Bürgerrechtsgruppen richten sich an die Öffentlichkeit
Bürgerrechtsgruppen hatte es in der DDR selbstverständlich schon vor dem Spätsommer 1989 gegeben. Eine Übersicht, die die Stasi im Mai fertig gestellt hatte, zählte in der gesamten DDR 160 Gruppen auf, die zu einem erheblichen Teil schon seit Jahren existierten (siehe Dokument vom 23.5.1989). Diese Gruppen beschränkten sich allerdings in der Regel auf bestimmte Themen (Frieden, Ökologie, Gleichberechtigung der Frauen usw.) und ihre Mitglieder lehnten es ab, sich selbst als "Dissidenten" oder "Oppositionelle" zu bezeichnen. Das hatte vor allem taktische Gründe, weil sie die Diktatur nicht zu sehr herausfordern wollten. Auf der Gegenseite hat die Staatssicherheit die Gruppen genau beobachtet, mit Inoffiziellen Mitarbeitern infiltriert, einzuschüchtern und zu zersetzen versucht. Aber sie mit offen repressiven Mitteln zu zerschlagen und die Aktivisten einzusperren, war ihr nicht möglich. Weil das als "politische" (nicht als rechtliche) Frage galt, hätte die Stasi dazu vorab eine Erlaubnis von SED-Generalsekretär Erich Honecker benötigt. Der aber zögerte, weil er einen Ansehensverlust im westlichen Ausland fürchtete.
Durch die Fluchtwelle über Ungarn und die Unruhe, die sie in der DDR auslöste, änderte sich die Konstellation grundlegend (siehe August 1989). Viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler kamen in diesen Wochen zu der Überzeugung, es sei an der Zeit, sich zu Wort zu melden und eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen. Einen wichtigen Beitrag leisteten dabei auch die evangelischen Kirchen, in deren Schutzraum die meisten Gruppen in der Zeit zuvor aktiv gewesen waren. Die Kirchenleitung forderte in einem Brief an Honecker, der in den Gemeinden verlesen wurde, einen offenen Dialog über die Ursachen der Fluchtwelle. Die Staatssicherheit war deshalb stark beunruhigt: