Direkt zum Seiteninhalt springen

"Der 17. Juni steht für das Volk"

Roland Jahn im Interview mit der Eßlinger Zeitung am 17. Juni 2014

Heute jährt sich der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 zum 61. mal. Andreas Herholz von unserer Berliner Redaktion sprach aus diesem Anlass mit Roland Jahn, der seit 2011 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ist.

Welche Bedeutung hat dieses historische Ereignis für uns heute?

Roland Jahn: Der 17. Juni ist einer der wichtigsten Gedenktage in Deutschland. Er zeigt, dass Freiheit und Selbstbestimmung keine Selbstverständlichkeit sind. Daran gilt es, auch heute noch immer wieder neu zu erinnern. Die friedliche Revolution 1989 baute gewissermaßen auf dem Volksaufstand von 1953 auf. Viele Ziele des 17. Juni 53 sind dann 1989 umgesetzt worden. Die Friedliche Revolution 89 steht in der Tradition des 17. Juni 1953.

Allerdings können heute immer weniger noch etwas mit dem Tag verbinden. Wie kann man das Gedenken künftig bewahren und begehen?

Jahn: Der 17. Juni könnte wieder Nationalfeiertag werden. Natürlich kann man Gedenken und Erinnerung nicht verordnen. Aber der 17. Juni ist der wirkliche Feiertag. Er ist als Gedenktag wichtiger als der 3. Oktober. Der 3. Oktober steht für das Inkrafttreten eines Vertrages zur Deutschen Einheit. Der 17. Juni steht für die Menschen. An diesem Tag sind die Menschen auf die Straße gegangen, das Volk hat rebelliert und für seine Freiheit gekämpft.

Aber erst die friedliche Revolution hat im Herbst 1989 zum Fall der Mauer geführt.

Jahn: Der 3. Oktober steht für die Regierung, der 17. Juni steht für das Volk. Das ist ein echter Feiertag, den wir so begehen sollten. Er darf nicht in Vergessenheit geraten. Viele Zeitzeugen in der DDR, die das miterleben mussten, haben den 17. Juni leider zum Tabuthema erklärt, weil die brutale Niederschlagung dieses Aufstandes sehr einschüchternd gewirkt hat. Auch in einer freien Gesellschaft ist es wichtig, dass man lernt, Freiheit zu schätzen und zu schützen. Wir müssen alles dafür tun, dass der 17. Juni und die mutigen Menschen von damals nicht in Vergessenheit geraten. Dieser Tag macht Hoffnung, dass Unrecht und Unfreiheit überwunden werden können, auch wenn es manchmal sehr, sehr lange dauert.

Der Ruf nach einem Schlussstrich und einem Ende der Aufarbeitung der Akten wird immer lauter. Gehören die Stasiunterlagen ins Archiv?

Jahn: Aufklärung kennt kein Ende. Die Akten bleiben offen und werden genutzt, um zu erklären, wie Diktatur und Unterdrückung funktionieren. Sie liegen ja schon seit über 20 Jahren im Stasi-Unterlagen- Archiv, so werden sie sachgemäß verwaltet und können vielfach genutzt werden. Dass die Akten der DDR-Staatssicherheit geöffnet worden sind und große Teile zur Verfügung stehen, das ist ein großer Glücksfall, etwas Einmaliges, das auch anderen Staaten bei ihrer Aufarbeitung der Vergangenheit dienen kann. Hier sind erstmals die Akten einer Geheimpolizei gesichert worden. Diese Akten sind ein Monument der Repression und des Freiheitswillen der Menschen. Sie gehören der Öffentlichkeit und dürfen nicht geschlossen werden. Die Erfahrung der vergangenen zwanzig Jahre zeigt, wie wichtig und wertvoll das ist - für uns, für die Opfer, aber auch für andere Staaten, die sich befreien.

Weiter so, oder wie soll die Zukunft der Stasiunterlagenbehörde aussehen?

Jahn: Natürlich ist es wichtig, die Zukunft der Stasi-Akten zu sichern und zu organisieren. Wenn der Bundestag hier eine Kommission einsetzen wird, die Vorschläge erarbeitet, wie die Akten und die Aufarbeitung der DDR auch für die Zukunft gesichert werden können, ist das ein wichtiger Schritt. Es geht nicht um Abwicklung. Es geht um Weiterentwicklung. Wir sind offen für Veränderung. Das Ziel sollte sein, die Aufarbeitung noch weiter zu verbessern. Wir müssen uns auch von der Fixierung auf das Thema Staatssicherheit lösen und mehr den Blick auf das gesamte Unrechtsregime und die SED-Diktatur richten. Wir müssen alle Herrschaftsmechanismen der Diktatur in der DDR genau analysieren.

Weshalb wollen Sie Außenstellen Ihrer Behörde schließen?

Jahn: Mir liegt es fern, etwas schließen zu wollen. Ich möchte aber eine konkrete Diskussion darüber, wie wir langfristig die regionale Aufarbeitung mit den Stasi-Unterlagen gestalten können und sie damit zukunftssicher machen. Es geht um effiziente und finanzierbare Strukturen und Archiv-Standorte. Ich halte es für gut, dass nach 25 Jahren alles einmal auf den Prüfstand gestellt wird und geschaut wird, wo wir sind, was wir erreicht haben und wie es weitergehen soll. Dass wir dabei ergebnisoffen sind, soll der bestmöglichen Lösung dienen.

Das Interview führte Andreas Herholz