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"Jena zu stigmatisieren, ist falsch"

Bei der Suche nach den Ursachen für die Taten der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle müssen man sich vor einfachen Wahrheiten hüten, meint Roland Jahn, der Leiter der Stasiunterlagenbehörde. Ein Interview in der Berliner Zeitung vom 6. Februar 2012

Herr Jahn, das Terror-Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos hat seine Wurzeln in Jena, Ihrer Heimatstadt. Hat Sie das überrascht?

Jahn: Es hat mich erschreckt. Denn als ein sehr heimatverbundener Mensch tut es mir weh, dass aus der Stadt, die ich in der Tradition von Freiheit und Demokratie sehe, Menschen kommen, die genau das Gegenteil wollen. Ich habe spontan den Oberbürgermeister Albrecht Schröter angerufen und ihm deutlich gemacht, dass er meine Solidarität hat.

Der weltoffene Fußball-Torwart Robert Enke kam aus der Stadt, Sahra Wagenknecht von der Linkspartei ist von dort und Sie eben auch. Hat Jena einen Januskopf?

Jahn: Nein. Es gibt überall Rechtsextremismus, ob in Ost oder West - damit auch in Jena. Allerdings war die Gegenwehr dort auch in den Neunzigerjahren ganz stark. Es gab große Aktionen der gesamten Stadt - einschließlich des Oberbürgermeisters.

Albrecht Schröter hat für diesen Kampf gerade einen Preis bekommen.

Jahn: Richtig. Und deshalb kann ich nur sagen: Jena zu stigmatisieren, ist falsch. Es ist viel wichtiger zu fragen, wie es möglich war, dass Kinder der Stadt diese Entwicklung genommen haben.

Und die Antwort?

Jahn: Es gibt hier keine einfache Wahrheit. Wir sind herausgefordert, die DDR-Zeit, aber auch die Zeit des Umbruchs zu betrachten. Wir waren alle dabei. Dazu kommt der jeweils ganz persönliche Hintergrund der Tatverdächtigen.

Sie haben noch einen zweiten Zugang zum Thema, denn Sie haben sich als Journalist mit dem Rechtsextremismus befasst. Haben Sie den jetzt sichtbar gewordenen Terror für möglich gehalten?

Jahn: Ich habe nicht so viel Fantasie gehabt, mir vorzustellen, dass junge Glatzen fähig sind, solche gemeinen Morde zu begehen. Was ich als Journalist in den Neunzigerjahren erlebt habe, war, dass viele nach Orientierung gesucht und sie weder bei ihren Eltern noch bei ihren Großeltern gefunden haben. Freiheit will gelernt sein. Mir haben junge Glatzen gesagt: Wir sind nicht angepasst wie unsere Eltern in der DDR. Wir stehen zu unserer Meinung. Darauf sind wir stolz.

Das ist für jemanden mit Ihrer Biografie schwer zu kontern.

Jahn: Das ist ganz einfach zu kontern. Denn Widerspruch gegen ein Unrechtsregime ist im Interesse der Menschen. Aber Neonazis widersprechen der Menschenwürde und der Demokratie.

Nun sind Sie zuständig für die Stasi-Akten. Was sagen die über Rechtsextremismus in der DDR?

Jahn: Die Stasi-Akten belegen, dass es in der DDR Rechtsextremismus gab - in der Öffentlichkeit und im Verborgenen. Es gab kleine Nazitruppen, die den Nationalsozialismus und die SS verherrlicht haben. Die Stasi hat dem Aufmerksamkeit geschenkt, so wie sie insgesamt wissen wollte, was in dem Staat abläuft. Sie hat das ganze Instrumentarium bis zum Einsatz von Spitzeln genutzt. Sie hat aber nicht wirklich die Ursachen erforscht. Sie wollte den Beweis führen, dass diese rechtsextremistischen Positionen vom westlichen Klassenfeind gekommen sind. Den Nachweis konnte die Stasi nicht erbringen.

Was sagen die Akten über die Stärke der rechten Szene?

Jahn: Die Stasi hat die Zahl rechtsradikaler Skinheads in der DDR auf etwa 1000 geschätzt. Ob diese Zahl stimmt, weiß ich nicht. Denn die Akten dokumentieren den Blick der Stasi auf die rechte Szene.

Hat die Stasi Druck ausgeübt?

Jahn: Die Stasi hat in den späten Achtzigerjahren durchaus konsequent gehandelt und Ermittlungsverfahren eingeleitet. Für den Überfall von Skinheads auf Besucher der Berliner Zionskirche 1987 sind Leute verurteilt worden. Sie hat aber versucht, das als Taten von Kriminellen darzustellen und nicht als politisches Phänomen, das seine Ursache in der DDR hat. Es sollte nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf. Denn die DDR war gegründet auf dem anti-faschistischen Mythos. Ich selbst habe 1988 für "Kontraste" einen Film über Skinheads in der DDR gemacht, mit eingeschmuggelter Kamera. Dieser Bericht ging der DDR-Führung ins Mark. Sie hat sich bei der Leitung der ARD darüber beschwert.

Der Lyriker Ernst Jandl hat mal gedichtet: "manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein illtum." Wie nahe waren sich der offizielle Antifaschismus der DDR und die mancherorts unter der Oberfläche gärende rechte Gesinnung?

Jahn: Die Denkmuster der offiziellen Propaganda - der Militarismus, das Unterdrücken anderer Meinungen - waren bei den Neonazis genauso da. Man musste keine großen Anstrengungen machen, sondern konnte durch das Austauschen bestimmter Feindbegriffe einfach die Seite wechseln. Deshalb war der Übergang manchmal einfach und schnell. Freiheit und Demokratie sind komplizierter und verlangen viel Mühe.

Hat der Antifaschismus das erzeugt, was er verhindern wollte?

Jahn: Das ist mir zu einfach. Verordneter Antifaschismus ist nie gut. Trotzdem ist es wichtig, dass junge Menschen nach Buchenwald fahren und lernen, was dort geschehen ist.

Wenn wir einen Strich unter das ziehen, was Sie gesagt haben: Wo liegen die zentralen Ursachen für das, was in Jena seinen Ausgang nahm?

Jahn: Ich hüte mich vor einfachen Wahrheiten. Es gibt hier viele Gründe. Mich trifft es jedes Mal, wenn ich Artikel darüber lese, dass Vater Mundlos nicht damit fertig wird, dass sein Sohn Uwe diesen Weg gegangen ist. Da frage ich mich schon, wieso wir es alle zusammen nicht geschafft haben, das zu verhindern. Gerade Ostdeutsche haben der Menschenverachtung der Rechtsextremen doch etwas entgegenzusetzen: die friedliche Revolution und das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte. Ich würde mir wünschen, dass man genau das mit Stolz den Rechtsextremisten entgegensetzt.

Das Gespräch führte Markus Decker