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"Jeder hat das Recht sich anzupassen"

Roland Jahn im Interview mit der SuperIllu vom 25. September 2014

25 Jahre Mauerfall und die Frage: Wie gehen wir mit der DDR-Vergangenheit um? Letzte Woche diskutierten dazu Dagmar Frederic und Berndt Schmidt, Geschäftsführer des Berliner Friedrichstadt-Palastes. Nun erläutert der ehemalige DDR Bürgerrechtler und heutige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, 61, seinen Standpunkt

SuperIllu: Herr Jahn, wie würden Sie Ihren Enkeln erklären, was die Mauer war und was die DDR?

Jahn: Meine vier Enkel sind erst zwischen zwei und sieben Jahre alt. In ein paar Jahren werde ich ihnen erzählen, dass ich in der DDR mit meinen Freunden und meiner Familie eine schöne Zeit hatte, aber nicht wegen des Staates, sondern trotz des Staates. Die DDR, das war ein Land, in dem der Staat uns das Leben schwer gemacht hat. Man durfte nicht einfach so sein, wie man wollte und durfte nicht überallhin reisen. Die Mauer war ein sichtbares Zeichen dafür. Sie hat uns die Wege versperrt. Wenn jemand doch über die Mauer wollte, wurde geschossen.

Glauben Sie, dass Ihre Enkel sich tatsächlich dafür interessieren, was die DDR war?

Jahn: Ich möchte meine Enkel einladen, sich mit dieser Vergangenheit zu beschäftigen. Sie haben die Freiheit, sich darauf einzulassen - oder nicht. Ich will ihnen nicht vorschreiben, was sie zu denken haben. Ich hoffe, dass sie neugierig werden, herauszufinden, wo und wie ihre Großeltern gelebt haben. Vielleicht begreifen sie die Geschichte dann auch als eine Chance, für ihr eigenes Leben und ziehen Schlüsse. Zum Beispiel, dass sich Widerspruch und Zivilcourage lohnen. Dass man tatsächlich eine Gesellschaft verändern kann, auch heute, wenn man sich dafür einsetzt.

Die DDR-Entertainerin Dagmar Frederic wird angegriffen, weil sie die DDR angeblich verharmlose. Zu ihrer Rechtfertigung sagt sie: "Das ist alles so schrecklich, was da passiert ist, aber kann man mich persönlich dafür verantwortlich machen? Ist mein Leben deshalb nichts wert?"

Jahn: Wenn man das wirklich alles so schrecklich fand, dann sollte man sich vielleicht genauer überlegen, ob man 2014 neben einer Wachsfigur von dem Mann posiert, der dafür maßgeblich Verantwortung trug, dass Unrecht von Staats wegen geschah. Darunter haben viele Menschen gelitten. Nun ist die Biografie von Dagmar Frederic nicht unbedingt DDR-typisch. Sie war eine privilegierte Sängerin und trägt eine individuelle Verantwortung für die Dinge, auf die sie sich in ihrer Rolle eingelassen hat. Grundsätzlich habe ich Respekt vor den Menschen, die unter den Bedingungen der DDR ihren Weg gesucht haben. Es gilt immer, die konkreten Handlungszwänge unter denen Menschen unter der SED-Herrschaft gehandelt haben, zu beachten.

Sie haben gerade ein Buch veröffentlicht. "Wir Angepassten", haben Sie es genannt. Das klingt wie ein Generalvorwurf an alle, die in der DDR lebten?

Jahn: Im Gegenteil. Jeder hat das Recht, sich den Umständen entsprechend anzupassen. Fast alle Menschen haben sich in der DDR angepasst, auch ich. Sich dazu zu bekennen, das ist mir ein Anliegen. Denn ich glaube, dass wir damit besser begreifen können, wie die DDR mit einer Mauer so lange existieren konnte und welche Verantwortung jeder Einzelne dafür trägt. In meinem Buch beschreibe ich Geschichten, die viele kennen, von Handlungszwängen, in denen wir alle standen. Warum bin ich in die FDJ gegangen? Warum ist mein Freund Parteimitglied geworden? Warum sind so viele Menschen beim 1. Mai mitgelaufen? Ich hoffe, dass es Menschen Mut macht, offen über ihr Leben damals zu sprechen. Gerade in den Familien, besonders zwischen den Generationen, ist noch so vieles ungesagt über die Entscheidungen, die wir getroffen haben und das Leben, das wir alle damals gelebt haben. Niemand war nur Rebell oder nur Angepasster. Uns ehrlich und auch respektvoll mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, kann befreiend wirken.

Mauerfall und Wiedervereinigung brachten sicher mehr Wohlstand. Aber es gibt auch Menschen, die sich trotzdem als Wende-Verlierer fühlen. Was sagen Sie denen?

Jahn: Ein Gefühl kann man niemandem streitig machen, das muss man ernst nehmen. Wer mit Jobverlust oder Altersarmut kämpft, dessen Leben ist tatsächlich beschwert. Der kann dann subjektiv, auch mit dem immer größeren Abstand zur DDR, schon glauben, er habe etwas verloren. Aber mit der friedlichen Revolution haben wir alle etwas gewonnen: die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Wir haben uns die Freiheit, uns einzumischen und mitzugestalten, selber erkämpft. Das sollte jedem von uns Mut machen, auch mit schwierigen Situationen hier und heute fertig zu werden.

Das Gespräch führte Gerald Praschl