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"Neues schaffen, um den Kern des Alten zu bewahren"

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich begrüße Sie zur Vorstellung des 13. Tätigkeitsberichtes des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, den ich vor gut einer Stunde dem Präsidenten des Deutschen Bundestags Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben habe.

Der Zeitraum des Tätigkeitsberichtes, die letzten zwei Jahre, waren stark geprägt von der Diskussion um die Zukunft des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen. Im Wesentlichen ging es dabei um die Frage: Arbeitet die Stasi-Unterlagen-Behörde als zeitlich begrenzte Einrichtung weiter auf Abruf? Oder kann es neue Strukturen geben, die langfristig und ohne zeitliche Begrenzung den Erhalt und den Zugang zu den Stasi-Unterlagen sowie die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur besser und zeitgemäßer ermöglichen?

Der Deutsche Bundestag hat seine Antwort gegeben. In einem Beschluss vom 7. Juni letzten Jahres heißt es: "Es gilt zukunftsfähige und stabile Strukturen zu erarbeiten". Als Grundlage dafür wurde festgelegt: Der Gesamtbestand des Stasi-Unterlagen-Archivs bleibt erhalten, und es gibt keine Verschlechterung bei Aktenzugang und Akteneinsicht.

Die Stasi-Unterlagen haben also eine Zukunft, und zwar eine dauerhafte. Damit wurde ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen gesetzt. Die Stasi-Unterlagen sind ein Teil des "Gedächtnisses der Nation" geworden. Diese neue Grundlage bestimmte im letzten Jahr viele unserer Aktivitäten. Das Motto heißt:

Neues schaffen, um den Kern des Alten zu bewahren.

Repression, Revolution und Aufklärung, dieser Dreiklang, den die Stasi-Unterlagen repräsentieren, er braucht neue und vor allem zukunftsfähige Strukturen, geeignete Orte und zeitgemäße Vermittlung. Das verlangt unter anderem Modernisierung und Investitionen in Digitalisierung und archivgerechte Bauten.

Den Transformationsprozess, so will es der Bundestag, soll der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen aus dem Amt heraus einleiten. Dazu gehört u.a., dass wir gemeinsam mit dem Bundesarchiv ein belastbares Konzept erarbeiten, in dem die dauerhafte Sicherung des Stasi-Unterlagen-Archivs unter dem Dach des Bundesarchivs erfolgen soll. Aber auch die Forschung, die Bildung und die regionalen Standorte sind Teil des Transformationsprozesses.

In den letzten zwei Jahren habe ich zielgerichtet Gespräche in den östlichen Bundesländen mit den Regierungen, aber auch mit Vertreten der Zivilgesellschaft über die Zukunft der Arbeit mit den Stasi-Unterlagen geführt. Fazit: Auch in Zukunft sollen die Stasi-Akten in der Verwaltung des Bundes in den östlichen Regionen verankert bleiben.

Dort sind die Akten von der Stasi angelegt worden, dort wurden sie mit der Friedlichen Revolution erobert, dort sollen sie in Zukunft weiter genutzt werden. Mehr als die Hälfte der 111 Kilometer Stasi-Akten ist derzeit auf zwölf Archiv-Standorte in den östlichen Ländern verteilt. Keiner dieser Standorte ist geeignet für die dauerhafte Nutzung und erfüllt alle Kriterien für archivgerechte Lagerung.

Wie sich diese Orte weiterentwickeln, hängt von den Optionen für zukünftige, geeignete, archivgerechte Standorte ab. Zu den Entwicklungskriterien gehört es auch, die Stasi-Unterlagen in die in den letzten 20 Jahren entstandene Gedenkstättenlandschaft der jeweiligen Länder einzubinden. In Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben wir gemeinsam mit den Landesregierungen und den Kommunen erste Überlegungen zur Integration der regionalen Stasi-Unterlagen in die Gedenkstättenlandschaft angestellt.

Für konkretere Umsetzungen ist es notwendig, mögliche Liegenschaften auf ihre Eignung zu prüfen. Damit haben wir begonnen. Zum Beispiel in Leipzig, wo sich die Stadt und das Land am Standort der ehemaligen Bezirksverwaltung der Stasi, der sogenannten Runden Ecke, das Stasi-Unterlagen-Archiv und den Gedenkort - und Erinnerungsort in einem gemeinsamen Konzept vorstellen können. Erste Pläne für einen Umbau hat die Stadt bereits bekannt gemacht. Auf diese Art kann ein effizientes Zusammenwirken des Engagements des Bundes mit den Interessen der Kommunen und Länder erfolgen.

Als Teil des Transformationsprozesses haben wir unsere Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv intensiviert. Wir haben viele Herausforderungen, die wir gemeinsam effektiver lösen können: Digitalisierung der Aktenbestände, gemeinsame Datenbanken, Personalentwicklung, Entwicklung der Liegenschaften usw. Hier sind die Ansatzpunkte für das gemeinsame Konzept, das wir erarbeiten.

Konkret heißt dies auch, gemeinsam Bauprojekte vorantreiben. Zum Beispiel: Die DDR-Bestände des Bundesarchives sollten direkt neben dem Stasi-Unterlagen-Archiv in Berlin-Lichtenberg untergebracht werden. Damit wird dem Platzbedarf des Bundesarchivs entsprochen. Es entstehen gemeinsame Werkstätten, gemeinsame Lesesäle. Synergien gerade für die Nutzer sind möglich: Forscher, Wissenschaftler, Journalisten, alle können so an einem Ort den gesamten Bestand der DDR-Akten, die in Bundesverwaltung sind, nutzen. Dazu gehören auch die Bestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen (der SAPMO) und ihrer Bibliothek.

Damit entsprechen wir ebenfalls dem Auftrag des Bundestages zur Fortentwicklung des Geländes der ehemaligen Stasi-Zentrale als "Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand". Im Juni 2016 wurde hier die Open-Air-Dauerausstellung "Revolution und Mauerfall" der Robert-Havemann-Gesellschaft eröffnet. Das 2015 durch die Bundesrepublik gekaufte "Haus 22", das ehemalige Offizierskasino der Stasi dient als gemeinsamer Informationspunkt von BStU und Havemann-Gesellschaft.

Die Weiterentwicklung des Geländes als Ort der Aufklärung zu einem "Campus für Demokratie" konzentriert sich auf die Idee, hier gemeinsam mit anderen Partnern Diskussionen im Spannungsfeld zwischen Diktatur und Demokratie zu führen. Besonders am historischen Ort der Stasi-Zentrale in Berlin, aber auch in der Region haben wir Veranstaltungs-Formate und Führungen etabliert, die das Stasi-Unterlagen-Archiv mit seinem besonderen Charakter weiter profilieren. Unsere Bildungsangebote sind neu ausgerichtet. Projekttage für Schüler mit Stasi-Akten am historischen Ort sind ein erfolgreiches Mittel, Geschichte konkret und erlebbar zu vermitteln.

Aber natürlich ist das Stasi-Unterlagen-Archiv nach wie vor und vor allem eine wichtige Einrichtung für Menschen, die in der DDR Unrecht erlebt haben. Auch 27 Jahre nach dem Ende der DDR ist für jeden einzelnen der Antrag auf persönliche Akteneinsicht, ein besonderer Schritt. Die eigene Lebensgeschichte neu zu erfahren, das ist nicht selten ein großer Einschnitt.

Die Option zur persönlichen Akteneinsicht wird es dauerhaft geben, auch das hat der Bundestag in seinem Beschluss deutlich gemacht. Und Tausende von Bürgerinnen und Bürgern haben die Akteneinsicht auch im Zeitraum des Tätigkeitsberichtes genutzt. 2015 waren das über 62.000 Anträge und 2016 gute 48.000 Anträge.

Den Opfern der SED-Diktatur gerecht werden, das ist auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe unserer Arbeit.

Viele Menschen schauen nämlich erst spät in ihre Akten, zum Beispiel wenn sie in den Ruhestand gehen. Nicht wenige haben Fehlzeiten bei der Rentenberechnung, weil sie politisch verfolgt wurden. Da können die Stasi-Akten helfen, Beweise zur Rehabilitierung vorzulegen. Doch wer erst nach 2019 die notwendigen Dokumente in den Akten findet, ginge nach jetzigem Stand leer aus. Denn die Antragsfrist für die Rehabilitierung läuft Ende 2019 aus. Hier ist ein Fehler im System, der politisch korrigiert werden muss. Hier ist der Bundestag gefragt. Die Frist für Anträge zur Rehabilitierung muss aufgehoben werden. Aufarbeitung von Unrecht darf kein Verfallsdatum haben.

Die Verwendung der Akten zur Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, aber auch von politischen Funktionsträgern wurde im Berichtszeitraum entsprechend des konkreten Bedarfs, zum Beispiel nach Wahlterminen, nachgefragt. 2015 waren es insgesamt gut 3.000 Ersuchen und 2016 gut die Hälfte, also 1.600 Ersuchen. Aber dass jeder Einzelfall zählt, hat die Berliner Diskussion um die Besetzung des Postens eines Staatssekretärs gezeigt. Es war bemerkenswert, dass im Jahre 2016 eine Tätigkeit für die Stasi noch so viel gesellschaftlichen Diskussionsstoff bietet.

Zum Transformationsprozess gehört es außerdem, die Bedingungen für die Forschung zu den Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur weiterzuentwickeln. Die Forschung beim BStU hat in den vergangenen zwei Jahren durch eine Reihe an Publikationen zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Wirken der Stasi beigetragen. Herausheben möchte ich stellvertretend ein gemeinsames Projekt mit der unabhängigen Historikerkommission beim BND, das in 2016 seinen Abschluss gefunden hat. Der "Geheimdienstkrieg in Deutschland" beschreibt eine Episode zur Konfrontation von Stasi und der Gruppe Gehlen, dem Vorläufer des BND, aus dem Jahre 1953.

Aber auch externe Forscher haben das Archiv genutzt. So ist mit Hilfe der Stasi-Akten die preisgekrönte Studie "Auftrag: Menschenraub" über die Entführungen der Stasi in den 50er und 60er Jahren erschienen. Die Publikation der ersten umfassenden Untersuchung über das zentrale Untersuchungsgefängnis des MfS in Berlin-Hohenschönhausen ist eine wichtige Unterstützung für die Gedenkstättenarbeit. Über 2.600 Anträge aus Forschung und Medien sind in den beiden Jahren gestellt worden. Die Ergebnisse sind in eine Vielzahl an Studien, Doktorarbeiten, Spielfilmen und Dokumentationen, aber auch Zeitungsartikeln und Buchpublikationen eingeflossen.

Wie sieht die Zukunft der Forschung aus? Ich freue mich, dass der Deutsche Bundestag 30 Millionen Euro für einen Forschungsverbund zum Thema "SED-Unrecht" bewilligt hat. Ziel ist es für die zeitgeschichtliche Forschung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine neue Struktur zu schaffen. Dies ist ein guter Schritt hin zu einer Gesamtbetrachtung der SED-Diktatur, weg von der Fixierung auf die Stasi und auch hin zur besseren Verbindung von Forschung und Lehre an den Universitäten. Wir wollen die Kompetenz und das Wissen unserer Forscherinnen und Forscher in diesen Verbund einbringen.

Wie schon in den letzten Tätigkeitsberichten dargestellt, möchte ich zum Schluss auch auf unsere internationale Wirkung verweisen: In vielen postdiktatorischen Gesellschaften der Welt wird die Arbeit des Bundesbeauftragten, der Umgang mit den Akten einer Geheimpolizei in Deutschland, als ein Modell für die Aufarbeitung von Diktatur und ihren Folgen gesehen. Das ist bei Dutzenden internationaler Besuche im Stasi-Unterlagen-Archiv, aber auch bei meinen Aufenthalten im Ausland in den letzten zwei Jahren wieder deutlich geworden. Gerade der Blick von außen bestärkt mich immer wieder in den Grundgedanken unserer Arbeit:

Den Opfern gerecht werden, und gleichzeitig eine Brücke zur nächsten Generation schlagen.
Aufklären über Ursachen und Folgen von Unrecht und das Bewusstsein für Demokratie und Menschenrechte stärken.

Ich bin nach sechs Jahren im Amt des Bundesbeauftragten mehr denn je der Überzeugung, dass die Stasi-Unterlagen der Demokratie einen großen Dienst erweisen können. Denn es geht in der Beschäftigung mit den Stasi-Unterlagen nicht nur um die Vergangenheit, sondern um grundsätzliche und aktuelle Fragen im Spannungsfeld von Diktatur und Demokratie.

Und vor allem geht es um Menschenrechte, damals und auch heute.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf Ihre Fragen.