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Podiumsdiskussion zur Buchvorstellung 'DDR im Blick der Stasi 1965'
Nachricht

Wirtschaftsreformen und Beat-Revolte

Buchvorstellung und Diskussion zu den ZAIG-Berichten der Stasi aus dem Jahr 1965

Das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember des Jahres 1965 verordnete die Rücknahme zentraler Reformprogramme in der Wirtschafts-, Jugend- und Kulturpolitik. Zeitzeugen und Experten diskutierten am 10. Februar 2015 im Grünen Salon der Volksbühne über die Hintergründe und Auswirkungen des sogenannten "Kahlschlag-Plenums". Im Zentrum der Debatte stand die Rolle der Stasi, die aus Sicht des Historikers Dr. Bernd Florath (BStU) die Munition für die Politik des Kahlschlags lieferte.

"Die geheimen Berichte der Stasi an die SED-Führung sind eine zeitgeschichtliche Quelle von hohem Wert", bekräftigte Prof. Dr. Daniela Münkel (BStU) in ihrer Begrüßungsansprache. "Sie waren nur für einen sehr kleinen Empfängerkreis bestimmt und geben einen ungefilterten Blick auf die Geschehnisse in der DDR wieder", fügte sie hinzu. Münkel ist Herausgeberin des Editionsprojektes "Die DDR im Blick der Stasi". In einzelnen Jahresbänden veröffentlicht der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) darin die Berichte der "Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe" (ZAIG) des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Am 10. Februar 2015 stellte sie den Jahrgang 1965 gemeinsam mit Bernd Florath, der den Band bearbeitete, im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin vor. 

Audiobeitrag: Wirtschaftsreformen und Beat-Revolte

"Die geheimen Berichte der Stasi an die SED-Führung sind eine zeitgeschichtliche Quelle von hohem Wert", bekräftigte Prof. Dr. Daniela Münkel (BStU) in ihrer Begrüßungsansprache. "Sie waren nur für einen sehr kleinen Empfängerkreis bestimmt und geben einen ungefilterten Blick auf die Geschehnisse in der DDR wieder", fügte sie hinzu. Münkel ist Herausgeberin des Editionsprojektes "Die DDR im Blick der Stasi". In einzelnen Jahresbänden veröffentlicht der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) darin die Berichte der "Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe" (ZAIG) des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Am 10. Februar 2015 stellte sie den Jahrgang 1965 gemeinsam mit Bernd Florath, der den Band bearbeitete, im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin vor.

Audio: Mitschnitt der Podiumsdiskussion am 10. Februar 2015 im Grünen Salon der Berliner Volksbühne

Am 10. Februar 2015 diskutieren im Grünen Salon der Berliner Volksbühne Prof. Dr. Daniela Münkel, Filmemacher Thomas Heise, Maler Jürgen Böttcher und BStU-Forscher Dr. Bernd Florath über das Jahr 1965 in der DDR.

Das Jahr 1965 sei in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr im Berichtswesen der Stasi an die SED-Führung gewesen. Bernd Florath hob vor allem den "nüchternen und sachlichen Ton" hervor, "mit dem die Stasi zunächst die Ereignisse in der DDR beschrieb". Auffällig war, wie hilflos und mit welch geringem wirtschaftlichen Sachverstand die Geheimpolizei die durchaus positiven Auswirkungen des zwei Jahre zuvor ins Leben gerufene "Neue Ökonomischen Systems" (NÖS) beurteilte. "Die Produktion in den Betrieben wuchs wieder und auch das Einkommen der Menschen stieg", erklärte der Historiker.

Diese Einschätzung teilte auch der Zeitzeuge und Filmemacher Thomas Heise. Der damals Elfjährige erinnerte sich an eine "merkwürdig optimistische Zeit", in der die Versorgungslage besser war, als in den Jahren zuvor. Dennoch gab es Widerstände gegen die Wirtschaftsreformen, wie sich aus den Akten der Stasi erkennen lässt. "Parteifunktionäre verloren durch das NÖS in den Betrieben an Einfluss", unterstrich Bernd Florath. Sie befürchteten einen Verfall sozialistischer Ideale, den sie durch die Kriminalisierung der neuen ökonomischen Verhaltensweisen zu stoppen versuchten.

Thomas Heise erlebte diese Zeit als eine "utopische Blase - wir dachten, etwas verändern zu können". Das Jahr 1965 stand anfangs noch im Zeichen des Jugendkommuniqués vom September 1963. Unter dem Titel "Der Jugend Vertrauen und Verantwortung" empfahl eine Gruppe junger Parteifunktionäre der DDR-Führung einen offeneren Umgang mit jener Generation, die erstmalig in der DDR groß geworden war. "Vorher ging es nur darum zu parieren, doch der Gestus des Kommuniqués beinhaltete: Ihr seid die Bauherren von Morgen", analysierte Florath. Entsprechend hielt sich auch die Stasi zu Beginn des Jahres 1965 mit ideologie-geprägten Beschreibungen über unangepasste Jugendliche zurück.

Diese Einschätzung teilte auch der Zeitzeuge und Filmemacher Thomas Heise. Der damals Elfjährige erinnerte sich an eine "merkwürdig optimistische Zeit", in der die Versorgungslage besser war, als in den Jahren zuvor. Dennoch gab es Widerstände gegen die Wirtschaftsreformen, wie sich aus den Akten der Stasi erkennen lässt. "Parteifunktionäre verloren durch das NÖS in den Betrieben an Einfluss", unterstrich Bernd Florath. Sie befürchteten einen Verfall sozialistischer Ideale, den sie durch die Kriminalisierung der neuen ökonomischen Verhaltensweisen zu stoppen versuchten.

Thomas Heise erlebte diese Zeit als eine "utopische Blase - wir dachten, etwas verändern zu können". Das Jahr 1965 stand anfangs noch im Zeichen des Jugendkommuniqués vom September 1963. Unter dem Titel "Der Jugend Vertrauen und Verantwortung" empfahl eine Gruppe junger Parteifunktionäre der DDR-Führung einen offeneren Umgang mit jener Generation, die erstmalig in der DDR groß geworden war. "Vorher ging es nur darum zu parieren, doch der Gestus des Kommuniqués beinhaltete: Ihr seid die Bauherren von Morgen", analysierte Florath. Entsprechend hielt sich auch die Stasi zu Beginn des Jahres 1965 mit ideologie-geprägten Beschreibungen über unangepasste Jugendliche zurück.

Der Filmemacher Thomas Heise im Gespräch mit Daniela Münkel
Inka Löwendorf, Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne, liest aus den geheimen Berichten der Stasi an die SED-Führung

Diese Zurückhaltung des MfS verlor sich jedoch in der zweiten Jahreshälfte mit dem Verbot von Beat-Gruppen. Die Verfasser der Berichte an die SED-Führung machten keinen Hehl aus ihrer Verachtung gegen die Jugendkultur, die langen Haare und die laute Musik. "Zum Teil unterbreitete die Stasi selbst auch Vorschläge zu Sanktionsmaßnahmen", erklärte Daniela Münkel. Ihr Kollge Bernd Florath bilanzierte: "Die Stasi lieferte damit die Munition für die Politik des Kahlschlags." Einen Einblick in die Sprache der Stasi vermittelte Inka Löwendorf, Ensemblemitglied der Volksbühne, die Auszüge aus ZAIG-Berichten vorlas.

Den Hass gegen das Neue bekam auch der Filmemacher und Maler Jürgen Böttcher zu spüren. Sein Film "Barfuss und ohne Hut" über das ungezwungene Lebensgefühl der jungen Generation rief heftige Reaktionen in der Partei hervor. Der Film wurde schließlich verboten mit dem Argument: "Das ist nicht unsere Jugend", wie Böttcher erklärte. Auf Grund seiner Bekanntschaft zu Wolf Biermann und anderen unangepassten Künstlern geriet er in den Blick der Stasi. Eindrücklich schilderte Böttcher, wie ihn Mitarbeiter der Geheimpolizei auf dem Nachhauseweg auf Schritt und Tritt verfolgten. "Selbst in der Wohnung habe ich den Atem der Spitzel gespürt, die draußen vor der Tür standen", fügte er hinzu.

Im Dezember des Jahres 1965 markierte das 11. Plenum des ZK der SED eine wirtschafts- und kulturpolitische Zäsur. Mit der Rücknahme der Reformprogramme galt auch die Politik des Jugendkommuniqués als verfehlt. "Auch wenn man mich immer wieder versuchte 'zu retten', also im Dienst des Sozialismus zu arbeiten, habe ich einfach weitergemacht", erklärte Thomas Heise. Schließlich fügte er hinzu: "Wenn auch ohne großes Publikum, aber das hat mir gereicht."

Der Filmemacher und Maler Jürgen Böttcher berichtet über seine Erfahrungen mit der Stasi

Dass Künstler wie Böttcher und Heise weiterhin arbeiten konnten, ist mit einer neuen Taktik der SED-Führung zu erklären. "Man hat die Leute machen lassen, aber eben nicht öffentlichkeitswirksam", erläuterte Bernd Florath eine Politik, die sich bis in die 80er Jahre fortsetzte. Doch im Wandel des Verhältnisses zur Bundesrepublik nutzten viele Künstler die Möglichkeit, ihre Erzeugnisse im Westen zu veröffentlichen. Über Umwege wurden sie so auch dem Publikum in der DDR bekannt.

Weitere Informationen

  • Alle ZAIG-Bände im Überblick
  • Details über Band 1965
  • ZAIG-Datenbank online
  • Mehr zur Beat-Revolte in Leipzig 1965

Diese Zurückhaltung des MfS verlor sich jedoch in der zweiten Jahreshälfte mit dem Verbot von Beat-Gruppen. Die Verfasser der Berichte an die SED-Führung machten keinen Hehl aus ihrer Verachtung gegen die Jugendkultur, die langen Haare und die laute Musik. "Zum Teil unterbreitete die Stasi selbst auch Vorschläge zu Sanktionsmaßnahmen", erklärte Daniela Münkel. Ihr Kollge Bernd Florath bilanzierte: "Die Stasi lieferte damit die Munition für die Politik des Kahlschlags." Einen Einblick in die Sprache der Stasi vermittelte Inka Löwendorf, Ensemblemitglied der Volksbühne, die Auszüge aus ZAIG-Berichten vorlas.

Den Hass gegen das Neue bekam auch der Filmemacher und Maler Jürgen Böttcher zu spüren. Sein Film "Barfuss und ohne Hut" über das ungezwungene Lebensgefühl der jungen Generation rief heftige Reaktionen in der Partei hervor. Der Film wurde schließlich verboten mit dem Argument: "Das ist nicht unsere Jugend", wie Böttcher erklärte. Auf Grund seiner Bekanntschaft zu Wolf Biermann und anderen unangepassten Künstlern geriet er in den Blick der Stasi. Eindrücklich schilderte Böttcher, wie ihn Mitarbeiter der Geheimpolizei auf dem Nachhauseweg auf Schritt und Tritt verfolgten. "Selbst in der Wohnung habe ich den Atem der Spitzel gespürt, die draußen vor der Tür standen", fügte er hinzu.

Im Dezember des Jahres 1965 markierte das 11. Plenum des ZK der SED eine wirtschafts- und kulturpolitische Zäsur. Mit der Rücknahme der Reformprogramme galt auch die Politik des Jugendkommuniqués als verfehlt. "Auch wenn man mich immer wieder versuchte 'zu retten', also im Dienst des Sozialismus zu arbeiten, habe ich einfach weitergemacht", erklärte Thomas Heise. Schließlich fügte er hinzu: "Wenn auch ohne großes Publikum, aber das hat mir gereicht."

Dass Künstler wie Böttcher und Heise weiterhin arbeiten konnten, ist mit einer neuen Taktik der SED-Führung zu erklären. "Man hat die Leute machen lassen, aber eben nicht öffentlichkeitswirksam", erläuterte Bernd Florath eine Politik, die sich bis in die 80er Jahre fortsetzte. Doch im Wandel des Verhältnisses zur Bundesrepublik nutzten viele Künstler die Möglichkeit, ihre Erzeugnisse im Westen zu veröffentlichen. Über Umwege wurden sie so auch dem Publikum in der DDR bekannt.