Die SED ging immer weiter auf Distanz zur Sowjetunion und schuf damit für viele Stasi-Offiziere ein Problem - sahen sie sich doch als "Tschekisten" in der Tradition der sowjetischen Geheimpolizisten.

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Das Bild zeigt Erich Mielke an einem Mikrofon mit erhobener rechter Faust.

SED geht auf Distanz zur sowjetischen "Bruderpartei"

Fast alle MfS-Angehörigen waren SED-Mitglieder. Ihre Parteiführung aber war in den vorangegangenen Monaten auf Distanz zur sowjetischen "Bruderpartei" gegangen. Das schuf gerade für die Stasi-Offiziere eine höchst problematische Situation, weil sie ein besonders enges Verhältnis zu den "Freunden" pflegten, sich sogar - nach sowjetischem Vorbild - selbst als "Tschekisten" bezeichneten.

Die DDR-Geheimpolizei legitimierte sich über eine spezifische Ausformung der marxistisch-leninistischen Ideologie, dem"Tschekismus". Das MfS berief sich auf die 1917 von den Bolschewiki gegründete sowjetische Geheimpolizei Tscheka. Daraus leitete die Stasi einen Katalog von Funktionen, Selbstzuschreibungen und Verhaltensmaßgaben für die Mitarbeiter ab.

Sputnik-Verbot erzürnt sogar MfS-Offiziere

Gerade SED-Mitglieder waren über eine demonstrative Maßnahme erbost, die im November 1988 wahrscheinlich auf Weisung Honeckers ergriffen worden war: Man hatte die (deutschsprachige) sowjetische Zeitschrift "Sputnik" verboten. Dagegen gab es Hunderte von Protestschreiben, die aus allen Teilen der Republik beim SED-Zentralkomitee eintrafen, darunter sogar von einzelnen MfS-Offizieren. Einen Bericht darüber, wie mit ihnen verfahren worden ist, legte im Januar 1989 die Kontrollkommission der SED vor, die im Ministerium für Staatssicherheit auf die Parteidisziplin zu achten hatte. Interessant an diesem Bericht sind nicht so sehr die Protestschreiben selbst, es waren doch relativ wenige, als vielmehr, wie glimpflich die "Übeltäter" davongekommen sind. Sie hatten - wie dieser Bericht zeigt - Rückendeckung in ihrem beruflichen Umfeld.

Ausschnitt vom Titelbild des Sputnik-Sonderhefts aus dem Oktober 1989

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Parteikontrollkommission will Parteidiszplin wiederherstellen

Um die Parteidisziplin im Ministerium zu festigen, fand Anfang Februar eine "Arbeitsberatung" mit den zuständigen SED-Funktionären statt, die alle zugleich hauptberufliche Stasi-Offiziere waren. Der stellvertretende Vorsitzende, Werner Müller, der zentralen SED-Parteikontrollkommission hielt dort eine geharnischte Rede. Er berichtet über die steigende Zahl von Parteiverfahren, die 1988 in der SED durchgeführt worden sind.

„Unter den neuen Bedingungen haben wir diejenigen, die uns angreifen, noch entschlossener aus der Partei zu entfernen. Es geht um solche Kräfte, die glauben, die ganze SED oder einzelne Grundorganisationen reformieren zu können.“

Werner Müller
Stellvertretender Vorsitzende der zentralen SED-Parteikontrollkommission

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Zweifel an der Weisheit der Parteiführung

Seitdem SED-Generalsekretär Erich Honecker auf der 7. Tagung des Zentralkomitees der SED im Dezember 1988  der Partei einen scharfen Abgrenzungskurs von der sowjetischen Reformpolitik verordnet hatte, kam es innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit zu verhaltenem Unmut.

Der Frage, warum selbst im MfS die Bereitschaft zu bedingungsloser Unterordnung geringer wurde und erste Zweifel an der Weisheit der Parteiführung laut wurden, ging die Parteikontrollkommission in ihrem Bericht vom Februar nach. Darin wurden zum einen die "Einheit und Geschlossenheit der Partei" beschworen, zum anderen aber auch mögliche Ursachen für nachlassende Disziplin und "ideologische Abweichungen" benannt.

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  1. Januar 1989
  2. März 1989