Während die Stasi beweisen wollte, dass es sich bei dem Volksaufstand um einen aus dem Westen gesteuerten Putsch gehandelt habe, glaubten die westlichen Geheimdienste an das Gegenteil. Die Organisation Gehlen glaubte an eine "von östlicher Seite inszenierte Aktionen", um die Wiedervereinigung "ins Rollen zu bringen".

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DAs Schwarz-Weiß-BIld zeigt den Sitz der US-Mission in der West-Berliner Clayallee: Aus dem geöffneten Tor gehen einige Menschen. Das Foto wurde von der Straße aus aufgenommen.

Ahnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit

Im November 1953 fielen der DDR-Staatssicherheit Dokumente des bundesdeutschen Nachrichtendienstes "Organisation Gehlen" aus der Zeit unmittelbar nach den Juni-Ereignissen in die Hände. Sie offenbarten ein solches Ausmaß an Ahnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit, dass die These einer westlichen Steuerung der Ereignisse schon damit hätte erledigt sein müssen. Während die Stasi beweisen wollte, dass es sich bei dem Volksaufstand um einen aus dem Westen gesteuerten Putsch gehandelt habe, glaubten die westlichen Geheimdienste an das Gegenteil. In einem der Dokumente vom 20. Juni 1953 werden die "Vorgänge in Ost-Berlin und der Zone" als "von östlicher Seite inszenierte Aktionen" bezeichnet. Sie hätten als Ziel gehabt, die Wiedervereinigung "ins Rollen zu bringen".

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Organisation Gehlen verschläft den Volksaufstand

Ganz offensichtlich passte die spontane Entstehung der Streikbewegung genauso wenig in das Weltbild der westdeutschen Nachrichtendienstler wie in das der DDR-Sicherheitsorgane. Erst viel später ging den Mitarbeitern der "Organisation Gehlen" auf, dass sie sich wohl geirrt hatten. Ein weiteres Schreiben der Pullacher Zentrale vom 15. Juli 1953 enthält eine entsprechend harsche Selbstkritik. Der Geheimdienst habe während des Juni-Aufstandes den Kontakt zu seinen Quellen verloren. Diese Tatsache sei von den Quellenführern "gleichmütig zur Kenntnis" genommen worden. Sie hätten sich "Routinearbeiten" zugewandt, anstatt mit allen Mitteln zu versuchen, mit ihren Quellen Kontakt aufzunehmen.

Als einziger positiver Punkt der Bestandsaufnahme wird die "allgemein vorbildliche Zurückhaltung" der Quellen während der Demonstrationen bezeichnet. Die V-Leute der "Organisation Gehlen" waren aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, sich in einer solchen Situation passiv zu verhalten, was sie auch taten. Diese Darlegungen lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Zumindest für die "Organisation Gehlen" war jegliche Beteiligung an den Ereignissen des 17. Juni definitiv auszuschließen. Nichts deutete allerdings darauf hin, dass diese geschilderten Wahrnehmungen und Probleme nur auf den bundesdeutschen Nachrichtendienst beschränkt waren.

Das schwarz-weiße Passfoto zeigt Reinhard Gehlen.

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Auch internationale Geheimdienste verkennen die Lage

Die Berliner Operationsbasis des US-amerikanischen Nachrichtendienstes CIA hatte die gleichen Probleme wie die "Organisation Gehlen". Auch sie konnte während der Aufstandstage keinen Kontakt zu ihren Quellen herstellen. Nach der zeitweiligen Schließung der Sektorengrenze zu West-Berlin brach der Informationsfluss völlig ab. Deshalb waren sowohl CIA als auch State Departement zunächst zu der Einschätzung gelangt, dass die Unruhen des 17. Juni das spontane Ergebnis einer von den Sowjets geplanten Demonstration vom Vortag waren. Die Ereignisse seien danach einfach nur aus dem Ruder gelaufen. Diese aus heutiger Sicht kuriose Vorstellung einer Inszenierung der Streiks und Demonstrationen durch die Sowjets findet sich auch bei der Bundesregierung, beim Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John und bei französischen Stellen wieder.

  1. III. Die Rolle des MfS
  2. V. Folgen