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Übersichtsplan zum Einsatz von Sicherheitskräften im Dynamo-Stadion

Die Stasi in Baden-Württemberg: Stuttgart

In Stuttgart hatte die Stasi beispielsweise eine Gruppe von Bauarbeitern aus der DDR im Blick, die in der Landeshauptstadt auf einer Baustelle tätig waren. Außerdem lieferte ein ehemaliger DDR-Bürger ein Jahrzehnt lang Informationen über die Region, die Stimmung der Bevölkerung sowie Details aus Politik und Wirtschaft. Auch ein UEFA-Cup-Halbfinalspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Dynamo Dresden wurde von der Stasi überwacht.

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Die Großbaustelle "Treffpunkt Rotebühlplatz"

Auf der Stuttgarter Großbaustelle "Treffpunkt Rotebühlplatz" waren ab November 1988 über 80 Mitarbeiter des Volkseigenen Betriebs (VEB) Bau- und Montagekombinat Chemie Halle sowie des VEB Industriebau Bernburg beschäftigt. Die "Limex Bau-Export-Import", ein Betrieb des DDR-Außenhandelsministeriums, und die bundesdeutsche Firma "Müller-Altvatter" hatten am 31. August 1988 einen Vertrag zu diesem Bauprojekt abgeschlossen. Die "Gastarbeiter" aus der DDR waren mit ihrem Eintreffen in Stuttgart unter Beobachtung der Stasi. Diese sammelte nicht nur eifrig Informationen über die eigenen Montagearbeiter sondern auch über das Umfeld der Baustelle sowie über die westdeutschen Auftraggeber und Beschäftigten.

Die Abteilung XVIII der Bezirksverwaltung Halle, zuständig für die Überwachung der Volkswirtschaft, gab zu Beginn des Projekts eine Einschätzung zur Verlegung von Arbeitskräften aus West-Berlin nach Stuttgart. Zudem verpflichtete sie sich, eine Konzeption zur "pol.-op. Sicherung", der politisch-operativen Sicherung, sprich Überwachung des Bauvorhabens zu erstellen.

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In der Anlage 2 zur "Konzeption zur politisch-operativen Sicherung der NSW-Exportbaustelle (…) in Stuttgart / BRD 'Treffpunkt' " mit Datum von 24.11.1988 werden die diversen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) und ihre Arbeitsaufträge aufgelistet. NSW heißt ausgeschrieben das "nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet", damit war der kapitalistische Westen gemeint.

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Die vom Betriebsdirektor ausgearbeitete Baustellordnung für das Vorhaben "Treffpunkt Rotebühlplatz" in Stuttgart zeigt die umfassende Kontrolle der DDR-Bauarbeiter. Auch die Stasi hatte sie in ihrem Vorgang zur Überwachung der Baustelle abgelegt. Das "Baustellenkollektiv" durften keine "ausländischen Staatsbürger" im Wohnheim empfangen, Pressekontakte war strikt untersagt.

Ein IM namens "Herrmann"

Im Jahre 1970 konnte die Stasi einen damals 45jährigen Stuttgarter zur inoffiziellen Mitarbeit verpflichten. Die Geheimpolizei war wegen seiner familiären Kontakte nach Dresden auf ihn aufmerksam geworden. "Hermann" hatte 1956 die DDR verlassen, seine Frau und sein Sohn kamen später in die Bundesrepublik nach. Seiner alten Heimat fühlte er sich aber weiterhin politisch verbunden.

In einer handschriftlichen "Erklärung" verpflichtete sich der Stuttgart zur konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS.

Von der Stasi erhielt er den Auftrag, über persönliche Verbindungen, Einrichtungen und Personen im Raum Stuttgart zu berichten. In der "Verhaltenslinie" instruierte ihn sein Führungsoffizier, wie er sich tarnen konnte und erklärte ihm die Kontaktaufnahme.

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Unter den Berichten von "Herrmann" befinden sich Einschätzungen zur Stimmung im Land, etwa während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer 1977. Darüber hinaus lieferte der Informant Berichte über Behörden und Personen, die für die Stasi interessant waren.

VfB Stuttgart gegen Dynamo Dresden

Fußballduelle zwischen Mannschaften aus den beiden deutschen Staaten waren auch für die Stasi eine Herausforderung. Bei Heimspielen organisierte sie umfangreiche Sicherungs-, Kontroll-, und Überwachungsmaßnahmen. Vor allem "Störversuche" und mögliche "provokatorische Handlungen" von DDR-Bürgern sollten verhindert werden. Bei Spielen im Westen beschäftigte sich die Stasi vor allem mit der Auswahl der "richtigen" Fans, die mitfahren durften. So geschah es auch beim UEFA-Cup Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und Dynamo Dresden.

In der "Information über den Aufenthalt einer "Jugendtourist"-Reisegruppe zum UEFA-Cup Halbfinalspiel in Stuttgart, BRD" wird beschrieben, wie die 600 Dynamo-Fans ausgewählt wurden. Alle waren von staatlich organisierten Vereinen und Verbänden, wie z.B. der Freien Deutschen Jugend (FDJ), von Dynamo Dresden oder dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) vorgeschlagen worden. Die einzelnen Dienststellen der Stasi hatten die Kandidaten "sicherheitsüberprüft". Es sollten linientreue DDR-Bürger ohne West-Verwandtschaft sein, weil man vermutete, dass die Fluchtgefahr so geringer sei. Dennoch setzten sich nach dem Spiel sieben Fans ab und blieben im Westen. Sie nutzten das Spiel - in der Sichtweise der Stasi - "für den Verrat der DDR".

Das Dokument zum "Kräfteeinsatz zum EC (Europacup)-Rückspiel am 19.4.1989" listet genau auf, wie die Stasi plante, Ordnung und Sicherheit während des Europacup-Spieles zu gewährleisten und Protestaktionen zu verhindern. Kritik am SED-Staat, so die Logik der Stasi, könne das Ansehen der DDR im Ausland beschädigen. So wurden im Stadion gezielt u. a. Inoffizielle Mitarbeiter (IM) platziert, die konkrete Hinweise zum "Herauslösen von Störern" geben sollten.

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Auf einer Stadionkarte von Dresden verzeichnete die Stasi genau, wo sie ihre Mitarbeiter und andere Sicherheitskräfte verteilt hatte.

Genau wurden die anreisenden West-Touristen an den verschiedenen Grenzübergängen – in der Sprache der MfS-Bürokratie GÜSt für Grenzübergangsstelle – gezählt.

Vier Tage vor dem Spiel fasste die Abteilung XX der BV Dresden den Stand der Vorbereitungen zu den West-Gästen zusammen. Die Stasi wies auch auf mögliche neofaschistische Fans unter den anreisenden hin.

Die eingereisten Stuttgarter Fans und die Mannschaft des VfB Stuttgart standen unter Beobachtung, wie der "Abschlußbericht" dokumentiert. Sie sollten unter keinen Umständen in Kontakt mit DDR-Bürgern kommen – ein Plan, der nicht aufging.

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In der "Information über beachtenswerte Aspekte im Zusammenhang mit dem Rückspiel im UEFA-Cup-Halbfinale" berichtete Stasi-Chef Erich Mielke persönlich dem Politbüro über die Abläufe. Insbesondere wurde ein junger Mann aus der Bundesrepublik erwähnt, der sich gegen die Mauer aussprach und gegen den ein "Ordnungsstrafverfahren" eingeleitet wurde.