Obwohl Ordnungskräfte, Stasi, Partei und Sojwetarmee vor der Bevölkerung über die Ereignisse informiert waren, kam es im Bezirk Schwerin im Juni 1953 zu Erhebungen. Die meisten dieser Demonstrationen und Streiks wurden jedoch schnell wieder beendet.

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[Es ist eine schwarzweiße Kopie von zehn abgestempelten Briefmarken zu sehen, die ungleichmäßig verteilt sind. Dabei handelt es sich zum einen um eine 30 Pfennig Marke, auf der über dem Brandenburger Tor "17. Juni 1953" zu lesen ist. Die 20 Pfennig Marke zeigt zwei Fäuste in gesprengten Ketten, hier ist "17. Juni 1953" in der Mitte platziert. Beide Sondermarken wurden von der Deutschen Post Berlin ausgegeben.

Detaillierte Berichte der Stasi über Widerstand in Schwerin

In den Unterlagen der Stasi sind jedoch detaillierte Berichte über die Stimmung der Bevölkerung erhalten. Auch Berichte über kleinere Widerstandshandlungen finden sich in den Akten. Grund dafür ist eine Anweisung des Leiters der Bezirksverwaltung des MfS in Schwerin, Major Folk, vom 11. März 1953 an alle Diensteinheiten. Sie begann mit der Feststellung, dass in der letzten Zeit "Agenten des imperialistischen Geheimdienstes ihre feindliche Tätigkeit gegenüber der DDR" verstärken würden. Deshalb wurden die Kreisverwaltungen und Abteilungen der Staatssicherheit aufgefordert, Maßnahmen zur Sicherung aller wichtigen Industrieobjekte, Kraftwerke und Eisenbahnanlagen sowie Waffen- und Munitionslager in den Polizeieinheiten einzuleiten.

Darüber hinaus wies Folk die Diensteinheiten an, alle Fälle der Verbreitung von antifaschistischen Flugblättern unter der Bevölkerung sofort sorgfältig zu untersuchen. Die Kreisverwaltungen Gadebusch, Hagenow, Ludwigslust und Perleberg sollten ihr Augenmerk auf die Sicherung der Demarkationslinie zur Bundesrepublik verstärken. Das angegebene Ziel lautete, die Einschleusung von "Agenten, Diversanten und Terroristen durch die imperialistischen Geheimdienste und feindlichen Agentenzentralen" zu verhindern. Der letzte Absatz dieser Anweisung enthielt die Forderung, "Spitzenmeldungen" über alle feindlichen Erscheinungen, Störungsversuche und Terrorakte täglich an die Bezirksverwaltung Schwerin weiterzugeben.

Heinrich Folk

Spitzenmeldungen müssen sofort auch über die kleinste feindliche Tätigkeit im Kreis durchgegeben werden. Festnahmen durch die Volkspolizei sind täglich in diesen Meldungen mit zu erfassen. Für den Kreis Schwerin wird die Abteilung VII zur täglichen Meldung um 18.30 Uhr verantwortlich gemacht.

Heinrich Folk
Leiter der Bezirksverwaltung Schwerin

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Die Reaktion der Staatsmacht auf den Aufstand

Auch die Reaktion der Staatsmacht auf die Unruhen im Bezirk Schwerin ist in den Stasi-Unterlagen dokumentiert. Aus einem am 22. Juni 1953 ausgestellten Haftbefehl des Kreisgerichtes Schwerin geht hervor, dass ein Zimmermann der Bau-Union Crivitz am 20. Juni an einer "provokatorischen Zusammenrottung" beteiligt gewesen sei und VP-Angehörige mit Schimpfworten beleidigt hätte. Der Haftbefehl wurde begründet mit einem Verbrechen gemäß Artikel 6 der Verfassung und Kontrollratsdirektive 38, III A mit Androhung einer Strafe von zwei Jahren Freiheitsentzug. Im Vernehmungsprotokoll findet sich die Aussage des Zimmermannes.

Am 20.06.1953 gegen 21.15 Uhr als ich Grünfutterholen zurück kam, sah ich auf dem Marktplatz in Crivitz zwei VP-Angehörige, die eine Person festnehmen wollten. Als der VP-Angehörige die Menge aufforderte, auseinander zu gehen, da zu der gegenwärtigen Zeit Ansammlungen verboten sind, erwiderte ich und verschiedene andere Personen: Wir werden wohl noch gehen können, wo wir wollen. 

Zimmermann der Bau-Union

Die Untersuchungsabteilung der Bezirksverwaltung Schwerin musste wenige Tage später im Entlassungsbeschluss aber feststellen, dass die "eingeleitete Untersuchung keinen Schuldbeweis erbrachte, daß erstens der Bericht der VP übertrieben war, und die von der VP angeführten Zeugen die Beschuldigungen nicht bestätigten."

Gegen einen 16-jährigen Traktoristenlehrling der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Glöwen lag am 25. Juni 1953 ein Haftbeschluss mit folgender Begründung vor:

„A. beschriftete auf der Toilette der MTS Glöwen sechs Broschüren mit Hetzlosungen, um so die Arbeiter aufzufordern, sich gegen die Regierung der DDR zu stellen sowie gegen die Rote Armee aufzulehnen.“

Haftbeschluss gegen einen Traktoristenlehrling

Für den Zirkel "Die gesellschaftliche Rolle der Freien Deutschen Jugend im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus" (Verfassung der FDJ), 2. Teil, sind folgende Lehrhefte erschienen:  Die internationale Lage - zwei Lager in der Weltpolitik  Die zwei Wege der Entwicklung in Deutschland nach 1945 und die Lage in Westdeutschland  Vom Sozialismus zum Kommunismus - Der 5. Fünfjahrplan der UdSSR  Das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus - Der Aufbau des Sozialismus in der DDR  Die jungen Erbauer des Kommunismus, unser Vorbild - Die Aufgaben der Jugend im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus  Wir lernen vom Komsomol - dem aktiven Erbauer des Kommunismus  Ernst Thälmann - das große Vorbild der deutschen Jugend im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus  Wilhelm Pieck - Vorbild, Freund und Lehrer der jungen Generation  Wir schützen die Heimat und den sozialistischen Aufbau in unserer Republik  Die Sowjetunion auf dem Wege zum Kommunismus  Lehrheft für den Zirkel "Die gesellschaftliche Rolle der Freien Deutschen Jugend im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus"	(Verfassung der FDJ)  [Bild: Eine Fotoaufnahme von der "Wartburg". Die Aufnahme wurde mit dem handschriftlichen Schriftzug "Alle gemeinsam gegen die Russen." nachträglich von einem Unbekannten versehen.]  Unsere Heimat und den sozialistischen Aufbau in unserer Republik

Das Vernehmungsprotokoll der Stasi-Dienststelle in Perleberg enthielt Aussagen, die dem Beschuldigten von Stasi-Mitarbeitern augenscheinlich in den Mund gelegt oder aufgezwungen wurden. Jede dieser Aussagen wurde zu Anklagepunkten gemacht:

Vernehmer: "Welchen Charakter trugen diese Hetzlosungen?"

Beschuldigter: "In diesem Losungen wurde von mir eine starke Hetze gegen die Regierung der DDR sowie der Roten Armee geführt. Brachte hierin zum Ausdruck, daß sich die Arbeiter zusammen schließen sollen und gegen die Regierung der DDR und die Roten Armee vorgehen sollten."

Vernehmer: "Zu welchem Zweck fertigten sie diese Hetzlosungen an?"

Beschuldigter: "Durch die von mir angefertigten Hetzlosungen wollte ich die Arbeiter der MTS Glöwen auffordern, sich gegen die Regierung der DDR sowie gegen die Rote Armee aufzulehnen, weil ich die schlechte Stimmung der Kollegen kannte und somit diese ausnutzen wollte."

Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 72/53

Aus einem am 25. Juli 1953 ausgestellten Haftbeschluss der Kreisdienststelle für Staatssicherheit Güstrow geht hervor, dass ein 23-jähriger Arbeiter aus Güstrow auf seiner Arbeitsstelle "Zersetzungsarbeit" betrieben und am 24. Juli eine Hetzschrift angebracht hätte. Diese Schrift richtete sich angeblich gegen die Regierungen der DDR und der UdSSR. Das Urteil des Bezirksgerichts Schwerin findet sich in den Stasi-Unterlagen.

Seine feindliche Einstellung brachte der Angeklagte insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass er an der Wandzeitung der Bauunterkunft einen von ihm handschriftlich gefertigten üblen Hetzzettel anbrachte. Dieser Schriftsatz stellt eine besonders üble Hetze gegenüber unseren Regierungsmitgliedern und der Sowjetunion dar. Der Angeklagte hat im vollen Bewußtsein der Strafbarkeit seines Handelns die Spionage und Hetze betrieben und war geständig, ein Feind unserer Ordnung zu sein.

Er hat Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen sowie faschistische und militaristische Propaganda und Kriegshetze betrieben, Völkerhass bekundet und hat durch diese Handlungen sowie durch Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes und den der Welt gefährdet. Der Vertreter des Staatsanwalts des Bezirks beantragte daher, gegen den Angeklagten auf eine Zuchthausstrafe von acht Jahre zu erkennen und ihm die obligatorischen Sühnemassnahmen der Ziffern 3-9 des Artikel IX der Kontr.Dir.38 aufzuerlegen.

In der gegenwärtigen politischen Situation, in der die Kriegstreiber und Feinde der Einheit Deutschlands zu immer brutaleren Mitteln greifen, um in den Ländern des organisierten Weltfriedenslagers den Boden für ihre Aggression vorzubereiten, macht sich der verstärkte Schutz gegen jegliche feindlichen Elemente erforderlich.

Entsprechend dem Willen aller friedliebenden Menschen werden deshalb die Agenten der imperialistischen Kriegstreiber vom Schlage des Angeklagten ihrer verdienten Bestrafung zugeführt. Der Angeklagte erhielt daher die ihm gebührende Strafe.

Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 92/53 Bd. 1 und Gerichtsakte

Auf diesem Bild befindet sich eine Losung mit dem Schriftzug:  "Dickbauch, Spitzbart und Brille das ist nicht des Volkeswille nied mit der Regirung und der UdSSR."

Aktion "Bollwerk" zum Jahrestag des Aufstandes

Gerhard Neiber

Ein Jahr nach dem Volksaufstand, am 11. Juni 1954, befahl der Chef der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Schwerin den Einsatzplan "Aktion Bollwerk". In ihm war festgelegt, wie alle Diensteinheiten vor und während des 17. Juni 1954 mögliche Unruhen oder Proteste zum Jahrestag des Volksaufstandes verhindern sollten. Besonders auf Informationen kam es dabei an. Anders als 1953 musste die Partei nun ständig und möglichst detailliert über die Stimmung in der Bevölkerung informiert sein. Die Kreise hätten alle drei Stunden die Lage im Kreis zu melden. Besondere Vorkommnisse während der Aktion "Bollwerk" seien sofort zu melden. Mit der Kreisleitung der Partei (SED) sei ständiger Kontakt zu halten.

Die Aktion "Bollwerk" begann am 10. Juni 1954 um 8:00 Uhr. Es wurde ein Einsatzstab gebildet, dem u.a. der Leiter der Abteilung Spionageabwehr im Bezirk Schwerin, Hauptmann Gerhard Neiber angehörte. Neiber wurde später einer der Stellvertreters Mielkes. Parallel dazu gab es auch in allen Kreisdienststellen für Staatssicherheit Einsatzgruppen. Die Kreisverwaltungen Perleberg und Hagenow wurden jeweils durch eine zusätzliche Einsatzgruppe verstärkt. Sie sollten ihre Arbeit in den "Schwerpunktbetrieben" VEB Zellwolle Wittenberge, VEB Textima, RAW Wittenberge, Ölmühle Wittenberge, Elbewerft und Fliesenwerk in Boizenburg aufnehmen.

Verbessert werden sollte auch die Arbeit mit den Geheimen Informatoren (GI) bzw. Geheimen Mitarbeitern (GM), um geplante Aktionen des Gegners aufzuklären. Insbesondere die Kreise Güstrow und Ludwigslust, wo es am 17. Juni 1953 zu Arbeitsniederlegungen gekommen war, müssten unter ständige Kontrolle gehalten werden. Die Dienststellen des Staatssicherheitsdienstes in den Kreisen Perleberg und Hagenow "verstärken ihre Arbeit in den Großbetrieben und besetzen die diversionsgefährdeten Stellen in den Betrieben mit GI (konspirativ)." Ständiger Kontakt sollte auch mit den Politabteilungen der Betriebe gehalten werden sowie mit den Spitzeln auf dem Lande.

Der Einsatzplan zeigt, wie verzweifelt die Stasi einen zweiten 17. Juni verhindern wollte. Mögliche Probleme sollten im Keim erstickt werden. Dafür zog die Stasi sämtliche Register einer Geheimpolizei. So erhielten die Dienststellen der Kreise eine Aufstellung jener Personen, die über "den 17. Juni" Äußerungen gemacht hätten. Besondere Aufmerksamkeit sollten die Mitarbeiter den "faschistischen Elementen" in den Betrieben schenken, besonders bei Bau-Union und VEB Projektierung. Anzeichen von provokatorischen Forderungen, auftretende Gerüchte seien sorgfältig zu untersuchen. Rädelsführer, Urheber und Organisatoren solcher Provokationen seien sofort festzunehmen. Dafür war die Abteilung III der Bezirksverwaltung Schwerin verantwortlich

Außerdem hatte die Stasi ernsthaft Angst vor Provokateuren aus dem Westen. An die Diensteinheiten erging die Anordnung "verstärkte Einreisen bestimmter Personengruppen strengstens zu beachten." Auch die Grenze wollte man genau im Auge behalten. Dafür sei enger Kontakt mit den Aufklärungsabteilungen der Grenzpolizei an der Westgrenze in den Kreisen Hagenow, Gadebusch und Ludwigslust zu halten. Schließlich schwor der Einsatzplan die Mitarbeiter auf die vor ihnen liegende Aufgabe ein. Der Chef der Bezirksverwaltung forderte, dass sich "jeder der großen Aufgabe bewusst ist und persönlich dazu beiträgt, die geplanten Aktionen des Gegners zur Aktion 'Bollwerk' in Erfahrung zu bringen und zu verhindern."

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Literatur

Publikation

17. Juni 1953: Volksaufstand in der DDR

Ursachen – Abläufe – Folgen

Im Buch wird anschaulich auf der Grundlage umfangreicher Quellenüberlieferungen die gesamte Breite des Volksaufstandes vom 17. Juni geschildert. In Fallstudien rekonstruiert der Autor die Geschehnisse in sämtlichen Regionen der DDR.

Publikation

Die DDR im Blick der Stasi 1953

Die geheimen Berichte an die SED-Führung

1953: Im Juni löste der Volksaufstand in der Stasi eine intensive Stimmungs- und Lageberichterstattung aus, die innerhalb von wenigen Wochen in ein geregeltes Informationswesen mit festen Strukturen und einem vorgegebenen Berichtskanon mündete.

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