Während der Lebensstandard der Bevölkerung im Westen kontinuierlich anstieg, stagnierte er in der DDR weitgehend. Gleichzeitig betrieb die SED-Führung zielstrebig den Aufbau eines Systems nach stalinistischem Vorbild und brachte damit weite Teile der Gesellschaft gegen sich auf.

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Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt eine Politisceh Losung, die auf einem Sarg angebracht ist: "Freiwillige Normerhöhung Durchschnitt: 9 % Alte Norm Ruhe sanft!"

Seit ihrer Gründung hatte die DDR wiederholt mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Der Lebensstandard stagnierte. Im Frühjahr 1953 sank das Lebensniveau sogar. Eine einseitige Aufbaupolitik gepaart mit einer rasch forcierten Militarisierung belastete die Wirtschaft des Landes, die ohnehin durch die sowjetischen Reparationsforderungen unter Druck stand. Eine Mehrheit der Bevölkerung identifizierte sich nicht mit dem kommunistischen System, das entsprechend auf tönernen Füßen stand. Gleichzeitig betrieb die SED-Führung zielstrebig den Aufbau eines Systems nach stalinistischem Vorbild und brachte damit weite Teile der Gesellschaft gegen sich auf.

Verschärfter Aufbau des Sozialismus

Auf all ihre Schwierigkeiten antwortete die SED gemäß der Losung "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" mit einer noch getreueren Kopie des stalinistischen Vorbildes. Im Juli 1952 beschloss die II. Parteikonferenz der SED den planmäßigen Aufbau des Sozialismus. Selbstständige Bauern sollten gezwungen werden, den neuen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) beizutreten. In der Industrie sollten die noch vorhandenen privaten Unternehmer durch einseitige Steuererhöhungen sowie gezielte Beschränkung von Zulieferungen zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Existenz genötigt werden. In Wirtschaftsstrafverfahren wurden zahlreiche Selbstständige kriminalisiert. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Gefängnisinsassen in der DDR von 31.000 auf über 66.000 an.

DAs Schwarz-Weiß-Bild zeigt eine Kundgebung anlässlich der II. Parteikonferenz der SED 1952. Auf einem großen Banner ist zu lesen: "Wir begrüßen den Beschluß der  II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei deutschlands, planmäßig den Sozialismus in der Deutschen Demokratischen republik aufzubauen!"""

Auf politischem und ideologischem Gebiet verschärfte die Führung den "Klassenkampf" ebenfalls. Die Verhaftung von Politikern aus den Blockparteien CDU und LDPD sollte die Gleichschaltung dieser ehemals bürgerlichen Parteien vorantreiben. Selbst vor der eigenen Partei machte der stalinistische Kurs der SED-Führung nicht Halt. In den als "Umtausch der Parteidokumente" verschleierten Säuberungswellen wurden viele kritische Mitglieder aus der SED ausgeschlossen, unter ihnen vor allem ehemalige Sozialdemokraten.

Die neue Linie erforderte auch Veränderungen im Staatsapparat. Eine Verwaltungsreform führte zu einer verstärkten Zentralisierung, bei der die SED alle Fäden in der Hand hielt. Die DDR-Regierung löste Ende Juli 1952 die bisherigen fünf Länder auf und schuf stattdessen 14 Bezirke. Ost-Berlin hatte zunächst aufgrund alliierter Sondervereinbarung einen Sonderstatus, war aber praktisch ein 15. Bezirk. Bezirkstage und Bezirksräte bildeten nun die obersten Organe der mittleren Verwaltungsebene. Der Rat des Bezirks war Verwaltungsorgan und vollziehende Gewalt zugleich. Die Leitungsfunktion übte der Sekretär des Rates aus, der in allen Bezirken Mitglied der SED war. Die Leitungsfunktion übten der Vorsitzende des Rates und seine Stellvertreter aus. Das eigentliche Machtzentrum im Bezirk war aber die SED-Bezirksleitung mit dem 1. Sekretär an der Spitze. Der Vorsitzende des Bezirksrates war zugleich Mitglied der SED-Bezirksleitung.

Auch das Schul- und Hochschulsystem wurde entsprechend umgestaltet. An den Schulen, Hochschulen und Universitäten musste der "Marxismus-Leninismus" als die einzige Gesellschaftswissenschaft gelehrt werden. Russisch war an allen Schulen Pflichtfach. Auf die evangelische Kirche erhöhte sich der Druck, ihre von SED-Einflüssen unabhängige Jugendarbeit war der SED ein Dorn im Auge. Von Januar bis April 1953 verhaftete das MfS etwa 50 geistliche Laienhelfer und Diakone. Die "Junge Gemeinde" sowie die evangelischen Studentengemeinden, also junge Christen, die sich in christlichen Zirkeln der staatlichen Ideologie widersetzten, waren heftigen Angriffen ausgesetzt. Schüler und Studenten, die sich zu diesen Gruppen offen bekannten, wurden aus den Schulen und Hochschulen verbannt.

Wirtschaftliche Probleme und Versorgungskrise

Die Vorherrschaft der SED beruhte in den 50er Jahren vorrangig auf der Macht der sowjetischen Besatzungstruppen in der DDR. Diese Schwäche im Inneren und strikte sowjetische Weisungen zwangen die Machthaber in den Zeiten des Kalten Krieges zu immer höheren Ausgaben für die Sicherheitsorgane und für eine aufzubauende Armee. Diese Militarisierung der DDR von 1952 an war eine Ursache für die tiefe wirtschaftliche und politische Krise 1953. 1952 flossen elf Prozent des gesamten Staatshaushalts in Rüstung und Unterhalt des Militärs. 1953 waren es noch zehn Prozent des Haushalt. Gemeinsam mit den Reparationszahlungen an die Sowjetunion gingen so 1952 20 Prozent und 1953 noch 16 Prozent des öffentlichen Haushalts dem Aufbau des Landes verloren.

Zehntausende junge Männer, die eigentlich für den Wiederaufbau und in der Industrie gebraucht wurden, leisteten stattdessen Dienst in der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Weil die meisten ehemaligen Kasernen in der DDR von den sowjetischen Truppen genutzt wurden, mussten in diesen Jahren viele neue militärische Stützpunkte für die KVP gebaut werden. Zivile Bauvorhaben lagen, bis auf einige Prestige-Projekte wie die Stalinallee in Berlin, weitgehend brach. Hinzu kam, dass die Aufrüstung durch Einsparungen im sozialen Bereich, in den staatlichen Verwaltungen und der Wirtschaft sowie durch Steuererhöhungen finanziert werden sollte. Die Militarisierung geschah so direkt auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung.

Reparationsforderungen und Militarisierung führten außerdem dazu, dass sich der Aufbau der Wirtschaft zunächst auf die Schwerindustrie, Energiewirtschaft und Chemieindustrie konzentrierte. Während sich dank der Mühen und Entbehrungen der Arbeiter in diesen Bereichen die Produktion schnell wieder dem Vorkriegsniveau annäherte, hinkte die Konsumgüterindustrie der Entwicklung hinterher. Auch die landwirtschaftliche Produktion litt, weil viele Bauern sich dem politischen Druck entzogen hatten und in den Westen geflohen waren. Dadurch entstanden Engpässe bei der Versorgung mit Konsumgütern und Grundnahrungsmitteln.

331.390

Menschen flüchteten im Jahr 1953 aus der DDR. Im darauf folgenden Jahr waren es noch 184.198 Menschen, die der DDR den Rücken kehrten.

Mangelwirtschaft, Unzufriedenheit, Flucht

Fett, Fleisch und Zucker mussten auch weiterhin rationiert werden. Die hohen Preise in den HO-Läden, in denen man zusätzliche Lebensmittel ohne Marken kaufen konnte, erwiesen sich für die meisten Arbeiter als unerschwinglich. 1952 betrug das Durchschnittseinkommen 308 Mark. In den HO-Läden kosteten ein Kilo Zucker 12 Mark, ein Kilo Butter 24 Mark oder ein Kilo Schweinefleisch 15 Mark. Das führte zu einer paradoxen Situation der Arbeiter. Sie mussten in der Schwerindustrie hart arbeiten, um die ehrgeizigen Pläne der politischen Führung für die Produktionssteigerung zu erfüllen, während sie mit dem Lohn ihren Familien nicht einmal eine sichere Versorgung mit dem Nötigsten garantieren konnten. Außerdem belastete eine noch immer zerrüttete Infrastruktur die Bevölkerung, regelmäßige Stromsperren und schlechte Wasserqualität gehörten zum Alltag.

Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung zeigte sich bald in steigenden Flüchtlingszahlen. Immer mehr Menschen verließen die DDR und gingen in den Westen. Gleichzeitig kam es zu offenen innerbetrieblichen Auseinandersetzungen und kleineren Streiks. Doch trotz ihres ausgeklügelten Berichts- und Spitzelsystems erkannten weder Parteiführung noch das MfS darin die Vorzeichen eines Aufstands.

Auf einem kleinen Haufen brennen einige Akten und Papiere. Darunter befindet sich auch ein Stalin-Bild, das soeben Feuer gefangen hat.

Stalins Tod und der "Neue Kurs"

Im März 1953 geschah dann das Unerwartete. In Moskau starb der als "genialer Lehrer und Führer" und "Vater der Völker" gefeierte "Generalissimus Stalin". Der neuen sowjetischen Führung nach Stalin war es durchaus bewusst, dass in der DDR die Gefahr einer inneren Katastrophe bestand und das System ohne die Anwesenheit sowjetischer Truppen nicht zu halten war. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Geduld der Bevölkerung der DDR waren erschöpft. Vor allem das Ansteigen der Fluchtbewegung veranlasste Moskau schließlich zum Eingreifen. Allein im März 1953 flüchteten knapp 31.000 Menschen aus der DDR.

Anfang Juni 1953 befahl die Führung der KPdSU die SED-Oberen unter Walter Ulbricht zu sich nach Moskau. Sie erhielten die Weisung, die Zügel zu lockern. Am 9. Juni verkündete daraufhin das Politbüro der SED in einer Mitteilung einen "Neuen Kurs", der am 11. Juni vom Ministerrat der DDR übernommen und konkretisiert wurde. Mit dem Neuen Kurs sollte der Ausbau der Schwerindustrie zugunsten der Konsumgüterindustrie gedrosselt werden. Die Kollektivierung in der Landwirtschaft sollte verlangsamt, Enteignungen rückgängig gemacht und entsprechende Strafurteile überprüft werden. Der Kirchenkampf wurde beendet.

Diese Zugeständnisse bewirkten keineswegs eine Befriedung der Gesellschaft. Im Gegenteil, sie wurden von vielen als Wanken, Nachgeben und Schwäche des Systems interpretiert. In Festen auf dem Lande wurde gelegentlich schon die Befreiung von der SED-Herrschaft gefeiert. Bauern tranken dabei auf das Wohl des westdeutschen Kanzlers Konrad Adenauer. Im Juni verzeichnete die Gewerkschaftsführung nicht nur sozialpolitische Forderungen, sondern auch generelle Kritik an der SED. Die Bevölkerung hoffte auf politische Veränderungen, Rechtssicherheit, demokratische Verhältnisse, bessere Lebensbedingungen und nicht zuletzt die Wiedervereinigung Deutschlands.

In Brandenburg an der Havel demonstrierten schon am 12. Juni 5.000 Menschen vor dem Gefängnis der Stadt, wo sie die Freilassung eines Unternehmers forderten. Bei dieser Gelegenheit forderte die Menge auch freie Wahlen. Staatssicherheit und Regierung unterschätzten alle diese Signale. Sie versäumten vor allem, rechtzeitig einen Punkt zurückzunehmen, der zum Stein des Anstoßes für den Volksaufstand werden sollte: die Normenerhöhungen in der Industrie.

Normenerhöhungen bringen das Fass zum Überlaufen

Am 14. Mai hatte das ZK der SED beschlossen, die Arbeitsnormen um mindestens 10 Prozent zu erhöhen. Die Arbeiter sollten bei gleichem Lohn 10 Prozent mehr leisten. Die erhöhten Normen führten zu massiven Lohneinbußen von bis zu 25 Prozent. Angesichts des stetig weiter sinkenden Lebensniveaus provozierte diese Entscheidung zahlreiche kleinere Arbeitskämpfe. In der Leipziger Eisen- und Stahlgießerei streikten am 13. und 16. Mai insgesamt 900 Arbeiter. Auch auf Berliner Baustellen und in Betrieben gab es kleinere Streiks. Die Aktionen nahmen zunehmend politischen Charakter an. Am 12. Juni drehten Arbeiter im VEB Perthes in Gotha alle Bilder von Staatsmännern um, so dass deren Gesicht zur Wand zeigte. Laut einem Gewerkschaftsbericht überwogen insgesamt die "negativen Diskussionen". Diese kleineren Arbeitskämpfe und Proteste waren jedoch nur der Anfang. Ausgehend von Ost-Berlin sollte sich an den erhöhten Normen eine Protestbewegung entzünden, die zu einem Flächenbrand wurde.

  1. Volksaufstand
  2. II. Aufstand in den Bezirken