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"Ich wünsche mir Versöhnung"

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen spricht in der Zeitschrift "SUPERillu" über verletzte Gefühle der Stasi-Opfer, sein Leitbild Rechtsstaatlichkeit und wie "glaubhaftes Bereuen" der Stasi-Täter zu Versöhnung führen kann. Jahn berichtet auch von seinem eigenen Werdegang in der DDR: "Glauben Sie, dass ich immer mutig war?"

Herr Jahn, Sie stehen in der Kritik, weil Sie 47 Ex-Stasi-Leute, die als Pförtner oder Wachschutz in Ihrer Behörde arbeiten, loswerden wollen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, das sei „Rache an kleinen Würstchen“.

Jahn: Für mich ist der Ausgangspunkt, dass die Opferverbände mir vermittelten, dass die Opfer der SED-Diktatur es als Schlag ins Gesicht empfinden, wenn ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit ausgerechnet bei der Stasi-Unterlagen-Behörde tätig sind. Das waren auch keineswegs kleine Würstchen, sondern überwiegend ehemalige Offiziere.

Wie sehen das die betroffenen Ex-Stasi-Leute? Haben Sie mit ihnen gesprochen?

Jahn: Selbstverständlich habe ich sofort das Gespräch gesucht. Ich finde es wichtig, dass man respektiert, was auch sie in den letzten 20 Jahren in der Stasi-Unterlagen-Behörde geleistet haben. Doch ich kann die Gefühle der Opfer nicht ignorieren. Diese Menschen erwarten, dass wir glaubwürdig arbeiten und ihnen helfen, die Vergangenheit aufzuarbeiten.

Die Leute haben aber gültige Arbeitsverträge, können nicht einfach gekündigt werden. Die „Süddeutsche“ warf Ihnen sogar vor, Sie gefährdeten den Rechtsstaat, wenn Sie das ignorieren...

Jahn: Das tun wir nicht. Um das noch einmal zu betonen. Mein Grundsatz heißt strikte Rechtsstaatlichkeit. In der DDR saß ich im Gefängnis, weil ich für Rechtsstaatlichkeit eingetreten bin. Genau deshalb sage ich heute: Denen, die uns den Rechtsstaat damals vorenthalten haben, denen gönnen wir ihn. Daher habe ich auch ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen klären soll. Sicher ist: Die betroffenen Mitarbeiter haben Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland, nicht mit der Stasi-Unterlagen-Behörde. Man könnte sie also auch in weniger sensiblen Bereichen im Staatsdienst, bei anderen Behörden einsetzen.

Es geht also nicht darum, sich an diesen Stasi-Leuten zu rächen, sie brotlos zu machen?

Jahn: Auf keinen Fall. Rache ist nicht mein Sinnen. Obwohl ich ein ehemaliger politischer Häftling bin. Und obwohl sie mich damals, 1983, sogar mit Gewalt in den Westen abgeschoben haben. Das war für mich sehr, sehr schmerzlich. Natürlich nicht, weil ich die DDR so toll fand. Aber weil Thüringen meine Heimat ist, weil dort meine Freunde waren, meine Familie. Weil ich dort aufgewachsen bin und dort viele schöne Dinge erlebt habe. Auch in einer Diktatur scheint ja bekanntlich die Sonne. Ich bin nie verbittert, bin auch denen, die mir Schlimmes angetan haben, immer mit Ruhe begegnet. Ich wünsche mir Versöhnung. Aber dazu müssen wir alle das nötige Klima schaffen. Versöhnung wird nur möglich, wenn die Wunden der Opfer heilen. Wenn Opfer auch zwanzig Jahre danach zu mir sagen, wir empfinden das mit diesen Stasi-Leuten in der Stasi-Unterlagen- Behörde als Schlag ins Gesicht, dann zeigt das, wie tief die Wunden noch sind. Ein Klima, in dem die Wunden heilen, schafft man nur mit glaubhafter Reue. Erst dann sind ehemals Verfolgte in der Lage zu sagen: Ja, ich bin bereit zur Versöhnung!

Was müssten die Täter von einst denn dafür tun?

Jahn: Viele ehemalige Stasi-Offiziere haben in den letzten zwanzig Jahren ihren Mann gestanden, ihre Arbeit ordentlich gemacht. Aber glaubhaft zu bereuen, würde darüber hinaus heißen, die Empfindungen der Opfer ernst zu nehmen und danach zu handeln. Davon sieht man bis heute wenig. Das fängt schon damit an, dass zu „Ich habe im Freundeskreis Menschen, die damals gespitzelt haben. Ich habe ihnen verziehen. Ein wunderbares Gefühl“ Reue ein Bekenntnis zur eigenen Biografie gehört. Viele Ex-Stasis, insbesondere ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter, lügen bis heute. Sie müssten offen darüber sprechen, was sie gemacht haben und sich nicht herausreden, sie hätten doch keinem direkt geschadet. Sie müssten sich bewusst machen, wem sie gedient haben und in welchem Unterdrückungsapparat sie mitgearbeitet haben. Sie müssten Verantwortung übernehmen, das heißt auch Respekt zeigen für die Menschen, die ihren Kopf hingehalten haben in der DDR. Die Opfer der SED-Diktatur sind diejenigen, die sich unter hohem Risiko für die Freiheit eingesetzt haben, die dafür verfolgt wurden, im Gefängnis saßen. Ihnen haben wir alle unsere Freiheit zu verdanken. Auch die Stasi-Offiziere, die heute nach Gran Canaria in Urlaub fahren können. Und deswegen gebührt den Opfern Respekt in ihren Empfindungen.

Gegen Sie waren Hunderte von Spitzeln und Stasi-Offizieren im Einsatz. Haben Sie denen verziehen?

Jahn: Ich habe in meinem Freundeskreis Menschen, die damals als Inoffizielle Mitarbeiter gespitzelt haben. Und denen ich verziehen habe, weil sie mir erklärt haben, warum sie das gemacht haben, in welchen Zwängen sie waren. Und weil sie glaubhaft bereuen. Mit denen kann ich heute wieder ein Bier trinken gehen. Das ist ein wunderbares Gefühl, wenn Menschen sich wieder so begegnen können.

Die meisten waren weder bei der Stasi noch in der offenen Opposition wie Sie. Sondern haben ein ganz normales, mehr oder weniger angepasstes Leben geführt. Müssen die sich einen Vorwurf machen?

Jahn: Die große Masse war, wie meine Eltern auch, rechtschaffene Leute, keine Frage. Aber auch diejenigen, die einfach nur als Angepasste den Mund gehalten haben, sollten selbstkritisch damit umgehen und es als Chance zur Befreiung sehen, wenn sie heute offen mit diesen Dingen umgehen. Es war ja nicht an allem Elend in der DDR die Stasi schuld. Jeder hatte doch die Chance, bei bestimmten Dingen Nein zu sagen. Und hat es vielleicht nicht getan. Ein Stückchen waren wir also alle daran schuld, dass diese Diktatur so lange funktioniert hat. Der vorauseilende Gehorsam hat dieses System doch maßgeblich stabilisiert, nicht nur die Stasi. Viele hätten sich mutiger verhalten können, ohne dass ihnen gleich Nachteile gedroht hätten. Da schließe ich mich ein.

Aber Sie waren doch Regimegegner, saßen sogar im Gefängnis …

Jahn: Glauben Sie, dass ich immer mutig war? Als Jugendlicher war ich in der FDJ, wollte dazugehören. Später ging ich brav zum Wehrdienst, weil ich studieren wollte. Als sie einen Freund aus dem Studium warfen, habe ich geschwiegen.

Wenig später, Ende 1976, flogen Sie dann selber raus, weil Sie in Ihrer Seminargruppe gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten

Jahn: Da haben dann die anderen aus Angst und Anpassung geschwiegen. Nachdem die Uni-Leitung und die Partei meinen Rauswurf beschlossen hatten, sollten die 13 Kommilitonen aus meiner Seminargruppe meinen Rauswurf befürworten. Man hat sie halt vorgeschoben, damit es besser aussieht. Am Abend vorher haben sie mir noch alle auf die Schulter geklopft und mir gesagt, dass sie zu mir stehen. Am nächsten Tag haben sie, bis auf einen, den Rauswurf beantragt.

Hat sich bis heute einer Ihrer ehemaligen Studienfreunde dafür bei Ihnen entschuldigt

Jahn: Leider nein, das ist sehr schade. Ich würde mich gern wieder mit ihnen vertragen und mir wünschen, wenn es in unserem Land möglichst viele solcher Begegnungen gäbe, bei denen man sich versöhnt. Da geht doch bis heute ein tiefer Riss durch unsere ganze Gesellschaft, eine offene Wunde. Oft sogar quer durch die Familien. Der Konflikt zwischen den Angepassten und denen, die damals nicht mehr mitmachen wollten. Oft ist es ein Konflikt zwischen Eltern und Kindern. Kinder haben sich mit Rücksicht auf die Eltern angepasst. Oder umgekehrt: Eltern haben Repressalien wegen ihrer Kinder ausstehen müssen, weil in diesem Staat nun einmal Sippenhaft allgegenwärtig war. Das ist doch furchtbar. Da ist vieles noch nicht aufgearbeitet. Ich wünsche mir, dass in diesen Familien darüber geredet wird, dass die Verletzungen benannt werden. Und man sich damit bewusst wird, was geschehen ist.

Wie war das in Ihrer eigenen Familie?

Jahn: Das war in meiner Familie genauso. Mein Vater war Konstrukteur bei Carl Zeiss, hat an der Weltraumkamera mitgebaut, mit der Sigmund Jähn im Jahr 1978 im Weltall war. Und er war Leiter der Jugendabteilung des FC Carl Zeiss Jena, er hat dort tolle Mannschaften mit aufgebaut. Er hatte Angst, durch mein Verhalten Nachteile zu haben. Als ich damals immer widerständiger wurde, meinte er: Roland, hör auf damit, du gefährdest mein Lebenswerk und das Glück unserer Familie. Das hat auch sogar Familienfeiern überschattet. Als sie mich dann verhafteten und ausbürgerten, haben sie die Sippenhaft gegen ihn tatsächlich vollstreckt. Da wurde mein Vater im Fußballclub zur Unperson erklärt und ausgeschlossen.Wir haben versucht, das in unserer eigenen Familie aufzuarbeiten, viel miteinander gesprochen. Ich habe ihm gesagt, wie leid es mir tat, dass er wegen mir Nachteile hatte. Und er meinte zu mir: „Roland, du hattest recht und es war ein Fehler, dass ich dich davon abhalten wollte.“ So haben wir uns versöhnt. Es wäre toll, wenn in allen Familien so offen darüber geredet und um Versöhnung gerungen wird, wie das meinem Vater und mir gelungen ist.

Das Gespräch führten Gerald Praschl, Robert Schneider und Jochen Wolff