Udo Lindenberg bei der Pressekonferenz am 25.10.1983
, Quelle:
BStU, MfS, ZOS, Nr. 1826, Bl. 62, Bild 9
Udo Lindenberg, Ost-Berlin und die Stasi-Akten
Am 25. Oktober 1983 spielte Udo Lindenberg zum ersten und vor dem Mauerfall einzigen Mal in der DDR. 15 Minuten dauerte der Auftritt des westdeutschen Rockers beim Friedensfestival der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) in Ost-Berlin. In dieser Hochphase des "Kalten Krieges" löste der Auftritt bei der Stasi einen umfangreichen Einsatz aus, nicht zuletzt, weil Udo Lindenberg ein steter Kritiker der Mauer war.
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Udo Lindenberg und der "Sonderzug"
Am 2. Februar 1983 hatte Udo Lindenberg das Lied vom "Sonderzug nach Pankow" veröffentlicht. Darin malt er sich aus, mit dem Zug von West- nach Ost-Berlin zu fahren und in der DDR aufzutreten. Ein Traum, der in der "Frontstadt" des Kalten Krieges nicht nur auf Begeisterung stieß. Das Lied wurde in der DDR quasi verboten. Wer es öffentlich abspielte, musste mit einer Geldstrafe rechnen. Die Stasi analysierte den ironischen Text sogleich in einer "rechtlichen Einschätzung".
Die nach dem NATO-Doppelbeschluss in westeuropäischen Ländern entstandene Friedensbewegung war 1983 auf einem Höhepunkt. Die DDR-Führung versuchte, sie ideologisch für die "Friedensbotschaft" des Ostblocks zu vereinnahmen. Dabei ging es auch darum, führende Köpfe der westlichen Friedensbewegung im Osten sprechen zu lassen oder Künstler, die sich für den Frieden engagierten, zu präsentieren.
Für das für den 25. Oktober 1983 geplante Friedensfest der SED-Jugendorganisation FDJ im Palast der Republik sollte der für sein Friedensengagement bekannte US-Sänger Harry Belafonte auftreten. Sein westdeutscher Konzertmanager Fritz Rau stellte eine Bedingung: Belafonte tritt auf, wenn auch Udo Lindenberg singen darf. Zähneknirschend stimmte die ostdeutsche Seite zu – wenn Lindenberg den "Sonderzug" nicht singt.
Udo Lindenberg bei seinem Konzert am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik
Quelle: BStU, MfS, ZOS, Nr. 1826, Bl. 62, Bild 10
Friedensfest unter Beobachtung
Von da an begleiteten verschiedene Diensteinheiten der Stasi die Vorbereitungen, das Konzert und die Reaktionen. Die Geheimpolizei protokollierte, wie im Lande über Lindenbergs Auftritt diskutiert wurde. Inoffizielle Mitarbeiter (IMInoffizieller Mitarbeiter Inoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... ) berichteten über die Reaktionen auf die Auftrittserlaubnis, über die Eintrittskartenvergabe, die Konzertvorbereitungen. Nur ausgewählte FDJ-Mitglieder sollten Karten erhalten.
Die Stasi-Bezirksverwaltung Berlin hatte die Veranstaltung "abzusichern" und brachte am Tage des Konzertes über 400 Mitarbeiter zum Einsatz. "Provokationen und andere negativ-feindliche Handlungen" wie etwa "Sympathiebekundungen für den BRD-Sänger Udo Lindenberg in der Öffentlichkeit" waren zu verhindern. Dazu wurden "Schwerpunkträume" im Stadtzentrum verstärkt beobachtet. Die Stasi kooperierte eng mit der Volkspolizei.
"Zuführungspunkte" für festgenommene Personen wurden eingerichtet. Kriminalpolizisten, kontrolliert von Stasi-Mitarbeitern, vernahmen die "Zugeführten". Die S-Bahnhöfe im Stadtzentrum und die Fernbahnhöfe wurden überwacht. Pläne und Absichten "feindlich-negativer Kreise Jugendlicher im Zusammenhang mit der Veranstaltung" waren aufzuklären. Der gesamte Bereich vor dem Palast war abgesperrt, Posten der Volkspolizei und der Stasi kontrollierten die Zugänge.
Vor dem Palast der Republik geparkte Busse der Veranstaltungsbesucher.
Quelle: BStU, MfS, SdM, Fo, Nr. 22, Bild 1
Das Ministerium für StaatssicherheitMinisterium für Staatssicherheit Das Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... war darauf vorbereitet, mögliche Störer festzunehmen. Lindenberg gilt als "feindlich-dekadent" und entsprechend misstrauisch betrachtete die Stasi seine jungen Fans. Die Erinnerungen des Fotografen und Lindenberg-Fans Nikolaus Becker an seine VerhaftungVerhaftung Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten... und die Behandlung durch die Polizei landeten später in den Stasi-Akten.
Stasi-Mitarbeiter an der Grenze beobachteten und fotografierten Lindenbergs Einreise und sie hatten Dutzende von Medienvertretern, die das Ereignis begleiteten, voll im Blick. Außerdem hatte die Stasi auch einen IMInoffizieller Mitarbeiter Inoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... im Einsatz, der aus dem engeren Umfeld von Lindenberg zu berichten wusste.
Udo Lindenberg wird am Grenzübergang Invalidenstraße von Fans und Pressevertretern empfangen.
Quelle: BStU, MfS, HAVI, Nr. 974, Bl. 6, Bild 15
Die für den Sommer 1984 angedachte DDR-Tournee von Udo Lindenberg wurde nach dem Auftritt im Palast der Republik von der ostdeutschen Seite abgesagt. Wegen der geplanten Tour hatte es, das ist dokumentiert, intern Verstimmungen gegeben. In einem Brief an Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann erboste sich der Generaldirektor der Künstleragentur der DDR, Hermann Falk, dass er von dieser Konzert-Tournee nichts erfahren habe und sie auch nicht organisieren sollte.
Erst Anfang 1990 – Honecker war gestürzt, die Mauer gefallen – konnte Lindenberg endlich durch die DDR touren. In Suhl, Erfurt, Leipzig, Magdeburg, Schwerin und Rostock jubelten die Fans ihm zu.
Am 25. Oktober 1983 kam es in Ost-Berlin zu einem Auftritt im Palast der Republik, der sechs Monate zuvor noch undenkbar gewesen wäre: Udo Lindenberg, der Rocker aus dem Westen mit Auftrittswunsch im Osten, durfte tatsächlich in Ost-Berlin singen.