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MfS-Lexikon

Militär, Verhältnis des MfS zum

Synonym: Verhältnis des MfS zum Militär

Die Nationale Volksarmee (NVA) war seit 1956 das stärkste und bedeutendste bewaffnete Organ der DDR. Sie bildete den Kern der ostdeutschen Landesverteidigung Zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und dem Militär, zu dem neben den Streitkräften auch die Grenztruppen der DDR und ihre Vorläufer gehörten, ergab sich von Anfang an ein enges Verhältnis mit einem hohen Maß an Kooperation.

Der dem MfS und Militär von der SED erteilte gemeinsame "Klassenauftrag" bestand darin, die "sozialistische Ordnung und das friedliche Leben der Bürger der DDR und aller Staaten der sozialistischen Gemeinschaft gegen jegliche Angriffe der aggressiven Kräfte des Imperialismus und der Reaktion zu schützen" (X. Parteitag der SED, 1981). Die Staatssicherheit war im Militär vor allem in ihren Funktionen al Geheimpolizei und Geheimdienst im Sinne eines Abwehrorgans sowie als Untersuchungsinstitution tätig.

Im Rahmen ihrer Aufgaben zur Sicherung des Personalbestandes, der Liegenschaften und der Kampftechnik hatte sie in der NVA und in den Grenztruppen Spionage und Sabotage abzuwehren, den Geheimnisschutz zu gewährleisten, schwere Militärstraftaten und besondere Vorkommnisse zu untersuchen sowie Sicherheitsüberprüfungen durchzuführen.

Das MfS befasste sich darüber hinaus mit dem inneren Zustand der Truppe, ihrer Disziplin und Ordnung sowie mit der politischen Zuverlässigkeit der Armeeangehörigen, insbesondere des Offizierkorps. In diesem Zusammenhang nahm es u.a. Einfluss auf die Personalauswahl und -qualifizierung und ergänzte das dienstliche und parteiliche Disziplinierungs- und Überwachungssystem in der Armee.

Zuständig für die DDR-Streitkräfte war im MfS die Hauptabteilung I (HA I), die in der Organisationsstruktur der NVA offiziell unter der Bezeichnung "Verwa ltung 2000" firmierte. Anders als beispielsweise in der Volksrepublik Polen war die Militärabwehr damit nicht dem Verteidigungsministerium, sondern dem Staatssicherheitsministerium unterstellt. Die sog. Verbindungsoffiziere (VO), umgangssprachlich als "Vau-Nuller" bezeichnet, waren in den Armeeeinheiten bekannt und pflegten enge dienstliche Verbindungen zu den Kommandeuren sowie zu den Partei- und Politorganen.

Die "Militärtschekisten", wie sie sich selbst gern bezeichneten, hatten einerseits Zugang zu allen Stellen in ihrem Verantwortungsbereich und durften u.a. Armeeangehörige ohne vorheriges Einverständnis des Kommandeurs zu Aussprachen und Vernehmungen bestellen. Andererseits galten für sie auch bestimmte Befehle, Weisungen und Anordnungen der NVA.

Ende der 80er Jahre waren bei einer Gesamtpersonalstärke von rund 170.000 Mann mehr als 2.000 hauptamtliche sowie rund 12.500 inoffizielle Mitarbeiter des MfS in den DDR-Streitkräften tätig. Die materielle Sicherstellung der HA I (Diensträume, Kraftfahrzeuge, Bewaffnung und Ausrüstung sowie Wohnungen) wurde durch das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) übernommen. Die NVA unterstützte darüber hinaus die militärische Ausbildung des MfS, insbesondere seines Wachregiment "Feliks Dzierżyński".

Seit den 60er Jahren trugen verschiedene Grundsatzvereinbarungen über die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken beider Ministerien dazu bei, die Aufgaben, Pflichten und Rechte des MfS in der NVA zu regeln. Eine Koordinierung der Tätigkeit war insbesondere bei der Militäraufklärung notwendig, da sowohl das MfNV mit der Verwaltung (später Bereich) Aufklärung als auch die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS mit Aufgaben auf diesem Gebiet betraut worden waren.

Ein besonderes Verhältnis bestand darüber hinaus zwischen dem MfS und den militärischen Grenzsicherungsorganen der DDR. Das MfS übte zeitweise die direkte Kommandogewalt über die Deutsche Grenzpolizei aus, so vom Mai 1952 bis Juli 1953 und vom April 1955 bis zum März 1957. Nachdem 1961 die Grenzpolizei aus dem Innenministerium herausgelöst und der NVA als Grenztruppen zugeordnet worden war, wurden dem MfS nicht nur die Aufklärungsorgane der Grenztruppen unterstellt, sondern auch die Passkontrollen an den Grenzübergangsstellen und die Spionage im unmittelbaren grenzseitigen "Feindgebiet" übertragen.

Ein enges Zusammenwirken beider Ministerien war auch während einer Spannungsperiode und im Verteidigungszustand vereinbart. Das MfS hatte dabei sowohl die Aufgabe, militärische Überraschungsangriffe gegen die DDR rechtzeitig aufzudecken als auch die militärische Mobilmachung zu gewährleisten und die Bewegungsfreiheit der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Paktes zu sichern. Es war zudem für die Internierung, Isolierung und Überwachung von politisch unzuverlässigen DDR-Bürgern und Ausländern zuständig.

Die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen dem MfS und dem Militär, die auch immer wieder von beiden Seiten eingefordert wurden, waren jedoch nicht frei von Friktionen und Spannungen. Dazu trug nicht zuletzt das ambivalente Verhältnis der beiden langjährigen Minister Erich Mielke und Heinz Hoffmann bei. Beide galten als geltungs- und machtbewusste Persönlichkeiten. Ihre Profilierungssucht sowie persönlichen Eitelkeiten führten vor allem in den 60er Jahren zu Kompetenzstreitigkeiten.

Mielke befand sich jedoch letztlich gegenüber dem Verteidigungsminister im Vorteil. Er verfügte - oft noch vor Hoffmann - nicht nur über alle entscheidenden Informationen aus dem militärischen Bereich, sondern er konnte zudem durchsetzen, dass Belange seines Ministeriums unter Ausschluss der anderen bewaffneten Organe direkt mit dem SED-Generalsekretär behandelt wurden. Die Tätigkeit und Operationsweise des MfS innerhalb der Streitkräfte entzog sich bewusst der Kontrolle der militärischen Leitungsebenen und gewährleistete damit der Partei einen vom Militärapparat unabhängigen Befehls- und Meldeweg.

Ein gewisses Konkurrenzverhalten setzte sich aufgrund der unterschiedlichen Dienstgradhierarchien, des auf beiden Seiten vorhandenen Prestigedenkens sowie der übertriebenen Konspiration seitens der Staatssicherheit zuweilen auch in den nachgeordneten Ebenen fort. Nicht wenige NVA-Offiziere fühlten sich von den MfS-Mitarbeitern bevormundet und in ihrer dienstlichen Zuständigkeit übergangen. Die Angehörigen des MfS unterlagen während ihrer Tätigkeit in den Streitkräften ausschließlich der Befehls-, Weisungs- und Disziplinarbefugnis des Ministers für Staatssicherheit und waren den Kommandeuren der NVA weder unterstellt noch rechenschaftspflichtig.

Eine Kontrolle der Tätigkeit der Staatssicherheit in den militärischen Einheiten seitens der NVA-Führung fand nicht statt. Keineswegs "kameradschaftlich" war es auch, wenn Armeeangehörige zu Straftaten oder schweren Dienstvergehen verleitet wurden, indem sie beispielsweise für das MfS geheime NVA-Unterlagen beschaffen oder ihre eigenen Kameraden (mit oft weitreichenden Folgen für die Betroffenen) bespitzeln mussten. Insofern war die Tätigkeit des MfS mitverantwortlich für ein Klima der Angst und des gegenseitigen Misstrauens in der Truppe.

[Auf einer Tribüne stehen in drei Reihen Männer, überwiegend in Uniform, andere im Anzug. Viele salutieren, einige applaudieren. Es ist ein schwarzweißes Foto.]

Insgesamt zeigte sich das Verhältnis zwischen MfS und Militär als funktional, kooperativ und zweckdienlich, wenn auch in manchen Fragen einseitig zugunsten der Staatssicherheit angelegt. Die Staatssicherheit verfügte zweifellos über eine Reihe von Machtbefugnissen und Informationsvorteilen gegenüber dem DDR- Militär und nutzte diese auch für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen.

Im System der Landesverteidigung blieb jedoch das Verteidigungsministerium bestimmend. Zudem war der Einfluss des MfS auf das Militär letztlich begrenzt. Auf die militärischen Befehlsstrukturen und operativen Planungen hatte es beispielsweise ebenso wenig direkten Einfluss, wie es ihm nicht gelang, jedes besondere Vorkommnis oder jede politische Abweichung in der Truppe zu verhindern.

Literatur

  • Diedrich, Torsten; Ehlert, Hans; Wenzke, Rüdiger (Hg.): Die bewaffneten Organe der DDR im System von Partei, Staat und Landesverteidigung. Ein Überblick. In: Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Berlin 1998, S. 1-67.
  • Dietze, Manfred; Riebe, Bernhard: Zur Militärabwehr (HA I im MfS). In: Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS. Bd. 2, hg. von Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Willi Opitz und Wolfgang Schwanitz. Berlin 2002, S. 350-401.
  • Wolf, Stephan: Hauptabteilung I: NVA und Grenztruppen (MfS-Handbuch). Berlin 2004.

Rüdiger Wenzke