Direkt zum Seiteninhalt springen

Rückgabe des Lebens

Roland Jahn im Interview mit der Hessisch/ Niedersächsischen Allgemeinen, erschienen am 14. Januar 2014

Berlin. Das Interesse an den Akten der Stasi-Unterlagen-Behörde nimmt ab: Im vergangenen Jahr haben mit gut 64 000 Anträgen knapp 24 000 Menschen weniger als noch 2012 die Einsicht in Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit beantragt. Warum die Behörde dennoch ihre Berechtigung hat, erklärt Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde.

Herr Jahn, wieso hat das Interesse an der Akteneinsicht abgenommen?

Roland Jahn: Es ist ein natürlicher Prozess, dass das Interesse an Akteneinsicht im Laufe der Zeit gesunken ist: Die Zahl derer, die die Akten noch nicht gesehen hat, wird weniger. Eines ist aber klar: Aufklärung und Erkenntnisgewinn über die Diktatur sind weiterhin wichtig, deshalb müssen die Akten offen bleiben.

Wie wichtig ist die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde?

Jahn: Es war gut, die Akten zu öffnen: Für viele Menschen war das so etwas wie die Rückgabe ihres gestohlenen Lebens. Viele Millionen Bürger haben in die Akten geschaut, viele Journalisten und Forscher schauen immer noch hinein und klären auf, wie die SED-Diktatur und die Aktivitäten der Staatssicherheit funktioniert haben. Man lernt so, wie das System im Ganzen funktioniert hat: Wie die Stasi zum Beispiel das Telefonabhören organisiert oder die Fälschung der Kommunalwahlen in der DDR abgesichert hat.

Vergangene Woche hat der Historiker Hubertus Knabe erneut ein Verbot von DDR-Symbolen gefordert. Was halten Sie davon?

Jahn: Ich bin kein Fan von Verboten, aber man muss ernst nehmen, dass die Verwendung solcher Symbole aus Nostalgie- oder Spaßgründen die Opfer beleidigt und verletzt. Ich setze sowohl auf Aufklärung darüber, was diese Symbole bedeuten, als auch auf Respekt für die Opfer. Es geht darum, den Opfern der SED-Diktatur zu helfen.

Wie genau sieht die Hilfe aus?

Jahn: Die Menschen in unserer Gesellschaft sollten sowohl den Opfern der Diktatur als auch denjenigen, die sich an der friedlichen Revolution beteiligt haben, mehr Respekt und Anerkennung zollen. Zudem könnte es einige Verbesserung geben: zum Beispiel bei der Opferrente.

Sie haben die friedliche Revolution angesprochen. Haben Sie die selbst erlebt?

Jahn: Ich habe zu der Zeit in West-Berlin gelebt und als Journalist für die ARD gearbeitet. In der Tätigkeit habe ich die Opposition in der DDR lange Jahre begleitet und dokumentiert. Für mich war das sehr beeindruckend, dass es die Menschen geschafft haben, ihre Angst zu überwinden und zu demonstrieren. Denn das ist der entscheidende Punkt: Eine Diktatur ist am Ende, wenn die Menschen ihre Angst verlieren.

Was sind die Merkmale einer friedlichen Revolution, neben der fehlenden Waffengewalt?

Jahn: Das sind die Kraft der Argumente und die Kraft der Masse. Dadurch hat sich eine Dynamik entwickelt, die es möglich gemacht hat, dass sich die Verhältnisse geändert haben: Die Mächtigen in der DDR wurden zu Fall gebracht, die Menschen haben die Propaganda der SED einstürzen lassen: Vom Staat wurde immer behauptet, nur Rowdies würden demonstrieren. Dagegen ist der Ruf entstanden: Wir sind das Volk.

Hat die friedliche Revolution heute noch eine Bedeutung?

Jahn: Ja. Die friedliche Revolution war getragen von dem Wunsch nach Menschenrechten. Die Grundrechte der Menschen nach Versammlungs-, Informations- und Meinungsfreiheit gilt es nach wie vor ein- und hochzuhalten. Deshalb ist es wichtig, an die friedliche Revolution zu erinnern: Menschenrechte sind nicht selbstverständlich. Es gilt den Wert der Freiheit zu schätzen.

Von Constanze Wüstefeld