Im Zuge ihrer Ermittlungen wurde die Stasi auf einen jungen Tierpfleger aufmerksam. In enger Zusammenarbeit mit der Volkspolizei ergriff sie verschiedene Maßnahmen, um den Verdächtigen zu überführen.

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Stasi und Volkspolizei ermitteln

Die Ermittlungen fielen in den Zuständigkeitsbereich der MfS-Kreisdienststelle (KD) Lichtenberg, die sich direkt neben dem Tierpark befand. Das MfS koordinierte sein Vorgehen eng mit der Abteilung VE (Volkseigentum) im Präsidium der Volkspolizei. Wie ein im Stasi-Unterlagen-Archiv überlieferter Bericht zu einer Besprechung zwischen MfS und Volkspolizei (VP) zeigt, hatte die Geheimpolizei dabei das Sagen.

„Die Kreisdienststelle Lichtenberg ist verantwortlich für die Sicherheit des Tierparks, um diesen entsprechend seiner politischen Bedeutung vor Anschlägen des Gegners zu schützen.“

Abteilung IX der Verwaltung Groß-Berlin
BArch, MfS, AOP, Nr. 17683/62, Bd. 2, Bl. 109

Verdacht der "Schädlingstätigkeit"

In einem ersten Bericht von April 1959 bezeichnete die KD Lichtenberg die Vorfälle als "Schädlingstätigkeit" gegen einen der "größten kulturellen Erfolge[n]" der DDR und "eines der größten NAW-Projekte Berlins". "Schädlingstätigkeit und Sabotage" zählten gemäß § 23 Strafergänzungsgesetz vom 11. Dezember 1957 zu den Staatsverbrechen und wurden besonders schwer bestraft.

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Wer mit dem Ziele, die Tätigkeit der staatlichen Organe oder die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik zu untergraben oder den Aufbau des Sozialismus zu stören, es unternimmt, staatliche oder genossenschaftliche Einrichtungen oder Betriebe in ihrer geordneten Tätigkeit zu behindern, wird mit Zuchthaus bestraft.“

§ 23 Strafergänzungsgesetz
Fassung vom 11. Dezember 1957

Durch Beobachtungen, Postüberwachung und den Einsatz von GI versuchten MfS und VP, den Verantwortlichen für die Tiervergiftungen zu ermitteln. Außerdem nahm die KD Lichtenberg Kontakt zu den MfS-Bezirksverwaltungen und VP-Dienststellen in anderen DDR-Bezirken auf. Denn auch in den Zoos Leipzig und Dresden sowie in kleinerem Ausmaß in Erfurt und Rostock traten ähnliche Vergiftungsfälle auf.

Personalbewegungen zwischen diesen Zoos und dem Tierpark Berlin waren für das MfS daher ebenso interessant wie die DDR-weiten Kontakte der Tierpfleger. Die KD Lichtenberg wendete sich außerdem an die MfS-Abteilung X (Internationale Verbindungen). Diese erhielt den Auftrag, sich bei den Zoos in den sozialistischen Staaten nach ähnlichen Fällen zu erkundigen.

Ein Tierpfleger gerät ins Visier

Im Zuge seiner Ermittlungen schloss das MfS aufgrund stichhaltiger Alibis und fehlender Motive immer mehr Verdächtige aus. Gegen einen Tierpark-Mitarbeiter aber häuften sich die Indizien, sodass die Geheimpolizei ihn schon bald zum Hauptverdächtigen erklärte: den 24-jährigen Günther Rabe (Name geändert), der ab 1. September 1955 als Tier-, später als Oberpfleger im Tierpark arbeitete.

Die Stasi informierte Tierpark-Direktor Dathe über die Ermittlungen und ihren Verdacht gegen Rabe. Dabei verfolgte sie eine klare Strategie: Über Dathe erhielt der Tierpfleger den Auftrag, alle Auffälligkeiten bezüglich der Tiervergiftungen der VP zu melden. Außerdem sicherte das MfS ihm sein Vertrauen zu. So sollte sich Rabe in Sicherheit wiegen und leichtfertig einen Fehler begehen, der zu seiner Überführung führen würde.

Am 12. Oktober 1959 entdeckte die Stasi bei einer Durchsuchung von Rabes Dienstzimmer mehrere verdächtige Gegenstände: Briefe von Tierhändlern aus Westdeutschland und der ČSSR, ein Notizbuch, Tabletten, eine rosa Paste und eine Flasche mit der Aufschrift "Jacutin". Das MfS schickte Proben an die Technische Untersuchungsstelle (TU) der Abteilung K (Entwicklung operativ-technischer Mittel). Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Tabletten um harmlose Präparate gegen Kalkmangelerscheinungen, bei der rosa Paste um Kinderzahnpasta. Dem Inhalt der Jacutin-Flasche aber wies die TU tatsächlich eine giftige Wirkung nach.

Die Falle schnappt zu

Um den Verdacht gegen Rabe zu erhärten, griff die Geheimpolizei zu einer List: Sie versetzte die Jacutin-Flasche im Dienstzimmer des Tierpflegers mit einem Fallenmittel. Anhand von Spuren in den Organen verendeter Tiere wollte das MfS nachweisen können, dass sie mit Rabes Jacutin vergiftet wurden. In den darauffolgenden Wochen stellte das MfS bei der Untersuchung neuer Todesfälle tatsächlich das Fallenmittel fest. Außerdem hatte sich der Füllstand der Jacutin-Flasche seit der letzten Überprüfung verringert. Damit sah die Geheimpolizei ihren Verdacht bestätigt. Am 6. November 1959 legte sie den Operativen Vorgang (OV) "Kulan" an – benannt nach einem Asiatischen Esel, der kurz zuvor verendet war.

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Um ganz sicher zu gehen, versetzte das MfS die Jacutin-Flasche am 13. November mit einem zweiten Fallenmittel. Zusätzlich präparierte es die Außenflächen der Flasche damit. Bei einer vier Tage später erfolgten Kontrolle stellte die TU Spuren des Fallenmittels am Verschluss der Flasche fest – der Beweis, dass diese genutzt wurde.

  1. III. Vorwurf: Sabotage – Ermittlungen gegen einen Tierpfleger
  2. Verhaftet, entlassen, angeworben