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Zwei Männer betreten nacheinander ein Gebäude mit der Hausnummer 26.

Tödlicher Anschlag in West-Berlin

Am 5. April 1986 kurz vor 2 Uhr morgens detonierte in der West-Berliner Diskothek "La Belle" ein Sprengsatz. Drei Menschen verloren ihr Leben, 104 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Viele der Opfer waren US-Soldaten, regelmäßige Gäste des Clubs. Sogleich mutmaßte man, dass ihnen der heimtückische Anschlag galt.

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Die Staatssicherheit als Insider

Die Drahtzieher des Terrorangriffs wurden schon bald in Libyen vermutet. Dessen Regime unter Muammar al-Gaddafi stand mit der US-Regierung "auf Kriegsfuß". Der libysche Geheimdienst hatte die Botschaft seines Landes in Ost-Berlin angewiesen, amerikanische Einrichtungen in West-Berlin zu attackieren. Die libysche Auslandsvertretung meldete daher noch in der Nacht des Anschlags, dass eine Aktion mit Erfolg durchgeführt worden sei, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen.

Die Staatssicherheit der DDR jedoch war genau im Bilde. Denn die für Spionageabwehr zuständige Linie II führte Inoffizielle Mitarbeiter auch im Umfeld der libyschen Botschaft, darunter zwei der vier später verurteilten Attentäter. Zudem war den Grenzorganen bei einer Gepäckkontrolle eine Woche vor dem Bombenattentat eine Liste mit drei möglichen Anschlagszielen in die Hände gefallen: die Diskotheken "Nashville" am Breitenbachplatz, "Stardust" in der Goerzallee und "La Belle" in der Hauptstraße in Friedenau. Am Vorabend des Anschlags hatte dann ein Inoffizieller Mitarbeiter seinen Führungsoffizier darüber unterrichten wollen, dass nun ein Anschlag auf "La Belle" unmittelbar bevorstand. Sein Telefonanruf aus dem Palasthotel gegen 22:30 Uhr erreichte außerhalb der Dienstzeit jedoch wohl nicht den zuständigen Mitarbeiter an seinem Schreibtisch.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Zwei Männer betreten nacheinander ein Gebäude mit der Hausnummer 26.

Auch im Nachhinein unternahm die Staatssicherheit nichts, um bei der Aufklärung des Anschlags zu helfen, obwohl sie selbst den "dringenden Verdacht" hegte, die libysche Geheimdienstresidentur sei der Drahtzieher. Doch der Stasi lag mehr daran, ihrer Aufgabe, die internationale Reputation der DDR zu schützen, gerecht zu werden. Die DDR sollte nicht mit einem Terror-Anschlag in Verbindung gebracht werden. Hätte die Staatssicherheit ihr geheimes Wissen offenbart, wäre die Frage nach dem Ursprung der Information gestellt worden und ob die DDR den Anschlag nicht hätte verhindern können. Die Staatssicherheit wusste schließlich auch genau, dass diplomatisches Personal an der Grenze kaum kontrolliert werden durfte. Und so konnten bestimmte Botschaftsangehörige dies zum Schmuggel von Waffen, Sprengstoff und Drogen von Ost- nach West-Berlin und anderswo nutzen. Aus Sorge vor diplomatischen Verwicklungen zwischen der SED-Führung und befreundeten Regimen sah sich die Staatssicherheit gezwungen, dies zu tolerieren.

Terrorabwehr nach dem "St. Floriansprinzip"

Letztlich agierte die Staatssicherheit gegenüber Terroristen nach dem "St. Floriansprinzip": Solange die Täter nicht die DDR attackierten, ließ man sie gewähren und nahm auch eine Gefährdung Dritter in Kauf. So durften international gesuchte Terroristen unbehelligt über den DDR-Flughafen Schönefeld reisen und sich in Ostdeutschland aufhalten. Dies galt etwa für RAF-Angehörige, palästinensische Terroristen, den internationalen "Top-Terroristen" "Carlos" oder seinen bundesdeutschen Komplizen Johannes Weinrich.

Rollfeld des Flughafen Schönefeld. Im Vordergrund sieht man ein Schild: "Ramp 3".

Die Staatssicherheit lieferte keinen der dringend tatverdächtigen Terroristen an die Bundesrepublik aus oder erleichterte deren Festnahme im Westen. Letztlich folgte die Geheimpolizei der Maxime, dass der Feind ihres Feindes ihr Freund sein müsse.

Irreführung der USA

Um nicht wegen der Unterstützung des Terrorismus in die Schlagzeilen zu geraten, wurde die Staatssicherheit erst zuletzt etwas vorsichtiger. Im Jahre 1988 empfing das DDR-Außenministerium sogar den US-amerikanischen Sonderbotschafter für Terrorismusbekämpfung, Alvin P. Adams. Washington wusste von den guten Kontakten Ost-Berlins in das palästinensische Lager und befürchtete schon lange, die DDR dulde oder unterstütze terroristische Kräfte.

Bei Nachfragen Adams zu dem Anschlag auf "La Belle" wies die Staatssicherheit die zu dem Gespräch entsandten DDR-Vertreter an, vom Westen untrügliche Beweise für eine Verstrickung Libyens zu verlangen, die Adams freilich kaum präsentieren konnte. Die DDR-Seite sollte daher behaupten, es gäbe keine Indizien für eine Beteiligung der libyschen Botschaft und "Carlos" sei nie in der DDR in Erscheinung getreten, obwohl dies den Tatsachen widersprach: Eine bewusste Irreführung der US-amerikanischen Terrorismusbekämpfung. Ost-Berlin dachte gar nicht daran, sich von Verbündeten zu distanzieren, selbst wenn diese terroristische Methoden anwandten. Als Terroristen zählten für die Staatssicherheit nicht die gewaltbereiten Gegner der demokratischen Gesellschaftsordnung, sondern nur die militanten Gegner der sozialistischen Staaten.

Erst Stasiakten ermöglichten eine Verurteilung der Täter

Die unheilvolle Duldung der Terroristen endete erst 1989 mit der Friedlichen Revolution. Im Sommer 1990 konnten beispielsweise zehn ehemalige RAF-Terroristen, die in der DDR untergetaucht waren, verhaftet werden. Und als nach Auflösung der Staatssicherheit ihre Unterlagen zugänglich wurden, lagen auch genügend Indizien zur Überführung der Täter vor, etwa im Fall von "La Belle". Aufgrund der verbesserten Beweislage konnten vier Angeklagte - zwei Palästinenser, ein Libyer und eine Deutsche - im Jahre 2001 zu Haftstrafen zwischen 12 und 14 Jahren verurteilt werden.

Im Falle des Anschlags von Johannes Weinrich auf das West-Berliner Maison de France im Jahre 1983 wurde sogar der zuständige hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit 1994 zu vier Jahren Haft verurteilt. Er hatte dem Terroristen nach seiner Landung in Schönefeld zunächst Sprengstoff abgenommen, diesen später aber wieder ausgehändigt.

Weiterführende Literatur

  • Jens Anker und Frank Mangelsdorf: La Belle. Anatomie eines Terroranschlags. Berlin 2002.
  • Tobias Wunschik: Gleiche Gegner, verwandte Methoden, unterschiedliche Strategien. Die Bekämpfung des Linksterrorismus in den beiden deutschen Staaten. In: Karl Härter und Beatrice de Graaf (Hg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 2012, S. 365-401.

 

Publikation

Hauptabteilung XXII

"Terrorabwehr"

Auf die weltweite Zunahme politisch motivierter Gewalt zu Beginn der siebziger Jahre reagierte das MfS 1975 mit der Gründung einer eigenen Diensteinheit zur Terrorabwehr.