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Mehrere Menschen stehen in Gruppen vor der Kreuzkirche in Dresden, Passanten laufen vorbei.

Die Überwachung der Friedensforen in Dresden

Im Oktober 1981 verteilten Jugendliche aus der Jungen Gemeinde in der Dresdner Innenstadt einen Aufruf auf hunderten Flugblättern. Sie wollten am 13. Februar 1982, zum 37. Jahrestag des Bombenangriffs auf Dresden, möglichst viele Menschen dazu bewegen, zur Ruine der Frauenkirche zu kommen. Um 21:45 Uhr, wenn alle Glocken der Stadt zum Zeitpunkt des Beginns der Bombardierung von Dresden zu läuten beginnen würden, sollten die Menschen Kerzen anzünden und Blumen niederlegen. Anschließend sollten die Anwesenden "We shall overcome" singen und der Opfer des Bombenangriffs in Stille gedenken. Doch dieses Vorhaben rief die Stasi auf den Plan.

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Der 13. Februar 1945, der Tag der Bombardierung Dresdens, ist tief in das Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Er ist mit seinem eindringlichen Glockengeläut, welches um 21.45 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten Bombardierung, einsetzt, ein erinnerungspolitisch und emotional stark aufgeladener Gedenktag, ein Politikum – in der DDR wie heute. 

Über Jahrzehnte mahnte die Ruine der in Schutt gelegten Frauenkirche und wurde zum Symbol und Ort des Erinnerns an den von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieg und die damit in Zusammenhang stehende Vernichtung und Zerstörung. In der DDR, einem Staat der sich selbst als Friedensstaat verstand, war diese Erinnerung Teil des politischen Selbstverständnisses und fand oftmals stark ritualisiert ihren Ausdruck. Seit Anfang der 1980er Jahre veränderte sich dies. 1982 fand erstmals eine von Jugendlichen getragene, unter dem Dach der Kirche organisierte Gedenkveranstaltung statt, die vom üblichen Zeremoniell abwich – ein stilles Gedenken. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beäugte dies kritisch. 

Das erste Dresdner Friedensforum im Jahr 1982

Der Aufruf der Jugendlichen der Jungen Gemeinde in der Dresdner Innenstadt zu friedlichem Gedenken am 13. Februar 1982 erregte die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit. Vor allem die hohe Zahl der verbreiteten Flugblätter ließ die Stasi aufhorchen. Sie wollte ähnliche Aufrufe verhindern und zukünftige Planungen solcher Aktionen unterbinden. In einem Bericht hielten Stasi-Mitarbeiter den Aufruf und die Umstände seiner Verteilung fest:

Über den 1. Stellvertreter des Rates des Bezirkes ließ die Stasi beim Präsidenten des Landeskirchenamtes intervenieren. Aus Sorge vor staatlicher Repressionen und negativen Folgen für die Jugendlichen ergriff die Landeskirche die Initiative. Sie sagte die Veranstaltung jedoch nicht ab, sondern verlegte sie in die Kreuzkirche.

Die Stasi entschied sich, alles im Auge zu behalten. Als der Abend des 13. Februar 1982 in der Kreuzkirche mit einer Orgelvesper begann, beobachteten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) schon seit Stunden die Bewegungen vor dem Gotteshaus. Im Inneren drängten sich die Menschen. Die 3.500 Plätze der Kirche waren vollständig besetzt, so dass viele junge Menschen auf den Gängen Platz nahmen, um der Veranstaltung beiwohnen zu können.

Überwachungsfoto vom Eingang der Kreuzkirche

Grund für den Andrang war jedoch nicht nur die religiöse Feier: Im Anschluss an die Vesper fand das erste Friedensforum statt. Teilnehmer waren unter anderem Landesbischof Johannes Hempel, Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider und Superintendent Christof Ziemer. Zwei Themen standen dabei im Fokus: Das Nein der Staatsführung zu einem sozialen Friedensdienst für junge Menschen und das Nein zu einem waffenlosen Reservedienst. Der Innenraum der Kreuzkirche war mit Plakaten bedeckt, auf denen stand: "Frieden schaffen ohne Waffen" und "Schwerter zu Pflugscharen". Die Information, dass die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg von einer Unterzeichnung des Appells abgeraten habe, führte während der Veranstaltung laut einem Stasi-Bericht zu Pfiffen und Buhrufen. Am Ende gab es ein ökumenisches Friedensgebet, an dessen Anschluss 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Kerzen zur Ruine der Frauenkirche zogen.

Um 21:45 Uhr läuteten die Glocken. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zündeten Kerzen an und legten Blumen nieder. "Sag mir, wo die Blumen sind" und "We shall over come" – die Ikonen der Friedenbewegung – wurden angestimmt, das Gedenken erhielt eine neue Richtung. Gegen 23:00 Uhr endete die Veranstaltung, wie die Stasi resümierte, ohne "Vorkommnisse", "ruhig und diszipliniert".

Am 19. Februar 1982 erstellte die Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) für den Leiter der Bezirksverwaltung, Generalmajor Horst Böhm, einen ausführlichen Bericht über das Friedensforum. Dieser enthielt eine genaue Beschreibung über den Ablauf des Forums: Wer welche Fragen stellte und wer welche Antworten gab. Die einzelnen Wortmeldungen der Teilnehmer sowie die Fragen und Antworten darauf versuchte das MfS zusammenzufassen. Die einleitende Rede von Bischof Hempel schrieben die Mitarbeiter der Stasi gleich komplett im Wortlaut mit. Zusätzlich erstellten sie eine Übersicht der anwesenden Vertreter ausländischer Medien. Die Stasi vermerkte Vertreter von DPA (Deutsche Presse-Agentur), Reuters (Internationale Nachrichtenagentur), epd (Evangelischer Pressedienst) und des Stern (Wochenmagazin).

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Unterwanderung der Friedensbewegung in den Folgejahren

In den nachfolgenden Jahren wurde das Friedensforum in der Kreuzkirche zu einem wichtigen Anlaufpunkt für junge Menschen in der DDR, die sich für Frieden engagieren wollten. Die Stasi beobachtete das Vorgehen während der gesamten Zeit argwöhnisch. Dafür wurden operative Personenkontrollen (OPK) von Vertretern der Kirche und der Friedensinitiativen eingeleitet oder verschärft und inoffizielle Mitarbeiter angeworben. Überwachungsmaßnahmen wurden abteilungsübergreifend organisiert.

Eine große Menschenmenge demonstriert vor den Treppen eines Gebäudes. Einige der Menschen halten große Fotos von Erich Honecker und Karl Marx in die Höhe.

Im Februar 1983 nahm die Stasi Einfluss auf einen geplanten Schweigemarsch und eine Podiumsdiskussion in der Kirche St. Petri. Hier war es die Teilnahme von Mitgliedern der "Fraueninitiative Berlin", die sich "Ende 1982 mit einer Unterschriftensammlung gegen das neue Wehrdienstgesetz der DDR ausgesprochen [hatten]“ und so den Argwohn der Stasi hervorriefen (BArch, MfS, BV Dresden, KD Dresden-Stadt, Nr.64122, Bl. 6). Man befürchtete, dass es bei der Veranstaltung zu "feindlich- negativen Aktivitäten", z.B. Kritik am Wehrdienstgesetz oder eine erneute Unterschriftensammlung gegen das Gesetz, kommen könnte. Die kirchlichen Veranstalter wurden "in bisher nicht gekannter scharfer Form darauf hingewiesen, alle kirchlichen Veranstaltungen am 13. Februar 1983 so vorzubereiten und durchzuführen, daß diese das bestehende Verhältnis Staat – Kirche nicht belasten können“ (BArch, MfS, BV Dresden, KD Dresden-Stadt, Nr. 64122, Bl. 6-7). Ein Spagat. 

Ein von der Kirche geplanter Schweigemarsch durch die Innenstadt wurde vor diesem Hintergrund schließlich abgesagt. Stattdessen fand eine "Großkundgebung der SED" mit etwa 30.000 Teilnehmern statt. Auf diese, so das Kalkül der Stasi und der Stadt, sollten die Augen der anwesenden Westpresse gerichtet sein. Die "Tagesschau" berichtete trotzdem über die Gedenkveranstaltung an der Frauenkirche. 

Ein weiteres Beispiel für die umfassende Überwachung ist der detaillierte "Maßnahmeplan zur politisch-operativen Kontrolle und vorbeugenden Verhinderung feindlich-negativer Aktivitäten" für die Überwachung des Friedensforums am 13. Februar 1984.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Die Stasi konnte die Organisatoren der Friedensforen jedoch nicht abschrecken. Am 13. Februar 1987, dem fünften Jahrestag des ersten Friedensforums, rief der Pfarrer der Kreuzkirche, Christof Ziemer, zu einer großen ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auf. Im Zuge der Vorbereitungen dazu wurden die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, in Briefen ihre Sorgen zu schildern. Daraus entstanden Texte zur Umwelt, zum Frieden und zur Gerechtigkeit, die von Vertretern aller Konfessionen verfasst wurden. Bei diesem Friedensforum wurden auch Fotos in der Kreuzkirche verteilt, mit denen die Organisatoren auf die gesamtdeutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg hinweisen wollten.

Eines dieser Bilder, die die Stasi später beschlagnahmte, zeigt die Ausgabe von Gasmasken im "Dritten Reich". Es trägt die Unterschrift: "Verteilung der neuen Volksgasmaske im September 1937 – die psychologische Gaskriegsvorbereitung läuft auf vollen Touren". Für die offizielle Geschichtslesart der DDR war das ein Affront. Dort trugen die Schuld am Krieg ausschließlich die "Imperialisten" und "Monopol-Kapitalisten" der Bundesrepublik.

Verteilung von Gasmasken an Bürgerinnen und Bürger im September 1937

Wiedereröffnung der Semperoper

Die Stasi behielt die unerwünschte Gedenkveranstaltung an der Frauenkirche im Blick und nicht nur einmal wurde versucht, das staatliche Gedenken in den Vordergrund zu stellen. Ein prominentes Beispiel ist die Wiedereröffnung der Semperoper am 13. Februar 1985 – zum 40. Jahrestag der Zerstörung.

Die Wiedereröffnung der bei der Bombardierung Dresdens 1945 zerstörten Semperoper war ein Prestigeereignis, das internationales Interesse weckte. Politprominenz wie Altkanzler Helmut Schmidt, Erich Honecker, Egon Krenz und auch internationale Journalisten waren eingeladen. Demzufolge hatte die Absicherung der Veranstaltung oberste Priorität. 571 Mitarbeiter des MfS sollten diese sicherstellen. In ihrer "politisch-operativen Lageeinschätzung zur Aktion 'Semperoper'" ging die Stasi deshalb auch auf die "den staatlichen Interessen zu widerlaufenden Aktivitäten" kirchlicher Kreise "zum Jahrestag der Zerstörung der Stadt Dresden am 13. Februar ein" (BArch, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 9229, Bl. 39).

Diese vermeintlichen Störer sollten 1985 "durch den konzentrierten Einsatz geeigneter Kräfte und Mittel des MfS, im engen Zusammenwirken mit der DVP [Deutschen Volkspolizei] und den zuständigen örtlichen Organen unter Kontrolle gebracht" werden, um öffentlichkeitswirksame Ereignisse, die dem Ansehen der DDR schaden könnten, "vorbeugend zu verhindern" (BArch, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 9229, Bl. 39). Kurzum: alle in der Vergangenheit aufgefallenen Personen unterlagen nun besonderer Beobachtung. Zum Schweigen gebracht werden konnten sie nicht. Das stille, friedliche Gedenken setzte sich durch.

Strahlkraft der Friedensforen über Dresden hinaus

Das Dresdner Friedensforum besaß Strahlkraft über die Stadt hinaus. Es hatten sich in dieser Zeit auch in anderen Regionen der DDR "Friedensseminare und Werkstätten" gebildet. Diese Gruppen versuchten, sich zu vernetzen und wollten zeitgleich in verschiedenen Großstädten Friedensgebete abhalten. Daraus entstanden auch jene Friedensgebete, aus denen 1989 die Montagsdemonstrationen hervorgingen. Sie führten später mit zum Ende des DDR-Regimes. Das hatte bei aller Überwachung auch die Stasi nicht vorhergesehen.