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Franz Josef Strauß gewährt Erich Honecker einen Milliardenkredit.

Von Strauß und Schalck-Golodkowski eingefädelt

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Angespannte wirtschaftliche Lage der Ostblockstaaten in den 80er Jahren

1983 war die Lage zwischen Ost und West äußerst angespannt. Mit der Nachrüstung in Westeuropa als Reaktion auf die Stationierung neuer sowjetischer Atomraketen erreichte das Wettrüsten der Supermächte einen erneuten Höhepunkt. Auch das deutsch-deutsche Verhältnis war erneut an einem Tiefpunkt angelangt. Staats- und Parteichef Erich Honecker sagte auf Druck Moskaus einen geplanten Staatsbesuch in der Bundesrepublik ab. Der Tod eines Westdeutschen am Grenzübergang Potsdam-Drewitz im April des Jahres überschattete die innerdeutsche Atmosphäre zusätzlich.

Gleichzeitig herrschte weltweit wirtschaftliche Krisenstimmung. Brisant war die Situation in den Ostblockstaaten. Die Versorgungslage der Bevölkerung war kritisch, die hohen Schulden im Ausland trieben die sozialistischen Staaten zunehmend in den Ruin. Polen erklärte sich bereits 1981 für bankrott, die DDR stand unmittelbar davor. Allein zur Finanzierung ihrer Verbindlichkeiten im Ausland benötigte sie dringend weitere Devisen und neue Kredite, die ihr aber westliche Banken inzwischen verwehrten.

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Umso überraschter war die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Mauer, als am 1. Juli 1983 ein westdeutsches Bankenkonsortium unter der Führung der Bayerischen Landesbank der DDR einen Milliardenkredit gewährte. Eingefädelt und vorbereitet hatten ihn der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß und der Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski.

Welche spezifische Rolle die Stasi dabei spielte – auch in möglicher Konkurrenz zum DDR-Außenhandel oder aufgrund KoKo-interner Schwierigkeiten – ist bis heute ungeklärt. Zu dem tatsächlichen Verlauf der Gespräche geben die Stasi-Unterlagen wenig Hinweise, wohl aber zur wirtschaftlichen Misere der DDR zum Zeitpunkt der Kreditverhandlungen. Die Stasi bewies dabei ungewöhnliche Klarsicht in Wirtschaftsfragen.

Vorgeschichte: Konsum auf Pump

Jahrelang hatte die SED-Führung eine Wirtschaftspolitik betrieben, die auf einem hohen Devisenbedarf und einer enormen Auslandsverschuldung fußte. Dabei floss ein Großteil der Exporterlöse in den Import von Konsumgütern und den Transfer moderner Technologien. Wirtschaft und Industrie waren zugleich nicht in der Lage, die hohen Zielvorgaben der SED-Führung zu erfüllen. Es herrschte extremer Devisenmangel. Hilfen aus der UdSSR blieben mehr und mehr aus.

Stattdessen forderte Moskau selbst technologische Unterstützung, verteuerte innerhalb weniger Jahre seine Rohölexporte in die DDR um ein Mehrfaches und reduzierte die Lieferungen des für die DDR so wichtigen Devisenbringers. Die Zinsbelastungen aus laufenden Krediten stiegen, Kredite wurden nur noch kurzfristig gewährt, die Zinsen mussten daher in immer schnelleren Margen zurückgezahlt werden.

Drohende Bankrotterklärung

1982/83 spitzte sich die Lage so zu, dass die DDR drohte, unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit zu stehen. Die Hauptabteilung XVIII (HA XVIII) warnte Stasi-Minister Mielke vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit, nicht realisierbaren Plänen und "Selbsttäuschungen".

In einem Schreiben von Anfang 1982 heißt es: "Patrioten und Wirtschaftskader […] wenden sich zunehmend mit Besorgnis über die Entwicklung und mit Hinblick auf die Realisierbarkeit gestellter zentraler volkswirtschaftlicher Aufgaben an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Dabei ist erkennbar, daß sie anderweitig keine Möglichkeit sehen, Bedenken an zentral vorgegebenen Leistungszielen, die sie selbst für unreal halten, zu äußern […] Aus einer ausgeprägt vorhandenen Disziplin und durch die wirkende Reglementierung wird zentral erteilten Auflagen und Anforderungen zugestimmt bzw. werden dementsprechende Entscheidungsvorlagen eingereicht und Lösungen unterbreitet, die in ihren gesamtvolkswirtschaftlichen Auswirkungen nicht oder kaum beherrscht werden" (BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 20846, Bd. 5, Teil 1, Bl. 60).

Alles muss raus

Auf Kosten des inländischen Konsums und damit der Versorgung der Bevölkerung verordnete die SED-Führung Ende 1982 eine drastische Drosselung der Importe und eine massive Steigerung der Exporte. Es ging um schnelle Geschäfte, um so viel Export wie möglich – von Grundnahrungsmitteln wie Butter und Fleisch genauso wie von Produkten, die im Westen absatzfähig waren. Mielke betonte während einer Rede auf einer Tagung der SED-Kreisleitung im MfS, dass es erforderlich sei, alles "zu exportieren, was sich nur irgendwie verkaufen lässt".

Ausschnitt aus einer Rede Erich Mielkes auf einer Tagung der SED-Kreisleitung im Ministerium für Staatssicherheit.

Komplette Rede: Teil 1 und Teil 2

Erich Honecker äußerte sich im November des Jahres in einer Politbürositzung folgendermaßen: "Das Entscheidende ist, dass unsere Wirtschaft das produziert, was abgesetzt werden kann und daß nicht auf Lager produziert wird" (BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 20846, Bd. 5 Teil 2, Bl. 588) Investitionen an den maroden Produktionsanlagen hatten bei diesen Planungen keine Priorität. Vorrangiges Ziel war die zügige Ausweitung der Produktion für den Westexport mit Hilfe von Neuanlagen, die umfangreiche Beschaffung von Devisen und die Suche nach neuen Geldgebern. Entsprechend waren die SED-Vorgaben für das Jahr 1983. Erneut wies die HA XVIII in ihren Berichten ausführlich auf die schwierige Lage hin und betonte Risiken, Probleme und "irreale" Vorgaben des Volkswirtschaftsplans 1983.

Kredit-Verhandlungen: Variante 1

Bevor der Deal zwischen Strauß und Schalck-Golodkowski im Juli 1983 zustande kam, hatte es im Frühjahr 1982 bereits einen ersten Rettungsversuch gegeben: das so genannte "Züricher Modell". Geplant war die Gründung einer deutsch-deutschen Finanzierungsgesellschaft zwischen "einer staatlichen Institution der Bundesrepublik Deutschland" und der KoKo-Firma Intrac mit Sitz in der Schweiz. Die Idee: Im Gegenzug zu Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr wie der Senkung des Reisealters sollte die DDR aus der Finanzierungsgesellschaft einen Kredit von vier bis fünf Milliarden DM erhalten.

Einer der Initiatoren des Züricher Modells, dessen Grundidee schon einige Jahre zuvor entwickelt worden war, war der Direktor der Bank für Kredit und Außenhandel AG in Zürich Holger Bahl. Honecker gab das Mandat für die Gespräche mit Bahl und Vertretern der Bundesregierung zunächst an den Unterhändler bei Häftlingsfreikäufen Wolfgang Vogel. Später erhielt es Wolfgang Andrä, Vertrauter des stellvertretenden Ministers für Außenhandel Gerhard Beil und inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Andrä war Experte in Westgeschäften und zudem zuständig für die im Operationsgebiet angesiedelten "SED-Firmen".

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Kredit-Verhandlungen: Variante 2

Im Herbst 1982 kam es in Bonn zu einem Regierungswechsel. Nach einem konstruktiven Misstrauensvotum wurde die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt durch eine CDU/CSU-Regierung unter Helmut Kohl abgelöst. Die Verhandlungen über das Züricher Modell wurden zunächst fortgesetzt.

Doch der Bonner Regierungswechsel brachte einen Konkurrenzvorschlag mit sich, bei dem die beiden Symbolfiguren des deutsch-deutschen Ideologiestreits, Strauß und Schalck, maßgeblich die Fäden in der Hand hatten. Strauß hatte noch im April des Jahres die innerdeutsche Stimmung angeheizt, als er den Tod des Transitreisenden an der Grenzübergangstelle Drewitz als Mord bezeichnete.

Gesprächsvermittler war der bayerische Fleischgroßhändler Josef März. Der Strauß-Freund stand durch seine DDR-Geschäfte in Kontakt mit Schalck-Golodkowski. Im Auftrag von Erich Honecker übernahm der KoKo-Chef die Verhandlungen. Das Züricher Modell war bald aus dem Rennen.

Nothilfe vom "Feind"

Im Sommer 1983 war der von Strauß und Schalck-Golodkowski eingefädelte Kreditvertrag dann unter Dach und Fach. Bürge war die Bundesregierung. Ihre Sicherheit im Falle der Nichtzahlung durch die DDR war ihrerseits die Nichtzahlung der Transitpauschale. Als freiwillige Gegenleistung, nicht wie beim Schweizer Modell als Junktim, erklärte sich die DDR bereit, unter anderem die Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze abzubauen. Der Milliardenkredit half der DDR aus der Not, dennoch war er ein Deal mit dem "Feind". Für die Stasi galt aus ideologischer Sicht – wie es Mielke einige Monate zuvor gesagt hatte – dem "imperialistischen" Gegner die "Hoffnung" auf eine "ökonomische Destabilisierung" der DDR und damit auf Möglichkeiten für "ideologische Einbrüche" zu nehmen.

Literaturhinweise

  • Holger Bahl, zu Reinhard Buthmann: "Megakrise und Megakredit". Das Züricher Modell im Lichte der Stasi-Akten, in: Deutschland Archiv 4/2006, S. 617 ff.
  • Holger Bahl: Als Banker zwischen Ost und West. Zürich als Drehscheibe für deutsch-deutsche Geschäfte, Zürich 2002.
  • Reinhard Buthmann: Megakrise und Megakredit, in: Deutschland Archiv 12/2005, S. 991 ff.
  • Reinhard Buthmann: Bleiben Sie unser Mann in Zürich! In: Deutschland Archiv 1/2003, S. 63 ff.
  • Manfred Kittel: Franz Josef Strauß und der Milliardenkredit für die DDR 1983, in: Deutschland Archiv 4/2007, S. 647 ff.
  • Dong-Ki Lee: Option oder Illusion? Die Idee einer nationalen Konföderation im geteilten Deutschland 1949 – 1990, Berlin 2010, S. 299 ff.
  • Ilse Splittmann: Der Milliardenkredit, in: Deutschland Archiv 8/1983, S. 785 ff.