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MfS-Lexikon

Wollweber, Ernst

Synonym: Ernst Wollweber

09.10.1898 - 03.05.1967

Staatssekretär bzw. Minister für Staatssicherheit

Wollweber wurde in Hannoversch-Münden/Weser als Sohn eines Tischlers geboren. Im Ersten Weltkrieg diente er in der Kriegsmarine und beteiligte sich im November 1918 am Matrosenaufstand in Kiel. Im Januar 1919 war er in seiner Heimatstadt an der Gründung der KPD beteiligt. 1921 wurde Wollweber hauptamtlicher 1. Sekretär des KPD-Bezirkes Hessen-Waldeck mit Sitz in Kassel. Wenige Monate später berief man ihn in den M-Apparat der KPD; er erhielt in Moskau eine entsprechende Ausbildung.

Nachdem er 1924 nach Deutschland zurückgekehrt war, wurde er verhaftet und vom Reichsgericht wegen hochverräterischer Aktivitäten zu drei Jahren Haft verurteilt. 1928 wurde Wollweber in den preußischen Landtag gewählt.

1932/33 fungierte er als Organisationsleiter des ZK der KPD und als Reichsleiter des "Einheitsverbandes der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer" in der kommunistischen "Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter" (ISH). Im November 1932 wurde er in den Reichstag gewählt.

Nach der Machtübergabe an die NSDAP arbeitete er zunächst illegal in Deutschland, erhielt aber im Mai 1933 aus Moskau den Befehl, sich nach Kopenhagen abzusetzen und dort die Exilleitung der ISH zu übernehmen. 1935 wurde er vom Büro für Sonderaufgaben des NKWD beauftragt, eine geheime Sabotageorganisation aufzubauen, die - von den skandinavischen Ländern, Belgien und den Niederlanden aus - gegen Schiffe der späteren Achsenmächte operierte. Wollweber residierte konspirativ in Oslo.

Der Wollweber-Apparat wurde schon bald durch Verhaftungen dezimiert. Wollweber selbst konnte nach der deutschen Besetzung Norwegens 1940 nach Schweden fliehen, wurde dort aber sogleich inhaftiert. Ein Tauziehen zwischen Deutschland und der Sowjetunion um seine Auslieferung endete im November 1944 mit seiner Ausreise in die UdSSR.

Im März 1946 kehrte er nach Berlin zurück und bekleidete in der SBZ zunächst das Amt des stellv. Leiters der Generaldirektion Schifffahrt. 1947 wurde er selbst Generaldirektor und nach Gründung der DDR Staatssekretär für Schifffahrt im Verkehrsministerium. In dieser Funktion scheint er im Auftrag der Sowjets mehrere konspirative Ausbildungsstätten unterhalten zu haben, in denen kommunistische Seeleute aus dem Westen für Schmuggel-, Spionage- und Sabotageoperationen ausgebildet wurden.

Nach dem Juniaufstand und dem Sturz Zaissers wurde Wollweber - offensichtlich auf Betreiben der Sowjets - am 24. Juli 1953 zum neuen Staatssicherheitschef berufen. Ulbricht gelang es zwar, die Macht Wollwebers zu begrenzen, indem er ihm den Einzug ins Politbüro verweigerte und die Staatssicherheit als Staatssekretariat zunächst formal dem Innenministerium unterstellte. Doch blieb Wollweber mit den "Freunden" im Rücken dessen politischem Durchgriff zunächst partiell entzogen.

Die Amtsführung von Wollweber war in den Jahren 1953 bis 1955 durch ausgesprochene Härte gekennzeichnet. Im Einvernehmen mit der SED-Führung und den sowjetischen Beratern entwickelte Wollweber die Offensivstrategie der "konzentrierten Schläge", stabsmäßig geplante Verhaftungswellen gegen aktive Regimegegner, die von Propagandakampagnen flankiert wurden. Bis zum Frühjahr 1955 gab es mehrere aufeinanderfolgende Verhaftungswellen.

Charakteristisch für diese Phase war auch der gnadenlose Umgang Wollwebers mit abtrünnigen Mitarbeitern, von denen mindestens sieben aus dem Westen "zurückgeholt" und hingerichtet wurden. Wollweber konzentrierte sich auf organisatorische und kaderpolitische Probleme sowie auf die grundsätzlichen politischen Fragen. Das operative Tagesgeschäft überließ er weitgehend Mielke.

Ab Frühjahr 1955 betrieb Wollweber auf Veranlassung der Sowjets den massiven Ausbau der Westarbeit der Staatssicherheit auf Kosten der inneren Überwachung, was ihm später von Ulbricht ebenso zum Vorwurf gemacht wurde wie der Personalabbau, den er 1956 mit Nachdruck betrieb. Wollweber verfolgte jetzt eine begrenzte Entstalinisierung der Staatssicherheit, sein Einfluss blieb aber begrenzt, nicht zuletzt weil ihn in der entscheidenden Phase im Sommer 1956 ein Herzinfarkt für einige Zeit außer Gefecht setzte.

Als er im November 1956 wieder genesen war, traf er auf einen politisch gestärkten Ulbricht, der das Tauwetter beendete und zielstrebig an einer Neuausrichtung des MfS auf die Bekämpfung der "ideologischen Aufweichung" arbeitete, die er als die aktuelle politische Hauptgefahr betrachtete. Wollweber, zu dem Ulbricht nie ein Vertrauensverhältnis gehabt hatte, war ihm dabei im Weg.

Ulbricht ließ Schauprozesse gegen kritische Parteiintellektuelle inszenieren (Wolfgang Harich, Walter Janka und andere), die den hochverräterischen Charakter "revisionistischer" Reformideen entlarven sollten, und verschaffte sich über Mielke direkten Zugang zu den betreffenden Ermittlungsakten. Darauf reagierte Wollweber im Januar 1957 mit einem Befehl, der seinen Stellvertretern eigenständige dienstliche Verbindungen zur Parteiführung verbot, was Ulbricht als Insubordination auffasste.

Im Oktober 1957 wurde Wollweber in den Ruhestand geschickt. Auf dem 35. ZK-Plenum wurde er der fraktionellen Tätigkeit im Verein mit Karl Schirdewan bezichtigt und aus dem ZK ausgeschlossen. In der Folgezeit stand er unter der Beobachtung des MfS.

Roger Engelmann

[Portraitaufnahme von Ernst Wollweber ind schwarz-weiß.]