Stalins Tod und der "Neue Kurs"
Im März 1953 geschah dann das Unerwartete. In Moskau starb der als "genialer Lehrer und Führer" und "Vater der Völker" gefeierte "Generalissimus Stalin". Der neuen sowjetischen Führung nach Stalin war es durchaus bewusst, dass in der DDR die Gefahr einer inneren Katastrophe bestand und das System ohne die Anwesenheit sowjetischer Truppen nicht zu halten war. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Geduld der Bevölkerung der DDR waren erschöpft. Vor allem das Ansteigen der Fluchtbewegung veranlasste Moskau schließlich zum Eingreifen. Allein im März 1953 flüchteten knapp 31.000 Menschen aus der DDR.
Anfang Juni 1953 befahl die Führung der KPdSU die SED-Oberen unter Walter Ulbricht zu sich nach Moskau. Sie erhielten die Weisung, die Zügel zu lockern. Am 9. Juni verkündete daraufhin das Politbüro der SED in einer Mitteilung einen "Neuen Kurs", der am 11. Juni vom Ministerrat der DDR übernommen und konkretisiert wurde. Mit dem Neuen Kurs sollte der Ausbau der Schwerindustrie zugunsten der Konsumgüterindustrie gedrosselt werden. Die Kollektivierung in der Landwirtschaft sollte verlangsamt, Enteignungen rückgängig gemacht und entsprechende Strafurteile überprüft werden. Der Kirchenkampf wurde beendet.
Diese Zugeständnisse bewirkten keineswegs eine Befriedung der Gesellschaft. Im Gegenteil, sie wurden von vielen als Wanken, Nachgeben und Schwäche des Systems interpretiert. In Festen auf dem Lande wurde gelegentlich schon die Befreiung von der SED-Herrschaft gefeiert. Bauern tranken dabei auf das Wohl des westdeutschen Kanzlers Konrad Adenauer. Im Juni verzeichnete die Gewerkschaftsführung nicht nur sozialpolitische Forderungen, sondern auch generelle Kritik an der SED. Die Bevölkerung hoffte auf politische Veränderungen, Rechtssicherheit, demokratische Verhältnisse, bessere Lebensbedingungen und nicht zuletzt die Wiedervereinigung Deutschlands.
In Brandenburg an der Havel demonstrierten schon am 12. Juni 5.000 Menschen vor dem Gefängnis der Stadt, wo sie die Freilassung eines Unternehmers forderten. Bei dieser Gelegenheit forderte die Menge auch freie Wahlen. Staatssicherheit und Regierung unterschätzten alle diese Signale. Sie versäumten vor allem, rechtzeitig einen Punkt zurückzunehmen, der zum Stein des Anstoßes für den Volksaufstand werden sollte: die Normenerhöhungen in der Industrie.