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MfS-Lexikon

Nationaler Verteidigungsrat der DDR (NVR)

Synonym: NVR

Der NVR wurde mit Gesetz vom 10.02.1960 geschaffen (novelliert 1964). Mit Verabschiedung des Verteidigungsgesetzes vom 13.10.1978, das auch die Zuständigkeiten des Verteidigungsrates regelte, trat das NVR-Gesetz außer Kraft. Die Aufgaben des NVR wurden in Statuten 1960, 1963, 1967, 1973 und 1981 genauer festgelegt. Der breit gefasste rechtliche Rahmen erteilte Generalauftrag und Generalvollmacht für die Organisation der gesamtstaatlichen Mobilmachung zur Vorbereitung auf den Kriegsfall.

Durch die Schaffung des Staatsorgans NVR wurden alle Maßnahmen zum Ausbau der Landesverteidigung sowie der wehrpolitische Zugriff auf die DDR-Bevölkerung legalisiert. Wirkte das Politbüro im Spannungs- und Kriegsfall als oberstes politisches Entscheidungsorgan, sollte dem NVR die militärische Entscheidungsgewalt auf nationaler Ebene zukommen. Die Personalunion an der Spitze beider Gremien hob diese theoretische Trennung in der Praxis weitgehend auf.

Der NVR übernahm die Aufgaben seiner Vorläuferin, der Sicherheitskommission beim Politbüro des ZK der SED (SK). Diese Kontinuität kam u. a. in der internen Arbeitsorganisation, der fortbestehenden Gültigkeit von SK-Beschlüssen und der unveränderten Unterstellung der Bezirkseinsatzleitungen zum Ausdruck. Auch aufgrund sowjetischer Einflussnahme trat im NVR die Kriegsvorbereitung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber der inneren Sicherheitsvorsorge in den Vordergrund. Die Steuerung des Ausbaus der gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur, nicht die - ebenfalls stets relevante - Beschlussfassung zu den bewaffneten Organen war das entscheidende Charakteristikum in der Arbeit des NVR.

Unter den 30 Angehörigen des Gremiums zwischen 1960 und 1989 befanden sich 20 Vollmitglieder und ein Kandidat des Politbüros. Zehn Funktionäre standen im Generals- oder Admiralsrang, darunter alle Verteidigungsminister, alle Innenminister und Staatssicherheitsminister. 1971 löste Erich Honecker Walter Ulbricht als Vorsitzenden des NVR ab. Der Arbeitsstil wurde militärisch organisiert, neuer Sekretär wurde der Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes der NVA für operative Fragen, Generalleutnant Fritz Streletz (seit 1979 Generaloberst und Chef des Hauptstabes). Bis 1979 führte das MfS Streletz als IM.

Von 1960-1970 trat der NVR zu 38 Sitzungen zusammen, 1971-1989 nur noch zu 40. In den 80er Jahren gab es mehrfach nur einmal im Jahr eine Sitzung - ein Zeichen für den Bedeutungsverlust des NVR.

In den 1967 vom NVR revidierten "Grundsätzen des Führungssystems im Verteidigungszustand" wurden die Aufgaben des MfS genauer definiert: Sicherung von Volks- und Verteidigungswirtschaft, Infrastruktur, NVA und Ministerium des Innern gegen alle "subversiven" Handlungen des Gegners, Auslandsaufklärung sowie Koordinierung von strafrechtlichen Untersuchungen.

Im Unterschied zur Sicherheitskommission spielten interne Angelegenheiten des MfS auf der NVR-Tagesordnung eine deutlich geringere, schließlich unter Vorsitz Honeckers keine Rolle mehr. Mit zunehmender Komplexität der Landesverteidigung wurden die drei Sicherheitsministerien der DDR allerdings immer wieder gemeinsam mit der Durchführung von Maßnahmen beauftragt. Insofern war auch das MfS kontinuierlich in die Beschlussfassung des NVR eingebunden.

Die 78. und letzte Sitzung des NVR fand am 16.06.1989 statt. Am 06.12.1989 trat der dritte NVR-Vorsitzende Egon Krenz zurück. Der Staatsrat der DDR berief anschließend dessen Mitglieder ab.

Literatur

  • Bröckermann, Heiner: Landesverteidigung und Militarisierung. Militär- und Sicherheitspolitik der DDR in der Ära Honecker 1971-1989. Berlin 2011.
  • Wagner, Armin: Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsrat und seine Vorgeschichte (1953-1971). Berlin 2002.
  • Wenzel, Otto: Kriegsbereit. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR 1960 bis 1989. Köln 1995.
  • Die Protokolle des Nationalen Verteidigungsrates 1960 bis 1989 sind wissenschaftlich aufbereitet und digitalisiert.

Armin Wagner