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Über die Eingangsrampe des Stadions der Weltjugend läuft die Parade der Delegationen. Noch ist die Vorhut der Parade auf der Rampe, bestehend aus Bannerträgern. Auf der Rampe selbst geht eine Formation Weißgekleideter mit Fahnen in verschiedenen Farben, von Orange über Gelb bis Pink, Grün und Blau. Auf der Wettkampfbahn des Stadions gehen fünf Formationen aus je drei Menschen, die jeweils ein Spruchband tragen.

Die Welt zu Gast hinter der Mauer

Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 fanden in Ost-Berlin die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Unter dem Motto "Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft" belebten ca. 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Festivals aus 140 Ländern die Hauptstadt der DDR.

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Für die SED-Führung waren die Weltfestspiele Chance und Herausforderung zugleich. Sie konnte die DDR einerseits der Welt als ein offenes und selbstbewusstes Land präsentieren, fürchtete aber den westlichen Einfluss auf die eigene Jugend. Hauptsächlich ging es der Partei und ihrer Geheimpolizei darum, die Begegnungen zwischen den Gästen und der eigenen Bevölkerung zu überwachen.

Die Planung der Weltfestspiele lag in der Verantwortung des "nationalen Vorbereitungskomitees". Es wurde 1972 unter der Leitung des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED Erich Honecker gegründet. Die Staatssicherheit war an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung beteiligt. Die generalstabsmäßig geplante Kontrolle der Spiele lief bei der Stasi unter dem Namen Aktion "Banner".

Am 28. Juli 1973 bewegte sich der Festzug zur Eröffnungsfeier ins Stadion der Weltjugend. Angesichts der schieren Menschenmenge  bei über 300.000 Festival-Teilnehmenden aus der DDR und ca. 25.000 Teilnehmenden aus dem Ausland, stand die Stasi vor einer enormen Herausforderung.

Plakat mit dem Text "Weltfestspiele der Jugend und Studenten, Berlin 1973, Hauptstadt der DDR"
Ein Blick auf die Oberränge des Stadions der Weltjugend. Sie sind voll besetzt, und obwohl viele Blauhemden der FDJ zu sehen sind, sind sie auf diesem Bild längst nicht in der Überzahl.

Unter dem "Banner" der Weltfestspiele

Schon früh bereiteten sich die bewaffneten Organe der DDR – unter der Leitung des Ministeriums für Staatssicherheit – auf das große Festival vor. Grundlage war der 50 Seiten umfassende Befehl Nr. 13/73 zur Sicherung der Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele, vom Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. Teil der Aktion "Banner" war es, ein über 4.000 Mitarbeiter starkes, speziell auf das Festival vorbereitetes Team zu organisieren.

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Die Sicherheit bei den Weltfestspielen zu gewährleisten, stellte für das Ministerium für Staatssicherheit eine "hohe und komplizierte Anforderung" dar, so der Befehl. Sie könne nur erfüllt werden durch ein "hohes Maß an Klassenbewusstsein, politischer Klarheit und tschekistischem Können."

Anweisungen ergingen an alle Diensteinheiten. So sollte zum Beispiel die Arbeitsgruppe XVII (Besucherbüro West-Berlin) Mitarbeiter für die Gewinnung "aussagekräftiger Informationen aus dem Wohn- und Freizeitbereich" während des Festivals einsetzen – also den Austausch der Festivalteilnehmenden belauschen. So begaben sich vier Mitarbeiter des West-Berliner Besucherbüros der AG XVII auf den Ost-Berliner Alexanderplatz und notierten ihre Beobachtungen in einem Bericht.

In der Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund) bereitete man sich auf mögliche "feindliche Aktivitäten" vor und entwickelte Szenarien, um auf verschiedene mögliche "Störungen" zu reagieren.

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Eröffnungsfeier im Stadion der Weltjugend in Berlin-Mitte

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Unangemeldeter Besuch aus West-Berlin und der Bundesrepublik war unerwünscht

Mehr als 4.000 speziell geschulte hauptamtliche Mitarbeiter der Geheimpolizei sollten für Sicherheit und ein ideologisch einwandfreies Bild von der DDR-Jugend während des Festivals sorgen. Die "Verhinderung des Wirksamwerdens von negativen und feindlichen Kräften" stand dabei im Vordergrund. Dafür versuchte die Stasi, Kontrolle über den Reiseverkehr aus der Bundesrepublik und West-Berlin zu gewinnen und unangemeldete Besucherinnen und Besucher aus Ost-Berlin fernzuhalten.

In der Durchführungsbestimmung zum Befehl 13/73 über den Einreiseverkehr lautete der Befehl für die HA VI, Verwaltung Groß-Berlin (zuständig für die Passkontrolle und Tourismus):

"Politisch operative Einflussnahme […] auf das Reisebüro der DDR, um zu sichern, dass in der Zeit der X. Weltfestspiele für Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) sowie Bürgern der BRD und anderen nichtsozialistischen Staaten […] keine Touristenreisen […] mit dem Ziel des Aufenthalts in der Hauptstadt der DDR […] durchgeführt bzw. gewährt werden."

Haft statt Berlin-Reise

Die Staatssicherheit hatte die Aufgabe, die X. Weltfestspiele als Großveranstaltung abzusichern. Noch unter dem Eindruck des Attentats während der Olympischen Spiele 1972 in München waren die im Vorfeld durchgeführten Sicherheitsmaßnahmen beträchtlich.

Ein Schwerpunkt war hierbei, die Anreise unerwünschter Personengruppen zu verhindern. Sogenannte "asoziale" und "negative Personen" sollten während der Weltfestspiele Ost-Berlin nicht betreten. Nichts sollte das Bild einer vorbildlichen und klassenbewussten DDR-Jugend stören, das SED und Stasi der Welt präsentieren wollten.
"Negativ" waren in den Augen der SED Menschen, die unangepasst waren und nicht den politischen Vorstellungen der Machthaber entsprachen. Wer in der DDR als "arbeitsscheu" auffiel, galt als "asozial" und konnte nach § 249 StGB der DDR bestraft werden, wobei die Strafe von Bewährungsstrafen über "Arbeitserziehung" bis hin zu Haftstrafen reichen konnte. Diesen Paragraphen nutzte die Geheimpolizei auch im Vorfeld der Weltfestspiele. Möglichst viele Personen aus Berlin, die nach § 249 verdächtig waren, wollte die Stasi zumindest für die Dauer der Weltfestspiele aus der Hauptstadt fernhalten.

Bis zum 5. Juli leitete die Geheimpolizei gegen "2.720 negative, asoziale und vorbestrafte Personen sowie gefährliche Rechtsbrecher Maßnahmen zur Verhinderung von Reisen [...] in die Hauptstadt der DDR" ein. Zumeist waren dies Verhaftungen. Gegen fast 6.000 weitere Personen standen "Maßnahmen zur Verhinderung von Reisen" auf dem Plan. Ebenfalls sollten ca. 150 Berliner Prostituierte verhaftet werden. Der Termin für ihre Verurteilung und Inhaftierung sollte so festgelegt werden, dass ihre Entlassung nach sechswöchiger Haftstrafe (Höchstmaß) erst nach Ende der Weltfestspiele erfolgte. Ein Verhaftungsgrund wurde nicht empfohlen. Um die Situation in den Gefängnissen zu kontrollieren, wurden parallel Hunderte Inhaftierte quer durch die DDR in andere Haftanstalten gebracht.

Aus den vorliegenden Dokumenten geht nicht hervor, welche der "negativen" Personen aus rein sicherheitsrelevanten Gründen während der Spiele aus der Hauptstadt ferngehalten werden sollten, weil sie tatsächlich vorbestraft oder kriminell auffällig waren. Auch politisch unerwünschte Personen konnten auf diesem Weg von dem international beachteten Festival verbannt werden.

 

Auf Kurs gebracht

Für die Jugendlichen der DDR war das Festival eine einmalige Gelegenheit, junge Menschen aus allen Kontinenten kennenzulernen. Im Hintergrund wurden die Begegnungen aber durch das MfS definiert und kontrolliert. So entwarfen die Mitarbeiter der Geheimpolizei Argumentationshilfen für die DDR-Jugendlichen. Schließlich stünden sie Menschen mit sehr unterschiedlichen, zum Teil auch mit "feindlichen" Weltanschauungen, anderen politischen Standpunkten und Interessen offen gegenüber.

Die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die DDR bei den Weltfestspielen repräsentierten, hatten positiv für ihren Staat einzutreten. Sie sollten, so die Ansage der Stasi, "sich offensiv, sachlich und auf Grundlage unseres Standpunktes mit unterschiedlichen politischen Auffassungen, Ideologien, Argumenten" auseinandersetzen. Wichtig sei, dass sie mit aller Konsequenz "gegen jegliche Aktivitäten auftreten, die sich gegen den Geist der Weltfestspiele richten und offene Hetze bzw. Diskriminierung darstellen".

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Mehr als 300.000 Festivalteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden vorab geschult und politisch auf Kurs gebracht. Dazu gehörten vorformulierte Antworten zu Fragen wie: "Wie steht die DDR zum Austausch von Meinungen und Ideen?" sowie  "Existiert nicht noch immer eine deutsche Nation?" oder gar "Ist Sex in der DDR verboten?".

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