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Spielefans unter Beobachtung

In den 80er Jahren erreichte die weltweite Faszination für Computer auch die DDR. Im ganzen Land schlossen sich junge Menschen zusammen, um gemeinsam zu programmieren, Software zu tauschen und zu spielen. Die SED-Führung sah großes Potenzial in dem neuen Medium, hegte gleichzeitig aber auch Misstrauen gegenüber einer neuen Jugendkultur. Dies rief die Staatssicherheit auf den Plan, die die Computerfans ins Visier nahm und kontrollierte, was über die Bildschirme flimmerte.

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Schlüsseltechnologie Mikroelektronik

Die Entstehung der digitalen Spieleszene in der DDR hing eng mit den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen der 70er und 80er Jahre zusammen. In den 70er Jahren erlebte die Mikroelektronik einen weltweiten Aufschwung, von dem auch die DDR nicht unberührt blieb. Auf der 6. Tagung des Zentralkomitees der SED im Juni 1977 erklärte die politische Führungsspitze die Mikroelektronik zur Schlüsseltechnologie. Von da an forcierte die DDR ihre Anstrengungen in diesem Bereich und scheute dafür weder Kosten noch Mühen: Bis 1989 flossen Milliarden in die Mikroelektronik. Doch trotz der enormen Investitionen hinkte die DDR den Entwicklungen im Westen bis zuletzt um Jahre hinterher.

Um die Computerisierung infolge der "Mikroelektronik-Tagung" 1977 voranzutreiben und an den westlichen Entwicklungsstand anschließen zu können, war die SED-Führung auf den Import westlicher Hochtechnologien angewiesen. Da diese aber auf einer Embargoliste der NATO-Staaten stand, trat das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf den Plan: Die für Auslandsspionage zuständige Hauptverwaltung A besorgte im Westen die nicht einfuhrgestattete Hard- und Software sowie das nötige "Know-how" für die Produktion und Ausbildung von Fachpersonal.

Spiele(n) im Sozialismus

Die SED-Führung musste dafür sorgen, dass die großen Anstrengungen in der Mikroelektronikindustrie auch personell gestemmt werden konnten. Daher war die DDR auf technisch interessierte und versierte Bürgerinnen und Bürger - die Facharbeiter für Datenverarbeitung der Zukunft - angewiesen. Wissenschaft und Politik sprachen digitalen Spielen in diesem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert zu. In der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Politik hingegen hatte das neue Medium zu dieser Zeit noch einen schweren Stand. So waren etwa die beliebten Videospielautomaten (Arcade-Automaten) ab 1985 an öffentlichen Plätzen verboten, da sie als gewaltverherrlichend und jugendgefährdend eingestuft wurden.

„Computerspiele besitzen objektiv Tendenzen, die Ideen und Werte des Sozialismus durch die Kinder über Spiel und Romantik aneignen zu lassen.“

DDR-Forschungskollektivleiter Gerd Hutterer
auf der Konferenz "Computernutzung in der außerunterrichtlichen Tätigkeit" in Halle 1988

In den Augen der DDR-Staatsführung boten digitale Spiele die Möglichkeit, junge Menschen für Computer zu begeistern. Auf diese Weise sollten sie an die Mikroelektronik herangeführt werden, die als zukunftsweisend für die Wirtschaft galt. So fanden etwa in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), einer vor- und paramilitärischen Massenorganisation zur Wehrerziehung Jugendlicher, Programmier-Wettkämpfe statt. Abgesehen von den beruflichen Perspektiven dienten der SED wissenschaftlich-technische Neuerungen im Kontext des Kalten Krieges als nützliche Propagandawaffe, um den eigenen Fortschritt zu demonstrieren. Außerdem galten digitale Spiele - wie die Freizeitgestaltung im Allgemeinen - als adäquates Mittel, Kinder und junge Erwachsene im sozialistischen Sinne zu erziehen. Im Umkehrschluss standen digitale Spiele in der DDR unter strenger staatlicher Kontrolle: Spiele mit Inhalten, die nicht der Staatsdoktrin entsprachen, waren tabu. Staatliche Medien, wie die GST-Zeitschrift "Funkamateur", kritisierten westliche Spiele als kriegsverherrlichend, ideologisch gefärbt und pädagogisch bedenklich.

Den ersten Schritt in die digitale Spielewelt unternahm die DDR im Jahr 1979. Mit dem Bildschirmspiel 01 (BSS 01) kam die erste und einzige in der DDR produzierte Spielkonsole auf den Markt. Die fünf vorinstallierten Spiele lehnten sich stark an den 1972 von Atari veröffentlichten West-Klassiker und Spiele-Urvater "Pong" an. In den USA eroberten die ersten Spielekonsolen dieser Art bereits Mitte der 70er Jahre die Wohn- und Kinderzimmer. Wenige Jahre später konnten auch die DDR-Bürgerinnen und -Bürger in die digitale Spielewelt abtauchen. Im Gegensatz zu seinen West-Pendants war das BSS 01 vor allem in Freizeit- und Jugendeinrichtungen zu finden. Da sich die DDR-Konsole wirtschaftlich nicht lohnte, wurde die finanziell sehr aufwendige Produktion im Volkseigenen Betrieb (VEB) Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) 1981 wieder eingestellt.

Spielekonsole "Bildschirmspiel 01" mit dazugehörigem Bedienelement.
Spielbildschirm des Videospiels "Pong". Zu sehen ist ein schwarzer Bildschirm. Auf der linken und der rechten Seite befindet sich jeweils ein vertikaler weißer Balken. In der Mitte ist ein weißer Punkt (Ball) zu sehen, der von den Spielerinnen und Spielern mithilfe der weißen Balken über eine gestrichelte Linie in das gegnerische Feld gespielt werden muss. Am oberen Ende des Bildschirms ist der Punktestand zu sehen (2:1)

Nachdem die Entwicklung des BSS 01 nicht den erwünschten Erfolg gebracht hatte, folgte ein neues Projekt: der Poly-Play. Dabei handelte es sich um einen Videospielautomaten, an dem gegen einen kleinen Geldbetrag insgesamt acht verschiedene Spiele gespielt werden konnten. Er wurde Mitte der 80er Jahre ebenso wie das BSS 01 von der SED-Führung in Auftrag gegeben. Platz fand er in öffentlichen Einrichtungen, wie im Palast der Republik. Bei den jungen Spielefans in der DDR stieß er auf große Begeisterung.

Um den Erfolg des Millionenprojekts zu garantieren, beteiligte sich die Entwicklungswerkstätte "Kartell" der MfS-Bezirksverwaltung (BV) Karl-Marx-Stadt maßgeblich an der Entwicklung des Poly-Plays. "Kartell" war ein seit 1982/83 laufender Operativer Vorgang, der die Volkswirtschaft mit Entwicklungsprototypen und Funktionslösungen unterstützen sollte. Aufgrund seiner besonderen Bedeutung als Industriestandort fiel die Wahl auf den bevölkerungsreichsten DDR-Bezirk im Süden des Landes. "Kartell" betrieb Forschung auf dem Gebiet der Industrie und Konsumgüterproduktion, die Stasi besorgte die nötige Technik aus dem Westen. Außerdem überwachte sie die Produktion im VEB Kombinat Polytechnik und Präzisionsgeräte Karl-Marx-Stadt. Inoffizielle Mitarbeiter hielten das MfS über Probleme auf dem Laufenden und informierten es über Entwicklungen in der Volkswirtschaft.

Denn hinter der Entwicklung des Poly-Play steckten ökonomisches und politisches Kalkül: In der wirtschaftlich angeschlagenen DDR sollten hohe Einspielergebnisse und ein Export der Geräte zur Erfüllung der Wirtschaftspläne beitragen. Außerdem wollte die SED-Führung die Bevölkerung mit dem neuen Unterhaltungsmedium zufriedenstellen. Dies sollte - ganz im Sinne der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" Erich Honeckers - zur Stabilisierung des Systems beitragen.

Ein Blick in die Stasi-Unterlagen zeigt, welche Bedeutung die SED-Führung und ihre Geheimpolizei der Entwicklung des Poly-Play beimaßen. Der Leiter der BV Karl-Marx-Stadt, Siegfried Gehlert, erstattete kurz vor Produktionsbeginn Erich Mielke persönlich Bericht über die "Entwicklung eines derartigen hochwertigen Konsumgutes bzw. 'Spielzeuges'".

Insgesamt produzierte die DDR bis 1989 ca. 2.000 Poly-Plays. Auf ihnen konnten von westlichen Videospielautomaten inspirierte Programme, wie "Hase und Wolf", gespielt werden - eine DDR-Kopie des japanischen Klassikers "Pac-Man".

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Computerfans im Visier der Stasi

Mit der neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung kamen Mitte der 80er Jahre auch die ersten Heimcomputer in der DDR auf den Markt. Ab 1984 wurde in den VEB Mikroelektronik "Wilhelm Pieck" Mühlhausen und Robotron-Meßelektronik "Otto Schön" Dresden die Kleincomputer-Reihe KC produziert. Bis 1989 liefen ca. 30.000 Geräte vom Band. Im Gegensatz zu anderen Modellen aus DDR-eigener Produktion, wie dem Lerncomputer LC 80 oder dem Robotron Z 1013, fand die KC-Reihe aufgrund ihrer vergleichsweise fortgeschrittenen Technik auch bei Spielebegeisterten Anklang. Neben der Hardware stellten die VEB in Dresden und Mühlhausen außerdem die passende Software her: Insgesamt neun Spielesammlungen erschienen in den 80er Jahren für den KC. Dabei handelte es sich um harmlose Spiele, die dem offiziell propagierten friedliebenden Charakter des Sozialismus entsprachen: Geschicklichkeitsspiele, Brettspielumsetzungen und Kopien westlicher Arcade-Spiele, wie z. B. des japanischen "Pengo". Da das Spieleangebot in der DDR sehr überschaubar und wenig abwechslungsreich war, waren die Computerfans auf Software aus dem Westen angewiesen oder programmierten sich ihre Spiele selbst.

„Einschleusen von Software, die eindeutig feindlich-negativen Charakter trägt oder den Antisemitismus zum Inhalt hat, […] sollte operativ unterbunden [werden]. “

Wilfried Fetsch
Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz, Abteilung I

Die Mitte der 80er Jahre einsetzende private Nutzung von Heimcomputern beschäftigte ab 1986 verstärkt auch die Stasi. Die Geheimpolizei wollte wissen, was die jungen Menschen mit ihren Geräten anstellten. Dafür nahm sie verschiedene "operative" Aspekte in den Blick: die Kontakte von Computerfans in den Westen, die Gefahr von Virenübertragungen auf DDR-Rechner in Betrieben und staatlichen Stellen, den Schmuggel von Computertechnik und die Einfuhr von Software mit verbotenen Inhalten. Dazu zählten etwa Spiele mit "antisozialistischem Charakter", d. h. NS-Bezügen oder kriegsverherrlichenden Darstellungen.

Fotodokumentation in der Stasi-Mediathek

Die Überwachung der Computernutzerinnen und -nutzer durch das MfS zeigt exemplarisch, wie penibel und vernetzt die Geheimpolizei arbeitete. Sie bezog zahlreiche Diensteinheiten mit verschiedenen Zuständigkeiten in der Berliner Zentrale und auf Bezirksebene ein. Dazu zählten insbesondere die Linien II (Spionageabwehr), III (Funkaufklärung und Funkabwehr), XVIII (Volkswirtschaft) und XX (Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund). Zusätzlich kooperierte sie im Rahmen des "politisch-operativen Zusammenwirkens" mit anderen staatlichen Stellen, wie der DDR-Zollverwaltung. Eine tragende Rolle bei der Überwachung der Computerszene nahm die Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz (ZAGG) des MfS ein. Sie war für die "politisch-operative Sicherung" von Staats- und Dienstgeheimnissen verantwortlich und bis 1986 Erich Mielke direkt unterstellt. Die ZAGG koordinierte landesweit das Vorgehen zwischen den MfS-Diensteinheiten. Ihre Pendants auf Bezirksebene waren die jeweiligen Arbeitsgruppen Geheimnisschutz (AGG).

Im April 1988 fasste die ZAGG ihre "Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Nutzung privater Computertechnik", die sie seit Mitte der 80er Jahre gesammelt hatte, in einem zwölfseitigen Dokument zusammen. Dabei stellte sie großes "Interesse breiter Bevölkerungsschichten an der Technik" fest. Im Rahmen ihrer "vorbeugenden, schadensabwendenden Abwehrarbeit" nahm sie auch digitale Spiele ins Auge. Vor allem der "Handel mit verbotener Software (z.B. Software mit revanchistischen oder antikommunistischen bzw. mit antisemitistischen [sic!] Inhalt)" sollte unterbunden und die verantwortlichen Personen "aufgeklärt" bzw. "unter operativer Kontrolle gehalten werden". Darunter verstand die Stasi das Sammeln weiterer Informationen und die Überwachung relevanter Personen. Der Verfasser des Berichts, Wilfried Fetsch, wies außerdem darauf hin, dass in der DDR zunehmend Computertechnik aus dem Westen genutzt werde. Besorgt werde diese über entsprechende familiäre und nicht-familiäre West-Kontakte.

Beim Thema Schmuggel und Einfuhr illegaler Hard- und Software arbeitete das MfS eng mit dem Zoll zusammen. Vor allem bei Sendungen aus dem Ausland, aus und nach Ost-Berlin sowie den Bezirkshauptstädten unterzog die Geheimpolizei die Post genaueren Kontrollen. Außerdem ließ sie sich über geöffnete Sendungen informieren, z. B. wenn darin Software aus dem Westen gefunden wurde. Solche Informationen des Zolls nahm sie zu ihren Unterlagen.

Im Juli 1988 etwa setzte der stellvertretende Leiter der DDR-Zollverwaltung, Günther Arndt, die Zoll-Bezirksverwaltungen über das Einfuhrverbot für das Spiel "Kreml" in Kenntnis. Darin müssen die Spielerinnen und Spieler den Kampf um das namensgebende sowjetische Machtzentrum für sich entscheiden, wobei die KPdSU-Funktionärinnen und -Funktionäre stark karikiert werden. Wegen seiner "antisowjetischen Aussagen", die den "Interessen der DDR" widersprächen, dürfe das Spiel weder im "grenzüberschreitenden Reiseverkehr" noch im "Geschenkpaket- und -päckchenverkehr auf dem Postwege" in die DDR eingeführt werden. Das Dokument landete in einer Akte der Abteilung M (Postkontrolle).

Dass aber nicht nur die Einfuhr von Spielen mit verbotenem Inhalt, sondern von Spielen allgemein untersagt war, zeigt ein Dokument der Magdeburger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit vom 5. März 1986. Darin informierte der Leiter der Abteilung VI, deren Passkontrolleinheit den grenzüberschreitenden Verkehr kontrollierte, den Leiter der Abteilung XX über die Einfuhr von Heimcomputern und "Telespielen": Während die Hardware nach Rücksprache mit dem Zoll "einfuhrgestattet" sei, dürfe die Software nicht importiert werden - es sei denn, es handele sich um "Umzugs- und Erbschaftsgut" ohne "antisozialistischen Charakter". Ebenso verboten war "spekulativer Handel ". Der einzige Weg, in der DDR an Spiele aus dem Westen zu gelangen, führe über Intershops. Dabei handelte es sich um Geschäfte, in denen gegen Devisen Waren aus dem Westen erworben werden konnten.

Luxusgut Computer - die Bildung von Computerclubs

Im Westen hielten Computer ab den späten 70er Jahren Einzug in die privaten Haushalte. Dort waren sie zwar auch in der DDR zu finden, sie wurden aber vor allem in Einrichtungen, wie Schulen, Jugendclubs und VEB, aufgestellt. Die geringen Produktionszahlen und hohen Kaufpreise machten eine flächendeckende private Nutzung unmöglich. Von einer Computerisierung der Gesellschaft wie im Westen war die DDR weit entfernt. Nicht einmal die SED-Führung rechnete mit einer Änderung dieser Situation, weshalb die anfangs noch als "Heimcomputer" bezeichneten Geräte schon bald in "Kleincomputer" umbenannt wurden. Auch das MfS behielt diese Entwicklungen im Blick. In den Unterlagen der für die Volkswirtschaft zuständigen HA XVIII findet sich eine Aufstellung des Amts für Preise vom 27. Juni 1989. Das Dokument zeigt auf, wie teuer Computer in der DDR waren: Mit 2.450 Mark allein für das Gerät (ohne Bildschirm) betrug der Kaufpreis eines KC 87 color zu dieser Zeit fast das Doppelte des monatlichen Durchschnittseinkommens. Im Falle des KC 85/4 war es sogar mehr als das Dreifache.

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Diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Wunsch nach Austausch mit Gleichgesinnten trugen maßgeblich dazu bei, dass sich in den 80er Jahren in der ganzen DDR Computerclubs bildeten. Wer selbst kein Gerät besaß, konnte hier die entsprechende Hard- und Software finden und nutzen. Von Rostock bis Suhl schlossen sich Computerbegeisterte zu solchen Interessengemeinschaften zusammen, um zu programmieren, Software zu tauschen - und zu spielen.

Da die Bildung derartiger Zusammenschlüsse streng reglementiert war, standen die meisten Computerclubs unter der Trägerschaft staatlicher Organisationen, wie der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oder der GST. Der Staat förderte sie zum Teil stark, um aus den Computer- und Spielebegeisterten Programmier-Expertinnen und -Experten zu machen. Dies führte dazu, dass die DDR-Computerclubs einen öffentlicheren Charakter besaßen als ihre West-Pendants, die sich selbst bewusst als Teil einer Subkultur definierten. Neben den staatlich initiierten Clubs bildeten Computerfans vereinzelt auch ihre eigenen Vereinigungen im privaten Umfeld.

 

 

Die rasante Zunahme von Computerclubs blieb auch der Stasi nicht verborgen. Wie MfS-Unterlagen der BV Leipzig zeigen, registrierte die Geheimpolizei bereits im März 1985 den Zusammenschluss von "ca. 80 Computerinteressenten" in Ost-Berlin, die Software tauschten und programmierten (BArch, MfS, BV Leipzig, Abt. III, Nr. 964, Bl. 1). Auch die ZAGG erwähnte in ihrem Bericht von April 1988 Computerclubs, wie den C-16-Club Dresden, den Commodore Club Jena oder den Ost-Berliner Club im Haus der jungen Talente, in denen insgesamt 107 Personen aktiv gewesen seien.

Auch wenn die ostdeutschen Clubs staatliche Akzeptanz und Förderung erfuhren, nahm die Stasi die Vereinigungen und ihre Mitglieder genau unter die Lupe. Wie bei allen größeren Zusammenschlüssen, insbesondere Jugendlicher, vermutete sie auch hier eine potentielle subversive Dynamik. Auch in den Computerclubs gäbe es Mitglieder, "die nachweislich eine verfestigte negative Haltung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung" besäßen (BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 45818, Bl. 94). Das MfS nahm nicht die neue Technik per se als Bedrohung wahr, sondern die Kreise, in denen sie Verwendung fand. Eine Unterwanderung der Clubs durch den "Gegner" wollte sie um jeden Preis verhindern.

„Durch den immer stärkeren Einsatz der Computertechnik in allen Bereichen der Gesellschaft wurde folgerichtig das Interesse breiter Bevölkerungsschichten an der Technik geweckt. Das führte nicht nur zum Einsatz der Computertechnik im privaten Sektor, sondern auch zur Herausbildung von Interessengemeinschaften oder Computerclubs. “

Wilfried Fetsch
Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz, Abteilung I

Im April 1986 fasste die ZAGG ihre ersten Erkenntnisse zu den Computerclubs in einem dreiseitigen Dokument zusammen. Dieses schickte sie an die Bezirksverwaltungen, deren AGG es wiederum an die Kreisdienststellen weitergaben. Die Information über die Zusammenschlüsse privater Computerbesitzerinnen und -besitzer, die aus "unzähligen Privatinitiativen" hervorgegangen seien, diente der Stasi als Ausgangsmaterial für weitere Untersuchungen. Deren Ergebnisse fasste sie zwei Jahre später in der bereits erwähnten zwölfseitigen Information zusammen.

Um besser kontrollieren zu können, welche Kontakte die Computerfans pflegten und welche Hard- und Software sie in den Clubs tauschten und spielten, setzte das MfS inoffizielle Mitarbeiter (IM) ein. Häufig handelte es sich dabei um Clubmitglieder. Obwohl die Stasi nicht selten auf dieses Mittel der Informationsbeschaffung zurückgriff, lässt sich kein Fall in den Akten finden, bei dem ein Mitglied wegen des Besitzes oder Spielens von Software mit verbotenen Inhalten ernsthafte Konsequenzen zu spüren bekam. Häufig werden Spiele nur beiläufig erwähnt oder als unproblematisch behandelt, da sie keine politisch bedenklichen Inhalte aufwiesen. Wenn die Stasi Clubmitglieder stärker ins Visier nahm, handelte es sich in der Regel um Delikte wie den Schmuggel von Computertechnik oder Verbindungen in den Westen.

In einem Fall aus dem Bezirk Dresden nahm das MfS Ermittlungen im VEB Zentrum Mikroelektronik auf. Ein Mitarbeiter hatte durch Fremdsoftware auf seinem Computer Störungen auf den Betriebsrechnern verursacht. Grund für den Geräteausfall war das Computerspiel "Digger" (BArch, MfS, BV Dresden, Abt. XVIII, Nr. 12943). Auch hier standen nicht das Spiel oder seine Inhalte im Fokus der Ermittlungen, sondern der "Schutz der Volkswirtschaft".

Die Stasi im Ost-Berliner Computerclub

Der Club im Ost-Berliner Haus der jungen Talente (HdjT), dem zentralen Clubhaus der FDJ, zählte zu den bekanntesten Computerclubs in der DDR. Der studierte Maschinenbauer Stefan Seeboldt hatte ihn am 22. Januar 1986 gegründet. Obwohl es sich um einen staatlich geförderten Club handelte, verfolgte Seeboldt keine berufsvorbereitenden Ziele im Sinne der SED-Führung. Er wollte stattdessen bei den jungen Menschen Freude an der praktischen Arbeit mit Computern wecken. Das MfS sammelte Informationen über die Mitglieder und seine technische Ausstattung, die Seeboldt mit offizieller Genehmigung des HdjT-Direktors aus dem Westen bezogen hatte. Gerade der Zugang zu Geräten, wie dem beliebten US-Heimcomputer Commodore 64 (C64) oder dem Atari 130 XL, lockte die jungen Computerfans in den Club. West-Computer waren in der Regel nur über Intershops oder Westverwandtschaft zu beziehen und zudem sehr teuer. Interessengemeinschaften, wie der Club im HdjT, boten daher oft die einzige Chance, diese Geräte zu nutzen.

Auch wenn Seeboldt seinen Club nicht primär als "Spielhalle" verstand, wurden hier etliche Programme getauscht und gespielt. Im September 1987 erstellte das MfS eine Liste mit Spielen, die im Ost-Berliner Computerclub kursierten. Penibel dokumentierte die Geheimpolizei über 200 Programmtitel, die eine Quelle gesammelt hatte, und übersetzte sie sogar ins Deutsche. Einige Einträge sind mit dem Zusatz "Index" markiert. Dabei handelt es sich um Spiele, die laut Stasi "in besonderem Maße militärischen und inhumanen Charakter" trügen. Was nicht aus dem Dokument hervorgeht: Auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (seit 2021 Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz) hatte zu dieser Zeit viele der in der Stasi-Liste markierten Spiele auf den Index gesetzt.

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Anfang 1988 beauftragte das MfS einen Angehörigen des Wachregiments "Feliks Dzierżyński", weitere Informationen über den Ost-Berliner Computerclub zu sammeln. In den MfS-Unterlagen sind Berichte über zwei Besuche überliefert, bei denen der Spitzel ein großes Interesse der jungen Männer an Computerspielen feststellte, die zum Teil auch militärischen Charakter trügen. Er kopierte das Spiel "Ace of Aces" auf eine Diskette und übergab sie seinem Führungsoffizier. Außerdem erhielt er die Anweisung, weitere Kontakte zu dem Schüler, der das "Kriegsspiel" im Club vorgestellt hatte, und Clubleiter Seeboldt zu knüpfen.

Einer der letzten IM-Berichte, die in den MfS-Unterlagen zum Computerclub im HdjT überliefert sind, stammt vom 19. Juli 1989. Der Spitzel schrieb dem Club den Charakter einer "Tausch- und Softwarebörse" zu. Außerdem kritisierte er, dass dort weder die Teilnehmenden noch ihre Geräte kontrolliert würden. Der IM erhielt den Auftrag, weitere Informationen über ein Clubmitglied zu sammeln, das einen C64 besaß und möglicherweise "in einem privaten Tauschring für Software verankert" war. Der Bericht schließt mit der nüchternen Bemerkung: "Operativ-relevante Erscheinungen konnte der IM bei seinen Besuchen im HdjT bisher nicht feststellen."

Im Ost-Berliner Computerclub wurden große Mengen an Spielesoftware mit verbotenen Inhalten getauscht und gespielt. Dennoch ist auch hier, wie bei den anderen Computerclubs in der DDR, in den Akten kein Hinweis darauf zu finden, dass dies Konsequenzen für die Mitglieder oder Seeboldt nach sich zog - ganz im Gegenteil: Der Clubleiter hielt landesweit Vorträge in Computerclubs und stellte sogar Kriegsspiele vor Angehörigen der Nationalen Volksarmee vor. Warum das MfS nicht gegen die Besitzerinnen und Besitzer von Spielen mit verbotenen Inhalten vorging, geht aus den Akten nicht hervor.

Keine Gefahr für Spielefans

Die aufkommende Spieleszene in der DDR war - verglichen mit anderen Jugendkulturen - wenig staatlicher Repression ausgesetzt. Das MfS nahm Computernutzerinnen und -nutzer sowie -Clubs durchaus ins Visier, konnte häufig aber keine "operative" Relevanz erkennen. In einigen Fällen eröffnete das MfS zwar Operative Vorgänge gegen Computerfans. Darin ging es aber vor allem um Schmuggel oder andere Delikte, die nichts mit Spielen per se zu tun hatten. Hinzu kommt, dass das MfS viele Maßnahmen erst Ende der 80er Jahre einleitete und es seine Aufmerksamkeit im Zuge der politischen Entwicklungen in der Spätphase der DDR auf andere Felder richten musste.

Während der Friedlichen Revolution kam noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Digitalisierung der Kommunikation stellte die Stasi vor große Herausforderungen: Oppositionelle konnten ihre Aufrufe mithilfe von Computern leichter verbreiten, die Zurückverfolgung wurde erschwert. In einem Schreiben vom 10. Oktober informierte der Leiter der Berliner AGG, Gerald Lakomczyk, die Leiter der anderen Diensteinheiten über den "Mißbrauch von Computern" durch oppositionelle Gruppen. Demzufolge nutzten sie die Geräte zur Vervielfältigung "staatsfeindlicher Texte". In der Umweltbibliothek in Ost-Berlin kamen seit 1988 tatsächlich West-Computer zur Herstellung von Texten zum Einsatz. Das MfS-Dokument enthält außerdem eine Auflistung von Maßnahmen, wie die Verbreitung von oppositionellen Texten, aber auch Virenprogrammen und Spielen "faschistischen Charakters" zu verhindern sei.

Schwerwiegende Konsequenzen dürften sich daraus für die Oppositionellen aber nicht mehr ergeben haben: Nur einen Monat später fiel die Mauer, im Januar 1990 waren die Tage der Staatssicherheit gezählt.

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Der Computerclub im HdjT schloss im August 1990 seine Türen. Nachdem der Mauerfall auch in der DDR einen flächendeckenden Zugang zu Computern ermöglicht hatte, besuchte kaum mehr jemand den Club.

Literaturhinweise

  • Julia Gül Erdogan: Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und der DDR, Göttingen 2021.
  • Denis Gießler: Die Stasi spielte mit, in: Zeit Online (21.11.2018).
  • Karla Sofia Höß/Bengt Jöran Eitel/Emily Claire Völker: Das Bildschirmspiel 01 - Versuch einer symmetrischen Netzwerkanalyse in drei Teilen, Masterarbeit, Universität Potsdam 2011.
  • René Meyer: Computer in der DDR, Erfurt 2019.
  • Jens Schröder: Auferstanden aus Platinen. Die Kulturgeschichte der Computer- und Videospiele unter besonderer Berücksichtigung der ehemaligen DDR, Stuttgart 2010.
  • Angela Schwarz: "Tor in eine komplett neue Welt"? Computerspiele(n) in der DDR - eine Annäherung, in: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hrsg.): Jahrbuch für Kommunismusforschung (2021). Spielen im Staatssozialismus. Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen, Berlin, S. 227-244.
  • Jens Zirpins: Geheimdienstspiele, in: Retro. Computer - Spiele - Kultur 30 (2014), S. 10-14 (der Beitrag erschien 2017 in einer revidierten und ergänzten Fassung unter demselben Titel im Ausstellungskatalog zur Jubiläumsausstellung des Computerspielemuseum "Gameskultur in Deutschland, 20 Meilensteine", S. 58-62)

     

Podcastfolge zum Thema

Seite

Computerspiele und die Stasi

Folge 62 vom 15. Juni 2022

Die DDR war zwar offiziell von westlichen Hightech-Gütern abgeschnitten, doch Computerspiele fanden einen Weg in die DDR und wurden toleriert, weil sie Jugendliche ans Programmieren für den Sozialismus heranführen sollten. Das Halbleiterwerk Frankfurt/Oder produzierte 1979 die erste und einzige Videospielkonsole der DDR. Mit den in den 1980ern folgenden Heimcomputern des "kapitalistischen Westens" konnte die DDR allerdings nicht gleichziehen, sie durften aber importiert werden. So kamen Spielefans unter Beobachtung, Moskau-feindliche Games auf den Index. Daniel Bosch, Online-Redakteur im Stasi-Unterlagen-Archiv, hat dazu geforscht.