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"Es war ein Gewinn, die Akten zu öffnen"

BILD: Wie reagieren Ihre Mitstreiter von damals, dass die Stasi-Akten jetzt ins Bundesarchiv kommen sollen?

Roland Jahn: Die Stasi-Unterlagen sind ein Symbol und eine Trophäe der friedlichen Revolution. Mit dem neuen Gesetz wird die Zukunft der Akten dauerhaft gesichert. Aus dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten wird ein Bundesbeauftragter für alle Opfer der SED-Diktatur.

Was wird sich für die Nutzer des Archivs ab dem 17. Juni 2021 ändern?

Jahn: Verschlechtern wird sich nichts. Dafür werden mehr Akten digitalisiert und die Bürger haben die Möglichkeit, an allen Standorten des Bundesarchivs Stasi-Akten einzusehen.

Von 16 000 Säcken mit zerrissenen Stasi-Akten wurden erst die Unterlagen aus 500 Säcken wieder zusammengesetzt. Geht die Rekonstruktion weiter?

Jahn: Ja, das ist in dem neuen Gesetz so festgeschrieben. Die Stasi darf nicht bestimmen, in welche Unterlagen wir gucken können und in welche nicht.

Wie hoch ist das Interesse an den Stasi-Akten überhaupt noch?

Jahn: Wir erhalten derzeit jeden Monat im Schnitt 3200 Anträge auf persönliche Akteneinsicht, darunter auch von Kindern oder Enkeln von Verstorbenen. Hinzu kommen Anträge von Forschern und Medien.

Nach dem Mauerfall wollten führende Politiker von CDU und SPD die Stasi-Akten unter Verschluss halten, fürchteten eine Hexenjagd und Racheakte...

Jahn: Es war gut, die Akten zu öffnen - und es gab auch keine gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Millionen Menschen, die in die Stasi-Unterlagen geschaut haben, haben ein Gewinn für ihr eigenes Leben bekommen.

Heute beklagen Demonstranten Einschränkungen der Grundrechte durch Corona-Maßnahmen und angebliche Zustände wie in der DDR.

Jahn: Der Unterschied ist, dass die Menschen heute auf die Straße gehen können und ihre Meinung lautstark äußern dürfen, ohne eingesperrt zu werden. In den Stasi-Akten kann man nachlesen, was passierte, wenn Menschen in der DDR die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit wahrnahmen und dafür jahrelang ins Gefängnis kamen. Eine Gleichsetzung unserer Demokratie mit der DDR verbietet sich.

Was werden Sie machen, wenn ihr Amt abgeschafft ist?

Jahn: "Die Hälfte meines Lebens war ich in der DDR eingesperrt. Deshalb werde ich die Möglichkeit frei zu reisen, weiter nutzen - dafür habe ich endlich mehr Zeit.

Interview: H.-W. Saure