Der Bezirk Neubrandenburg war wie die anderen Bezirke im Norden auch kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.

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Das Schwarz-Wei-Bild zeigt die zerstörte Marienkirche in neubrandenburg im Jahr 1952.

Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.

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Versuchte Gefangenenbefreiung in Teterow

Zur einzigen Belagerung eines Gefängnisses im Norden der DDR kam es am Morgen des 17. Juni in Teterow. Mehrere hundert Personen hatten sich vor dem Kreisgericht versammelt, um die Freilassung aller politischen Häftlinge zu verlangen. Als die Staatsorgane tatsächlich drei Gefangene aus taktischen Gründen freiließen, löste sich die Menge weitgehend auf. In der Innenstadt versammelten sich dann erneut kleinere Gruppen aus 20 bis 30 Personen, eine Demonstration formierte sich zunächst nicht. Als aber gegen 18:00 Uhr der Ausnahmezustand verhängt wurde, zogen erneut bis zu 2.000 Demonstranten vor das örtliche Gefängnis in der Warener Straße und forderten den Abzug der sowjetischen Truppen, freie Wahlen, die Freilassung der politischen Gefangenen und Wiedervereinigung.

[Der Text wurde handschriftlich mit einem roten Buntstift auf kariertes Papier geschrieben. Der Handzettel ist knittrig und eingerissen, einige Stellen fehlen oder sind löchrig.]  Wichtig! 17.06.53.  Heute abend 20.00 in Stadt Waren Versammlung Antragstellung auf Freilassung unserer Kollegen  1)  [Stempel: VdgB (BHG) Ortsvereinigung Teterow]

Während die Volkspolizisten vor der Menge zurückwichen, beendete eine Einheit der Roten Armee die Demonstration, indem sie Warnschüsse abgab und damit drohte, scharf in die Menge zu schießen. Noch am selben Abend verhafteten MfS und Polizei 22 Personen, die als Initiatoren der Unruhen galten. Zwei Tage später, am 19. Juni 1953, versammelten sich vor der Haftanstalt in Teterow erneut Menschen, um die Freilassung politischer Häftlinge zu erwirken. Die Polizei nahm weitere 19 Menschen fest.

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Aufmüpfiger Brigadier der Bau-Union in Torgelow

Die Ereignisse des 16. und 17. Juni zeigten, dass die Parteiorganisationen nicht in der Lage waren, ihre Mitglieder zu einer "entschlossenen Abwehr der Provokateure zu mobilisieren". Auf einer Belegschaftsversammlung der Bau-Union Nord-Ost Torgelow hielt ein Genosse der IG Bauholz ein Referat. In der anschließenden Diskussion trat ein Brigadier auf und legte seine Gedanken zu den Ereignissen, die zur Zuspitzung der Lage 1953 führten, dar. Im August wurde er wegen "Boykotthetze" verhaftet. Die weiteren Konsequenzen für den Brigadier und auch das Gerichtsurteil über zehn Jahre Zuchthaus sind in den Unterlagen der Staatssicherheit dokumentiert.

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Arbeitsniederlegung auf der Großbaustelle Groß Dölln

Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten Forderungen auf.

Drei Beispiele aus den Stasi-Unterlagen belegen, wie der Staat DDR mit sogenannten "Rädelsführern" oder mit Arbeitern umging, die sich an der Demonstration auf der Großbaustelle des Flugplatzes beteiligten.

„Wir wollen die Einheit Deutschlands, Beseitigung der Zonengrenzen. 40-prozentige Senkung der HO-Preise. Freie und geheime Wahlen. Herabsetzung der Normen. Wo ist die Regierung. Warum lässt sich die Regierung nicht sehen. Was macht Wilhelm Pieck in der Schweiz, wo ist Wilhelm Pieck.“

Forderungen der Arbeiter
aus dem Untersuchungsvorgang der Staatssicherheit

Drei Elektromonteure wurden zu je vier Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie sich an Arbeitsniederlegungen auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln während des Volksaufstandes beteiligt hatten.

Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.

Ein Autolackierer wurde inhaftiert, weil er beschuldigt wurde einen Parteisekretär "vom Tisch gestossen" zu haben. Im Abschlussbericht zum Untersuchungsvorgang gegen den Arbeiter forderte der Verfasser, Leutnant Bonitz, eine harte Strafe.

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Literatur

Publikation

Die DDR im Blick der Stasi 1953

Die geheimen Berichte an die SED-Führung

1953: Im Juni löste der Volksaufstand in der Stasi eine intensive Stimmungs- und Lageberichterstattung aus, die innerhalb von wenigen Wochen in ein geregeltes Informationswesen mit festen Strukturen und einem vorgegebenen Berichtskanon mündete.

Publikation

17. Juni 1953: Volksaufstand in der DDR

Ursachen – Abläufe – Folgen

Im Buch wird anschaulich auf der Grundlage umfangreicher Quellenüberlieferungen die gesamte Breite des Volksaufstandes vom 17. Juni geschildert. In Fallstudien rekonstruiert der Autor die Geschehnisse in sämtlichen Regionen der DDR.

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