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"Ich bin nicht bei Facebook"

sonntaz: Herr Jahn, darf man Stasi und Facebook vergleichen?

Roland Jahn: Man darf sie nicht gleichsetzen. Die Stasi war die Geheimpolizei einer Diktatur. Vor kurzem habe ich gelesen: "Gegen Facebook war Stasi nur ein Kinderspiel." So eine Verharmlosung geht nicht. Aber die Erfahrung mit der Stasi muss uns sensibel machen für die Gefahr von Datenmissbrauch. Wenn Unternehmen oder Dienste Zugriff auf Daten bekommen, den der Bürger nicht haben möchte, ist das eine Missachtung der Bürgerrechte.

Sie haben früher gegen die Datenkrake Stasi gekämpft, die den Menschen persönliche Daten entriss. Heute liefern die Menschen den Internetkonzernen ihre Daten freiwillig. Fühlen Sie sich von Facebook um Ihre Lebensleistung betrogen?

Jahn: Nein, Facebook strahlt Freiheit aus. Nur die Gefahr des Missbrauches ist groß.

Worin sehen Sie die Gefahr?

Jahn: Die Gefahr bei Facebook ist, dass Menschen benutzt werden für Dinge, über die sie nicht Bescheid wissen. Dass Daten nicht gelöscht wurden, obwohl der Nutzer meint, sie gelöscht zu haben. Dass Daten weitergegeben werden, obwohl vorher dem Nutzer nicht klar war, was geschieht. Das nimmt dem Bürger sein Selbstbestimmungsrecht. Der Missbrauch der Daten muss unterbunden werden.

Sie reden immer von Missbrauch. Die Idee von Facebook ist es doch, Personendaten, die die Menschen selber liefern und die sie dann nicht mehr überblicken können, an die Wirtschaft zu verkaufen.

Jahn: Diese Freiheit darf nicht in Frage gestellt werden. Wer seine Daten in einem Netzwerk offen legt, sollte genau Bescheid wissen, was er da tut. Aber da kommt jetzt was in Gang. Wenn ich in Schulen über die Stasi erzähle, kommt die Diskussion sofort auf Facebook und die Bundestrojaner. Das finde ich klasse.

Was sagen Sie den Schülern?

Jahn: Entscheidend ist: Wem vertrau ich mich an? Wem gebe ich meine Informationen preis? Das sollte sich jeder überlegen und nicht verwundert sein, wenn seine Fotos weltweit die Runde machen oder Infos weitergegeben werden. Aber wir brauchen dennoch Regeln, die die Transparenz im Umgang mit Daten garantiert.

Sie meinen, dass Personendaten an die Wirtschaft verkauft werden, damit die ihre Werbung zielgenau platzieren kann?

Jahn: Ja genau. Wenn z. B. Profile über mein Verhalten erstellt werden, will ich das vorher wissen. Das findet nicht ausreichend statt. Da müssen Sicherungssysteme eingebaut werden.

Das Kleingedruckte wird doch eh weggeklickt.

Jahn: Früher wurde auch gesagt: Wer so doof ist, an der Haustür mit einem Vertreter einen Kaufvertrag abzuschließen, ist selber schuld. Der Gesetzgeber hat hier gehandelt und die Situation an den Haustüren einbezogen. Heute sind solche Verträge auflösbar. Auch bei den „Sozialen Netzwerken“ darf die Aufklärung nicht kleingedruckt und nebenbei laufen.

Können wir aus den Stasiakten lernen, dass Daten gefährlich werden können, die auf den ersten Blick nicht wie große Geheimnisse aussehen?

Jahn: Der Datensammler erkennt, was wichtig ist und was unwichtig. Nicht der, der die Daten preisgibt. Der Datensammler erstellt ein Puzzle und benutzt es. Die scheinbar unwichtige Information des Spitzels konnte zum Schlüssel werden, für die Stasi im Verhör. Der Mensch in Bedrängnis denkt dann: Die wissen ja alles, da kann ich alles gestehen.

Was wäre geschehen, wenn der Stasi die technischen Mittel von Facebook zur Verfügung gestanden hätten?

Jahn: Sie hätte Facebook brutal genutzt. Aber vielleicht wäre sie dann an ihrer Sammelwut erstickt. So ist es ihr ja fast mit ihren abgehörten Telefongesprächen gegangen.

Warum sammeln Menschen überhaupt so viele Daten, dass man von Sammelwut spricht?

Jahn: Heute verführt die Technik die Menschen dazu, so viele Daten wie möglich zu sammeln. Gerade Bürokratien neigen dazu alles zu sammeln, um sich abzusichern. Und durch E-Mails wird alles verschriftlicht, was früher über Telefon lief. Der Staat sollte nur so viele Daten sammeln, wie er braucht, um zu funktionieren. Und nicht so viel wie möglich. Wir alle müssen das Löschen wieder lernen. Ergebnisse kann man ja speichern, aber nicht jede Umdrehung, die dorthin führt.

Erzählen Sie das mal den Internetkonzernen, die hoffen, dass in jeder gesammelten Datei noch ein Cent steckt.

Jahn: Das gehört auch zur Freiheit. Sollen die ruhig sammeln. Jeder Trödler verkauft, was er irgendwo aufgegabelt hat. Entscheidend ist, ob das rechtmäßig läuft.

Ist die Gesichtserkennung etwas, das die Stasi sich erträumt hat?

Jahn: Bestimmt hätten sie das gerne gehabt. Deshalb ist es schon erschreckend, wie leichtfertig Menschen mit ihren Bildern umgehen.

Die Stasi hatte immerhin Geruchsproben.

Jahn: Die Geruchsproben sind gegen den Willen der Menschen entnommen worden. Mir z. B. haben sie bei einem Verhör mit Gewalt ein Tuch in die Hose gesteckt, um meinen Geruch zu speichern. Der Geruch wurde in einem Glas konserviert, um notfalls einen Hund auf die Spur setzen zu können.

Sind Sie eigentlich bei Facebook?

Jahn: Nein, privat bin ich nicht bei Facebook.

Sie sind in der DDR und auch nach Ihrer Ausreise nach West-Berlin bespitzelt und abgehört worden.

Jahn: Ich bin geprägt von jahrelanger Beobachtung. Da war ich auch in der Gefahr, mich verrückt zu machen. Deswegen gab es für mich das Prinzip, politisch so öffentlich wie möglich zu agieren. Aber Vorhaben, die gefährdet waren, habe ich für mich behalten oder nur einem bestimmten Kreis mitgeteilt.

Wie hätten Sie in der DDR als Regimegegner Facebook für sich einsetzen können?

Jahn: Facebook hätte den Untergang der DDR beschleunigt. Wir hätten uns vernetzt und die freien Informationswege genutzt. Wir haben ja damals schon Videos von Protestaktionen gemacht und über das Westfernsehen in die DDR hinein verbreitet. Das geschieht ja heute in der arabischen Welt auch, aber übers Netz. Freie Informationen sind Gift für Diktaturen. Die Freiheit, die im Internet steckt, ist viel stärker als das, was die Stasi mit der neuen Technik hätte dagegen setzen können.