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"Ich will auch Brücken bauen"

Roland Jahn wird als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen erstmals mit einem ehemaligen Stasi-Offizier öffentlich diskutieren

Ungewöhnlich ist das allemal: Roland Jahn wird als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen erstmals mit einem ehemaligen Stasi-Offizier öffentlich diskutieren. Vorab sprachen wir mit ihm über Versöhnung, mehr Hilfe für die Opfer und die 48 Mitarbeiter seiner Behörde, die früher für die Stasi tätig waren.

Herr Jahn, am Donnerstagabend werden Sie in Gera mit dem früheren Stasi-Major Bernd Roth an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Warum?

Jahn: Wir dürfen nicht nur in die Akten schauen, sondern wir müssen auch Zeitzeugen hören. Stasi-Offiziere sind ebenfalls Zeitzeugen.

Sprechen Sie zum ersten Mal in einem öffentlichen Rahmen mit einem hauptamtlichen Stasi-Mann?

Jahn: In den 1990er Jahren habe ich schon einmal mit einem Offizier der Hauptverwaltung Aufklärung auf dem Podium gesessen. Aber in meiner Funktion als Bundesbeauftragter ist es das erste Mal, dass ich mit einem ehemaligen Stasi-Offizier öffentlich diskutiere.

Haben das Ihre Vorgänger Joachim Gauck und Marianne Birthler gemacht?

Jahn: Nach meinem Wissen nicht.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Gespräch?

Jahn: Ich hoffe, dass wir sehr an der Sache orientiert rekonstruieren, wie und mit welcher Motivation dieser Offizier damals seine Tätigkeit verrichtet hat. Und ich hoffe, dass er sich der Verantwortung stellt, die er damals getragen hat.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass Stasi-Leuten ein Podium geboten wird für Verklärung und Beschönigung der DDR?

Jahn: Wir sind eine freie Gesellschaft. Es ist gut, dass die Meinungsfreiheit heute auch denen gewährt wird, die sie uns früher vorenthalten haben. Ein offener Diskurs, ohne Lüge, ist wichtig.

Ist das ein Appell, nicht nur über, sondern auch mit den Leuten zu sprechen, die Teil des Herrschaftsapparates in der DDR waren?

Jahn: Ich will mit unserem Gespräch auch ein Beispiel geben, wie man einen Weg gehen kann, auf dem Versöhnung möglich ist. Sie kann nur gelingen, wenn die Täter von damals das Unrecht eingestehen, das sie begangen oder zu dem sie beigetragen haben. Vergebung darf den Opfern nicht verordnet werden.

Die evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann warb vor einiger Zeit bereits für Versöhnung, ihre Initiative scheint jedoch versandet zu sein.

Jahn: Ich mache etwas ganz anderes als Frau Junkermann. Sie hatte die Opfer aufgefordert, zu vergeben. Ich will, dass sich die Mitarbeiter der Staatssicherheit ihrer Verantwortung stellen. Es geht um Aufklärung und Aufarbeitung. Das erst macht Vergebung möglich.

Ihr Gesprächspartner Bernd Roth hat mehrere Jahrzehnte für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet. Ist es nicht sehr schwierig, über die eigene Lebensbilanz zu sagen: Das war falsch, was ich gemacht habe?

Jahn: Für Offiziere, die wesentliche Teile ihres Lebens einem Apparat gedient haben, der Menschenrechte verletzt hat, ist es nicht einfach, das einzugestehen. Mein Anliegen ist es deshalb auch, Brücken zu bauen. Sie sollen eine Chance haben, das Unrecht zu erkennen und zu bekennen. Wir entlassen sie damit nicht aus der Verantwortung.

Ihr Gesprächspartner sieht seine frühere Tätigkeit mittlerweile sehr kritisch. Ist das auch bei anderen Ex-Stasi-Leuten so?

Jahn: Es wird noch viel zu viel gerechtfertigt und beschönigt. Insofern ist es wichtig, wenn zumindest einzelne Ex-Mitarbeiter der Stasi sagen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Es ist schade, dass es bisher so wenige tun.

Der Thüringer DGB hat in seinen Räumlichkeiten Veranstaltungen zugelassen, in denen Stasi-Leuten hinter verschlossenen Türen die DDR verklärten. Ist das hilfreich?

Jahn: Der DGB muss sich schon fragen lassen, wem er seine Räume für solche geschlossenen Veranstaltungen vermietet. Wir haben genug Argumente, denen etwas entgegenzuhalten, die Unwahrheiten verbreiten. Deshalb habe ich auch gar nichts dagegen, wenn zu unserem Gespräch in Gera andere ehemalige Stasi-Offiziere kommen. Zum Beispiel die, die an der "Aktion Gegenschlag" gegen die Opposition in Jena 1983 beteiligt waren.

Damals wurden Sie selbst gewaltsam aus der DDR ausgebürgert. Und das Gespräch mit Roth findet in dem Gerichtssaal statt, in dem Sie verurteilt wurden. Wie viel Wut oder Verbitterung ist bei Ihnen im Spiel?

Jahn: Nein, Verbitterung gibt es überhaupt nicht. Die habe ich für mich nie zugelassen. Ich will das Lachen im Leben behalten. Eines ist mir aber wichtig: Meine gewaltsame Ausbürgerung war nur die Spitze des Eisbergs dessen, was in der DDR stattfand: Dass nämlich politisch Missliebige außer Landes getrieben wurden. Diese Menschen wollten ihre Heimat nicht unbedingt verlassen. Sie waren auf Grund der Verhältnisse dazu gezwungen. Das war eine Art Vertreibung.

Welche Defizite sehen Sie bei der Hilfe für die Opfer des DDR-Regimes?

Jahn: Bis heute bekommen die Opfer in Deutschland zu wenig Anerkennung. Man muss sie ernst nehmen und nicht sagen: Das ist lange her, regt euch mal nicht auf. Sie haben für die anderen den Kopf hin gehalten, etwa beim Drängen auf Menschenrechte. Ganz praktisch zeigen sich die Defizite zum Beispiel darin, dass Folgeschäden einer Haft noch immer nicht ausreichend anerkannt werden. Es ist doch eine Zumutung, wenn ein Haftopfer auch noch beweisen muss, in welcher Zelle er welche Krankheit bekommen hat.

Sollte es Veränderungen geben bei der Opferrente, die ab sechs Monaten politischer Haft gewährt wird?

Jahn: Zumindest sollten die Haftopfer nicht länger ihre soziale Bedürftigkeit nachweisen müssen. Jetzt ist es doch wie ein Almosen für die, die es nicht auf die Reihe gekriegt haben, auf eigenen finanziellen Beinen zu stehen. Das empfinden die Opfer als Entwürdigung. Sie wollen eine Anerkennung für das, was sie erlitten haben, da geht es gar nicht mal vordergründig um die Höhe.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es eine heftige Debatte um frühere Stasi-Leute, die in Ihrer Behörde arbeiten. Was ist aus den von Ihnen gewünschten Versetzungen geworden?

Jahn: Wir sind dabei, das entsprechende Gesetz des Bundestags umzusetzen. Das ist ein schwieriger und langwieriger Prozess. Die ersten Wechsel sind erfolgt, an weiteren wird gearbeitet.

Gab es dagegen juristische Klagen?

Jahn: Nein.

Wie sieht es mit der Bereitschaft zum Wechsel aus?

Jahn: Entscheidend ist, dass wir einen rechtsstaatlich korrekten und menschlich respektvollen Weg gehen. Aktuell geht es noch um 39 Beschäftigte in der Behörde. Ursprünglich waren es 47 hauptamtliche und ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Bisher sind drei Wechsel erfolgt. Das sind Leute, die das ganz bewusst gemacht haben aus, wie sie sagten, Respekt vor den Opfern. Sechs weitere Mitarbeiter sind ausgeschieden, etwa weil sie in Rente gingen.

Das Interview führte Eike Kellermann