gehalten. Mitarbeiter der HA VII/13 sammelten anschließend die geborgenen und verpackten Kleinantiquitäten in den MfS-Bezirksverwaltungen Erfurt und Suhl ein und übergaben sie der KuA.

Komplette Fotodokumentation in der Stasi-Mediathek

Über die Verwertung ließ sich Mielke persönlich berichten. Der Leiter der HA VII konnte in einem Schreiben vom 22. Dezember 1982 erste Erfolge verkünden. Die Geschäftemacher der KuA hatten Puppenköpfe und anderweitige Puppenteile an Firmen in den Niederlanden, den USA und der Bundesrepublik verkauft. Die KuA bot zunächst nur solche Stücke an, die relativ schwer am Markt zu veräußern waren. Mit Blick auf Absatzmöglichkeiten in der Schweiz, Italien, der Bundesrepublik und den USA prognostizierte die KuA einen zu erwartenden Erlös von mehreren Millionen D-Mark. Ein Großteil des Fundes musste abermals gereinigt, begutachtet und komplettiert werden. Dies geschah in der Jugendstrafanstalt Dessau, wo "durch eine gezielte Aufbereitung der Ware […] eine maximale Valutarentabilität zu erzielen [war]." Darüber hinaus verschacherte die KuA Teile des Archivs der Firma Kämmer & Reinhardt in den Westen. Dies hatten Ermittlungen der KD Gotha und der HA VII/13 im Rahmen des OV "Puppe" zutage gefördert.

Gier der KuA und Widerstand

Der VEB Zierkeramik Katzhütte ging aus der verstaatlichten Porzellanfabrik Hertwig & Co hervor. Nur wenigen Betriebsangehörigen war damals bewusst, dass noch alte Musterbestände in Form eines sogenannten Musterzimmers existierten. Es handelte sich um unzählige Exponate, die Jahrzehnte der Produktpalette der 1864 gegründeten Porzellanfabrik widerspiegelten. Bereits am 20. Dezember 1982, etwa einen Monat nach der Bergungsaktion des MfS, kamen Mitarbeiter der HA VII/13 und der KuA in Mühlenbeck zusammen. Joachim Farken und Gernot Haubold zeigten nun Interesse an dem Musterzimmer, das nach deren Einschätzung mehrere Millionen Mark der DDR wert war. Doch wie gestalteten sich die Eigentumsverhältnisse? Überliefert sind zwei Übersichten, auf denen Major Joachim Milarg die Organisationsstruktur des VEB Zierkeramik aufschlüsselte. Der Betrieb war Teil des VEB Rhönkunst, der zum Kombinat "Werra-Möbel" gehörte. Dieses unterstand dem Minister für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie, Udo Wange. Aus den handschriftlichen Skizzen Milargs wird deutlich, dass sich für den MfS-Major Fragen ergaben: "Was sagt der Leiter der BV [Suhl]?, Welche Gesetze sind Grundlage? Warum wir als MfS?" Hinsichtlich der Feststellung der Eigentumsverhältnisse fand Milarg keine Antworten auf seine Fragen. Er habe "Bauchschmerzen", kritzelte er an den Rand einer der Übersichten. Doch es scheint, als habe sich Milarg auf das berufen, worauf er sich im Umgang mit der KuA und den Beschlagnahmungen immer verlassen konnte. Nämlich die Devise, die er in dicken Lettern auf die Übersicht schrieb: "Je höher angebunden, desto weniger die Fragen."

Der erste Versuch, das Musterzimmer zu übernehmen, scheiterte am Betriebsdirektor. Er gab an, von der Übernahme durch die KuA nichts zu wissen, und untersagte das Betreten des Betriebsgeländes. Einen Monat später, am 3. November 1983, fuhren erneut Fahrzeuge mit Ost-Berliner Kennzeichen vor. Der Beauftragte der KuA legte eine Vollmacht des Generaldirektors Farken vor, die unmissverständlich darauf hinwies, dass auf Weisung des Ministers Wange die Stücke unverzüglich auszuhändigen seien. Innerhalb der Belegschaft regte sich Protest. Eine Stimme meldete sich mit der Frage, "warum das [Musterzimmer] übergeben [werden soll] und nicht hier bei uns in Katzhütte [bleiben könne]." Rasch wurde in Katzhütte das Treiben publik und sogar der Ortsparteisekretär der SED erkundigte sich, was denn vor sich gehe. Doch die neunköpfige Delegation der KuA ließ sich nicht beirren und drängte auf Durchsetzung der Weisung. Vor Ort war auch Major Milarg, der sich gegenüber dem VEB Zierkeramik als wissenschaftlicher Mitarbeiter der KuA ausgab. Alle zu übergebenden Exponate wurden fotografiert, aufgelistet und verpackt.

Die Aktion endete am 4. November 1983 mit der Unterzeichnung des Übernahmeprotokolls. Mehr als 14.316 Positionen gingen in den Besitz der KuA über. Am nächsten Tag kamen die Südthüringer Preziosen in Mühlenbeck an. Major Milarg verfasste am 7. November 1983 einen handschriftlichen Bericht und resümierte: "Von den Mitarbeitern der KuA GmbH wurde eingeschätzt, dass die Atmosphäre [in Katzhütte] kühl bis feindselig war, eine Art passiver Widerstand [vorherrschte, und] von Verzögerungstaktik geprägt war." Ob Major Milarg auch nur einen Moment daran dachte, dass es den Menschen darum ging, das in Südthüringen entstandene Kulturgut zu retten und als Teil der kollektiven Identität in der Region zu bewahren anstatt es den skrupellosen Geschäftemachern der KuA zu überlassen, lässt sich heute nicht sagen.

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