Die blutige Unterdrückung der chinesischen Demokratiebewegung am 4. Juni auf dem Platz des himmlischen Friedens rief in der DDR eine Welle der Solidarität hervor. Die Hauptabteilung XX der Stasi beobachtete dies ganz genau.

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Eine Personengruppe sitzt auf einem Bürgersteig direkt vor einem Zaun. Sie werden umringt von Volkspolizisten sowie einigen steif wirkenden Herren in ordentlichem Zivil. Das farbige Lichtbild wurde manuell rekonstruiert, in der Mitte ist der vertikale Riss sichtbar.

In den Sommermonaten 1989 zog das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) eine Art Zwischenbilanz des Entwicklungsstandes der Bürgerrechtsbewegung  - vor dem Ausbruch der revolutionären Krise. Zu diesem Zeitpunkt meinte die Stasi, die Opposition unter Kontrolle halten zu können.

Überblick über die Opposition

Um sich einen konkreten Überblick zum Ausmaß politischer Opposition in der DDR zu verschaffen, hatte die MfS-Führung bereits Ende des Jahres 1988 ihre Bezirksverwaltungen angewiesen, über "politische Untergrundtätigkeit" im Verantwortungsbereich zu berichten. Im Mai 1989 lagen die Ergebnisse vor. Sie wurden zu einem Konvolut mit dem Titel "Auskünfte zu Personenzusammenschlüssen" zusammengefasst. Die wichtigsten Ergebnisse wurden in einer "Information" zusammengefasst.

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Ging es bei der "Information" vom Mai 1989 um eine Bestandsaufnahme, so werden in dem folgenden Schreiben des Ministers für Staatssicherheit oppositionelle Aktivitäten in den vorangegangenen Tagen geschildert. Vor allem aber wird darin die zunehmende Dynamik oppositioneller Entwicklung angesprochen, die durch die Reformprozesse in anderen staatssozialistischen Ländern inspiriert wurden.

Mielke konstatierte in diesem Schreiben "eine erhebliche Zunahme … provokatorisch-demonstrativer Handlungen" in den vorangegangenen Wochen. Interessant daran ist vor allem, dass er eine enge Verbindung zwischen den politischen Entwicklungen in den reformorientierten sozialistischen Staaten Polen, Ungarn und Sowjetunion und der innergesellschaftlichen Opposition herstellte.

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Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig führte im gleichen Monat eine Dienstbesprechung mit den für politische Repression unmittelbar zuständigen Leitern der Abteilungen XX in den Stasi-Bezirksverwaltungen (BV) durch. Dabei ging er auf die Methoden ein, mit denen die demokratische Bewegung unter Kontrolle gehalten werden soll. Mittigs Rede gibt deshalb Aufschluss darüber, wie die Staatssicherheit auf die kommenden Ereignisse konzeptionell vorbereitet war.

Durch Kooperation mit der SED, anderen Teilen des Staatsapparates und den "Blockparteien" (vor allem der CDU der DDR), durch den Einsatz inoffizieller Mitarbeiter (IM) und durch das Ordnungsstrafrecht, also die Verhängung von Geldstrafen sollte die Staatssicherheit die Oberhand über Bürgerrechtler und Oppositionelle behalten. Dass all das bisher wenig gefruchtet hat, wird vom Redner zumindest angedeutet.

Rudi Mittig

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Das Massaker auf dem "Platz des himmlischen Friedens"

Aus der Sicht der Bürgerrechtsbewegung stellte die blutige Unterdrückung der chinesischen Demokratiebewegung in diesem Monat eine Zäsur dar. Am 4. Juni hatte in Beijing auf dem "Platz des himmlischen Friedens" ein regelrechtes Massaker mit hunderten von Toten unter den Demonstranten stattgefunden. Solidarität mit den Gleichgesinnten im Reich der Mitte war von nun an ein wichtiges Thema für die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler in der DDR. Noch am gleichen Tag kam es deshalb zu ersten Aktionen vor der Botschaft der Volksrepublik China in Ost-Berlin, die von der Hauptabteilung XX genau beobachtet wurden.

Das Farbbild zeigt eine Luftaufnahme der chinesischen Botschaft in Berlin-Pankow.

Am 4. Juni 1989 kam es in Beijing zu einem Massaker an friedlichen Demonstranten. Die versteckte Drohung mit einer "chinesischen Lösung" der Krise in der DDR gehörte von nun an zum Propaganda-Repertoire des SED-Regimes.

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Die SED-Führung fühlte sich durch die Repression in China in ihrer eigenen starren Position bestätigt. Die Volkskammer, das Scheinparlament der DDR, äußert in einer "Erklärung" Verständnis dafür, dass es notwendig geworden sei, "Ordnung und Sicherheit unter Einsatz bewaffneter Kräfte wieder herzustellen" ("Neues Deutschland" vom 9. Juni 1989). Die versteckte Drohung mit einer "chinesischen Lösung" der Krise in der DDR gehörte von nun an zum Propaganda-Repertoire des SED-Regimes. Deshalb sah die Staatssicherheit die Solidaritätsbekundungen von Oppositionellen besonders kritisch. Stasi-Minister Mielke gab Anweisung, dagegen vorzugehen.

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Der einzige Effekt, der von der Solidarisierung von SED und Sicherheitskräften mit den chinesischen Machthabern ausging, war, dass ihr Ansehen weiter verfiel. Tatsächlich fanden weiterhin Aktionen statt, bei denen sich Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler mit der chinesischen Demokratiebewegung solidarisierten.

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  1. Mai 1989
  2. Juli 1989