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"Die Nutzung der Stasi-Unterlagen geht unverändert weiter, nach den bewährten Regeln und an den gleichen Orten"

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, heute und hier in der Bundespressekonferenz die Gelegenheit zu haben, den 15. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vorzustellen. Für mich ist es dieses Mal, nach zehn Jahren Amtszeit, das fünfte und auch das letzte Mal. Und nicht nur deshalb, ist es ein besonderes Mal.

In den letzten zwei Jahren wurden weitere Weichen für die Zukunft der Aufklärung und Aufarbeitung der SED-Diktatur gestellt und besonders wichtig: durch den Deutschen Bundestag gesetzlich festgeschrieben.

Denn das, was in den Jahren 2019 und 2020, also dem Berichtszeitraum dieses Tätigkeitsberichts in Bezug auf das Stasi-Unterlagen-Archiv passiert ist, ist für mich, unsere Arbeit insgesamt und für viele Menschen in diesem Land von besonderer Bedeutung. In den letzten zwei Jahren wurden weitere Weichen für die Zukunft der Aufklärung und Aufarbeitung der SED-Diktatur gestellt und besonders wichtig: durch den Deutschen Bundestag gesetzlich festgeschrieben.

Die beiden zentralen Meilensteine waren:

Im September 2019 hat der Deutsche Bundestag das Konzept zur "Zukunft der Stasi-Unterlagen", das wir gemeinsam mit dem Bundesarchiv erarbeitet haben, bestätigt. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass ich das Konzept hier gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesarchivs, Dr. Michael Hollmann, im März vor zwei Jahren vorgestellt habe.

Mit Beschluss des Deutschen Bundestags im Herbst 2019 wurde uns der Auftrag erteilt, die Integration des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv entsprechend dieses Konzeptes vorzubereiten. Und dies haben wir seither intensiv getan, mit Arbeitsgruppen und insbesondere durch die Vorbereitung des Zusammengehens der Verwaltungen beider Häuser.

Wir haben die Kolleginnen und Kollegen des Bundesarchivs als sehr offen, kooperativ und verlässlich erlebt. Es ist ein konstruktiver, zielorientierter Prozess, in dem wir uns intensiv fachlich, aber auch menschlich austauschen. (…)

Man kann es in diesem Zusammenhang nicht oft genug sagen: der Zugang zu den Stasi-Unterlagen wird auch in Zukunft nach den bewährten Regeln erfolgen und dies wird auch an den gleichen Standorten wie bisher geschehen.

Im November 2020 wurden zentrale Grundsätze unseres Konzepts durch den Deutschen Bundestag per Gesetz verankert.

Lassen Sie mich diese im Kern in 7 Punkten kurz aufzählen, weil sie den Rahmen unserer Arbeit und vor allem der zukünftigen Arbeit des Stasi-Unterlagen-Archivs im Bundesarchiv bilden:

  1. Der Gesamtbestand des Stasi-Unterlagen-Archivs wird Archivgut des Bundes und somit dauerhaft gesichert.
  2. Die Nutzung der Stasi-Unterlagen geht unverändert weiter, denn das Stasi-Unterlagen-Gesetz bleibt als eigenständiges Gesetz im Wesentlichen erhalten. – 30 Jahre bewährte Arbeit auf dieser gesetzlichen Grundlage haben zu dieser Entscheidung geführt, kurz gesagt: Die Akten bleiben offen!
    Man kann es in diesem Zusammenhang nicht oft genug sagen: der Zugang zu den Stasi-Unterlagen wird auch in Zukunft nach den bewährten Regeln erfolgen und dies wird auch an den gleichen Standorten wie bisher geschehen.
    Und es gibt sogar noch eine Erweiterung: Auch an den anderen Standorten des Bundesarchivs, also in ganz Deutschland, können nun Anträge gestellt werden und bei Bedarf auch Akteneinsichten ermöglicht werden.
    Zusätzlich werden auch die digitalen Nutzungsmöglichkeiten des Archivs stetig erweitert.
  3. Der Bundestag hat beschlossen: Die Sichtbarkeit des Stasi-Unterlagen-Archivs mit seiner internationalen Vorbildwirkung bleibt auch nach der Integration in das Bundesarchiv erhalten. Der Auftrag der "Vermittlung des besonderen Charakters und des Symbolwertes des Stasi-Unterlagen-Archivs“ an den historischen Orten, in den Medien und im Internet wurde gesetzlich fest geschrieben.
  4. Die Erforschung des Stasi-Unterlagen-Archivs wird weiterentwickelt. Im gesetzlichen Aufgabenkatalog ist dafür extra die "quellenkundliche Forschung zur Erschließung der Bestände des Stasi-Unterlagen-Archivs" aufgenommen worden. Sie soll verstärkt dazu beitragen, dass dieses besondere Archiv noch besser genutzt werden kann und damit die zeitgeschichtliche Forschung zur SED-Diktatur insgesamt gestärkt werden kann. Diese Ausrichtung der Forschung haben wir mit einem Konzept unterfüttert, das sich zum Ziel setzt einen „Atlas des Stasi-Unterlagen-Archivs“ zu erstellen und damit auch wissenschaftliches Neuland betritt.
  5. Durch die Eingliederung des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv werden Kompetenzen, Technik und Ressourcen gebündelt. So können Projekte wie das Archivzentrum in Berlin-Lichtenberg mit Restaurierungs- und Digitalisierungswerkstätten zielgerichtet verwirklicht werden. Im Archiv-Zentrum am historischen „Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie“ werden alle im Bundesbesitz befindlichen Unterlagen zur DDR zusammen kommen. Damit wird die Betrachtung der gesamten SED-Diktatur gefördert.
  6. Das Prinzip der Einbindung der Stasi-Unterlagen in die regionalen Gedenk-Landschaften der ostdeutschen Bundesländer ist gesetzlich festgelegt, damit können auch zukünftige Generationen die Besonderheit der Akten und ihrer Eroberung in der Friedlichen Revolution lebendig und konkret erfahren. Das Stasi-Unterlagen-Archiv kann so ein wichtiger Dienstleister und Partner in der regionalen Aufarbeitung der SED-Diktatur sein.
  7. Besonders freut mich, dass nun aus dem Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur wird. All die Opfer, die sich bis jetzt mit Fragen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur an den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wenden, haben damit zukünftig einen Ansprechpartner auf Bundesebene, der für ihre Anliegen eintritt und hierfür das passende gesetzliche Mandat erhält, welches die SED-Diktatur insgesamt im Blick hat.

Aus der Institution des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wird ein Stasi-Unterlagen-Archiv, welches verankert ist im offiziellen nationalen Gedächtnis, im Bundesarchiv und ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur.

Zusammengefasst lässt sich sagen:

Aus eins mach zwei - aus der Institution des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wird zum einen ein Stasi-Unterlagen-Archiv, welches verankert ist im offiziellen nationalen Gedächtnis, im Bundesarchiv und zum anderen ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur.

Konkret betrachtet, wie auch im vorliegenden Tätigkeitsbericht dargestellt, lässt sich sagen: Die letzten zwei Jahre unserer Arbeit waren davon geprägt, diesen nun auch gesetzlich festgelegten Weg einer Reform für die Zukunft weiterzugehen.

Lassen Sie mich das anhand einiger Schlaglichter unserer Arbeit aufzählen:

Noch immer sind es, auch nach 30 Jahren, jeden Monat Tausende, die Antrag auf persönliche Akteneinsicht stellen. Für jeden einzelnen ist es ein bedeutsamer Schritt, in diese Akten zu schauen. Und manche brauchen einen langen Anlauf, um sich mit dieser eigenen Lebensgeschichte zu beschäftigen.

Zusehends wollen sich auch die Angehörigen von Verstorbenen mit dem Leben ihrer Eltern und Großeltern im geteilten Deutschland beschäftigten. Ihr Anteil bei der Antragstellung liegt bei mittlerweile 20 Prozent der Erstanträge.

Es war und ist für Behörden eine neue Herausforderung, sich verstärkt digital um ihre Servicedienstleistungen zu kümmern. Wir ermöglichen die Antragstellung mit dem E-Ausweis sowie auch die digitale Herausgabe von Unterlagen. Davon wurde in den letzten zwei Jahren fast 13.000mal Gebrauch gemacht.

Was nach wie vor nicht in Vergessenheit geraten darf: Die Rehabilitierung politisch verfolgter Menschen ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Deutsche Bundestag hat 2019 ein Gesetzespaket verabschiedet, zur Erweiterung der Rehabilitierungsgesetze. In Folge wurden unsere Dienstleistungen bei den Ersuchen der Ämter auf Aktenzugang deutlich wieder stärker nachgefragt. Über 7.000 Reha-Anträge wurden in den letzten zwei Jahren bearbeitet.

Immer wieder auch lassen sich aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv für Forschung und Medien, für Ausstellungen, Museen und Gedenkstätten neue Themen generieren. Hier zwei Beispiele genannt: Unter dem Titel  „Briefe ohne Unterschrift“ ist ein bislang unentdecktes Kapitel über die Stimmungslage der DDR-Bevölkerung aufgeblättert worden – ein Buch und zwei Museen erzählen die Geschichte von Briefen an die Londoner BBC. Das ARD-Fernseh-Magazin „Fakt“ hat zum 30. Jahrestag der

Friedlichen Revolution sieben "unerzählte Geschichten" jener Zeit recherchiert und als Serie im Politik-Magazin gesendet. Dafür wurden über 80.000 Seiten gelesen, über 500 Fotos ausgewertet.

Einen größeren Anteil der Arbeit bei den Forschungsanträgen nahmen in den letzten zwei Jahren die Recherchen für die 14 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbünde zur SED-Diktatur ein. So zum Beispiel der Forschungsverbund "Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich" unter Federführung der Ruhr-Universität Bochum.

Zudem ist unser eigener Forschungsbereich im Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“ aktiv, ein Forschungsverbund zur Erfassung und Analyse der politischen Repression in der DDR.

Unsere Forschungspublikationen aus den letzten zwei Jahren treiben die Ansätze unserer quellenkundlichen Forschung voran und sind ein wichtiger Service für die Forschungslandschaft insgesamt. Exemplarisch genannt seien das Archiv-Spezial-Inventar zu Kulturgutverlusten (sprich staatlicher Diebstahl von Kulturgütern in der DDR) und „Der Blick der Staatssicherheit“, eine Edition zu den Fotos der Stasi.

Der Wert der historischen Orte wurde besonders zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution im Jahr 2019 deutlich.

So war die „Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie“ einer von sieben Orten in Berlin, die an sieben Tagen die Erinnerung an den Herbst 1989 wachriefen. Tausende kamen aufs Gelände, besuchten das Archiv, die Ausstellungen und Veranstaltungen.

Gerade das Areal der ehemaligen Stasi-Zentrale wie auch die ehemaligen Stasi-Dienststellen in den Regionen lassen das Spannungsfeld von Diktatur und Demokratie spürbar werden. Es sind historische Orte der Repression und der Revolution, an denen Diktatur - und Demokratiegeschichte gleichzeitig erzählt werden können.

Eines meiner persönlichen Highlights des letzten Jahres war das vierwöchige Film-Festival Campus-Kino. Über vier Wochen haben wir am historischen Ort „Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie“ besonders lebendig das Archiv und die Ergebnisse seiner Nutzung präsentieren können.

In den zehn Jahren meiner Amtszeit habe ich mich stets von dem Gedanken leiten lassen: Den Opfern der SED-Diktatur gerecht werden und gleichzeitig eine Brücke zu den nächsten Generationen bauen.

Aber auch die digitale Begegnung mit dem Archiv ist weiter gewachsen. Die Datenbank DDR-im-Blick, die Stasi-Mediathek und unserer Homepage, aber auch unsere sozialen Medien-Kanäle, der Podcast zum Archiv und die digitalen Findmittel bilden ein stets wachsendes Grundgerüst, das Zehntausende animiert, sich mit dem Archiv und den Akten zu beschäftigen und ihre eigenen Geschichten zu erzählen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

In den zehn Jahren meiner Amtszeit habe ich mich stets von dem Gedanken leiten lassen:

Den Opfern der SED-Diktatur gerecht werden und gleichzeitig eine Brücke zu den nächsten Generationen bauen.

In diesem Sinne freue ich mich besonders, dass der Bundestag diesen Weg bestätigt hat und die Weichen für eine langfristige Zukunft der Aufklärung über Diktatur und Widerstand gestellt. hat. Das ist ein gutes Gefühl nach zehn Jahren Amtszeit. Und dafür bin ich dankbar.

Denn: Meine Erkenntnis ist, die Stasi-Unterlagen können unserer heutigen Gesellschaft einen großen Dienst erweisen. Es geht nicht nur um Vergangenheit. Im Stasi-Unterlagen-Archiv steckt enorm viel Stoff für die Gestaltung von Demokratie, für die Sensibilisierung der Werte von Freiheit und Menschenrechten.

Denn darum geht es: Damals, heute und auch in Zukunft!

Ich danke für Ihr Interesse.