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Es geht um mehr, als den Blick zurück

Ein Gespräch mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn

Sie sind jetzt seit zwei Jahren im Amt, das Sie mit großem Gestaltungsanspruch angetreten haben. Ist aus dem Anspruch der Gestaltung die Wirklichkeit der Verwaltung geworden?

Jahn: Verwaltung ist ja an sich erstmal nichts Schlechtes. Sie dient dazu, Aufgaben zu erledigen. Mir hat sie geholfen, Dinge umzusetzen. Aber ich habe auch erlebt, daß an manchen Stellen die Verwaltung doch nicht so schnell arbeitet, wie ich es mir wünschen würde.

Was ist nach diesen zwei Jahren auf der Strecke geblieben?

Jahn: Ich würde nicht sagen, auf der Strecke geblieben. Manches sollte schneller gehen, scheitert aber auch an objektiven Dingen – Geld, Personal. Anderes kann man ändern, Abläufe, Service, Arbeitsorganisation. Entscheidend ist, dass die Arbeit jeden Tag Spaß macht, sie ist eine interessante Herausforderung.

Es macht Spaß?

Jahn: Das macht richtig Spaß, in so einem großen Team mit vielen Mitstreitern zu arbeiten. Als Dienstleister für Menschen da zu sein, in deren Leben die Staatssicherheit eingegriffen hat.

Bei Amtsantritt stellten Sie sich das ehrgeizige Ziel, dass die 48 ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Ihre Behörde verlassen sollten. Wie ist der Stand?

Jahn: Neun haben die Behörde verlassen, drei davon sind in andere Bundesverwaltungen gewechselt. Es muss rechtsstaatlich korrekt und menschlich respektvoll erfolgen. Das braucht seine Zeit. Die Personalabteilung macht das sorgfältig. Wichtig ist, dieses Anliegen unter den Umständen konsequent umzusetzen. Ich bin es den Menschen, die unter der Stasi gelitten haben, schuldig. Denn es tut ihnen weh, wenn sie hier zum Eingang kommen und nicht wissen, ob der Pförtner vielleicht beim MfS war. Deshalb muss dieses Problem gelöst werden.

Sie haben die Absicht geäußert, aus dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin einen "Campus der Demokratie" zu machen. Was stellen Sie sich darunter vor?

Jahn: Ausgangspunkt ist, dass wir auf diesem Gelände in der Normannenstraße mit dem Stasiakten-Archiv und dem Stasi-Museum, das wir gemeinsam mit der ASTAK betreiben, schon präsent sind. Es geht mir um die Zusammenlegung der Berliner Standorte der Stasiunterlagen-Behörde. Denn es ist nicht einzusehen, dass wir tagtäglich die Akten durch die Stadt fahren. Viel besser wäre es, schon wegen des Bestandsschutzes der Akten und effektiverer Arbeitsabläufe, an diesem authentischen Ort die Standorte zusammenzuführen.

Ist dafür der Begriff "Campus der Demokratie" nicht ein bisschen hochgegriffen?

Jahn: Es geht darum, einen Lernort für Demokratie zu entwickeln. Stasi-Museum, Stasi-Archiv sind dort, und Forschungsabteilung mit Präsenzbibliothek sind ein Umzug, der für uns sinnvoll ist. Weitere Institutionen können sich beteiligen, um diesen Campus der Demokratie zu entwickeln. Die Robert-Havemann-Gesellschaft hat schon ganz konkret Interesse angemeldet. Sie möchte das Archiv der DDR-Opposition dort unterbringen und ihre Ausstellung zur Friedlichen Revolution zeigen. Auch das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik ist interessiert. Gemeinsam mit der Stasiunterlagen-Behörde hat es ein Pilotverfahren zur virtuellen Rekonstruktion zerrissener MfS-Unterlagen entwickelt. Dieses Projekt würde das Institut gern als "gläserne Fabrik" auf dem Gelände präsentieren, und die über 15.000 Säcke mit zerrissenen MfS-Unterlagen könnten ebenfalls dort eingelagert werden.

Also ist der Campus ein offenes Projekt.

Jahn: Der Campus ist nicht reduziert auf die Stasiunterlagen-Behörde sondern eine Einladung, unsere Präsenz dort zu ergänzen. Für mich ist entscheidend, dass dieser Ort Symbol für die Repression der Geheimpolizei ist, gleichzeitig aber auch für die Friedliche Revolution. Als Folge der Stürmung der Stasi-Zentrale im Januar 1990 wurden die Akten gesichert. Dort haben sich die Menschen von der Übermacht der Staatssicherheit befreit. Deshalb ist dieses Gelände prädestiniert, ein Lernort der Demokratie zu werden. Im "Haus 1" beschäftigen sich schon viele Opferverbände mit der Aufarbeitung. Ergänzende Angebote können aus der ehemaligen Stasi-Zentrale einen Ort machen, der hilft, Diktatur zu begreifen. Je besser wir Diktatur begreifen, desto besser können wir Demokratie gestalten. Das ist der Leitsatz für meine Arbeit. Es geht um mehr, als den Blick zurück. Wir müssen im Dialog mit der nächsten Generation aus der Geschichte lernen.

Sie haben den Wunsch geäußert, dass die Rolling Stones ein Konzert auf dem Dach von "Haus 18" geben sollten. War das ernst gemeint?

Jahn: Ich habe davon geträumt, dass die Stones dem Mielke aufs Dach steigen. 1969 verbreitete sich das Gerücht eines Stones-Konzertes auf dem Springer-Hochhaus an der Berliner Mauer. Im Zuge des Einsatzes von Polizei und Stasi gegen die Menschen, die sich auf der Ostseite dort versammeln wollten, sind viele von ihnen im Gefängnis gelandet. Deshalb wäre es eine tolle Sache, wenn der Traum in Erfüllung ginge. Außerdem denke ich, Träume sind wichtig, damit man sich immer mal wieder klar macht, worum es geht.

Der "Campus der Demokratie" ist ein in die Zukunft gerichtetes Projekt. Immer mehr Menschen haben die DDR nie erlebt. Wie wollen Sie diese junge Generation erreichen?

Jahn: Die Jungen stellen die Frage: "Stasi- Was geht mich das an?" Da müssen wir in der Lage sein, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu antworten. Indem wir Angebote machen, mit denen sich die Schüler diese Frage selbst beantworten können. Sie sollen sich selbst wiedererkennen, z.B. in Ausstellungen, obwohl sie gar nicht darin vorkommen. Es geht um Fragestellungen, die auch in ihrem Leben eine Rolle spielen. Hätte ich damals funktioniert oder wäre ich irgendwann ausgebrochen? Wie verhalte ich mich im Alltag? Passe ich mich an oder widerspreche ich? Wir sollten die Jugendlichen dazu anregen, sich selber zu dieser Vergangenheit in Bezug zu setzen.

Am 15. Januar, dem 24. Jahrestag der Erstürmung der Stasi-Zentrale, hatten Sie Gelegenheit dazu. Mehrere hundert Jugendliche waren eingeladen, sich am historischen Ort über die Staatssicherheit zu informieren.

Jahn: Das war ein Projekttag, an dem mehrere Berliner und Brandenburger Schulen teilnahmen. Wir hatten einige hundert Anmeldungen mehr, als wir berücksichtigen konnten. Für uns war es auch die Möglichkeit auszuprobieren, wie das Gelände als Lernort für Demokratie genutzt werden kann. Es gab z.B. Archiv-Führungen, Geländeführungen - Mielkes Revier, Filme wurden gezeigt mit anschließenden Zeitzeugengesprächen, verschiedene Ausstellungen, auch die zur Jugendopposition der Havemann-Gesellschaft, Schüler präsentierten eigene Rechercheergebnisse aus dem Archiv, wir haben das Audio- und Video-Archiv der Stasi gezeigt, es gab eine Diskussionsveranstaltung und vieles mehr. Innerhalb dieser Vielfalt ging es immer wieder auch um das Einwirken der Staatssicherheit auf junge Menschen.

Sie haben einmal erwähnt, dass Ihre Behörde eine Bildungsoffensive plant. Was war damit gemeint?

Jahn: Wir wollen noch einmal mit den Bundeseinrichtungen, die auf diesem Gebiet aktiv sind, z.B. die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Bundeszentrale für politische Bildung, auf die Kultusminister der Länder zugehen und abstimmen, wie unsere Angebote an Bildungsmaterial auch wirklich genutzt werden können und die Schüler tatsächlich erreichen. Wir müssen Netzwerke entwickeln, um nicht an der konkreten Lebenspraxis vorbei zu agieren.

Ihre Behörde ist nicht die einzige Aufarbeitungsinstitution auf Bundesebene. Was hat sie, was andere nicht haben – oder können?

Jahn: Vor allem haben wir einen gesetzlichen Auftrag, er ist die Grundlage unseres Handelns. Wir sollen mit Hilfe der Stasi-Akten das Wirken der Staatssicherheit aufklären. Als Behörde sind wir ein Dienstleister, der Aufgaben im Interesse der Menschen erledigt. 2012 sind die Anträge der Bürger auf Akteneinsicht wieder gestiegen, also, der Bedarf ist da. Die Menschen wollen weiter in die Akten schauen. Der Zugang muss gewährleistet bleiben. Das Archiv ist wichtig, damit Aufklärung überhaupt stattfinden kann. Für das Stasi-Museum wird jetzt eine Dauerausstellung neu entwickelt. Und auch für die Bibliothek, die am Standort Karl-Liebknecht-Straße nur von ca. zehn Prozent externer Besucher genutzt wird, besteht mit einem Umzug in die Normannenstraße die große Chance, den Nutzerkreis stark zu erweitern. Aufgaben gibt es genug. Wir versuchen sie zu erledigen, solange der Bedarf vorhanden ist. Ob irgendwann einmal das Türschild geändert wird, ob dann Bundesarchiv dran steht, ist eine andere Frage.

Auf Ihre Behörde bezogen ist 2019 offenbar ein magisches Jahr. Manch einem scheint es gar nicht schnell genug zu gehen, dass sie abgewickelt wird. Ist es der reine Sparzwang, der diese Menschen treibt?

Jahn: Ich weiß nicht, was Leute treibt, wenn sie das Enddatum einer Behörde festlegen wollen. Über das Ob und das Wie der Weiterführung der Aufgaben der Stasi-Unterlagen-Behörde wird der Deutsche Bundestag entscheiden. Und der hat bislang nirgendwo festgeschrieben, dass 2019 Schluss ist. Es wird zu prüfen sein, welche Aufgaben noch vorhanden sind und wer sie erledigen kann. Darum geht es. Und es ist immer hilfreich, sachlich darüber zu diskutieren und nicht vordergründig emotional.

Für die Entscheidung soll eine Expertenkommission des Bundestages gebildet werden. Erfahrungsgemäß tagen solche Kommissionen häufig hinter verschlossenen Türen. Wünschen Sie sich zu diesem Thema eine Öffnung in die Gesellschaft?

Jahn: Eine gute Expertenkommission organisiert sich den gesellschaftlichen Diskurs. Das kann man mit richtig großen öffentlichen Anhörungen machen, aber auch mit Debatten in der Presse. Ich denke, der Deutsche Bundestag ist schlau genug, sich diesen Diskurs so zu organisieren, dass er am Ende die bestmögliche sachliche Entscheidung darüber treffen kann, wie es weitergeht. Aufarbeitung ist keine Angelegenheit einiger weniger, sondern der gesamten Gesellschaft.

Sie hatten einen schönen Beruf, waren erfolgreicher Journalist. Warum haben Sie sich auf dieses Amt eingelassen?

Jahn: Es war für mich die große Chance, das, was ich in Sachen Aufarbeitung der SED-Diktatur bisher als Journalist an Erfahrungen gesammelt hatte, an verantwortungsvoller Stelle mit einzubringen. Ideen zu authentischen Orten zum Beispiel. Und es ist toll, dass ich jetzt die Gelegenheit habe, hier verantwortlich mitzugestalten.

Das Interview führte Sybille Ploog