Direkt zum Seiteninhalt springen
MfS-Lexikon

SED, Verhältnis des MfS zur

Synonym: Verhältnis des MfS zur SED

Die Staatssicherheit verstand sich selbst als "Schild und Schwert der Partei". In der Forschung hat sich die Auffassung weithin durchgesetzt, dass sie ein Herrschaftsinstrument der SED war und keineswegs ein Staat im Staate. Diese Feststellung ist jedoch differenzierungsbedürftig, denn es waren lediglich bestimmte Teile des Parteiapparates, die sich dieses Instrumentes tatsächlich bedienen konnten.

Innerhalb der obersten Führungsgruppe des ZK konnte nur ein sehr enger Personenkreis (insbesondere der Erste Sekretär bzw. Generalsekretär und der Sekretär für Sicherheitsfragen) Einfluss auf Ausrichtung und Tätigkeit der Staatssicherheit nehmen. Zudem waren die Verhältnisse in der Peripherie des Systems, also in den Bezirken, Kreisen und Betrieben, komplizierter, denn hier standen die Anleitungsbefugnisse der jeweiligen Parteileitungen zu der in der Gesamtinstitution bestehenden militärischen Befehlshierarchie in einem Spannungsverhältnis.

Schließlich war die führende Rolle der Partei gegenüber dem MfS bis 1958 durch die Rolle der sowjetischen Staatssicherheit eingeschränkt, deren Berater einen maßgeblichen Einfluss auf das MfS ausübten.

Das Verhältnis zwischen SED und MfS war Wandlungen unterworfen, die in den 50er Jahren erheblich waren. In der Phase 1950 bis 1953, also unter Zaisser, besaßen die sowjetischen Berater die uneingeschränkte operative Federführung in den Diensteinheiten des MfS. Im Vergleich dazu waren die Anleitungsstrukturen der Partei sehr schwach ausgebildet, selbst die Anleitung der Parteiorganisation im MfS durch den ZK-Apparat war stark defizitär. Auf der höchsten Ebene lag die widersinnige Konstruktion vor, dass Zaisser auch als Politbüromitglied für das Ressort Staatssicherheit, also gleichsam für seine eigene politische Anleitung, verantwortlich war.

Hieraus ergab sich eine von der sowjetischen Seite durchaus erwünschte Abschottung des MfS auch gegenüber der SED-Führung, die Ulbricht ein Dorn im Auge war. Allerdings gab es schon zu dieser Zeit die Vieraugengespräche zwischen Minister und Parteichef. Zaisser beteuerte im Juli 1953, es habe "keine wesentliche prinzipielle Entscheidung" im MfS gegeben, die nicht vorher mit Ulbricht abgesprochen worden sei. Trotzdem wurde Zaisser später vorgeworfen, er habe das MfS über die Partei gestellt.

Nach dem Sturz Zaissers und der Herabstufung des MfS zu einem Staatssekretariat versuchte Ulbricht, die Staatssicherheit stärker der Anleitung und Kontrolle der Partei zu unterwerfen. Noch im Juli 1953 ließ Ulbricht sich vom Politbüro die Sekretariatszuständigkeit für Sicherheitsfragen übertragen, wenig später schuf er sich mit der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen (Abt. S) und ihrem Sektor MfS den notwendigen Apparat und mit der Sicherheitskommission beim Politbüro das entsprechende Beratungs- und Beschlussgremium. Um seine politische Macht zu begrenzen, wurde der neue Staatssicherheitschef Wollweber nicht wie sein Vorgänger in das SED-Politbüro kooptiert.

Im August 1953 wurde ein Beschlussentwurf für das Politbüro formuliert, der neben umfassenden Informationspflichten der BV gegenüber den 1. Sekretären der territorialen Bezirksleitungen deren Auftragsbefugnis in "parteipolitischer" und "fachlicher Hinsicht" enthielt. Doch dieses Vorhaben scheiterte am Veto der Sowjets, die dem Politbüro eine völlig andere Regelung in die Feder diktierten, in der von fachlichen Aufträgen der territorialen Parteileitungen nicht die Rede war, sondern nur von parteipolitischer Anleitung. Parallel kam es zu einer grundlegenden Reorganisation der Parteiorganisation der SED in der Staatssicherheit.

An der Neuausrichtung der Staatssicherheit im Herbst 1953 (Strategie der "konzentrierten Schläge") war auch die SED-Führung beteiligt, doch die konkrete Anleitung der operativen Tätigkeit blieb eine Domäne der sowjetischen Berater. Auch ging die Verstärkung der Westarbeit der Staatssicherheit im Frühjahr 1955 ausschließlich auf sowjetische Vorgaben zurück. Die SED-Führung betrachtete diese Maßnahme kritisch, weil sie auf Kosten der inneren Überwachung ging.

Die krisenhaften Entwicklungen, die 1956 im Zuge der Entstalinisierung im kommunistischen Machtbereich einsetzten, bildeten für Ulbricht den Anlass für einen weiteren Versuch, das MfS stärker an die Partei anzubinden. Dem Westen wurde eine neue Strategie der ideologischen Aufweichung zugeschrieben (s.a. Diversion, politisch-ideologische), die als "Revisionismus, Opportunismus und Liberalismus" in der DDR wirksam werde.

Das MfS-Ermittlungsverfahren gegen den "Revisionisten" Wolfgang Harich machte Ulbricht zur Chefsache und griff dabei - unter Mithilfe von Mielke und am Minister vorbei - in innerdienstliche Abläufe der Staatssicherheit ein. Wollweber verbot daraufhin seinen Stellvertretern eigenständige dienstliche Verbindungen zur Parteiführung, was ihm den Vorwurf eintrug, er wolle sich über die Partei stellen. In der Folgezeit wurde er schrittweise entmachtet.

Jetzt gewann Ulbricht endgültig die Oberhand: Mit Beschluss des Politbüros vom 9. Februar 1957 erhielt die Sicherheitskommission gegenüber der Staatssicherheit nunmehr ausdrücklich die Anleitungskompetenz. Ulbricht drang auf eine stärkere Verankerung der Staatssicherheit in den Großbetrieben und die Erhöhung der Verantwortung der territorialen Gliederung des MfS - verbunden mit der Stärkung der Anleitungsbefugnisse der zuständigen Parteileitungen.

Es wurde festgelegt, dass die territorialen Dienststellen der Staatssicherheit ihre Arbeit auch "entsprechend den Weisungen" des 1. Sekretärs der örtlichen Bezirks- bzw. Kreisleitung durchzuführen hätten. Außerdem sollten zukünftig die Arbeitspläne der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen und sogar die der neu installierten Objektdienststellen und Operativgruppen in den Großbetrieben mit dem 1. Sekretär der jeweiligen Parteileitung abgestimmt werden.

Obwohl die betreffenden Dienstanweisungen nie außer Kraft gesetzt wurden, hat sich eine solche Praxis auf längere Sicht nicht durchgesetzt. Mit der Entlassung Wollwebers und der Berufung des Ulbricht-Vertrauten Mielke zu seinem Nachfolger im Oktober 1957 nahm die SED die Staatssicherheitsangelegenheiten der DDR endgültig in die eigene Hand, folgerichtig wurde der sowjetische Beraterapparat 1958 aufgelöst.

Der Minister für Staatssicherheit war ab März 1960 dem neu gebildeten Nationalen Verteidigungsrat unterstellt, der die Funktionen der Sicherheitskommission des Politbüros übernahm. Faktisch änderte sich damit wenig, denn obwohl es sich nun formell um ein staatliches Gremium handelte, waren seine Mitglieder ausschließlich SED-Mitglieder und dessen Vorsitzender in Personalunion der Erste Sekretär der SED, Walter Ulbricht.

Wie schon in der Sicherheitskommission war Erich Honecker Sekretär des Verteidigungsrates. Ihm als ZK-Sekretär (1958-1971) unterstand auch die Abteilung Sicherheitsfragen, deren Sektor MfS allerdings in erster Linie für die Anleitung der SED-Parteiorganisation im MfS und für Kaderfragen zuständig war und ansonsten nur über geringes Durchsetzungsvermögen verfügte.

Nach dem Mauerbau kam es 1962/63 unter dem Einfluss der sog. zweiten Entstalinisierung zu einem grundlegenden Konflikt, als die SED-Führung in Gestalt des Politbüromitglieds und Vorsitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission Hermann Matern gemeinsam mit der Abteilung Sicherheitsfragen die Machtanmaßung der Staatssicherheit gegenüber anderen Teilen des Staatsapparats ebenso kritisierte wie ihre willkürlichen Repressionsmethoden. Diese Kritik hatte jedoch keinen nachhaltigen Effekt, da für die Parteiführung die Absicherung ihrer Macht durch das MfS langfristig Vorrang hatte.

Die Durchdringung staatlicher Strukturen wurde sogar noch verstärkt, als beim Ministerrat 1966 eine Arbeitsgruppe Inspektion eingerichtet wurde, die unter der Leitung eines Offiziers im besonderen Einsatz der Staatssicherheit stand. Diese Position hatte der MfS-Oberst Harry Möbis inne, der seit 1968 offiziell das Amt eines Staatssekretärs bekleidete. Ihm unterstellt waren die Sicherheitsbeauftragten in der Industrie, die in der Regel entweder ebenfalls als OibE oder als inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit verpflichtet waren.

Ulbricht hatte Minister Mielke nicht in das Machtzentrum Politbüro aufgenommen. Das änderte sich nach dessen Sturz unter Erich Honecker. Auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) wurde Mielke Kandidat, auf dem folgenden IX. Parteitag (1976) Vollmitglied des Politbüros. Damit war die Stellung der Staatssicherheit im Machtsystem deutlich aufgewertet.

Der straffe Zentralismus dieses Systems wurde noch dadurch gesteigert, dass seit den 70er Jahren die wichtigsten Absprachen zwischen Parteiführung und Staatssicherheit nicht in den dafür vorgesehenen Gremien (Nationaler Verteidigungsrat und Politbüro), sondern in Vieraugengesprächen zwischen Honecker und Mielke getroffen wurden. Die Staatssicherheit war damit - wie schon unter Ulbricht - vor allem ein Instrument des Parteichefs.

In Folge der Entspannungspolitik und der wachsenden Abhängigkeit von der Bundesrepublik kam es zu einer Einengung des repressiven Handlungsspielraums des MfS: Maßnahmen, die politisches Aufsehen erregen würden, bedurften der "zentralen Entscheidung", d. h. der Zustimmung des Generalsekretärs. Der aber zögerte oft, weil er das internationale Ansehen der DDR nicht beschädigen wollte.

Gegenüber der SED insgesamt und selbst gegenüber dem Parteiapparat schirmte sich die Staatssicherheit ab. Zwar berichtete sie auf allen Ebenen bis zu den Kreisleitungen kontinuierlich an die jeweiligen 1. Sekretäre über ihre Erkenntnisse, aber sie achtete streng darauf, keinen Einblick in ihr Innenleben zuzulassen. Außenstehenden sollten weder die Strukturen des Apparates bekannt werden noch dessen Methoden, dessen inoffizielle Mitarbeiter oder die in Bearbeitung befindlichen Operativen Vorgänge.

Das ganz auf die Parteispitze ausgerichtete Machtgefüge geriet 1989 aus den Fugen, als Honecker keine Politik mehr vorzugeben vermochte, die aus der Krise geführt hätte, und sein Nachfolger Egon Krenz in dieser Hinsicht ebenfalls versagte. Auch die marxistisch-leninistische Ideologie hatte ihre Integrationskraft verloren. In der Staatssicherheit setzte sich die Einsicht durch, dass die "führende Rolle der Partei" nicht mehr zu retten war. Versuche, sich an die veränderten Verhältnisse anzupassen und eine neue Rolle in einem demokratisierten Staatswesen zu finden, scheiterten.

Literatur: Engelmann, Roger: Diener zweier Herren. Das Verhältnis der Staatssicherheit zur SED und den sowjetischen Beratern 1950-1959. In: Suckut, Siegfried u. Süß, Walter (Hg.): Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS. Berlin 1997, S. 51-72; Suckut, Siegfried: Generalkontrollbeauftragter der SED oder gewöhnliches Staatsorgan? Probleme der Funktionsbestimmung des MfS in den sechziger Jahren. In: ebenda, S. 151-167; Süß, Walter: Die Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt der DDR. Geschichte der Staatssicherheit (MfS-Handbuch). Berlin 2009.

Roger Engelmann, Walter Süß